Am Scheidewege (Die Gartenlaube 1861)

Textdaten
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Autor: Theodor Mügge
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Titel: Am Scheidewege (Die Gartenlaube 1861)
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aus: Die Gartenlaube, Heft 14–17, S. 209–212; 225–228; 241–244; 257–262
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[209]

Am Scheidewege.

Von Th. Mügge.[1]


1.

An einem Julitage des Jahres 1789 lag die alte Stadt Valence im schönsten Sonnenschein unter blauem Himmel, und wer sie so zum ersten Male und in der Ferne vor sich erblickte, wie dies einem Reisenden geschah, der damals eben auf der Straße von Grenoble in einem kleinen Postcarriol sich ihr näherte, der mochte sich nicht leicht vorstellen, daß dies wirklich ein so altmodischer, finsterer Ort voll enger Gassen und hoher Giebelhäuser sei, wie man es ihm berichtet hatte.

Das bergige Land glänzte rings in seinen grünen Gewändern, mitten hindurch bahnte sich die Rhone brausend und schäumend ihren Weg, und je näher der Stadt, um so zahlreicher streckten sich Fruchtgärten und Landhäuser an den Lehnen des Stroms und der Hügel aus, bis wo Valence selbst von seiner schwellenden Höhe herunterblickte. Und wer hätte bei diesem sanften, schönen Rundbilde voll Glanz und heiterer Ruhe wohl daran denken mögen, daß das ganze Land der Franzosen eben jetzt voll gährender Leidenschaften und wilder Parteikämpfe sei; war es doch, als ob man hier nichts von den stürmischen Auftritten in Paris wüßte, die Menschen vielmehr alle in friedlicher Abgeschiedenheit glücklich wohnten und lebten, als seien sie weit davon entfernt.

Der Reisende auf dem Postkarren mochte ähnliche Gedanken haben, als er die duftigen Berge und die sonnenleuchtende Stadt ernst und nachdenkend und dann vor sich hin lächelnd betrachtete. Er war noch jung an Jahren, aber sein Kopf mit breiter Stirn, über welcher ein gewaltiger schwarzer Haarwuchs sich ausbreitete und unter der zwei dunkle Augen scharf und lebhaft glänzten, sah männlich und kräftig geformt aus. Seine Hautfarbe hatte einen südlichen bronzenen Ton, auch seine Kleidung schien ziemlich fremdartig. Er trug einen braunen kurzen Mantel von grobem Wollenzeug, mit einer Kappe versehen, die im Nothfall über den Kopf gezogen werden konnte, und um den Leib einen Gurt, der dies weite, bequeme Gewand zusammenhielt. Auf dem Postkarren lag ein leichter Mantelsack, und Alles in Allem schien dieser Reisende keiner, der zur vornehmen Gesellschaft gehörte; doch das ließ sich zu jener Zeit schon nicht als besonderes Glück mehr betrachten. Als der Wagen das Thor erreichte, stand dort eine Wache, die ihn anhielt, und es kam ein Sergeant heraus vom Artillerieregiment La Fere, das hier in Garnison lag, um ihn zu examiniren. Valence wurde als Festung betrachtet, wenigstens hatte es einen befestigten Kern, eine Citadelle, in welcher neun Jahre darauf der arme, alte Papst Pius VI. als ein Gefangener starb. Gefangener der französischen Republik, hierhergeschafft auf Befehl desselben Mannes, der jetzt dort oben in dem baufälligen Giebelhause am Ende der Straße seinen Arm auf das Fensterkreuz gestützt, starr hinausblickt in das Rhonethal, ohne auf den Karren am Thore zu achten.

„Wer sind Sie?“ fragte der Sergeant vom Regiment La Fere den Reisenden.

„Ich bin ein Student der Rechte,“ antwortete der Fremde mit wohllautender Stimme.

„Woher kommen Sie?“

„Ich komme aus Pisa, aus Italien, von Turin und Chambery. Hier ist mein Paß.“

„Wie heißen Sie?“ fragte der Examinator, indem er in das Papier blickte.

„Ich heiße Carlo Andrea Pozzo di Borgo.“

„Ein Italiener! Ich dachte es beinahe,“ nickte der Sergeant aufblickend, „obwohl Sie verteufelt gut französisch sprechen.“

„Das kommt daher,“ lächelte der Student, „weil Frankreich uns gewürdigt hat, zu ihm gehören zu dürfen.“

Der Sergeant begriff den Sinn dieser Antwort nicht recht.

Er starrte den Reisenden an.

„Ich bin ein Corse aus Ajaccio,“ fuhr dieser lächelnd fort.

O, sacre bleu! jetzt versteh’ ich!“ rief der Sergeant und legte die Hand an seinen Hut. „Die Corsen sind brave Leute. Wir haben Einen bei unserem Regiment. Wart einmal, richtig! der ist auch aus Ajaccio. Vielleicht kennen Sie ihn. Wir haben hier einen Lieutenant mit Namen Bonaparte.“

„Napoleon Bonaparte.“

„Es kann sein, hier giebt’s nur den Einen.“

„Ich kenne ihn recht gut,“ sagte der Reisende.

„Dann müssen Sie ihn besuchen.“

„Das will ich gewiß thun. Kann ich erfahren, wo er wohnt?“

Der Sergeant drehte sich um; es hatte sich eine Anzahl Soldaten vor der Wache versammelt, welche neugierig zuhörten.

„Weiß Keiner, wo der Lieutenant Bonaparte wohnt?“ fragte er.

Aber der Held, welcher wenige Jahre darauf seinen Namen so bekannt gemacht hatte, daß jedes Kind davon zu erzählen wußte, war den meisten dieser Soldaten fremd, und wo er wohnte, konnte Niemand sagen. Der Sergeant fluchte und rief noch mehrere Andere herbei, die verschiedene Quartiere angaben und sich darüber stritten. Darauf schrie der alte Krieger: „Schweigt Alle still! Dort kommt der Lieutenant Demarris, der weiß es gewiß.“

Ein junger Herr in Uniform mit rothen Rabatten schritt so eben die Straße herab, und der Sergeant ging ihm ein paar [210] Schritte entgegen. Als der Officier das Anliegen vernommen hatte, trat er artig grüßend näher und sagte höflich: „Der Lieutenant Bonaparte wohnt dort oben in dem hohen Giebelhause, das Sie von hier aus sehen können.“

„Er ist also nicht verreist?“ erwiderte der Student dankend.

„Nein, er ist hier, und wahrscheinlich treffen Sie ihn in seiner Wohnung, denn er ist sehr fleißig und häuslich.“

„Das ist mir lieb zu hören. Ich fürchtete, ihn nicht in Valence zu finden, da ich weiß, daß seine Familie ihn in Ajaccio erwartet.“

Der Officier, der ein schöner, junger Mann war, schüttelte den Kopf und sagte mit einem muthwilligen Lachen: „Ich glaube nicht, daß er jetzt auf Reisen gehen wird, denn er hat hier Besseres zu thun. Auch bin ich mit ihm gut befreundet und weiß nichts davon. Sie sind sein Landsmann?“

„Ja, mein Herr.“

„Und heißen Pozzo di Borgo?“

„Ja, mein Herr.“

„Er hat mir diesen Namen zuweilen genannt. Sind Sie nicht besonders befreundet mit seinem älteren Bruder Joseph?“

„Sie haben ganz Recht.“

„Und sind mit ihm selbst dagegen in mancherlei Streit gerathen?“

„Knabenstreite bei Knabenspielen.“

„Er will überall der Erste sein,“ lachte Demarris, „und streitet für sein Leben gern. Bei alledem wird er sich freuen, Sie zu sehen. Ich bedauere, daß ich Sie nicht begleiten kann; doch ich habe einer Dame meinen Besuch versprochen, und Damen muß man Wort halten.“

„Man muß immer Wort halten,“ sagte Pozzo di Borgo freundlich. „Vielen Dank, mein Herr.“

„Ich hoffe, wir sehen uns noch,“ rief Demarris. „Sie werden Valence doch nicht gleich wieder verlassen wollen?“

„Ich bleibe wohl einen und den anderen Tag, ehe ich meinen Weg nach Paris fortsetze.“

„Nach Paris wollen Sie? Sie sind zu beneiden. Es gehen große Dinge dort vor sich.“

„Es werden noch größere vorgehen,“ antwortete Pozzo di Borgo.

„Die Nationalversammlung wird vom Könige nach Soissons geschickt werden. Haben Sie davon gehört?“

„Ich habe nichts davon gehört.“

„Nun, man wird sich schon vertragen!“ rief Demarris. „Ein ganzes Heer lagert um Paris, schade daß wir nicht dabei sind. Aber ich will Sie nicht länger aufhalten. Fahren Sie nach dem rothen Hause, dort speist man am besten, ich esse auch dort. Und grüßen Sie Bonaparte. Pardon! noch einen Augenblick. Er wollte ebenfalls Frau von Colombier seinen Besuch machen. Er soll bald nachkommen und soll Sie mitbringen. Ich werde Sie anmelden. Verlassen Sie sich darauf, Sie werden willkommen sein und die liebenswürdigste Aufnahme finden. Es ist eine der ersten und ausgezeichnetsten Familien in Valence. Auf Wiedersehen also, Herr Pozzo di Borgo. Sie werden finden, daß die Damen von Valence den Ruf ihrer Schönheit verdienen. Adieu! Adieu!“

So selbstgefällig lachend und höflich grüßend ging der Lieutenant zum Thore hinaus und trällerte unter der Wölbung ein Liedchen, während der Postkarren in entgegengesetzter Richtung weiter rumpelte.

„Meiner Treu!“ murmelte der junge Rechtsgelehrte vor sich hin, „wenn Napoleon Bonaparte viele solche intime Freunde hat, wie diesen, so muß er sich sehr verändert haben – doch nein,“ fuhr er fort und ein spöttisches Zucken flog um seinen Mund, „er hat sich immer Leuten zugeneigt, die sich von ihm bevormunden ließen und ihn bewunderten, und dieser geschwätzige Camerad ist sicher einer von der Sorte, wie sie ihm zumeist behagt.“

Der Führer des Karrens hatte die Weisung empfangen, nach dem rothen Hause zu fahren, und bald hielt er dort, wo Pozzo di Borgo wohl aufgenommen wurde. Als das Fuhrwerk an dem hohen Hause vorüberrollte, in welchem der Lieutenant Bonaparte wohnte, sah sein Landsmann hinauf, es war jedoch Niemand zu erblicken. Der junge Mensch, welcher im dritten Stock aus dem Fenster schaute, als der Karren vor der Wache hielt, hatte sich längst wieder von diesem Platze entfernt und saß nun an einem hochbeinigen Schreibpulte, mit der einen Hand seinen Kopf stützend, in der anderen eine abgeschriebene Feder haltend, welche eilig über den Papierbogen flog, der vor ihm lag. Diesen Bogen hatte er beinahe voll beschrieben und eine Anzahl anderer schichteten sich in einem Fache auf. Das Stübchen war klein und ziemlich ärmlich möblirt. Ein Bett in der Ecke, ein Schrank an der anderen Seite, einige Riegel, an denen Kleidungsstücke hingen, ein Tisch und einige Stühle, die unordentlich umherstanden, nahmen den meisten Raum fort. Auf dem Schreibpulte lag ein Haufen Bücher, einige davon aufgeschlagen. Papierstücke, die beschrieben und zerrissen, angefangene Zeichnungen, denen es nicht besser ergangen, zerspaltene und zerbrochene Federn und Bleistiftsplitter bedeckten den Fußboden, dem mancherlei große Tintenflecken überdies nicht fehlten. Landkarten waren an die Wände genagelt, eine große Karte überdeckte den Tisch, und an verschiedenen Stellen derselben steckten Nadeln mit rothen, schwarzen und farbigen Köpfen. Am Pfeiler hing ein schmales Spiegelglas, gesprungen von oben bis unten, darunter aber auf der Tischecke schimmerte ein Blumenstrauß in ein Wasserglas gestellt und von einem blauen Bande umwunden. Es war dies der einzige freundliche Schmuck des Zimmers, das einzige Zeichen der Sorgfalt seines Bewohners, überall sah es sonst wüst und wirr aus. Das Bett selbst befand sich in Unordnung, mit Uniformstücken beworfen, und der Degen des Herrn Lieutenants Bonaparte, welcher daran gelehnt hatte, war heruntergerutscht, daß er nur noch mit dem Gefäß an einer Kante festhing.

Aber Napoleon Bonaparte hatte keine Augen dafür. Er richtete diese unverwandt auf den Bogen vor sich und schrieb mit Hast. Zuweilen jedoch hielt er inne, strich aus und schrieb von Neuem, warf seine Blicke lebhaft umher und zum offenen Fenster hinaus auf die grünen Berge und den fluthenden Strom, der einen leuchtenden Streif in der Ferne erkennen ließ; dann warf er sich selbst in den Stuhl zurück und starrte die Zimmerdecke an, um plötzlich aus dieser Ruhe aufzufahren und wiederum seine Feder arbeiten zu lassen.

Die schmale, untersetzte Gestalt des jungen Mannes schien von außerordentlicher Beweglichkeit. Er gehörte zu den Menschen, deren geistiges Leben auch den Körper in fortgesetzter Unruhe erhält. Unter dem alten Militairrock ruckten seine Füße und sein Leib hin und her, und an der schmalen Hand, welche seinen Kopf stützte und über welche das feine schwarze Haar fiel, zuckten seine Finger bald hier, bald dort. Es war kein eben schöner Kopf, der aus der dunklen Halsbinde hervorstieg, aber doch ein Kopf von eigenthümlichen Formen und anziehendem Gepräge. Gelb und blutlos die Gesichtsfarbe, feingebildet und fest Nase und Mund, die Stirn hoch und besonders breit, eine knochige, mächtige Denkerstirn, das Haar darüber seidig glänzend, die Augen tief, dunkel und von durchdringendem Feuer. Ein kühner Ausdruck überlegener geistiger Kraft und Kälte nahm diesem Gesicht die jugendliche Frische; man sah ihm an, daß heftige Leidenschaften es plötzlich in Aufruhr bringen konnten, und daß es nicht für die leichtfertige Lust und Fröhlichkeit eines sorglosen, jungen Officiers geschaffen sei.

Dazu stimmte es auch sicherlich, daß an diesem schwülen Nachmittage der zwanzigjährige Lieutenant hier einsam auf seinem Zimmer, vergraben unter Büchern und Papieren, arbeitete, während seine Kameraden, wie der muntere Demarris, umherschwärmten, um zu trinken, zu spielen oder schönen Damen den Hof zu machen, und so ernstlich war diese Arbeitsamkeit gemeint, daß Napoleon Bonaparte es nicht hörte oder beachtete, als draußen feste Schritte sich seiner Thüre näherten und bald darauf wiederholt an diese geklopft wurde.

