Textdaten
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Autor: Ludwig Ferdinand Huber
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Titel: Anekdote
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aus: Thalia - Dritter Band, Heft 9 (1790), S. 41–50
Herausgeber: Friedrich Schiller
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1790
Verlag: Georg Joachim Göschen
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: UB Bielefeld bzw. Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
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[41]

II.

Anekdote.




Ich hoffe nicht daß jemand, ohngefähr wie der Geometer nach dem Trauerspiel, fragen wird; zu was Ende die folgende Geschichte hier einen Platz einnimmt; und ich gestehe, daß ich keine Antwort auf diese Frage wüßte. Für die Wahrheit der Anekdote sollen ubrigens verschiedne Einwohner der Hauptstadt Deutschlands zeugen können.

Der Baron * *, ein begüterter Ungrischer Edelmann, der in den Kaiserlichen Heeren diente, war in den letzten Jahren des siebenjährigen Kriegs in Preußische Gefangenschaft gerathen. Er lebte gegen ein Jahr zu Magdeburg, und verlegen um Mittel diesen gezwungenen Aufenthalt zu versüßen, suchte er sich an den Herzen der feindlichen Schönen für den übeln Ausgang seiner kriegerischen Projekte zu rächen. Mit diesen gelang es ihm ebenso gut, als es ihren Vätern mit ihm gelungen war; und der schöne Kriegsgefangne fieng an, seine Erlösung mit ziemlicher Geduld zu erwarten, während daß seine junge zärtliche Frau, die er auf seinen Gütern in Sklavonien zurückgelassen hatte, sich über sein trauriges Schicksal härmte. Diesen letzten Umstand hatte er überhaupt dem dortigen [42] schönen Geschlecht wohlbedächtig verschwiegen; aber ihn traf endlich das Verhängniß mancher Helden und Eroberer, weiter zu kommen, als er selbst wollte. Jetzt sollte Hymen das Unheil wieder gut machen, das die Liebe gestiftet hatte; das Gewissen des Barons setzte sich über eine leichte militairische Heirath hinweg, und Fräulein von X. wurde würklich mit ihm getraut. Kurz darauf geschah zwischen den feindlichen Mächten eine Auswechselung, bei welcher der Baron seiner Gefangenschaft losgesprochen wurde. Er und seine neue Gemahlin beschäfftigten sich nun gemeinschaftlich mit Vorbereitungen zur weiten Reise nach seinem Vaterlande; er fand aber für gut heimlich vorauszugehen, und hinterließ seiner Frau nur ein zärtliches Abschieds-Billet, worin er mit vielen höflichen Umschweifen sie gewissermaßen und so weit es thunlich war, von Umständen unterrichtete, welche diese unglückliche, ewige Trennung veranlaßten, und ihr zugleich freundschaftliche Verhaltungsregeln gab, wie sie noch die beste Miene zu diesem bösen Spiele zu machen hätte.

Es entkam er aus seinen beiden Gefangenschaften und traf glücklich zu Wien ein, wo er sich mit leichtem Muth den lang entbehrten Zerstreuungen und Freuden überließ. Eine kleine Störung gab ihm zwar die unvermuthete Ankunft seiner ersten Gemahlin, welche mit der Beharrlichkeit der Liebe die kleinen, von ihm selbst geflissentlich ihrer Ungeduld in den Weg gelegten Hindernisse besiegte, und dem armen gemißhandelten [43] Krieger ihre treue Pflege anzubieten eilte. Doch fesselte ihre Zärtlichkeit seinen Flattersinn, und sein enges leeres Herz fieng würklich an sich dem ächten Genuß der Liebe zu öffnen. Sie war aus einem der edeln, aber verarmten Geschlechter, deren es in Ungarn so viele giebt, welche durch Zanksucht und Hartnäckigkeit sich selbst so tief herunterbringen, daß sie den Söhnen ihrer reich gewordenen Geschäfftsführer und Advokaten fröhnen müssen. Ihr Herz war dem Manne ganz ergeben, der durch sein Vermögen über sie erhaben, sie von dem harten Schicksal der Dienstbarkeit gerettet, ihrer Schönheit und ihrer Tugend durch die Gabe seiner Hand gehuldigt hatte. In Wien blieb ihre ruhige Seele für alle die Vergnügungen unempfänglich, die bei ihrer einfachen Lebensart und Erziehung ihr bis dahin ganz fremd gewesen waren. Sie lebte eingezogen und unbekannt, der Liebe ihres Gemahls vielleicht um desto gewisser, da er auf diese Art in seinem Hause die Freuden einer glücklichen Ehe in vollem Maaße fand, und auswärts die Ungebundenheit, den sorgenlosen Sinn des unverheiratheten Standes behaupten konnte.

