Textdaten
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Autor: Friedrich Leopold Graf zu Stollberg
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Titel: An Gottfried August Bürger
Untertitel:
aus: Gedichte, S. 262–265
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum: um 1776
Erscheinungsdatum: 1778
Verlag: Johann Christian Dieterich
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Erscheinungsort: Göttingen
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[262]
An
Gottfried August Bürger.


     Fried’ und Freude dem Sänger zuvor und traulichen Handschlag!
Sieh, ich habe dein Zürnen vernommen am fernen Gestade;
Hörte den Flügelschlag deines Gesangs; melodische Stürme
Deiner Leier erhuben ihn hoch; ein Riesenadler

5
Steht er vor mir mit dräuender Klaue, mit rüstigem Fittig;

Und schon zürnt’ ich entgegen. Das faste mich Pallas Athänä
Bei den goldnen Locken; ich wandte mich sträubend; mein Auge

[263]

Staunte zurük, vom Blize der göttlichen Augen getroffen.
Sieh, ich bebte nicht dir; ich bebte der furchtbaren Göttin.

10
Sie verschwand; da war mir, als athmet’ ich liebliche Düfte,

Läg’ am blumigen Hange des Helikon, unter der Kühlung
Wehender Schatten, an Aganippens Silbergesäusel.
Nun erwacht’ ich, und zürnte nun wieder, und grif zu der Leier.
Aber es hatte die jüngste der Musen die Leier gestimmet,

15
Daß sie nicht tönte wie sonst, wie Donner, wie Stimmen der Meere,

Sondern wie Lispel des wankenden Schilfes, wie zärtliche Klagen
Junger Nachtigallen auf blühenden Zweigen der Myrten.

[264]

Und mir kehrte die Weisheit zurük; sie pflükte den Oelzweig,
Den ich dir reiche; sie redet durch mich; vernim und sey weise!

20
Siehe, zwar kränzen uns Locken der Jugend, doch rauschet der Lorbeer

Ueber den Locken, es kühlet die Palme den Schweis an der Stirne.
Früh betraten wir beide den Pfad des ewigen Ruhmes,
Früh erreichten wir beide das Ziel. Auf trozenden Felsen
Stehn wir und lächeln entgegen dem Strome der kommenden Zeiten.

25
Hier besuchen uns oft Kronions liebliche Töchter[1],

Lehren uns oft die eigne Leier zu stimmen, und bringen
Oft herab vom Olympos die Harfe des Mäoniden[2].

[265]

Las uns beide den Harfengesang des göttlichen Greisen
Unserm Volke singen; wir lieben den Göttlichen beide!

30
Freund, gehabe dich wol! Ich kenne die rufende Stimme,

Höre wiehern die feurigen Ross’ am flammenden Wagen;
Siehe, mir winkt die Mus’, ich folge der winkenden Göttin.


Friedrich Leopold Graf zu Stollberg.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Zeus’ (Beiname Kronion) Töchter, die Musen
  2. Homer, Sohn des Mäon