Erst als die Thür sich aufthat und Jemand hereintrat, erregte dies seine Aufmerksamkeit; allein er sah sich nicht um, sondern rief, ohne den Kopf aufzuheben und nicht allzu freundlich: „Warum kömmst Du jetzt? Ich kann Dich nicht gebrauchen. Doch halt, setze Dich nieder und schweige still, bis ich Zeit habe mit Dir zu sprechen.“

Der Eingetretene befolgte diese Weisung pünktlich. Er ging an den Tisch, welcher hinter dem schreibenden Lieutenant stand, setzte sich dort auf einen Stuhl, betrachtete die Karte mit den Nadeln, dann das Zimmer sammt Allem, was sich darin befand, endlich das Glas mit den Blumen unter dem Spiegel, und zuletzt ruhten seine Blicke nachdenklich und unverwandt auf dem Schreibenden, obwohl eben nur dessen bewegliche Schultern und Beine und die fingernde Hand sich seinen Betrachtungen darboten.

So verging einige Zeit, ehe eine Unterbrechung stattfand. Plötzlich aber lachte der Lieutenant Bonaparte auf und rief mit seiner scharfen Stimme: „Warst Du schon bei Frau von Colombier?“

„Nein,“ lautete die Antwort.

„Du hast also Fräulein Beatrice noch nicht gesehen?“

[211] „Nein.“

„Ich begreife nicht, wie Du das aushältst.“

„Ich kann warten,“ erwiderte der Wartende mit seiner weichen tiefen Stimme, und sobald er diese Worte gesprochen, wandte sich der Lieutenant Bonaparte hastig um. Im nächsten Augenblick stand er auf seinen Beinen und starrte seinen Besuch verwundert an. Dies dauerte wohl eine Minute; die beiden jungen Männer schwiegen. Pozzo di Borgo ließ sich betrachten; Bonaparte sah aus, als halte er, was er sah, für Täuschung, dabei blieb er so ernsthaft, als ob er kein großes Vergnügen über diesen unerwarteten Anblick empfände.

„Carlo Andrea!“ rief er dann und kam ihm näher. „Wie geht es in Ajaccio?“

„Ich weiß es nicht, Napoleon,“ war die Antwort, „denn ich komme von Pisa und komme Dich zu besuchen.“

In dem Augenblick verwandelte sich das Gesicht Napoleons. Er streckte dem Jugendfreunde beide Hände entgegen. „Sei mir willkommen, Carlo, es ist mir lieb, Dich zu sehen! Aber wie kommst Du hierher und wohin willst Du?“

„Ueber Paris will ich nach Haus, um dort, da meine Studien nun vollendet sind, meine Advocatur zu beginnen. Hierher komme ich, sowohl meines Weges wegen, als um Dir einen Brief zu bringen.“

„Einen Brief! Von wem?“

„Von einem Manne, den wir beide verehren, der jedem Corsen heilig und theuer ist.“

„Von Pasquale Paoli!“ rief Napoleon.

„Von dem Präsidenten,“ sagte Carlo Andrea.

Als die Franzosen im Jahre 1709 nach der Schlacht an der Golobrücke Corsica erobert und die corsische Republik vernichtet hatten, floh der Präsident Paoli nach London und lebte in dieser Verbannung nun seit zwanzig Jahren. Aber die zärtliche Verehrung des corsischen Volkes begleitete den großen Bürger in das sonnenkalte Land des Nebels, und dort leuchtete er immer noch als Stern, zu dem die Corsen ihre Segenswünsche und Gebete sandten. Wenn Einer in seiner Noth nicht wußte, wer ihm rathen und helfen sollte, wandte er sich an den verbannten Vater des Vaterlandes. Wer etwas Wichtiges unternahm, wollte wissen, was Er dazu sagte, und wo Männer und Jünglinge für ihres Landes und Volkes Sache hofften und strebten, war es die höchste Ehre, wenn der Präsident sie lobte und ihren Eifer mit seinem Beifall belohnte.

Als Pozzo di Borgo gesprochen hatte, zog er aus seiner Tasche einen Brief und reichte ihn Napoleon hin. „Da ich ihm schrieb,“ sagte er dabei, „daß ich von Pisa nach Paris reisen und meinen Weg über Turin und Lyon nehmen wollte, sandte er mir dies Schreiben für Dich, das ich Dir geben möchte, sobald ich Dich sehen würde. Hier hast Du es; ich habe meinen Auftrag erfüllt.“

Napoleon brach schweigend den Brief auf, blickte hinein und las. In seinen Mienen zeigte sich dabei eine Unruhe, die er nicht ganz unterdrücken konnte und welche Carlo Andrea sehr wohl bemerkte. „Er hofft! er hofft!“ rief er, indem er das Blatt sinken ließ. „Wir hoffen Alle auf eine neue Sonne, die der Menschheit aufgeht, doch man muß sich vor Illusionen hüten.“

„Du hast ihm einen Entwurf zu einer Geschichte Corsica’s gesandt, welche Du schreiben willst,“ sagte Carlo Andrea.

„Sie ist schon zum guten Theil vollendet,“ versetzte Napoleon, indem er nach dem Schreibpulte blickte und auf die angehäuften Bogen deutete. „Ich schrieb es ihm,“ fuhr er lebhaft fort, „daß ich sein reines Andenken vor der Verleumdung feiger Seelen retten, die Verräther am Vaterlands schonungslos brandmarken wollte. Ich will zeigen, wie wir gequält und mißhandelt, verrathen und entehrt wurden. Ich will damit den tugendhaften Minister, welcher Frankreich jetzt regiert, Herrn von Necker, für unser Schicksal interessiren, ihm meine Schrift übersenden, sobald ich sie vollendet habe.“

Der junge Advocat schwieg einige Augenblicke und erwiderte dann: „Necker wird kaum den Franzosen helfen können, noch weniger den Corsen, aber Paoli ist entzückt von Deinem Vorhaben und Deinem Briefe. Er setzt große Hoffnungen auf Dich.“

„Auf uns Beide also,“ erwiderte Napoleon, indem er den Freund ansah. „Denn er schreibt hier, daß er nichts sehnlicher wünsche, als uns zum Heile unseres Vaterlandes zu verbinden, da Zeiten kommen werden, wo Corsica seine besten Söhne brauche, und daß wir unsere geistigen Fähigkeiten vereinigen mögen, um einträchtig zu helfen.“

„Damit Corsica werde, was es war,“ antwortete Carlo Andrea, „damit die Republik und ihr Präsident zurückkehren.“

„Das ist nicht meine Meinung für unser Wohl!“ fiel Napoleon rasch ein. „Wir gehören jetzt zu Frankreich und müssen bei ihm bleiben. Wir wollen nicht wieder zu einem bedeutungslosen Staubkorn herabsinken, aber man soll uns gerecht werden. Wir wollen die Größe und das Glück des großen französischen Volkes theilen, wollen Franzosen sein, keine Colonie.“

Wie diese beiden jungen Männer schon als Knaben keine Viertelstunde beisammen sein konnten, ohne sich zu zanken, so geschah es auch jetzt, als sie sich nach Jahren kaum wieder gesehen hatten, trotz der eben vernommenen Ermahnung des verehrten Paoli, einig zu sein. Pozzo di Borgo wollte nichts von einem corsischen Franzosenthum wissen. Er zählte auf, mit welcher Gewalt und welchem Unrecht die Franzosen sich der Insel bemächtigt, wie sie die Corsen behandelt hätten und noch behandelten, und wie diese durch Sprache, Sitte und Abstammung von ihnen fremd und verschieden seien und zu Italien gehörten. Napoleon dagegen nahm sich eifrig der Franzosen an, bei denen die Corsen seit alten Zeiten Hülfe gegen die Tyrannei der Genuesen gefunden, und erwartete jetzt, wo die große Nation zu einem neuen freien Staatswesen sich eben Bahn brach, das Allerbeste auch für alle, die zu ihnen gehörten.

Bald befanden sich die beiden Landsleute in vollem Wortwechsel, und ihr Streit pflanzte sich weiter fort auf die Vorgänge in Paris. Der Lieutenant Bonaparte wurde dabei immer heftiger und absprechender in seinen Aeußerungen. Der junge Pozzo di Borgo vertheidigte die Grundsätze bürgerlicher Freiheit und Gleichheit, wie man dies von einem so entschiedenen Anhänger und Bewunderer des Präsidenten Paoli erwarten konnte, aber er that es mit vieler Mäßigung und der kaltblütigen Sicherheit und Schärfe, welche alle seine Urtheile auszeichnete. – Während der hitzige Napoleon bald in leidenschaftlichen Eifer gerieth, indem er seine Meinungen verfocht, dabei umherlief, seine Arme in die Luft warf, seine Lippen zucken und seine Augen rollen ließ, saß Carlo Andrea, ohne sich zu rühren, und betrachtete ihn mit verschränkten Armen.

„Nun, ich sehe wohl,“ sagte er endlich, „Du bist mehr Franzose geworden, als ich es erwartete, und bist ein besserer Royalist, als es nach den Briefen, welche Du an Deinen Bruder Joseph geschrieben, und nach den Grundsätzen, die Du dem Präsidenten Paoli für Deine Geschichte Corsica’s vorgetragen, anzunehmen war.“

„Was wollt ihr denn?“ rief Napoleon heftig, und durch sein gelbbleiches Gesicht schimmerte eine plötzliche Röthe. „Meint ihr besser zu sein als ich, ihr Anderen? Ich bin ein Corse von Geburt und werde es bleiben! Aber ich bin auch ein Bürger des großen Frankreichs, ein Bürger des mächtigsten europäischen Staates; das ist mehr werth, unendlich mehr, als Bürger einer ohnmächtigen, kleinen Republik zu sein, die jeden Augenblick die Beute eines stärkeren Nachbars, eines Abenteurers oder eines tyrannischen Herren werden kann. Ich bin ein Royalist, sagst Du? Ich verlange Gerechtigkeit, das Aufhören aller Vorzüge, aller Vorrechte. Ich will, daß das wahre Verdienst jeden Weg frei finde, daß jeder Bürger gleich sei vor dem Gesetz, mit gleichen Rechten, gleichen Ansprüchen, und ich hoffe, dahin soll es jetzt kommen. Die Nationalversammlung wird uns einen neuen Staat schaffen.“

„Nicht ohne eine Revolution,“ antwortete Pozzo di Borgo.

Bei diesen Worten warf Napoleon den Kopf auf, sah seinen Landsmann an und begann zu lachen. „Du gehörst also auch zu Denen,“ sagte er, „die Blut und Zerstörung prophezeien und nicht glauben wollen, daß die großen Ideen der Menschheit und der Aufklärung mächtiger sind, als die Vorurtheile der Privilegirten? Diese werden sich fügen müssen! Der König wird sich mit weisen Rathgebern umgeben müssen, der tugendhafte Necker wird in der Nationalversammlung Stützen und Gefährten finden, ihnen wird der König sich in die Arme werfen und nicht anders können. Der ganze Schwarm dieser nichtsnutzigen Hofleute und verstockten Sünder wird daran zerstäuben.“

„Ich weiß nicht,“ sagte Pozzo di Borgo, „ob Du Recht hast, mir scheint es jedoch, als würde der tugendhafte Necker eben so wohl nächstens fortgejagt werden, wie die Nationalversammlung, wenn nicht – “

Der Lieutenant fuhr heftig auf. „Genug, genug!“ rief er, „was sollen wir uns um solche Dinge streiten? wir haben uns oft genug gestritten. Aber, mein Freund, Du mußt mich begleiten, ich muß Dich mit Frau von Colombier bekannt machen, dort wirst Du Leute finden, die mit Vergnügen Deine Schreckbilder anhören werden.“

„Ich bin schon zu diesem Besuche eingeladen worden,“ erwiderte [212] Carlo Andrea, und er erzählte nun sein Zusammentreffen mit dem Lieutenant Demarris vor der Wache.

„Das ist ein Schwätzer,“ sagte Napoleon, „im Uebrigen aber mein anhänglicher lustiger Camerad; was er jedoch von Frau von Colombier erzählt, hat seine Richtigkeit. Die Dame besitzt Vermögen und wohnt dicht bei der Stadt. Sie ist gastfrei und liebenswürdig und versammelt einen Kreis der besten Leute um sich, die hier zu haben sind.“

„Du bist häufig dort?“

„Zuweilen, aber ich bin gern dort.“

„Hat Frau von Colombier Kinder?“ sagte Carlo Andrea nach einigen Augenblicken gleichgültig.

„Eine Tochter, ein junges Mädchen, kaum aus der Pension gekommen; doch nun erzähle mir, was Du weißt von meiner lieben Mutter, von meinem Onkel, von meinen Schwestern, Brüdern und Freunden. Ich brenne vor Verlangen, denn ich habe seit einiger Zeit schon keinen Brief von Ajaccio erhalten. Wahrscheinlich weißt Du also mehr von ihnen als ich.“

Die beiden Jugendfreunde tauschten nun aus, was sie wußten und Napoleon sprach mit Zärtlichkeit von seiner Mutter und seinen Geschwistern, von dem alten, haushälterischen Oheim, dem Archidiaconus Lucian, der ihm kein Geld schickte, und von den Parteien in Corsica und Ajaccio. Er sprach in abgerissenen Sätzen bald von dem Einen, bald von dem Anderen, mit launigen und spöttischen Bemerkungen oder auch wohl von heftigen Ausrufungen unterbrochen, die seine lebhaften Empfindungen ihm eingaben. Nach einiger Zeit sagte er dann: „Du willst also jetzt nach Ajaccio zurück, und was denkst Du dort zu thun?“

„Ich denke Processe zu führen und den großen Proceß abzuwarten, der auch bei uns gewonnen oder verloren werden muß“, antwortete Pozzo di Borgo.

„Der Proceß, wem die Zukunft gehören soll!“ rief Napoleon. „Welche Partei wirst Du nehmen?“

„Die des Rechts und der Vernunft!“

„Das ist die des Volks! – Welche Dummköpfe von Aristokraten hat man in die Nationalversammlung geschickt! Einen Buttafuoco, den schlechtesten Kerl, der aufzutreiben war –“ er fing an zu lachen, kreuzte seine Arme und blieb von Carlo Andrea stehen; „dieser Mensch ist reich und wir sind arm, das ist der Unterschied. Wenn man General ist, geht man mit dem Hof, wenn man Lieutenant ist, geht man mit dem Volke.“

„Wir gehören ja Beide auch zum Adel Corsica’s,“ erwiderte der junge Rechtsgelehrte, „und in dieser Zeit hält es nicht schwer, sich mit reichen Familien zu verbinden.“

„Wodurch?“ fragte Bonaparte rasch.