Indessen hatte seine andre Frau sich nicht so ruhig in ihr Schicksal zu finden gewußt, als sein Leichtsinn es erwartet hatte. Sie suchte auf die Spur ihres Flüchtlings zu kommen, und als sie mit Gewißheit herausgebracht hatte, daß er in Wien lebte, trat sie, mit den gültigsten Beweisen ihrer Ansprüche auf ihn ausgerüstet, die Reise nach der Kaiserstadt an. Dort [44] hielt sie sich so lange Zeit verborgen als sie nöthig hatte, um über die innern Hausangelegenheiten des Barons Erkundigung einzuziehen. Sie erfuhr bald daß ihre Stelle schon besetzt war, und stand nun nicht länger an, ihre Klage vor der Kaiserin selbst zu erheben. Der Fall der Bigamie schien ziemlich erwiesen, der Baron kam in engen Verhaft, und die Strenge der Kaiserin gegen Verbrechen dieser Art ließ voraussehen, daß die von dem Gesetz auf Vielweiberei erkannte Todesstrafe an ihm vollzogen werden würde. Bei der Untersuchung wurden die Ansprüche der zweiten Frau vollkommen rechtskräftig befunden; als man aber zur Prüfung der früheren Rechte der ersten Frau schreiten wollte, legte diese das Geständniß ab, daß sie dem Baron nie angetraut gewesen wäre, sondern als seine Maitresse bei ihm gelebt hätte, und daß er aus Liebe und Furcht vor den Nachsuchungen der Polizei ihr seinen Namen zu tragen erlaubt hätte. Diesem unerwarteten, freiwilligen Geständnisse war nichts entgegen zu setzen, der bedenkliche Handel endigte sich, alles Anscheins ungeachtet, zum Vortheil des Barons, seine Hand wurde der Fremden zuerkannt, und die bisherige Baronin **, zur exemplarischen Bestrafung des unerlaubten Umgangs, auf zehn Jahre zum Zuchthaus verurtheilt.

Fühle die Größe dieser Handlung wer sie fühlen kann; meine Feder soll ihre erhabne Simplizität nicht entweihen! Nur dahin, wo die mitleidige Ahndung [45] meiner Leser sie unter Verbrechern aller Art schon erblickt, dahin wollen wir der Heldin noch folgen, und Rosen blühen sehen für sie aus dem Aufenthalt der Schande.

In dem Zuchthaus selbst fand sie die sanfte stille Belohnung ihrer stillen Größe: ein Herz, ein Auge das dort, und überall sie von ihrem übrigen Geschlecht zu unterscheiden vermochte. Nie hat vielleicht ein Mensch seinen Würkungskreis so erfüllt, so zum Besten seiner Brüder erweitert als der damalige Zuchthaus Verwalter in Wien. Die Erfahrung vieler Jahre hatte seine Menschenkenntniß bis zur Untrüglichkeit geläutert. So selten er getäuscht werden konnte, desto öfter und richtiger erkannte er die Irrthümer seiner Obern, und das unabläßige Bestreben seiner Menschenliebe war, diese wieder gut zu machen. Mit strenger Unparteilichkeit unterschied er in der Behandlung seiner Züchtlinge die verstockten, gegen Ehre und Schande gleichgültigen Sünder, die schamlosen Dirnen von den unglücklichen Opfern einer übelverstandenen Delikatesse. Jene lernten auf die Achtung dieses Mannes, dem sie die ihrige nicht versagen konnten, einen Werth legen, lernten vor seiner Geringschätzung sich entsetzen, und gewöhnten sich zu Empfindungen, die ihnen vorher unbekannt waren; bei diesen wußte er, mitten in der Ausübung der infamirenden Strafe, das zarte, durch den grausamen Leichtsinn der Richter so leicht erstickte Gefühl der Ehre lebendig zu erhalten. Er hatte eine kleine Welt um sich geschaffen, deren Mittelpunkt [46] nicht mehr die Schande, sondern er und sein Urtheil war. Er gab zuweilen seinen Kindern – denn ihren Vater nannten ihn die Züchtlinge – kleine Feste, zu denen er seine Freunde einlud; und um diese Belohnung der gekränkten oder wiederkehrenden Tugend kämpfte ein edlerer Ehrgeitz, als vielleicht in der ganzen Kaiserstadt rege war.

