Anastasius Katzenschlucker, der große Zauberer/Wie Anastasius Zauberer wurde

Anastasius Katzenschlucker, der große Zauberer
von Rudolf Slawitschek
Der Katzenkrieg
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Wie Anastasius Zauberer wurde

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[7] Auf Ehre und Gewissen frage ich euch alle, die ihr diese Geschichte hört, ob jemand von euch Anastasius Katzenschlucker heißen möchte? Niemand? Nun, das dachte ich mir! Oder doch einer? Wirklich, dort rückwärts hebt sich eine Hand! Es ist kaum zu glauben! Also, komm mal her, Kleiner, und laß dich anschauen! So also sieht ein heldenmütiger Bub aus! Denn es gehört wirklich ein tüchtiger Brocken Courage dazu, so etwas freiwillig auf sich zu nehmen.

Das glaubst du nicht? Na, dann hättest du nur hören sollen, wie die Kinder dem kleinen Anastasius, so oft er sich außer Hause zeigte, die Gasse lang nachspotteten: Katzenschlucker, Katzenschlucker! Und als er größer wurde, wie sie sich tagtäglich in der Schule bei ihm erkundigten, wie der gestrige Katzenbraten geschmeckt habe? Ob schwarze oder gefleckte Katzen besser wären? Und ob er sie mit Haut und Haar verzehre?

Auch der Vorname gab mancherlei Anlaß zu Spott und Ärgernis. Ein Vorname, und gar wenn er so lang ist wie Anastasius, ist doch dazu da, um verkürzt zu werden, und das nennt man dann einen Kosenamen, nicht wahr? Und da riefen sie ihn bald „Anna“ [8] und dann wieder „Stasi“ und meinten lachend, daß sich aus ihm zwei Mädchen machen ließen.

Auf so viel Spott und Hohn wußte der kleine Anastasius keine Antwort und kam darum tagtäglich in Tränen aufgelöst nach Hause. Seine Eltern aber mußten von früh bis spät um das liebe Brot arbeiten und hatten darum keine Zeit, sich viel um die kleinen Lebenssorgen ihres Buben zu kümmern.

So gingen die Jahre dahin und Anastasius fand es schon fast selbstverständlich, daß er gehöhnt und verspottet wurde. Bis eines Tages sein Onkel in dem kleinen Böhmerwalddorfe erschien mit der klaren Absicht, sich den Buben einmal anzusehen. Der war der Bruder seiner Mutter und hieß daher nicht gleichfalls Katzenschlucker, sondern führte den schönen Namen Ziehfreund. Seines Zeichens aber war er Zuckerbäcker in der Stadt Budweis. Wo die eigentlich lag, das wußte Anastasius nicht genau, gewiß aber war es weit, weit weg; und es mußte eine große und schöne Stadt sein mit vielen freundlichen und guten Menschen, die nicht gleich jedem armen Jungen auf der Gasse nachspotteten, weil er vom Schicksal einen häßlichen Namen vererbt bekommen hatte. Als daher der Onkel an Anastasius die Frage richtete, ob er mit ihm ziehen und sein Lehrling werden wolle, da war der ganz selig vor Freude und packte gleich sein Ränzel, aus lauter Sorge, den Onkel könnte seine Aufforderung noch gereuen.

Der Zuckerbäcker Karl Ziehfreund hatte einen schönen Laden auf dem Marktplatze in Budweis; und da er nicht geheiratet hatte, so dachte er beizeiten daran, daß das Geschäft nicht später einmal in fremde Hände komme, und darum wollte er sich in Anastasius seinen dereinstigen Nachfolger erziehen. Der wußte zwar nichts davon, aber er war reichlich zufrieden, einsam und zurückgezogen mit dem Onkel zusammen hausen und im übrigen alles lernen zu können, was ihn der Onkel lehrte.

So vergingen die Jahre. Und da er mit keinem Altersgenossen Freundschaft schloß und an Sonn- und Feiertagen stets nur in [9] Begleitung seines Onkels ausging, wochentags aber getreulich seiner Arbeit lebte, so war sein Name in der Stadt so gut wie unbekannt, da man allgemein der Meinung war, er heiße so wie sein Onkel. Und so wäre alles gut und schön gewesen, wenn nicht eines Tages der gute Onkel gestorben wäre. Nun mußte Anastasius das Geschäft selbst übernehmen und, was das Ärgste war, er mußte sich eine neue Firmatafel anschaffen, die seinen Namen tragen sollte.

Das war nun freilich eine böse Sache, der er gerne irgendwie aus dem Wege gegangen wäre. Darum ließ er sich eine sehr schöne Tafel mit der Aufschrift: „Karl Ziehfreunds Nachfolger“ malen. Aber die Freude über diesen Ausweg war nicht von langer Dauer, denn die hohe Obrigkeit war damals gerade auf irgendwelche Mißbräuche gekommen, die mit solchen Tafeln getrieben wurden, und so erhielt er unter Androhung schwerer Strafe den Auftrag, auf der Tafel auch seinen eigenen Namen in deutlich lesbarer Schrift anbringen zu lassen.

So mußte er sich denn wohl oder übel dazu entschließen und nun erwartete er mit Ängsten, was weiter kommen würde. Er brauchte nicht lange zu warten, denn schon wie die verbesserte Tafel angebracht wurde, war gleich eine ganze Schar Gaffer zur Stelle, welche die große Neuigkeit mit lautem Hallo begrüßten und auch gleich für ihre Verbreitung in der ganzen Stadt sorgten.