„Durch eine Heirath. Wir haben reiche Mädchen genug, die Töchter der Peraldi, der Peretti, der Ornamo und Andere.“

Napoleon blickte ihn scharf an, drehte sich dann auf den Hacken um, sah zum Fenster hinaus und kehrte zurück. „Wohlan denn!“ rief er in lustigem Tone, „man muß es überlegen. Mir scheint jedoch, wenn man heirathen will, um sein Glück zu machen, muß es eine einflußreiche Familie sein; keine, die in einem Winkel Corsica’s auf ihre Schafheerden und Oelgärten den größten Stolz setzt. Wir wollen zu Frau von Colombier gehen; Du wirst da von ihrem Vetter, dem General Noallis hören und von einem halben Dutzend anderer Herren und Damen, die bei Hofe erscheinen oder in hohen Diensten und Ehren stehen. Sie ist sogar mit dem Herrn von Bretenil bekannt und hat Briefe von ihm aufzuwiesen.“

Er lachte laut auf, warf seinen Rock ab und fuhr in die Uniform, welche er vom Bett aufraffte. „Wir müssen so sauber erscheinen, wie es jungen Aristokraten zukommt,“ fuhr er dabei fort, „damit wir gnädig empfangen werden, Demarris sich meiner nicht schämt und der Verdacht nicht weiter um sich greift, daß ich ein Bewunderer des verabscheuungswürdigen, ganz aus der Art geschlagenen Grafen Mirabeau bin. Ich werde mir daher die Stiefeln blank bürsten lassen, gleich bin ich wieder hier.“

Carlo Andrea stimmte ihm bei; als Napoleon aber das Zimmer verlassen hatte, stand er auf, trat an das Schreibpult und betrachtete ein Blatt, welches der Lieutenant beschrieben und dann mit anderen Papieren bedeckt hatte. Seine Augen blitzten spöttisch darauf. „An meine theuere Beatrice,“ murmelte er, „Verse sogar! – Das sind also die letzten Studien für die Geschichte Corsica’s und das seine Begeisterung für das Vaterland!“ Er legte das Blatt wieder hin und setzte sich gelassen auf den Stuhl, wo er geduldig wartete, bis Napoleon zurückkehrte.

[225]
2.

Frau von Colombier bewohnte ein Landhaus von einem Garten umgeben, in dessen Nähe die Rhone vorüberrauschte und welcher die prächtigsten Blicke auf die Stadt und die Umgegend bot.

Der Garten war mit Blumen reich geschmückt. Fruchtbäume der verschiedensten Art besetzten die Gänge, und Weingehege füllten die Terrassen an dem dahinterliegenden Hügel. Das Landhaus war in dem schwerfälligen Styl gebaut, der im Anfange des Jahrhunderts üblich geworden. Einige Stufen führten zu einer Vorhalle, die von geschnörkelten Säulen getragen wurde, und vor ihr befand sich ein Rasenplatz, in dessen Mitte ein Springbrunnen plätscherte, von schadhaften Amoretten und Najaden aus Sandstein umgeben und von niedrigen, glattgeschorenen Taxus- und Rosenhecken eingefaßt.

Unter der Halle hatte eine Gesellschaft von Herren und Damen Platz genommen, zu beiden Seiten eines Tisches, auf welchem verschiedene Erfrischungen standen, die ein alter Diener in Livrée mit hochstehendem Kragen, über welchen ein dickgepuderter Zopf fiel, in anstandsvoller Steifheit umherreichte. Frau von Colombier hatte ein feines, vornehmes Gesicht, weiße Hände mit langen Fingern, an denen viele Ringe steckten, scharfblickende Augen und ein angenehmes Lächeln für ihre Gäste. Sie mochte einige vierzig Jahre alt sein, aber sie überwachte ihren Anzug noch immer auf’s Sorgfältigste, wohl darauf bedacht, durch ihre Erscheinung den vortheilhaften Eindruck zu vermehren, den ihre geistige Gewandtheit und ihre feinen Sitten hervorriefen. Die ältere Dame an ihrer Seite war die Frau Vicomtesse von Halincourt, Wittwe des Gouverneurs der Provinz, und der verbindliche Herr mit dem Ludwigskreuz und toupirter Perrücke der Baron Salingré, ein alter Cavalier vom Hofe Ludwigs XV., der die schönsten Tage der Madame Pompadour und ihrer Nachfolgerin, der himmlischen Du Barri, gesehen hatte.

Der Baron unterhielt die beiden Damen mit allerlei geheimen und interessanten Nachrichten, welche er aus Paris erhalten hatte, über die Lage des Königs und der Königin und über die Erwartungen der Hofpartei, daß Se. Majestät nahe daran sei, endlich die Geduld zu verlieren und diese immer frecher werdende Nationalversammlung nächstens in ihr Nichts zurückzuschleudern. Paris war eben damals von mehr als dreißigtausend Soldaten umringt, ihr General, der Herzog von Broglie, zu allem bereit. Der König durfte nur befehlen, seine Unentschlossenheit blieb allein zu beklagen. Aber lange konnte diese nicht mehr dauern, denn die Königin war gewonnen, Necker hatte allen Einfluß verloren, der Schlag konnte jeden Tag erfolgen. Der Baron hatte noch immer einige bedeutende Verbindungen mit dem Herrn von Liancourt und anderen Personen von Ansehen, er wußte somit Manches und theilte es seinen Freundinnen mit zuversichtlichen und spöttischen Mienen, aber mit vertraulich gedämpfter Stimme mit. Weit lauter ging es dagegen an der anderen Seite des Tisches her, denn dort hatte sich der Lieutenant Demarris zwischen einigen jungen Damen und Herren festgesetzt und er unterhielt diese so eben mit den Abenteuern einer Reise, welche er im Frühjahr in Begleitung seines Freundes Bonaparte nach Savoyen gemacht hatte, wobei dieser auf dem Mont-Cenis beinahe um’s Leben gekommen wäre ohne seine Geistesgegenwart.

Er hatte diese Geschichte allerdings schon mehr als einmal erzählt, sie fiel ihm jedoch jetzt wieder ein, als von seinem Freunde die Rede war, der damals eben so wie heute bald nachzukommen versprochen hätte, dennoch aber ausblieb und erst in der Nacht zwischen entsetzlichen Abgründen aufgefunden wurde, als Demarris Leute aufbot, mit denen er ihn aufsuchte und in Sicherheit brachte.

„Wir wollen hoffen, Herr Demarris,“ sagte eine der jungen Damen, indem sie allerliebst lachte und die schönsten Zähne zeigte, „daß der Lieutenant Bonaparte nicht etwa wiederum zwischen Abgründen sich verirrt hat, da Sie nicht bei ihm sind, um ihn zu retten.“

Die Gesellschaft stimmte ihr bei, aber Demarris machte ein bedenkliches Gesicht und erklärte, daß er nicht dafür stehen wolle, ob Bonaparte nicht heute in noch größerer Gefahr schwebe, als damals auf dem Mont-Cenis.

„Wie sollte das möglich sein’?“ fragten Mehrere zugleich.

„Es ist so ein Gedanke, der mich überkommt,“ sagte der junge Officier, „aber – ein Wunder wäre es nicht, wenn meine Ahnung zuträfe.“

„Um des Himmels willen! welcher Gedanke? welche Ahnung? Wo ist der Lieutenant Bonaparte? Ist er krank? Reden Sie doch!“ schrie der ganze Kreis, und Demarris kreuzte seine Arme und lächelte geheimnißvoll. „Bonaparte ist zu Hause,“ sagte er, „wie immer bei seinen Arbeiten. Aber ich erzählte Ihnen schon, daß er Besuch von einem Landsmann erhalten hat, den ich selbst zu ihm gewiesen habe.“

„Dabei ist doch nichts Gefährliches, wenn ein Landsmann uns besucht?“ wurde er von dem schönen Fräulein unterbrochen.

„Nein, Fräulein Beatrice, man freut sich darüber, obendrein wenn man ihn von Jugend an kennt, wie Bonaparte diesen Herrn Pozzo di Borgo.“

[226] „Nun, so wird der Lieutenant Bonaparte sich sicherlich auch gefreut haben,“ lachte die junge Dame.

„Das bezweifle ich eben,“ erwiderte Demarris den Kopf schüttelnd. „Ja, wenn es kein Corse wäre, aber diese Corsen sind schreckliche Menschen.“

„Sieht der Fremde denn so entsetzlich aus?“ fragte Fräulein Beatrice.

„Er sieht gar nicht entsetzlich aus, sondern besitzt sogar ein ziemlich angenehmes Aeußeres, aber große schwarze Augen und Haare wie ein Neger.“

„Bitte, Herr Demarris,“ sagte das Fräulein, „steht es naturgeschichtlich fest, daß Menschen mit schwarzen Haaren und großen Augen gefährlich sind?“ Es entstand ein muthwilliges Gelächter, in welches der Lieutenant einstimmen mußte; dann aber erwiderte er hartnäckig: „Sie wissen nicht, was Bonaparte mir erzählt hat. Sie wissen nicht, daß er mit diesem Pozzo di Borgo von Jugend auf in beständigem Zank und Streit lebte und daß dieser junge Mensch ein wilder Republikaner war, auch wahrscheinlich noch ist, der Oden auf den General Paoli dichtete und eine Compagnie republikanischer Jungen zusammenbrachte, mit denen er gegen die Compagnie Bonaparte’s kämpfte, welcher die französische Partei commandirte.“

„Dann nehme ich es dem Lieutenant Bonaparte gar nicht übel, wenn er diesen unangenehmen Freund nicht gern sieht,“ sagte die alte Vicomtesse Halincourt beifällig nickend zu Frau von Colombier. „Diese Corsen sind ein verrätherisches und undankbares Volk, das sogar gewagt hat, sich den Befehlen Seiner Majestät zu widersetzen, als er ihnen die Gnade erzeigte, sie zu seinen Unterthanen zu machen. Ist es nicht wahr, lieber Baron Salingré?“

„Sehr wahr!“ erwiderte der Baron. „Es sind Barbaren, und ich erinnere mich, wie empört der gesammte Hof darüber war, daß alle Versuche nichts fruchteten, sie von der unsinnigen Einbildung zu heilen, daß sie das Recht besäßen, ein freies Volk zu bleiben, obwohl man ihren Anführern die gnädigsten Versprechungen machte.“

„Sehen Sie wohl, Fräulein Beatrice!“ rief Demarris auf der anderen Seite, „darin liegt meine Besorgniß. Diese Corsen sind fanatische Menschen, die nicht die kleinste Beleidigung vergessen. Sie suchen sich zu rächen, mögen auch viele Jahre darüber vergehen, und man hat Beispiele, daß manche, die in ihrer Jugend sich verfeindeten, über einander herfielen, als sie als Greise sich wiedersahen. Es ist daher gar nicht so unwahrscheinlich, daß dieser Herr Pozzo di Borgo, als er Bonaparte erblickte, in Wuth gerieth, und was ich vorher von Gefahren sagte –“

Bei seinem letzten Worte erhob sich das Gelächter so laut, daß Demarris verwirrt umhersah und alsbald auch die Ursache entdeckte. Denn an der Gartenthür erschien so eben der Lieutenant Bonaparte Arm in Arm mit dem gefährlichen Freunde und so fröhlichen Gesichts, daß ihm gewiß kein Leid widerfahren sein konnte. Einige Minuten darauf standen die beiden jungen Männer an den Stufen zur Halle, und die Munterkeit der Gesellschaft wurde nicht dadurch vermindert, daß Bonaparte befremdet den Kopf aufwarf und fragend von Einem zum Anderen blickte. Seine reizbare Gemüthsart regte sich bei diesem sonderbaren Empfang, und sein Mund zog sich spöttisch zusammen, während seine Augen blitzend umherflogen, bis sie auf Fräulein Beatrice haften blieben, die aufgestanden war und sich ihm näherte. Er machte ihr eine rasche, kurze Verbeugung. „Ich bin entzückt über einen so freudigen Empfang, Fräulein von Colombier!“ sagte er dabei, aber er sah durchaus nicht entzückt aus.

„Wir freuen uns, daß Sie noch leben, Herr Bonaparte,“ antwortete die junge Dame mit ihrem lieblichen Lächeln.

„Daß ich noch lebe? Ich kann versichern, daß ich durchaus keine Lust zum Sterben habe!“ antwortete er milder gestimmt.

„Eine schöne Beruhigung,“ fuhr Beatrice fort, „nachdem wir fürchten mußten Sie kaum jemals wieder zu sehen!“

„Nicht wieder zu sehen!“ rief Napoleon, indem seine Augen feurig glänzten. „Dann müßte ich wirklich nicht mehr leben. Aber was soll das bedeuten?“

„Dem Himmel sei Dank,“ lachte das Fräulein, „daß alle Gefahr vorüber ist und Sie bei uns sind. Herr Demarris –“

„Ich bin schon da,“ fiel Demarris ein. „Ich erzählte den Damen, daß Herr Pozzo di Borgo ein Corse sei und, wenn zwei Corsen zusammen kommen, Niemand wissen könne, wie sie sich trennen würden, also –“

Die Fröhlichkeit begann von Neuem, aber auf den Lieutenant Bonaparte schienen diese Worte einen überraschenden Eindruck zu machen. Statt zu lachen, wie alle Anderen, preßte er seine schmalen Lippen dicht zusammen, und sein Gesicht verfinsterte sich. Dies dauerte jedoch nur eine Secunde, denn in der nächsten wandte er sich zu Frau von Colombier, die er vor sich erblickte.

„Verzeihung, Madame, daß ich mich aufhalten ließ, Ihnen meinen Freund, den Herrn Pozzo di Borgo vorzustellen,“ sagte er artig lächelnd. „Wir sind Jugendcameraden, und nichts konnte mir heut größere Freude bereiten, als ihn unerwartet wiederzusehen.“

Frau von Colombier empfing den jungen Rechtsgelehrten auf’s Gütigste, führte ihn zu einem Platze neben dem ihrigen, und nach dem üblichen Ceremoniell der Einführung in die Gesellschaft war er bald in der Lage nach allen Seiten hin Fragen zu beantworten und zu beweisen, weß Geistes Kind er sei. Demarris’ Scherze hatten ungünstige Vorstellungen über ihn angeregt, allein er widerlegte diese in sehr kurzer Zeit, denn seine Erscheinung und sein Benehmen machten einen ganz entgegengesetzten, vortheilhaften Eindruck. Die einnehmenden Züge seines Gesichts wurden durch deren männlichen und ruhigen Ausdruck bedeutsam unterstützt. Seine Bewegungen waren voll Anstand und seine Höflichkeit mit so viel Selbstbewußtsein verbunden, daß sie nicht demüthig erschien. Alles, was er sagte, bewies Verstand und Urtheil, und manche seiner Bemerkungen waren so fein und scharf und mit dem glänzenden Schimmer versehen, den die Franzosen besonders lieben, daß der Beifall nicht ausbleiben konnte.