Aus der Schilderung dieses braven Mannes, dem die Menschheit eine Ehrensäule schuldig wäre, wird man leicht urtheilen, welchen Eindruck sein neuer Gast auf ihn machen mußte. Die holde, ruhige Miene der Baronin, ihre unschuldige Heiterkeit verrieth ihm bald das Wesentliche ihrer Geschichte. Keine reuige Magdalena war dieß nicht, wie er oft in seinen Mauern gehabt und gepflegt hatte, er erkannte in ihr ein freywilliges, im edelsten Selbstbewußtseyn zufriednes Opfer der sanftesten Empfindungen. Soviel konnte sie ihn nicht hindern in ihren Augen zu lesen, aber eine stillschweigende Uebereinkunft, die ihm verbot in das Geheimniß ihrer Tugend zu dringen, war mit einem solchen Manne bald getroffen. Sie lebte ganz als seine Tochter bei ihm, wurde seine tägliche Tischgenossin, und die Freundin seiner Freunde. Er gieng soweit daß er sie öfters, verkappt, zu öffentlichen Belustigungen, Feuerwerken und dergleichen führte; und ihr liebevolles Herz konnte dem gutmüthigen Eifer ihres Freundes in solchen Fällen nur selten widerstehen.

[47] In diesem kleinen, glücklichen Kreis waren, ein Paar Jahre ihres Lebens verflossen, als ausser den Mauern ihres Gefängnisses eine wichtige Veränderung vorgieng.

Der wahrscheinlich sehr freudenleere Ehestand des Barons dauerte nicht lange. Seine Frau starb, und nun schwebte das Bild der Unglücklichen, die im Zuchthaus für ihre Großmuth büßte, mit großer Lebhaftigkeit vor seiner schwachen Seele. Er suchte bei der Kaiserin einen der Augenblicke zu treffen, wo sie von sanfter Frömmigkeit zur höchsten Nachgiebigkeit und Milde hingerissen, nichts abzuschlagen gewohnt war. Er erhielt im voraus Gnade und Verzeihung für das was er ihr zu entdecken hätte; hierauf reinigte er die Baronin von ihrer eignen Anklage, und legte der Kaiserin die unwidersprechlichsten Beweise vor daß sie seine rechtmäßige Gemahlin gewesen war. Theresia war gerührt, sie ließ sogleich den Zuchthaus Verwalter holen; einige Fragmente der Unterredung zwischen der Kaiserin und diesem trefflichen Mann sind damals bekannt geworden, und ich hoffe durch ihre Mittheilung mir einiges Verdienst um meine Leser zu erwerben.

„Unter Seinen Züchtlingen“ redete ihn die Kaiserin an, „ist eine Baronin **?“

Der gute Mann war eben zwey Tage vorher mit der Baronin bei einem Feuerwerk gewesen; die unvermuthete Botschaft der Kaiserin und diese plötzliche [48] Frage brachten ihn für einen Augenblick aus der Fassung, er glaubte sich verrathen.