Nun ging für den armen Anastasius wieder eine böse Zeit an. Er ging noch weniger aus als früher, aber die Spötter suchten [10] ihn im Laden auf. Die Gassenjungen von weit und breit machten jetzt dort ihre kreuzerweisen Einkäufe und erkundigten sich dabei wohl mit ernster Miene, ob in den Kuchen nicht etwa Katzenhaare wären und was dergleichen Scherze mehr waren. Unter diesen Stichelreden, die dem Stadtklatsch willkommene Nahrung boten, litt der gute Anastasius sehr; der Ärger darüber verdarb ihm die Freude an seinem Gewerbe, und so kam es, daß sein Geschäft mehr und immer mehr zurückging.

Anastasius nützte die unfreiwillige Muße, um die hinterlassenen Papiere und Schriften seines Onkels durchzusehen. Dabei kam ihm eines Tages ein vergilbtes Stück Papier in die Hände, darauf stand in altertümlichen Schnörkelzügen eine Beschreibung der Stadt geschrieben. Und ganz zum Schluß stand der Satz: „Wenn der Vollmondschatten des Domturmes zur Stunde, da es gerade Mitternacht schlägt, bis in den Wassertrog des Brunnens am Marktplatz reicht, dann schwimmt dort der goldene Krebs, der sonst auf dem tiefsten Grund des Rosenberger Teiches haust. Wer diesen Augenblick nützt, dem kann die hohe Kunst der Zauberei offenbar werden. Nur muß er sich einen Stab aus dreierlei Holz machen lassen, aus Eichen-, Eschen- und Lindenholz, den muß er dem goldenen Krebs hinhalten, daß der seine Scheren hineinzwickt. Wenn er ihn dann wieder herausnimmt, ist es ein Zauberstab, mit dem er alle Wunder verrichten kann.“

Anastasius hüpfte vor Freude. Nun waren alle Sorgen zu Ende. Nacht für Nacht war er ja, wenn schon alles schlief, auf und ab über den Marktplatz gegangen, um seine schlaflose Unrast zu beruhigen. Denn bei Tage wollte er nicht ausgehen, um ja keinem Menschen zu begegnen. Und darum wußte er, daß der Schatten des Domturmes dem Brunnentrog immer näher kam, gerade zur Stunde, wenn es Mitternacht schlug. Und in drei Tagen war Vollmond. Rasch ließ er sich in aller Heimlichkeit einen Stab machen, wie er im Buche beschrieben war; und als er ihn wirklich in Händen hielt, konnte er den großen Augenblick kaum erwarten.

[11] Und es kam richtig alles so, wie es in dem Buche stand. In der Vollmondnacht, gerade als es zwölf Uhr schlug, guckte die Spitze des Domturmschattens in den Brunnen hinein. Es war schon im November und eine eisige Kälte lag über dem Platz, aber Anastasius merkte nichts davon. Er beugte sich über die Brüstung des Brunnens, fast wäre er vor Aufregung hineingefallen. Und richtig, da schimmerte etwas Goldenes in dem klaren Wasser, das hob sich jetzt vom Grunde, kam näher, es war der goldene Krebs. Rasch hielt Anastasius den Stab hin und fühlte, wie ihn die Scheren ergriffen. Mit einem kräftigen Ruck befreite er ihn wieder und hielt nun das kostbare Ding in der Hand.

Aber ob es auch richtig so war, ob man wirklich damit zaubern konnte? Die Kehle wurde ihm ganz trocken vor Schrecken bei dem bloßen Gedanken, daß das alles dem Stabe die erwünschte Zauberkraft doch nicht geben würde! Man mußte eben rasch einen Versuch [12] machen, nur einen kleinen, ganz kleinen Versuch, nur daß man wüßte, ob es wirklich ein Zauberstab sei. Aber was? Sein quälender Durst gab ihm den Wunsch nach frischem Obst ein. So ein paar saftige Kirschen jetzt, das müßte ein Hochgenuß sein! Und schon schwang er den Zauberstab und sagte laut: „Hier am Brunnenrande soll gleich ein Korb mit Kirschen stehen!“

Er hatte den Satz kaum zu Ende gesprochen, so standen sie auch schon da. Zuerst traute er seinen Augen kaum und griff nur mit zitternder Hand nach ihnen. Erst als er den süßen Saft im Munde spürte, wußte er, daß es Wahrheit war. Und nun nahm er eine Kirsche nach der andern aus dem Korbe, spuckte die Kerne schön in den Brunnentrog und freute sich der silberzitternden Kreise, die sie auf der Wasserfläche hinterließen. Dann warf er noch einen Blick auf den Grund des Brunnens, ob dort der goldene Krebs noch zu sehen sei und ob er seinen Übermut mit den Kernen nicht etwa übel aufnehme. Aber von dem war keine Spur mehr zu finden. So schmauste er denn behaglich seine Kirschen weiter und freute sich so recht vom Herzensgrunde seiner Macht.

Was wollte er nun zuerst unternehmen? Erst jetzt merkte er, wie wenig er selbst daran geglaubt hatte, daß es mit dem, was er aus dem alten Buche erfahren hatte, seine Richtigkeit haben werde. Denn er hatte noch gar nicht darüber nachgedacht, wie er die Zauberkraft gebrauchen würde. Aber wie er sich das nun überlegen wollte, spürte er, wie die durchgemachte Aufregung ihn gänzlich erschöpft hatte. Jetzt nur schön zu Hause in der Kammer liegen und schlafen! Morgen würde ihm schon das Richtige einfallen.

Und so schwang er denn wieder seinen Zauberstab und wünschte sich in sein Bett. Und schon lag er auch darin und hatte sogar schon sein Nachthemd an und seine Kleider lagen fein säuberlich auf dem Stuhl neben dem Bette und die Kerze brannte auf seinem Nachttisch. Die pustete er aus, drehte sich gegen die Wand und schlief, hundemüde von all der Aufregung und Freude, auf der Stelle ein.