Der junge Carlo Andrea bewies aber auch, daß er die Kunst verstand, Jedem in seiner Weise zu gefallen und schnell dahinter zu kommen, wie dies am besten geschehen konnte. Er sagte Frau von Colombier die schönsten Artigkeiten über Alles, was sie betraf, und pries seinen Freund Napoleon glücklich, oft in ihrer Nähe verweilen zu dürfen. Die alte Vicomtesse versöhnte er mit der Nachricht, daß die Familie Pozzo di Borgo zu den ältesten Adelsgeschlechtern Corsica’s gehöre, worüber Urkunden aus dem zwölften Jahrhundert vorhanden seien, und er befestigte ihr Vertrauen durch seine Mittheilung über einen Auflauf, welcher am Tage vorher in Grenoble stattgefunden, als er durch diese Stadt reiste, wo, wie er äußerte, die Obrigkeit ihr Ansehen besser hätte behaupten sollen, um das übermüthige Gesindel mit Strenge im Zaum zu halten. Den Baron endlich erfreute er mit einigen verbindlich beistimmenden Worten, daß der Glanz des alten ritterlichen Frankreich verloren gegangen sei in diesen Zeiten des rechnungssüchtigen Krämergeistes, und als er endlich mit einer untadelhaften Verbeugung aufstand, um sich zu dem jüngeren Theile der Gesellschaft zu begeben, welcher übereingekommen war, ein Spiel im Garten zu beginnen, ließ er in jenen angesehenen Personen wohlgeneigte Beurtheiler zurück.

Es vergingen nun mehrere sehr angenehme Stunden, die mit allen Vergnüglichkeiten ausgefüllt wurden, welche ein solches Zusammensein im fröhlichen Kreise jungen Leuten darbot, die sich gegenseitig zu gefallen und zu unterhalten strebten. Man spielte und ging spazieren, gab Räthsel auf und löste Pfänder ein, bis der Abend kam und nun in dem Saale ein Abendessen bereit stand, das die Munterkeit weiter beleben half. Die Damen und Herren saßen in bunter Reihe, jeder hatte seine Wahl getroffen, und der Lieutenant Bonaparte, der seinen Platz bei dem schönen Fräulein von Colombier genommen, war so gesprächig und galant, wie man ihn noch niemals gesehen hatte. Die zurückhaltende, kalte Höflichkeit, welche ihm gewöhnlich eigen, wurde heut durch eine Theilnahme verdrängt, die nicht unbeachtet bleiben konnte. Es war etwas Neues, ihn so heiter gelaunt und artig zu sehen mitten unter den jungen Damen, mit denen er scherzte und sich liebenswürdig zu machen suchte. Schon seit einiger Zeit hatten beobachtende Blicke bemerkt, daß er sich Fräulein von Colombier zu nähern suchte und ihr Aufmerksamkeiten erwies, deren sich keine Andere rühmen konnte; allein Viele thaten dies noch weit mehr und vor Allen der galante Demarris, während Bonaparte meist die Gesellschaft älterer Personen und ernsthafte Gespräche vorzog. Heute jedoch hatte er von Anfang an sich nur mit der Jugend eingelassen, und Fräulein Beatrice wurde von ihm ersichtlich begünstigt. Er suchte sie bei den Spielen, wählte sie, wenn er unter den Damen zu wählen hatte, bot ihr seinen Arm, als man spazieren ging, und führte sie zu Tische, allen anderen Bewerbern, auch dem [227] armen Demarris, der sich vergebens darum bemüht hatte, den Rang ablaufend.

Man war erstaunt, den schweigsamen, sonst so ungeselligen Helden Bonaparte so liebenswürdig beweglich zu sehen, und er verdunkelte mit diesen bisher nicht an ihm entdeckten Eigenschaften selbst seinen Freund Andrea, dem sonst der ungetheilte Beifall zugekommen sein würde. In der That hatte Pozzo di Borgo bei diesen jungen Genossen fast noch mehr Anerkennung gefunden, als bei der ehrbaren Seite der Gesellschaft, denn seine feinen und gefälligen Sitten, seine Artigkeit und seine lebhafte Theilnahme an den vorgeschlagenen Vergnügungen fanden dankbare Anerkennung. Er bewies sich so anregend und gewandt, dabei so voll guter Laune und guter Einfälle, daß er schnell ein Uebergewicht geltend machte und für die gemeinsame Lust den treibenden Mittelpunkt zu bilden begann. Neben ihn stellte sich jedoch Bonaparte und machte ihm diesen Vorzug streitig, indem er mit ihm wetteiferte. Es konnte beinahe scheinen, als sei er eifersüchtig auf das Wohlgefallen geworden, das Pozzo di Borgo so schnell zu Theil wurde, und als habe Demarris doch einiges Recht mit seinen Behauptungen, daß diese beiden jungen Männer nie und nirgend beisammen sein könnten, ohne sich sogleich gegen einander zu versuchen. Auch Carlo Andrea hatte einige Male versucht, Bonaparte bei dem Fräulein von Colombier zuvorzukommen, allein es war ihm nicht besser ergangen, als dem Lieutenant Demarris. Napoleon wurde entschieden vorgezogen und schien sich daran sehr zu ergötzen. Er warf spöttische Blicke auf seinen Freund, der diese mit seinem feinen Lächeln erwiderte, ohne den geringsten Mißmuth zu zeigen. Der junge Advocat hatte dafür die Ehre, daß Frau von Colombier ihn zu ihrem Nachbar machte, und konnte an den Unterhaltungen Theil nehmen, welche am oberen Ende des Tisches geführt wurden. Es war natürlich, daß von den Dingen die Rede war, welche in Frankreich alle Köpfe in Bewegung setzten, und daß er zunächst über die Meinungen befragt wurde, welche in Corsica sich geltend machten.

Er beantwortete diese verfängliche Frage mit vieler Bescheidenheit. „Madame,“ sagte er, „man theilt in Corsica die Hoffnungen, welche man in Frankreich von der Nationalversammlung hegt, daß das Glück der Nation daraus hervorgehen möge; aber man ist weit davon entfernt, dies Glück aus dem Umsturz des Bestehenden zu erwarten.“

„Nun, dahin wird es auch glücklicher Weise nicht kommen,“ lächelte der Baron Salingré. „Man wird die Menschen, welche dies Entsetzliche herbeiführen möchten, schon zur rechten Zeit entfernen und beseitigen.“

„Das wäre sehr zu wünschen,“ sagte Pozzo di Borgo.

„Verlassen Sie sich darauf,“ fuhr der Baron vertraulich fort. „Man wird nächstens mit diesem heillosen Genfer Bankier, diesem Herrn Necker, den Anfang machen und dann die übrige Gesellschaft hinterher schicken.“

„Wenn es noch angeht, kann man gewiß nichts Besseres thun,“ erwiderte Carlo Andrea, „aber ich fürchte –“

„Was fürchten Sie?“

„Daß es dazu zu spät ist.“

„Meinen Sie? Warum soll es zu spät sein?“

„Weil die revolutionairen Ideen sich schon zu weit verbreitet haben.“

„Revolutionaire Ideen!“ lächelte der Baron. „Glauben Sie denn an solche Hirngespinste?“

„Leider glaube ich daran,“ sagte Pszzo di Borgo, „obwohl ich es besser nicht thun möchte.“

„Das sind Einbildungen des Pöbels,“ fiel die alte Vicomtesse ein, indem sie einen mißbilligenden Blick auf den jungen Mann warf. „Kein Edelmann wird diese gelten lassen.“

„Sehr wahr,“ antwortete Andrea noch bescheidener, „aber unglücklicher Weise giebt es nicht wenige Edelleute, welche dies ganz vergessen haben.“

„Für diese, mein Bester,“ lächelte der Baron, „haben wir eine Bastille, in welcher, wie ich hoffe, bald der Herr Marquis Mirabeau und manche andere gut aufgehoben sein werden. Nein, es wird nicht gelingen, dafür sorgen wir, der Adel und die Armee, unsere tapferen Officiere.“

„Gewiß der allerbeste Schutz, allein –“

„Was haben Sie noch für Zweifel?“

„Ich habe gehört, daß selbst den Soldaten nicht mehr zu trauen ist, und manche Officiere –“

„Das sind Verleumdungen!“ rief der Baron. „Ah! wir haben ja auch hier in unserem Kreise Officiere. Da ist Herr Bonaparte, der soll uns sogleich seine Meinung sagen.“

Der Lieutenant Bonaparte war in lebhafter Unterhaltung mit seiner schönen Nachbarin, als er von dem Baron unterbrochen wurde, aber er antwortete sogleich: „Der Officier hat nichts zu thun, als die Befehle seiner Vorgesetzten zu erfüllen.“

„Sehr gut! sehr gut!“ rief der Baron, und die Vicomtesse nickte beifällig. „Diese Befehle werden wahrhaftig nicht ausbleiben, und unsere tapferen Officiere werden diese unnützen Menschen schon zur Ordnung bringen. Nicht wahr, Herr Bonaparte?“

„Sicherlich, Herr Baron. Wir haben die besten Mittel dafür.“

„Was meinen Sie?“

„Pulver und Blei!“

„Vortrefflich! ganz vortrefflich!“ lachte der Baron. „Ihre Gesundheit, mein lieber Herr Bonaparte, Ihre Gesundheit!“

Der Beifall war so allgemein, daß alle Gläser in Bewegung kamen. Der Lieutenant Bonaparte hatte für einen ziemlich wohlfeilen Triumph zu danken; aber seine Lippen zuckten spöttisch dabei und seine schwarzen Augen funkelten nach allen Seiten umher. Er bemerkte sehr wohl, daß sein Freund Andrea ihn lächelnd betrachtete, und wandte sich von ihm ab, wo Fräulein Beatrice ihn mit holdseligen Blicken empfing.

„Das ist ein ausgezeichneter junger Mann,“ sagte die Vicomtesse, „von wahrhaft wohlthuender Gesinnung.“

„Und ein ebenso ausgezeichneter Officier,“ fügte Frau von Colombier hinzu. „Der Lieutenant Demarris versichert, daß der Oberst des Regiments dies öffentlich ausgesprochen hat.“

„Dann verdient er um so mehr, daß man ihn empfiehlt, wo es von Nutzen ist,“ erwiderte der Baron. „Ich will mit Vergnügen an den Prinzen von Lambec darüber schreiben, aber – ist er auch von gutem Adel?“

Er wandte sich mit dieser Frage leiser an Frau von Colombier, die ihrerseits zu ihrem Nachbar mit vieler Freundlichkeit begann: „Sie werden dies am besten beantworten können, Herr Pozzo di Borgo; ich bin jedoch gewiß, daß Herr Bonaparte von gutem Adel ist.“

„So ist es in Wahrheit,“ sagte Andrea. „Die Bonaparte sind eine alte und gute Familie. Der Adel ist allerdings in Corsica derartig allgemein, daß ganze Dörfer und Ortschaften adlig zu sein behaupten konnten. Es erschien daher, als die Insel an Frankreich kam, ein Befehl des Königs, daß künftig nur vierhundert Familien fernerhin den Adel behalten und die Vorrechte desselben genießen sollten. Unter diesen befand sich auch die Familie Bonaparte.“

„Das ist eine anerkennende Auszeichnung,“ sagte der Baron, „auf welche man sich verlassen kann. Mit wahrer Freude will ich diesen trefflichen jungen Officier empfehlen und bin überzeugt, daß dies ihm gute Dienste leisten soll.“

Nach dieser Episode ging das Mahl in freudiger Geselligkeit weiter, und als es sein Ende erreicht hatte, wurde noch in der Halle getanzt, bis endlich spät die Freunde sich empfahlen und nach der Stadt zurückkehrten. Frau von Colombier war ungemein gütig, sowohl gegen Napoleon wie gegen den Fremden, und schärfte jenem ein, den Freund nicht abreisen zu lassen, sondern ihn am nächsten Tage wieder mit in das Landhaus zu bringen.

„Wie dankbar ich auch für so große Huld bin,“ erwiderte Carlo Andrea, „so werde ich doch morgen abreisen müssen, da die Post am Abend nach Lyon geht.“

Die Dame schüttelte jedoch lächelnd den Kopf. „Wir wollen nichts davon hören,“ sagte sie, „und gewiß wird auch Herr Bonaparte es nicht leiden, daß Sie ihn so bald verlassen. Daher nehmen wir keinen Abschied, sondern müssen Sie morgen bei einem kleinen Feste sehen, bei welchem es, wie ich hoffe, noch fröhlicher hergehen soll, als es heute der Fall war.“

Damit verabschiedete sie ihre Gäste, und Bonaparte führte seinen Freund rasch davon, ohne auf Demarris zu warten, dessen Stimme sie bald hinter sich hörten, ohne ihm zu antworten. Bonaparte bog in einen Nebenweg und hielt sich mit Carlo Andrea dort verborgen, bis die Anderen vorüber waren.

„Ich will mit Dir allein sein,“ sagte er, „denn ich habe Dir noch mancherlei zu sagen und Dich zu fragen. Wie hat Dir diese Gesellschaft gefallen?“

„Ich glaube, daß sich nur günstig darüber urtheilen läßt,“ [228] erwiderte Pozzo di Borgo, „obwohl, wo viel Licht ist, auch die Schatten nicht fehlen können.“

„O!“ rief Napoleon mit seinem scharfen Lachen, „die alte Vicomtesse und dieser bepuderte Baron mit dem Riechfläschchen werfen einige schwarze Linien auf Dein Bild, aber was haben wir damit zu schaffen? Diese Welt wird untergehen, ohne daß wir daran rühren; sie ist schon im Untergange begriffen, und diese Reste sind wie Mumien in einem Museum, bei deren Anblick man sich vorzustellen sucht, wie es zu Ramses des Großen Zeiten einst in Aegypten ausgesehen hat.“

„Nun,“ versetzte Andrea ebenfalls lachend, „diese sprechenden Mumien sind jedenfalls nicht geneigt, von dieser Welt zu scheiden, und haben die besten Absichten, Dich den Geheimkämmerern Ramses des Großen bestens zu empfehlen.“

Mit einer ungestümen Bewegung rief Napoleon: „Warum nicht? wenn das so geschehen soll. Mögen sie mich empfehlen, ich werde nicht Nein sagen. Bei großen Ereignissen muß man nicht in dem Winkel sitzen, man muß zusehen, wie man auf das Theater kommt und mitspielt.“

„Du möchtest eine Rolle in dem Stücke übernehmen?“

„Die größte, die zu haben ist, wär’s auch eine Kaiserrolle!“ rief Bonaparte.