„Ja“ sagte er, „aber wenn Ew. Majestät sie kennten, es ist ein so braves Weib! – Ich weiß daß ich gefehlt habe, ich soll meine Züchtlinge in enger Verwahrung halten. Aber sie ist nicht Schuld, ihr ist wahrhaftig an einem lumpigen Feuerwerk nicht gelegen, sie hat immer ihre tausend Bedenklichkeiten, und ich muß sie dazu zwingen – und sehen Ew. Majestät, darauf können Ew. Majestät meinen Kopf hinnehmen, daß sie unschuldig ist. Entlaufen kann sie mir doch nicht, und würde sie auch nicht wollen, das sanfte Lamm! Nun denke ich, an die Luft, unter Menschen kann man sie ja führen –“

Die Kaiserin lächelte über das Mißverständniß, welches ihr das gutherzige Vergehen des Mannes verrieth. Sie ließ ihn übrigens hoffen, daß sie es vor der Hand wohl übersehen könnte, in so fern sie nun selbst von der Unschuld seiner Klientin überzeugt wäre. Deswegen hätte sie ihn vorzüglich rufen lassen, sie freute sich über das gute Zeugniß, das er der Baronin gäbe, und würde sie auf der Stelle erlösen und zu sich bringen lassen. –

Hier unterbrach er sie, glühend vor Freude. „Nein, nein,“ sagte er, „so müssen’s Ew. Majestät nicht machen; das versteh’ ich besser. Das arme Weib trifft der Schlag, wenn wir sie so plötzlich damit überfallen.“

[49] Theresia fragte, auf welche Art er denn meinte, daß ihr die Ueberraschung am wenigsten schaden könnte?

„Lassen Ew. Majestät mich vorausgehen, schicken Sie niemanden weiter mit, und – ja! – Setzen Ew. Majestät sich hin, und schreiben ihr ein Billet, so artig, so süß Sie’s immer können – und wenn Ew. Majestät ein bischen um Verzeihung bäten, es könnte nicht schaden. Bedenken Ew. Majestät! das schuldlose Lamm, auf zehn Jahr zum Zuchthaus! Wenn’s denn nun auch gewesen wäre, wenn sie den Offizier nur lieb gehabt hätte? Aber vollends seine Frau! – Nun, wollen Ew. Majestät sich hinsetzen?“

Die Kaiserin gehorchte. Er las den Brief, und war damit zufrieden; Theresiens Herz hatte ihn geschrieben.

„Jetzt geben mir Ew. Majestät das Briefchen mit, ich weiß schon, was ich damit anfange. Heute Abend spät schicken Sie zu mir, und lassen das Weibchen holen.“

Er flog nach Hause. Alles sollte sein Entzücken theilen, was das Haus vermochte wurde zu einem Schmause aufgeboten, den er an demselben Abend geben wollte. Er ließ alle seine Freunde laden. Die Baronin ließ er bitten ihre besten Kleider anzuziehen, er würde sein Geburtsfest mit seinen Freunden feiern.

[50] Die Gesellschaft war versammelt. Keiner wußte was er aus dem Manne machen sollte, so unzusammenhängend waren alle seine Reden, so ungereimt fröhlich alle seine Bewegungen. Er war in einer halben Stunde zehnmal auf dem Zimmer der Baronin, er bestürmte sie mit Fragen, auf welche sie keine Antwort wußte, quälte sie mit Räthseln, um deren Erklärung sie vergebens bat, bereitete sie indessen doch durch alle diese Thorheiten auf die Ueberraschung vor, die ihrer wartete.

Voll unruhiger gemischter Ahndungen kam sie endlich herunter. Sie setzte sich nieder, und fand unter ihrem Couvert den Handbrief der Kaiserin.

Ich übergehe die Folgen dieser Scene; ich schildre die Huldigungen nicht, die der siegenden Tugend in vollem Maaße gezollt wurden; selbst an dem Abschiede, den die Baronin von ihrem Freunde nahm, will ich meine Darstellung nicht schweigen lassen.

Folgende Ergänzungen, die aus einer erfundenen Komposition verworfen würden, gehören noch in ein wahres Gemählde aus einer unidealischen Welt.

Die Baronin lebte mit ihrem Mann auf seinen Gütern, und sie schrieb ihrem Freunde in Wien, daß sie so glücklich nicht mehr wäre, als sie es bei ihm gewesen war. Er selbst wurde späterhin, wegen seiner vielfältigen Dienstvergehungen, abgesetzt; und er dankte mit freimüthiger Laune dem Monarchen für die hohe Gnade.