„Ja, dafür ist Corsica zu klein,“ lachte Carlo Andrea. „Selbst die Könige sind bei uns schlechte Schauspieler geblieben, unser kleines, armes Volk kann keine größeren Helden brauchen, als die Sampiero, Gastoni oder Paoli, die es frei und gesittet machen wollten.“

„Und was haben sie vollbracht?“ erwiderte Napoleon. „Sie sind ermordet oder verjagt worden, und die Barbarei ist geblieben, wie sie war. Hätten sie Corsica groß machen können, mächtig, die Welt bewegend – aber es blieb der abgelegene, vergessene Winkel, und das Volk – was ist aus dem Volke geworden? Wo ist seine Gleichheit, wo ist seine Freiheit? Die armseligen Ziegenhirten und halbnackten Fischer haben nichts dabei gewonnen, sie sind so wild und roh wie sie gewesen. Nein, Carlo, nein! ich will nicht nach Ajaccio zurück. Ich kann Urlaub haben in jedem Augenblick, er liegt für mich bereit, aber ich will in Frankreich bleiben, denn hier giebt es Ereignisse, Thaten, Raum und Menschen für die Weltgeschichte!“

„Ich kann Dir nicht Unrecht geben,“ erwiderte Pozzo di Borgo.

„Du giebst mir also Recht!“ versetzte der lebhafte Officier mit seinem spöttischen Schärfe. „Wir werden in Corsica nicht wieder um unser Ansehen streiten. Ich überlasse es Dir dort der Erste zu sein. Damit bist Du zufrieden.“

„Vollkommen zufrieden, und wünsche Dir dafür, daß Du in Frankreich der Erste sein magst.“

Bonaparte schüttelte ihm lachend die Hand. „Gut,“ sagte er, „wir wollen diesen Vertrag abschließen, und jeder von uns mag sich Mühe geben. Doch im Ernst gesprochen, Carlo, was sagst Du dazu –“ er hielt plötzlich inne und fragte dann schnell: „Was sprach Frau von Colombier mit Dir?“

„Sie fragte nach Deiner Familie und ob Du von gutem alten Adel seist.“

„Mein Adel! mein Adel!“ rief Bonaparte und er schlug mit der Hand an seinen Degen und fuhr dabei fort: „Damit hoffe ich meinen Adel ihnen allen am besten zu beweisen.“

„Ich habe sie und den Herrn Baron vollständig darüber beruhigt,“ fiel der Freund ein.

„Du? Was sagtest Du ihnen?“

„Daß Deine Familie zu den besten und zu den Vierhundert gehörte.“

„Die Marbeuf adlig machte!“ lachte der Lieutenant. „Alle diese Narrheit wird ein Ende nehmen. Alle Familien in der Welt sind von gleichem Alter, wie könnten sie sonst am Leben sein? und alle haben gleiches Recht, alle sind Wesen einer Art, alle sind Menschen!“

„Doch sehr verschieden begabte,“ sagte Pozzo di Borgo. „Ich rathe Dir doch, mein lieber Napoleon, dies nicht zu vergessen, wenn Du Dich dem Herrn Herzog von Liancourt und dem Prinzen Lambec empfehlen lassen willst.“

„Oho!“ rief Bonaparte, „alle diese Schranzen werden vor der Sonne der Vernunft zerschmelzen, diese große neue Zeit wird bessere Männer an ihren Platz stellen. Der Adel wird eine wahre Vereinigung der Edelsten sein; jeder muß darnach streben, zu denen zu gehören, die zu dieser Erhebung des Menschengeschlechtes beitragen können.“

„Das ist jedenfalls eine edle und hohe Aufgabe.“

„Man darf den Einfluß der Mächtigen dabei gewiß nicht verachten,“ fuhr Napoleon fort, „sondern muß günstige Verhältnisse benutzen, muß auf den Rücken derer steigen, die ihn dazu anbieten. Ist man oben, dann erst vermag man Großes und Gutes zu thun.“

„Vollkommen richtig gedacht,“ antwortete Pozzo di Borgo.

„Sagst Du es?“ rief Bonaparte. „Findest Du, daß ich Recht habe?“

„Wenn Du richtig speculirst, kann es so kommen.“

„Speculirst! speculirst! Was verstehst Du darunter?“

„Nun,“ erwiderte Carlo Andrea, sich vertraulich zu ihm beugend, „ich glaube, daß ich mich damit nicht irre, lieber Napoleon, sondern Dich richtig verstehe. Du hast mir heut schon gesagt, daß, wenn man sein Glück machen will, man mit einer einflußreichen Familie sich verbinden muß, und ohne Zweifel bist Du auf dem besten Wege dazu.“

„Meinst Du das? Meinst Du es aufrichtig?“

„Daran zweifle nicht. Der Schwiegersohn der Frau von Colombier hat gewiß die besten Empfehlungen zu erwarten. Und dies ist ein artiges Fräulein, ein allerliebstes Gesicht, schmachtende blaue Augen. ein süßes, hingebendes Lächeln. Die Speculation hat somit überall angenehme Aussichten.“

„Halt ein!“ rief Bonaparte und preßte seinen Arm. „Es ist keine Speculation, Carlo, denn ich liebe Beatrice!“

„Du liebst sie? Ja, das ist etwas Anderes,“ antwortete Pozzo di Borgo.

„Ich liebe sie!“ fuhr Napoleon mit Heftigkeit fort, „und auch sie – sie würde mich Allen vorziehen – zieht mich vor!“

„Dann habe ich nichts mehr zu sagen,“ versetzte der Freund.

„Es ließen sich Bedenken erheben, doch Deine Liebe rechtfertigt Dich. Ich begreife nun vollkommen Deine Wünsche und warum Du nicht nach Corsica willst. Dein Herz befiehlt Dir hier zu bleiben, und Dein Ehrgeiz verlangt nach Auszeichnung, um einer Braut aus solcher Familie würdig zu sein. Es ist wahr, die Zeit ist in wilder Gährung; wer weiß, wohin diese Stürme noch treiben, wer weiß, ob es gelingt, den Strom in seinem Bette zu halten, und wer weiß, wen er verschlingt. Aber Du wählst, wie Du wählen mußt, weil Du liebst, und ich zweifle nicht daran, daß Du bald nach Paris gerufen sein wirst, denn man braucht dort Officiere, auf welche sich der Hof verlassen kann. Du wirst schnell ein Capitainspatent in der Tasche haben, wohl gar Oberst werden, je nachdem, und dann wird Frau von Colombier freudig ihren Segen geben, und ihre Verwandten werden Dich mit Vergnügen umarmen.“ „Gute Nacht!“ rief Napoleon, indem er ihn losließ. „Dort ist das rothe Haus; gute Nacht!“

„Laß uns noch beisammen bleiben.“

„Nein! morgen mehr. Es ist genug für heute.“

Ohne sich aufzuhalten, ging er weiter. Pozzo di Borgo wandte sich dem Gasthause zu, und als er einige Schritte gethan hatte, lachte er leise vor sich hin.

[241]
3.

Der Lieutenant Bonaparte ging nicht in das hohe, finstere Haus, in welchem er wohnte, sondern an dessen Thür vorüber und Straßen und Gassen hinab und hinauf, bis er endlich wieder an den Strom und zwischen die Felder und Gärten gelangte, wo er ruhelos weiter irrte. Er war in großer Aufregung, sein Blut glühte in allen Adern, tausend verschiedene Vorstellungen kreuzten durch seinen Kopf. Dieser tückische Carlo Andrea hatte ihn mit Nadeln zerstochen. Er hatte ihm unter scheinbarer Theilnahme und Bestimmung die schmählichsten Dinge gesagt: daß er mit Hülfe eines Mädchens, mit einer Speculation auf ihre Hand sich der Hofpartei empfehlen lassen wollte; daß er den Adel der Bonaparte’s bezeugt habe, obwohl alle Corsen wußten, wie es mit diesem Adel stand und welchem Einfluß die Bevorzugung zu der Zahl der Vierhundert zu danken war. Und dieser Hohn verschärfte sich durch die Art, wie Pozzo di Borgo von dem Capitainspatent und Oberstenrang gesprochen hatte, die den Segen der Schwiegermutter und die Umarmungen der Verwandten bewirken sollten; endlich aber wirkten die falschen Zweifel und Einreden, mit welchen Carlo Andrea die Erklärung aufgenommen, daß keine Speculation, sondern wahre Liebe die Triebfeder zu Napoleon's Plänen und Wünschen sei, und was er weiter daraus folgerte, wie Stacheln, deren Stiche er nicht länger zu ertragen vermochte und die ihn fortgetrieben hatten.

Und nun er in Nacht und Dornenhecken umherlief, brannte ihm der Kopf noch mehr davon. Was der kaltblütige, so sanft und freundlich sprechende und doch so hinterlistige Mensch gesagt, ließ sich mit aller Gewalt nicht Lüge nennen. Er hatte mit seinen schwarzen, stillen Augen bis auf den Grund gesehen und mit unbarmherziger Sicherheit jede sophistische Täuschung abgeschlagen und vergolten. Dürstete Napoleon nicht nach Thaten, nach Ruhm, nach Auszeichnung? War sein Kopf nicht voll heißer Träume, seine Gedanken in ewiger Arbeit, sein Gehirn voll ehrgeiziger Pläne, voll fieberheißer Vorstellungen? Und was er heute gedacht, verwarf er morgen; wonach er jetzt gestrebt, zerriß er in der nächsten Stunde. Mächtigen Männern empfohlen zu werden, rasch aufzusteigen zu den Höhen des Lebens, mit kühner Hand in die Geschicke eines mächtigen Volkes zu greifen – welch bezauberndes Bild! Aber wer waren diese Protectoren? Die Herren, die Feinde des Volks! Sie die aller Haß traf, sie die zu einer Kaste von Bevorrechteten gehörten, die vernichtet werden mußten, wenn die neue Zeit, die Zeit der Gleichheit, der Gerechtigkeit anbrechen sollte. Und Carlo Andrea halte ihm diese Protektion hohnvoll vorgehalten, den Abfall von seinem Vaterlande, Abfall von den Lehren der Freiheit und Wahrheit. Ein Speculant, der sich den Feinden des Volks verkauft, ein Speculant, der ein Weib betrügt, um mit deren Hülfe in die Zahl der Bedrücker aufgenommen zu werden!

„Nein; nein!“ rief er mit Heftigkeit, „es ist Lüge! Was ich will, ist gerecht! ich verkaufe mich nicht, verrathe mich nicht! Ich will einen Platz einnehmen, wo ich den tugendhaften Männern beistehen kann, die für Recht und Wahrheit kämpfen; ich will die Fahne des Volkes tragen, ich will sein Arm und sein Schwert sein! Das ist mein Ziel, ihm soll mein Leben geweiht bleiben. Speculant!“ fuhr er fort, „ich verachte diesen nichtswürdigen Namen. Ich liebe Beatrice, ich liebe sie! Ich will es beweisen, will es diesem elenden Spötter beweisen. Ist sie nicht schön und liebenswürdig, edel und gut? Und mir gehört ihr Herz allein. Ja, Beatrice, ich liebe Dich! ich liebe Dich! vor aller Welt will ich es bekennen!“

Er hatte einen hohen, kahlen Hügel erstiegen und am jähen Rande desselben sich auf einen Stein gesetzt. Von unten brauste der Strom dumpf herauf, oben am Himmel kündete ein mattes Leuchten im Osten den nahenden Tag an. So saß er mit glühendem Gesicht lange Zeit, den Rücken an einen wilden Oleander gelehnt, den Hut neben sich am Boden, mit starren Blicken in die dunkle Tiefe schauend. Und wie mit Rabenflügeln rauschte es um seinen Kopf, und vor seinen Augen spannen sich finstere Fäden und Netze, die über sein Gesicht fielen. Es war ein Zustand halb Traum, halb Wachen, er vermochte sich nicht zu rühren, aber an seinem Ohr hörte er die tiefe Stimme Pozzo di Borgo’s, welche laut und langsam sprach: „Geh hin, Du Thor, geh und vollführe Deine kindischen Pläne, mich erfreuen sie. Verachte Dein Vaterland, verrathe Dein Volk, wirf Dich in die Arme seiner Tyrannen, Du gehörst zu ihnen und wirst mit ihnen verderben. Deine eitle Blindheit sieht nicht, wie das Verderben ihnen naht, sieht nicht, wie der tarpejische Felsen schon vor ihnen steht, von dem sie Alle hinabgestürzt werden, ihrem Könige nach, der zuerst hinunter muß. Siehst Du nicht, daß dies eine Revolution ist, die sie Alle verschlingt? Siehst Du nicht, daß keiner dieser stolzen Uebermüthigen verschont bleibt? – Laß Dich ihnen nur empfehlen, hoffe nur auf ihre Gunst und Gnade; Du wirst in Spott und Schande mit ihnen enden, verflucht, verdammt von allen besseren Menschen, ein Verräther, ein Elender, der die Freiheit verkauft und verrathen hat!“

„Nein, nein!“ stöhnte Bonaparte, „ich bin ein Sohn des Volks.“

[242] „Du ein Sohn des Volks? Du ein Held der Menschheit?“ rief die Stimme hohnvoll; „Du könntest ihre Geißel werden. Wo sind die Hoffnungen, welche Paoli auf Dich setzte? Er, der edle, tugendhafte Greis, der sich täuschen ließ von Deinen Lügen? Wo sind Deine Grundsätze, die Du heucheltest und die Du mit Füßen trittst? Wo ist Dein Muth, mit dem Du vorgabst der Freiheit und der Tugend Dein Leben zu weihen und für Wahrheit und Recht zu kämpfen bis zum Tode?“

„Ich will! ich will!“ murmelte Bonaparte sich qualvoll windend.

„Du willst nicht!“ sprach die Stimme an seinem Ohre, „es ist Alles falsch an Dir, Alles erlogen, nichts wahr und gewiß, als Dein unersättlicher Ehrgeiz. Du bist ein Corse, ein echter Corse mit allen seinen schlimmen Eigenschaften und seinen Lastern, ohne seine Tugenden zu besitzen. Treue kennst Du nicht, Freundschaft hat keinen Werth für Dich, nur Deine Vortheile berechnest Du und Deine Liebe verkaufst Du. Lüge nicht, Tu weißt, daß es so ist. Lüge nicht. Du betrügst sie Alle, nur mich nicht und Dich selbst nicht. Lüge nicht, Du liebst Beatrice nicht, Du liebst keinen Menschen auf Erden und magst keinen lieben; das wird Dein Loos sein und Verlassenheit Dein Ende!“

„Fort von mir!“ schrie Bonaparte mit wüthender Gebehrde und in gewaltiger Anstrengung richtete er sich empor, da war das gespenstische Traumbild verschwunden. Er blickte verstört umher, seine Lippen zuckten und zitterten, seine Hände ballten sich krampfhaft, er bedeckte das bleiche, blutlose Gesicht. Oede und einsam war es Überall, aber vom Himmel strömte ein rosiges Leuchten aus und vor ihm sank es nieder auf das Thal und auf den Garten am Strome und auf das Landhaus mit dem hohen Dache, das unter den Bäumen hervorschaute. Und wie er darauf hinabsah, schien das Laub sich Heller zu röthen, und die Blumen nickten zu ihm herauf, und der Wind kam geflogen und flüsterte ihm etwas zu, daß er plötzlich aufsprang und beide Arme ausstreckte. „Zu Dir, meine Beatrice!“ rief er, „errette Du mich vor diesem Spuk! Ein Höllenwerk ist es,“ schrie er auf, und seine rollenden Augen blickten in den feurigen Punkt am Himmel; er legte die geballte Hand auf sein Herz. „Ich liebe sie, ja, ich liebe sie! Ich will zu ihr, will es mit tausend Eiden schwören. Es soll kein Mensch, kein Gott daran zweifeln!“

Er raffte seinen Hut auf und ging mit vorsichtigen Schritten an der Hügelwand hinab, wo ein schmaler Pfad über das Gestein führte, und bald stand er an der kleinen Pforte, wo die weinbelaubten Terrassen sich an den Berg lehnten. Einen Augenblick blieb er dort stehen und schien in Gedanken versunken. Jetzt war es, als wollte er sich entfernen, ein widerwilliges Empfinden drückte sich in seinen Mienen aus; doch in der nächsten Minute verschwand dies. Rasch und lächelnd öffnete er die Thür und trat hinein. Die Rebengehege verbargen ihn, leise ging er darunter fort, die Stufen hinab und schaute in die stillen, noch halb in Morgenduft gehüllten Gänge. Es regte sich kein Blatt. In der Ferne murmelte die Fontaine, durch die Blumen ging ein Flüstern, in den Baumkronen schaukelte sich das Licht und in der höchsten begann ein Vogel zu singen.

Wo die Reben endeten, befand sich eine Laube, und vor ihr zu beiden Seiten standen zwei Kirschbäume mit tiefhängenden Zweigen, dicht bedeckt von dunkelrothen, süßen Früchten. Auf der Bank unter dem einen dieser Bäume setzte sich Bonaparte nieder, und seine Augen hefteten sich auf das Landhaus auf ein Fenster im oberen Geschoß, das zwischen den hohen Lorbeerrosen, die daran hinaufreichten, sichtbar wurde. Als er darauf hinsah und seine Blicke nur brennender wurden, hörte er hinter sich in der Laube ein Rauschen und leises Lachen, und als er aufsprang mit ahnungsvollem Lauschen, fand er Beatrice Colombier halb versteckt unter dem grünen, reichen Geblätter, halb vorgebeugt ihn erwartend.

Die Hände nach ihr ausgestreckt, regte er sich doch nicht und näherte sich nicht. Er betrachtete sie einige Augenblicke, wie von seiner Ueberraschung gefesselt; in lieblicher Verwirrung ließ sie es geschehen. In dem weißen, leichten Morgengewande sah sie wunderbar schön aus. Braune Locken fielen frei in ihren Nacken, ein süßes Liebeslächeln schwebte auf ihren Lippen, dabei blickten ihre Augen schüchtern und fast furchtsam in seine unbeweglichen Mienen.

Mit einem Male aber verschwand diese Starrheit und verschmolz in einem auflodernden Feuer. „Meine liebe, meine angebetete Beatrice!“ rief er, während er die weißen, kleinen Hände mit Küssen bedeckte. „Wie vielen Dank, wie viele Freude empfinde ich in diesem Augenblick! Ich wähnte mich allein mit meiner Sehnsucht, vergessen von der, mit der mein ganzes Denken sich beschäftigt; der Gedanke erstickte mich, nun bin ich herrlich davon erlöst!“

„O,“ sagte Beatrice, indem sie sich an ihn schmiegte und schmeichelnd schmollte, „hatte mein Freund so wenig Vertrauen? Versprach ich nicht gestern, beim ersten Morgenscheine hier zu sein? und noch ehe dieser kam, da es noch ganz finster war, befand ich mich schon in der Laube und wartete und ängstigte mich.“

„Warum, theure Beatrice, warum?“

„Weil – weil – Ich weiß es nicht, es war Thorheit. Ich konnte nicht schlafen, mein Herz ließ mich nicht schlafen. Ein böser Geist flüsterte mir zu: Es ist vergebens. Da schlagen die Glocken schon vier Uhr. Du kannst das Kreuz der Kapelle an der Brücke sehen. Es ist zu spät.“

„So läuteten böse Geister auch mir ihre Glocken!“ rief Bonaparte fröhlich. „Doch wir jagen sie in die Flucht. Ich bin hier, um allen falschen Stimmen zu trotzen, hier bei meiner geliebten Freundin, und diese fürchtet sich nicht mehr.“

Er blickte sie an, sie schüttelte lächelnd den Kopf, und als er sie inniger umfaßte, ließ sie es geschehen und sträubte sich nicht.

„Beatrice vertraut mir?“ fuhr er fort.

Sie nickte ihm zu. –

„Sie glaubt an mich ?“

„Alles! Alles!“

„Daß ich Dich liebe, daß ich Dich anbete?“ rief er mit steigender Leidenschaft so laut, daß es schallte.

Beatrice blickte scheu umher, kein Lauscher war zu entdecken. Seine zärtlichen Schwüre fanden keinen Widerstand mehr, sie legte ihre Hand auf ihn, und ihre leuchtenden blauen Augen sagten ihm noch mehr, als ihre Worte.

„Liebst Du mich denn auch ganz allein, so wahr und treu, wie ich Dich liebe,“ flüsterte sie, „mein theurer, mein einzig geliebter Freund?“

„Zweifle nicht daran, zweifle nicht!“ rief er, und seine schwarzen Augen funkelten brennend. Er beugte sich von ihr zurück und schaute sie an. „Ob ich Dich liebe? Frage nicht, meine edle, meine schöne Beatrice. Ich liebe die Ehre, ich liebe den Ruhm, nichts kann mich von ihnen trennen; doch mein Herz gehört Dir allein, keine Andere soll es jemals mit Dir theilen!“

„Und willst Du in Glück und Noth mich lieben, willst Du mir treu bleiben bis in den Tod?“ fragte Beatrice ihn festhaltend.

„Treu will ich Dir sein, treu mein Herz, treu meine Liebe. Wie ich meinem Vaterlande, meinem Volke treu bin bis in den Tod, so Dir bis an meine letzte Stunde.“

„So will ich glücklich sein!“ rief Beatrice, „und meine Mutter wird uns segnen. Sie wird nicht länger zweifeln, sie wird Dir vertrauen, wie ich es thue.“

„Deine Mutter?“ fragte er, und seine Mienen wurden ernsthaft, die Begeisterung verschwand aus seiner Stimme. „Hat Deine Mutter mit Dir gesprochen?“

„Ja,“ sagte Beatrice, „gestern Abend, als Tu gegangen warst und wir allein zurückblieben. Sei unbesorgt, meine Mutter ist gütig, sie ist Dir gewogen, mein geliebter Freund.“

„Sie weiß es also,“ sprach, er halb vor sich hin.

„Sie hielt mich in ihren Armen fest, küßte mich und sah mir in die Augen. Tu siehst so geheimnißvoll aus, mein liebes Kind, sagte sie dabei. Warte doch und werde nicht roth, laß uns noch ein wenig plaudern. Setze Dich her zu mir. Wie hat Dir der junge Pozzo di Borgo gefallen, der so unerwartet uns mit seinem Besuche erfreute? – – Er hat mir sehr gut gefallen, liebe Mama, denn er ist sehr höflich und weiß zu unterhalten. – Gefällt er Dir bester als der Lieutenant Demarris? – Er gefällt mir viel besser, denn er hat viel mehr Geist und Anstand, Mama. Aber ich glaube, es ist ein versteckter Charakter, dem man nicht allzuviel trauen darf.“

Bonaparte schien sich über diese Urtheile zu freuen. Er nickte beifällig dazu.

„Ja, diesen Corsen darf man überhaupt nicht zu viel trauen, fuhr meine Mutter fort, sie sind Alle versteckt und schlau. Meinst Du nicht, mein liebes Kind? O nein, Mama, Alle gewiß nicht! rief ich so schnell, daß meine Mutter laut lachte und ich ganz roth wurde. – Nicht alle? fragte sie, also machst Du Ausnahmen. [243] Ah! ich merke, Du nimmst den Lieutenant Bonaparte aus. Nicht wahr? – Ja, Mama, erwiderte ich. – Was sollte ich sagen, mein lieber Freund!“

„Das war tapfer und richtig gehandelt,“ fiel Bonaparte ein. „Es war die Sprache Deines Herzens, theure Beatrice, ich danke Dir dafür mit tausend Küssen.“ Und er schloß sie in seine Arme und küßte sie, bis sie wieder zu erzählen fortfuhr.

„Also, sagte meine Mama, der Lieutenant Bonaparte, meinst Du, wäre ein Mann, dem man glauben und vertrauen dürfe ? Ich vermuthe, daß Du dies wirklich thust. – Ja, Mama, ich kann es nicht leugnen, versetzte ich. – Bist Du auch überzeugt, Beatrice, daß er es verdient? – So überzeugt, daß – daß – hier brach ich ab, da aber meine Mama Weiter! Weiter! rief, setzte ich hinzu: daß ich es ihm selbst gesagt habe. – Und das hast Du ihm heute erst gesagt, nicht wahr? fragte sie mich. – Ja, Mama, heut, und – auch wohl schon mehr als einmal. – Aber? fragte sie und faßte mich beim Arm, hast Du auch Recht daran gethan? Ich glaube es, glaube es ganz gewiß! antwortete ich ein wenig erschrocken, aber dann kam mir der Muth. Mein Herz fing an zu schlagen, und ich weiß nicht, was mit mir geschah. Ich richtete mich aus, alle meine Furcht war verschwunden. – O! liebe, beste Mama! rief ich, ich weiß in der ganzen Welt keinen Mann, dem ich mehr vertrauen möchte, als ihm, keinen, dem ich freudiger glauben möchte. – Mußte ich das nicht sagen, mein geliebter Freund? Mußte ich Dich nicht vertheidigen?“

„Du mußtest dem Zuge Deiner Liebe folgen, Du mußtest für mich aufstehen, wo man Deine Zweifel aufwecken wollte!“ antwortete Bonaparte feurig, „und dafür – dafür –“ In dem Augenblicke fiel von dem Kirschbaume, dessen Zweige sich über die Bank ausbreiteten, ein großes, schönes Kirschenpaar, zwei Früchte an einem verbundenen Stiele. Rasch ergriff Napoleon die Kirschen, welche in seine Hand gefallen, theilte sie und rief fröhlich lachend: „Ein Himmelszeichen, geliebte Beatrice! Nimm und iß und glaube an mich. Kein Zweifel soll unser Glück trüben. Vereint soll unser Leben bleiben. Wie diese Früchte zu einander gehören, Gewalt nur sie trennen kann, so soll uns nichts scheiden, es müßte denn sein –“

„Was müßte sein?“ fragte Beatrice erschrocken, als er inne hielt.

„Daß die Ehre – das Vaterland es geböten!“

„Ach, Du bist ein Soldat,“ rief sie klagend, „und denkst an Ruhm und Krieg.“

„Nein, nein!“ erwiderte er, „ich denke nur an Dich, Beatrice. Wir wollen nicht sorgen, freuen wollen wir uns und genießen, was die glückliche Stunde uns bringt. Deine Mutter –“

„Meine Mutter,“ fiel Beatrice süß lächelnd ein, „hat mich mit ihren Küssen entlassen, und da – da ist sie,“ stotterte sie zusammenschreckend und deutete auf den Rebengang, der von dem Hause herüber führte.

Es war in der That Frau von Colombier, die so eben in diesem Gange sichtbar wurde und mit raschen Schritten sich der Laube näherte. Es blieb keine Zeit übrig, um sich vor ihr zu verbergen, auch sträubte sich dagegen Bonaparte’s Stolz. Er stand auf und preßte Beatricens Hand in seinen Fingern zusammen, als wollte er verhindern, daß sie fliehen oder ihrer Mutter entgegen gehen möchte. So erwarteten nun Beide die Dame, welche, in ein großes Tuch eingehüllt, dem Anschein nach sie nicht bemerkte, sondern die Bäume betrachtete und ihre Augen auf den Himmel richtete, aus dem soeben der erste Sonnenschimmer mit goldigem Glanz hervorbrach.

Erst als sie noch wenige Schritte von dem Baume entfernt war, welcher vor dem Bosket stand, wandte sie ihre Blicke dorthin, und wie in plötzlicher Ueberraschung blieb sie stehen, ohne ein Wort zu sagen. – Beatrice senkte ihre Wimpern nieder und bekam ein rothes Gesicht. Bonaparte dagegen zuckte mit keiner Miene und unterbrach eben so wenig das Schweigen.

Diese Situation währte einige Augenblicke, dann gewann Frau von Colombier zuerst wieder Sprache und Leben. Ihre feinen Lippen verzogen sich zu einem anmuthigen Lächeln, das von einer lebhaften Handbewegung begleitet wurde. „Sieh da, Herr Bonaparte!“ rief sie, „hat Sie der schöne Sommermorgen so früh zu uns herausgelockt? Das ist allerliebst, wie wir hier zusammentreffen, gleich den Göttern in der Fabel von denselben schönen Gedanken bewegt.“ – Und ohne dem jungen Officier Zeit zu einer Antwort zu lasten, fuhr sie sogleich fort: „Beatrice ist gewiß davon so freudig überrascht worden, wie ich es bin; allein es ist kühl, mein Kind, geh hinein, Du möchtest Dich erkälten. Geschwind, geh, ich bleibe noch ein paar Minuten bei Herrn Bonaparte.“

Mit demselben freundlichen Lächeln streckte sie die Hand nach ihrer Tochter aus und zog sie sich näher. Beatrice folgte ein wenig zögernd, doch nicht furchtsam, sie war voll guter Zuversicht. „Ich glaube nicht,“ sagte sie leise, „daß ich mich erkälte, und – o! meine theure Mama, Du bist so gütig; so liebevoll –“

„Fort, fort!“ rief die Mama ihr die Wange streichelnd, „wir müssen für Deine Gesundheit vorsichtig wachen. Nehmen Sie Platz, Herr Bonaparte. Sie sind ein Freund der Natur, nicht wahr?“

Dieser Wink und die Weisung der Dame drückten sich sehr bestimmt aus. Beatrice nickte ihrem Freunde leise zu und machte ein paar kleine Schritte; gewiß wäre sie ungehorsam gewesen, wenn nur Bonaparte Einsprache gethan hätte. Allein er hielt sie nicht zurück, sondern setzte sich auf die Bank, als Frau von Colombier sich niederließ, und Beatrice schritt langsam weiter, mehr als einmal zurückblickend, bis sie in den Piniengang einbog und verschwand.

„Sie sind also ein Freund der Natur, Herr Bonaparte,“ wiederholte Frau von Colombier, „und wahrscheinlich öfter so früh schon im Freien, um die Sonne aufgehen zu sehen, wie ich glaube?“

„Dies ist allerdings der Fall, Madame!“ erwiderte Napoleon.

„Beatrice nicht minder,“ fuhr die Dame fort. „Ich habe bemerkt, daß sie einigemale schon den Sonnenaufgang hier im Garten erwartete, und dies ist in der That ein vortreffliches Plätzchen dazu. Das sind sympathetische Gefühle, Herr Bonaparte, aber bei jungen Leuten sehr erklärlich. Sie sind noch sehr jung. Wie alt sind Sie?“

„Einundzwanzig Jahre, Madame.“

„Ein schönes Alter, das Alter der Illusionen!“ rief Frau von Colombier. „Beatrice ist eben siebenzehn geworden. Aber Sie sind von ernstem Gemüth, über Ihre Jahre hinaus, uns ich habe recht viel Gutes von Ihnen vernommen.“

„Sie sind sehr gütig, Madame,“ erwiderte der Lieutenant.

„Das bin ich in dem Grade, Herr Bonaparte, wie es eine Freundin sein soll, und wie Sie es verdienen, wie ich glaube. Ich bin zwar keine große Verehrerin der Sonnenaufgänge und der Morgenpromenaden,“ fuhr sie mit ihrem feinen Lächeln fort, „allein ich sehe Sie gern in meinem Hause, und Beatrice ist ganz gewiß derselben Meinung; Sie können sich darauf verlassen.“

„Ich danke Ihnen, Madame,“ sagte der junge Officier, indem er sich ehrerbietig verneigte.

„Corsica ist ein romantisches Land, und die Corsen haben für die Romantik ohne Zweifel angeborene Vorzüge,“ lachte die Dame, „während wir in unserem kälteren Klima und in der Nähe der schneeigen Alpen weit nüchterner empfinden.“

„Ich weiß darüber nicht zu urtheilen,“ erwiderte Bonaparte, „allein auch an den Corsen wird Verstand und Nachdenken gerühmt.“

„Und dies ist auch meine Meinung!“ fiel Frau von Colombier lebhaft ein. „Wissen Sie, mein lieber Herr Bonaparte, daß ich von Ihnen mehr als von sehr vielen andern jungen Herrn glaube, daß Sie reiflich und wohl überlegen, und verständiges Nachdenken Ihnen mehr gilt, als glänzende Einbildungen?“

„Sie sagen mir eine große Schmeichelei, Madame,“ antwortete Napoleon.

„Ich sage Ihnen die Wahrheit. Ist es nicht sehr gewöhnlich jetzt, daß junge Leute ihre Köpfe mit phantastischen Hirngespinsten füllen, wie sie Mode geworden sind? Sie dagegen halten sich fern davon. Das hat mir sehr gefallen, Herr Bonaparte, und nicht mir allein, auch andern Personen, deren Wohlwollen Sie dadurch gewonnen haben.“

„Ich danke Ihnen, Madame,“ sagte der Lieutenant sich verbeugend.

„Sie gehören nicht zu denen,“ fuhr Frau von Colombier fort, „die sich von dem Zeitschwindel fortreißen lassen, Zusammenkünfte veranstalten helfen, in den Café’s die Zeitungen aus Paris vorlesen und Lärm erheben. Sie beschäftigen sich mit ernsthaften Dingen, Sie studiren oder erheben Ihre edlen Gefühle selber zu Dichtungen, wie ich gestern Abend eine solche gesehen habe, die Beatrice –“

[244] Napoleon’s Gesicht veränderte sich. Seine bleiche Farbe machte einer schnellen Röthe Platz. „O Madame,“ rief, er lebhaft, „dies Gedicht –“

„Schweigen wir davon,“ unterbrach sie ihn, „ich ehre und liebe die schönen Empfindungen der Seele und habe auch zu meiner Zeit meine Gedichte empfangen. – Das sind Erinnerungen, an welche man immer mit Vergnügen zurückdenkt.“

Sie wickelte sich in das große Tuch und sah ihn gnädig lächelnd an. „Frauen lassen sich gern besingen,“ fuhr sie dabei fort, „sie haben das mit den Königen gemein, so ähneln sich beide auch in dem Verlangen nach treuen Unterthanen, Herr Bonaparte. Doch ach! das sind gefährliche Zeiten für alle Herrscher auf Erden; um so höher schätzen und lieben wir diejenigen, von denen wir Treue hoffen dürfen. Treu dem Könige, treu der Dame seines Herzens soll jeder Ritter sein. Sie kennen den schönen alten Wahlspruch, Herr Bonaparte.“

„Er ist mir wohl bekannt, Madame.“

„Und man kennt Ihre Gesinnung, man weiß diese zu schätzen, ich sowohl, wie Alle, die Ihnen wohlwollen. Das war es, was ich Ihnen mittheilen wollte und was Sie noch hören müssen, ehe wir uns trennen. Sie werden dem Grafen von Artois dringend empfohlen werden. Ich zweifle nicht daran, daß dies für Sie die glücklichsten Folgen haben wird, daß Sie dadurch Gelegenheit erhalten werden, dem Könige Ihre Treue zu beweisen. Dies ist doch gewiß Ihr lebhafter Wunsch?“

„Ja, Madame, ja. Ich möchte dem Könige die größten und wichtigsten Dienste leisten.“

Frau von Colombier blickte beifällig in seine flammenden Augen und wie sein Gesicht einen begeisterten Ausdruck erhielt, der es ungemein verschönte. „So bleibt nur noch die Dame Ihres Herzens übrig,“ fuhr sie mit gewinnenden Mienen fort, „doch diese hat jedenfalls dieselben ritterlichen Gefühle zu erwarten.“

„Zweifeln Sie nicht daran, gnädige Frau,“ erwiderte Napoleon, „ich werde nur mit meinem Leben diese Gefühle aufgeben!“

„Sie werden ihr unwandelbar treu in allen Gefahren zur Seite stehen?“

„Wie Ehre und Liebe es gebieten.“

„Wohlan denn!“ sagte Frau von Colombier, „ich frage nicht weiter, denn der Tag ist da und die Straße wird lebendig. Aber ich erlaube Ihnen, Ihre Grundsätze uns heut noch zu wiederholen. Ich erlaube Ihnen, das mit Beatrice begonnene und unterbrochene Gespräch in meiner Gegenwart heut Abend fortzusetzen, nicht mehr hier im schädlichen Morgennebel, sondern in der Halle und vor unseren Freunden. Auf Wiedersehen also, Herr Bonaparte, auf Wiedersehen! Ich will Beatrice darauf vorbereiten.“

Sie reichte ihm ihre Hand, und er führte diese an seine Lippen. Noch einen Augenblick blieb sie stehen, sah ihn an, lächelte und nickte leise; darauf wiederholte sie: „Kommen Sie also nicht zu spät, ehe Andere erscheinen. Beatrice wird Sie erwarten, bringen Sie die besten Grundsätze mit. Adieu! Adieu!“

Mit diesen glückverheißenden Worten verließ er die gütige Beschützerin, und es war als wolle er ihr nacheilen, doch nach dem ersten Schritte schon blieb er stehen, und seine aufgehobene Hand sank nieder. Er sprach die Bitte nicht aus, zu der sein Mund sich geöffnet hatte. –

Als Frau von Colombier noch einmal nach ihm zurückblickte, war er verschwunden.



4.

Am folgenden Tage erhielt Carlo Andrea einen Besuch in dem rothen Hause von dem Lieutenant Demarris. Der junge Officier beschwerte sich über die rasche Trennung am Abend und daß er trotz aller Mühe ihn sowenig wie Bonaparte habe auffinden können. „Wir hätten noch beim Glase zusammengesessen,“ sagte er, „ich freute mich darauf. Bonaparte war so heiter, wie ich ihn kaum jemals gesehen, und wenn er seine gute Laune hat, ist er bewunderungswürdig.“

„Es scheint, als habe er sich hier viele Freunde erworben,“ erwiderte Pozzo di Borgo.

Demarris schüttelte lächelnd den Kopf. „Viele sind es wohl nicht,“ sagte er, „im Gegentheil hat er nicht wenige Widersacher, die sich nicht mit ihm vertragen können, denn er ist sehr stolz, und man nennt ihn anmaßend und zanksüchtig. Mir jedoch ist er sehr ergeben,“ fuhr er selbstgefällig fort, „und ich vertheidige ihn, wie man einen Freund vertheidigen muß.“

„Aber seine Vorgesetzten sind doch mit ihm zufrieden?“ fiel Pozzo di Borgo ein.

„Wie man es nehmen will,“ lachte Demarris. „Er hat Kenntnisse, ist der beste Mathematiker von uns Allen, und was den Dienst betrifft, läßt er sich nichts zu schulden kommen. Aber er ist ein Krittler, der überall seine Anmerkungen macht, und wenn Einer klüger sein will, als alle Anderen, und obenein als seine Vorgesetzten, so erwirbt er sich damit nicht eben deren Zuneigung.“

„Sehr wahr!“ rief Carlo Andrea. „Die Klugheit muß sehr klug sein, wenn sie nicht über jeden Klotz oder Stein auf ihrem Wege stolpern und verschrieen und verlästert werden will.“

„Ja, diese Nachteulen!“ nickte Demarris erfreut, „sie möchten ihn hacken, wo sie können, und ihn am liebsten weit fortschicken. Es bekommt Niemand so leicht Urlaub wie er, und heut erst, als ich beim Obersten zu thun hatte, fragte er mich, wie es käme, daß der Lieutenant Bonaparte noch nicht nach Corsica gereist sei.“

„Dazu wird er jetzt am wenigsten geneigt sein.“

„Warum glauben Sie das?“ fragte Demarris rasch.

„Nun, weil, wie Sie mir selbst schon sagten, er hier Besseres zu thun hat.“

Der Lieutenant schwieg einen Augenblick, während er mit der Hand durch sein Haar strich und nachsann. „Ja, das habe ich freilich gesagt,“ fuhr er dann fort, „aber ich habe nicht das dabei gedacht, was ich jetzt denke. Bonaparte hatte mir mitgetheilt, daß er fleißig arbeiten wolle, was er in Ajaccio nicht könne, um seine Geschichte der Insel fertig zu schaffen, und daß er dann dies Werk nach Paris schicken wolle, wo er sich große Erfolge verspricht.

Heute nun aber – wissen Sie, was der Oberst mich fragte?“

„Wie kann ich das wissen, Herr Demarris?“

„Freilich nicht. Sie haben Recht. Er fragte mich, ob Bonaparte häufig Frau von Colombier besuche – und als ich dies bestätigte –“

„Nun, Herr Demarris?“

„Alle Teufel!“ rief der Lieutenant, „ich glaube wahrhaftig, es ist etwas daran.“

„Was meinen Sie?“

„Gestern war sein Benehmen auffällig, nun fällt es mir erst recht ein. Der Oberst sagte: Dies Fräulein Colombier ist hübsch, genug, und die Mutter hat Vermögen und Connexionen. Es ist gar keine üble Partie, eine ganz gescheidte Speculation.“

„Eine gescheidte Speculation!“ lachte Carlo Andrea.

„Ja, doch was sagen Sie. Herr Pozzo di Borgo?“

„Was kann ich sagen, Herr Demarris? Sie müssen das besser wissen.“

[257] Demarris wurde verlegen. „Bonaparte vertraut mir mancherlei,“ begann er, „von dieser Sache jedoch hat er niemals mit mir gesprochen, und bisher habe ich in Wahrheit auch nicht daran gedacht, daß er sich für Beatrice Colombier oder für irgend eine junge Dame ernsthaft interessiren könnte. Denn er sprach von dem ganzen Geschlecht kalt und spöttisch, unterhielt sich fast nie mit jungen Damen, bis gestern zu meinem Erstaunen – Der Oberst muß davon gehört haben, und ich möchte wissen, Herr Pozzo di Borgo, ob Bonaparte Ihnen etwas mitgetheilt hat.“

Carlo Andrea zuckte lächelnd die Achseln. Er gab keine directe Antwort darauf, sondern sprach wie ein kluger Advocat. „Ich glaube wohl,“ sagte er, „daß eine solche Verbindung wünschenswerthe Aussichten bietet, und warum sollte ein junger Mann nicht danach streben? In Wahrheit, Herr Demarris, ich habe gestern dieselbe Bemerkung gemacht wie Sie. Ich fand, daß Napoleon dem schönen Fräulein auffällig den Hof machte, und glaubte auch zu sehen –“

„Was glaubten Sie zu sehen?“

„Daß es ihr durchaus nicht zuwider sei.“

Demarris’ Gesicht wurde dunkelroth und verzerrte sich zu einem Lachen, während seine Lippen zitterten. „O, warum nicht?“ rief er, „es ist wohl möglich, obgleich ich selbst dies nicht bemerkte.“

„Vielleicht täusche ich mich auch, und die schöne Beatrice dachte an einen ganz Anderen, während sie es duldete, daß Napoleon sie zu seiner Beute machte und nicht von ihrer Seite wich,“ sagte Pozzo di Borgo mit grausamem Spott.

„Das läßt sich hören,“ fiel der Lieutenant vergnügt ein.

„Es geschieht gar nicht selten, daß in solcher Manier ein Eifersüchtiger bestraft und geneckt werden soll.“

„Ei ja, das ist ein Gedanke, Herr Pozzo di Borgo. Sie haben Recht. Beatrice ist übermüthig, aber ich, was mich betrifft – O! ich würde niemals eifersüchtig sein, wenigstens nicht, was Bonaparte anbelangt.“

„Nun, Herr Demarris, man kann doch nicht wissen,“ fiel der Advocat warnend und bedenklich ein.

„Nein, hören Sie!“ rief Demarris, „ich achte und liebe Napoleon wie meinen besten Freund und habe vor seinen Kenntnissen allen Respect, aber was jungen Damen zu gefallen anbelangt, dergleichen Eigenschaften besitzt mein armer Bonaparte blutwenig.“

„Ich meine, wenn er will, kann er doch auch sehr liebenswürdig sein,“ sagte Carlo Andrea.

„Nun, er kann doch kein Anderer werden, als er ist,“ lachte Demarris. „Ich habe Manche schon über ihn spotten und witzeln hören, und nicht allein über seine kleine Gestalt, seine schiefen Schultern und sein scharfes Gesicht, noch mehr über seine Manieren, sein Benehmen und sein abstoßendes Wesen. Nein, nein, Herr Pozzo di Borgo, ich glaube nicht, daß der arme Bonaparte etwas zu hoffen hat.“

Pozzo di Borgo spielte mit dem Lieutenant wie die Katze mit der Maus. Er bestärkte zunächst dessen Eitelkeit durch schmeichelnde Winke, die ihm außerordentlich gefielen; als er ihn aber ganz getröstet sah und Demarris wohlgefällig seine angenehme Gestalt im Spiegel bewunderte, streckte er plötzlich wieder die Krallen heraus.

„Seien Sie doch nicht allzu sicher, mein lieber Herr,“ fing er an, „denn ich weiß zwar nicht, wie die Neigungen des schönen Fräulein von Colombier beschaffen sind, allein vergessen darf man niemals, daß die Liebe der Weiber die seltsamste Laune unter allen ihren Launen ist. Sie verschmähen zuweilen Männer mit den prächtigsten Gesichtern und schlankesten Körpern und beten dafür einen häßlichen, kleinen, widerwärtigen Gesellen an. Es begreift es Niemand, doch kommt es alle Tage vor und ist von den ältesten Zeiten an so gewesen. Wenn also Fräulein von Colombier die Laune hat, Napoleon zu lieben –“

„Aber sie hat diese Laune nicht!“ schrie Demarris.

„Ich weiß es freilich nicht, doch um so besser, wenn Sie überzeugt sind. Mir ist es fast vorgekommen, als bemerkte ich in ihren Augen zuweilen –“

„Was in ihren Augen?“

„Sehr zärtliche Blicke.“

Demarris sprang auf und ging hastig an’s Fenster.

„Wenn dies wirklich so wäre,“ sagte Pozzo di Borgo hinter ihm, „ja dann, mein bester Herr Demarris, würde Bonaparten die schiefe Schulter, und was ihm sonst zum Adonis fehlt, durchaus nicht schaden. Fräulein Colombier würde darauf schwören, daß er der schönste Mann in Valence, wo nicht gar in der ganzen Welt sei.“

Demarris wandte sich um, es war mit seinem Vertrauen vorbei. „Das wäre sehr übel für mich, Herr Pozzo di Borgo,“ sagte er stockend, „denn wenn Sie Recht hätten, so bliebe für Andere – für mich – nichts mehr zu hoffen übrig.“

„Da Sie gewiß sind, daß Fräulein Colombier keine so seltsamen Launen hat, wie sie dazu gehören, Bonaparte liebenswürdig zu finden, so haben Sie nichts zu besorgen. Was ihn selbst betrifft, so möchte ich glauben, daß Sie Recht haben, daß er –“

„Daß er sie nicht liebt!“ rief der junge Officier.

„Daß er trotz seiner Kälte gegen die Schönen doch heiße Leidenschaften besitzt und dabei klug zu rechnen weiß.“

[258] Demarris starrte ihn an.

„Nun,“ lachte Carlo Andrea, „hat Ihr Oberst denn nicht ganz verständig gesprochen? Ist das nicht eine sehr vortheilhafte Partie für einen jungen Lieutenant von einundzwanzig Jahren? Ist die Familie nicht von Einfluß? Wird der Schwiegersohn der Frau von Colombier nicht sehr bald Capitain sein, nach, Paris berufen werden und dort sein Glück machen können?“

„Ja, ja,“ murmelte Demarris, „das wird er. Er ist geschickt, ehrgeizig, kühn. Ich dagegen – ich!“ Er senkte seinen Kopf und fuhr fort: „O, Herr Pozzo di Borgo, daran habe ich niemals gedacht. Nicht an ihr Geld, nicht an den Familieneinfluß. Ich wollte nur sie, ihr Herz, dies allein, und es schien mir, als dürfte ich darauf hoffen.“

Pozzo di Borgo zuckte die Achseln, in seinem Lächeln lag ein verächtliches Mitleid. „Was berechtigt Sie denn, daran zu verzweifeln?“ erwiderte er. „Die Herzen der Frauen sind die Schlachtfelder für ihre Bewerber, und das Glück ist mit dem Muthigen. Wie es auch mit Bonaparte sein mag, kämpfen Sie mit ihm um die Gunst der schönen Dame, machen Sie ihm jeden Zoll breit Raum streitig und erringen Sie den Sieg. Ich glaube, er kann Ihnen nicht allzu schwer werden.“

Einige Augenblicke lang glänzte Demarris’ Gesicht vom erwachenden Stolz, aber dann erlosch dieser Glanz und er faßte Carlo Andrea’s Hand und drückte diese lebhaft. „Ich danke Ihnen, mein Herr,“ begann er, „vielleicht darf ich, sagen, mein Freund, wenn Sie es mir gestatten wollen, und dann habe ich eine Bitte, um welche ich Sie anspreche.“

„Ich soll Ihnen beistehen, nicht wahr?“

„Ja, das ist es. Suchen Sie von Bonaparte zu erfahren, ob er Beatrice liebt.“

„Erklären Sie sich ihm selbst, Herr Demarris, das dürfte besser sein.“

„Ich kann es nicht!“ rief Demarris. „Sprechen Sie kein Wort von mir, es darf von mir nicht die Rede sein.“ Leiser fuhr er fort: „Wenn er sie liebt, so ist es genug. Er ist mein Freund, er verdient es glücklich zu sein, und Beatrice – ich will ihr Glück niemals stören.“

„Sie sind ein vortrefflicher, großmüthiger Freund!“ sagte Pozzo di Borgo, aber diese bewundernden Worte hatten einen so schneidenden Beiklang, daß Demarris ihn forschend anblickte und lebhafter erwiderte:

„Ich weiß, was Ehre und Freundschaft mir gebieten. Wollen Sie meine Bitte erfüllen, Herr Pozzo di Borgo?“

„Ohne Zweifel, Herr Demarris; so gut ich es vermag, will ich Ihr Vertrauen rechtfertigen,“ erwiderte Carlo Andrea, indem er ihm freundlich die Hand schüttelte. „In einer Stunde will ich Bonaparte besuchen, wir haben es gestern so verabredet; dann sollen Sie Alles erfahren, was ich aus ihm herausbringen konnte.“

Demarris war damit zufrieden. Er drückte seinen Dank aus, stand dann noch eine Minute kämpfend mit seinen Gedanken und Gefühlen, bis er heftig ausrief: „Machen Sie es so, mein lieber Freund. Ich will ihn nicht beneiden, nicht zürnen, wenn er glücklicher ist, als ich. Leben Sie wohl, und – gute Geschäfte! Leben Sie wohl!“

Er entfernte sich rasch, und Pozzo di Borgo drückte die Thür zu, rieb sich die Hände und lachte leise vor sich hin. Er hatte etwas Katzenhaftes, wie er die Schultern hochgezogen und den Körper zusammengeduckt umherschlich, als wollte er einen plötzlichen Sprung thun. Endlich aber blieb er stehen, warf den Kopf in den Nacken und sagte: „So oder so, es bleibt sich gleich! – Wenn dieser sentimentale Pinsel ihm zu Leibe gegangen wäre, möchte es freilich noch besser sein oder wenigstens romantischer verlaufen. Welcher Triumph für das Fräulein von noblen Gefühlen, wenn ihre Anbeter um ihren Besitz auf Leben und Tod kämpfen, wie es in ritterlichen Zeiten Mode war! Schade darum, allein da die Degenstöße ausbleiben, muß er auch ohne diese glücklich werden.“

Er ging von Neuem auf und ab und fuhr dabei halblaut sprechend fort: „Geh’ nur hin und laß Dich von den Hofjunkern zum Helden machen. Das ist ein schönes Loos für die freiheitglühende Seele, von welcher Paoli so Großes erwartet. Wie wird er sich freuen und wie werden alle Corsen Dich verehren! Ich werde Dich glücklich machen, glorreicher Napoleon. Du sollst ein schönes, reiches Fräulein heirathen, sollst ein Aristokrat werden.

Was kann ich mehr für Dich thun? Sage mir Niemand, daß ich keine Freundschaft fühle. Gleich will ich mich auf den Weg begeben und es Dir beweisen.“

Rasch war er angekleidet und stieg nach kurzer Zeit die holprigen Treppen des Giebelhauses hinauf, wo Bonaparte wohnte, und als er die Thür leise öffnete, fand er ihn ganz so wie gestern an dem alten Schreibpulte in seiner Arbeit vertieft sitzen. Bei seinem ersten Gruße aber sprang Napoleon auf und kam ihm mit freundlichen Mienen entgegen.

„Sei willkommen, lieber Andrea!“ rief er, „ich, habe Dich so lange schon erwartet und an Dich gedacht, daß meine Arbeit nicht von der Stelle will.“

„Es wird doch wohl ein anderes Bild sein, das Dir vor Augen schwebt,“ lachte Pozzo di Borgo, „und Deine Gedanken in Beschlag nimmt.“

„Sonderbar,“ sagte Napoleon und faßte an seine Stirn.

„Mein Kopf ist wie ein Schrank mit zahllosen Kasten. Ich kann jeden leicht aufziehen und bis auf den Grund umherwühlen, so lange ich will. Sobald ich ihn aber zuschiebe, denke ich, nicht mehr daran, was drinnen ist, bis ich ihn wieder brauche.“

„Heute aber will sich der Kasten nicht zuschieben lassen, in welchem die Acten und Papiere einer gewissen jungen Dame liegen, mit welcher der Lieutenant Bonaparte einen wichtigen Proceß führt.“

„Das ist ein gewonnener Proceß, er macht keine Sorgen!“ rief Napoleon. „Nein, Andrea, es liegen mir einige Deiner Worte von gestern noch im Sinn. Du sagtest: wer weiß, ob dieser Strom in seinem Bette gehalten werden kann und wen er verschlingen wird. Glaubst Du, daß die Nationalversammlung unterliegt?“

„Nein,“ sagte Pozzo di Borgo, „ich glaube, daß sie zuletzt siegen muß.“

„Zuletzt?“

„Ich meine, daß der Widerstand, den die Reformen finden, nicht leicht zu überwinden sein wird.“

„Die Schwachköpfe!“ rief Napoleon. „Der König hat so viel schon gethan, daß er nicht mehr umkehren kann.“

„Sehr wahr, lieber Napoleon, es würde sehr gefährlich sein.“

„Er muß mit Necker gehen und mit der Nation!“ rief Napoleon. „Ich habe heute früh einen Brief an Necker geschrieben, zunächst entworfen. Denn ich bin entschlossen, ihm meinen Aufsatz über Corsica zu überreichen, wie er da ist, mit einem kurzen Schluß. Ich kann die Arbeit jetzt nicht weiter ausführen.“

„Ah,“ sagte Pozzo di-Borgo, „Du willst sie ihm selbst überreichen? Du denkst also bald nach Paris zu reisen?“

„Ja, das denke ich und ich wollte –“ er hielt inne und blickte seinen Landsmann argwöhnisch an. In Carlo Andrea’s klugen Augen schien es wie Spott zu glänzen, und seine Freundlichkeit sah nicht besser aus.

„Du wolltest, daß Du schon dort wärest, um mit Deinen Großthaten die Welt zu füllen?“ siel er ein. „Ja, mein lieber Napoleon, das ist ein anderer Proceß, der leichter verloren gehen kann.“

„Er wird nicht verloren gehen!“ rief der kleine Lieutenant stolz und ungeduldig. „Habe ich Gelegenheit mich auszuzeichnen, so wird es auch geschehen. In der Hütte geboren werden, in der Einsamkeit sterben, das ist das Loos zahlloser Menschen, die unter anderen Verhältnissen Helden und Könige geworden wären.“

„Gewiß hast Du Recht,“ sagte Pozzo di Borgo. „Du bist auf dem Wege ein Mann des Plutarch zu werden.“ Er unterdrückte seine geheime Lustigkeit und fuhr mit der einschmeichelnden Treuherzigkeit, die ihm zu Gebote stand, fort: „Das ist meine wahrhafte Ueberzeugung, lieber Napoleon, denn ich finde, daß das Glück Dich wunderbar sucht, und ich weiß nicht, was mir sagt, daß es Dich eben so treu begleiten wird.“

„Ja, das Glück! das Glück!“ rief Napoleon. „Ich will daran glauben, es soll mir dienen!“

„Und es kommt Dir entgegen in Gestalt einer reizenden Gottheit mit goldenen Händen; ganz wie die Alten es sich dachten,“ nickte Andrea. „Es kommt mir vor, als hättest Du diese liebliche Gottheit schon auf Deinen Knieen angebetet und das himmlische Bündniß abgeschlossen.“

Ein finsterer Blick antwortete ihm darauf. Napoleon schien sich einen Augenblick zu bedenken, dann aber sagte er mit frohem Gesicht: „Das ist nicht nöthig, Freund. Wie Cäsar komme ich, [259] sehe und siege, und pflücke die Blume trotz aller Hände, die sich danach ausstrecken mögen.“

„Und die Früchte auch,“ fügte Pozzo di Borgo hinzu, indem er sich gegen den Tisch wandte, auf welchem in einem offenen Papiere eine Anzahl großer, schöner Kirschen lagen. „O,“ lachte er, „da liegen sie schon reif und prächtig und – leugne es nur nicht – jedenfalls sind sie ein Liebespfand, mit zärtlichen Wünschen und Zaubersprüchen gepflückt.“

„Wohl möglich,“ antwortete Napoleon, „aber Du kannst sie versuchen.“

„Ich werde mich davor hüten,“ rief Andrea, „denn ich denke an unsere corsischen Sitten und Hexereien. Wenn Zwei, die sich lieben, eine Frucht theilen, so ist das ein heiliger Schwur; wenn aber ein Dritter auch nur Stiel oder Stein davon anrührt, so mischt sich der Teufel ein und bringt Verderben über Alle.“

„Thorheit!“ rief Napoleon, „ich halte mein Glück auch gegen alle Teufel fest. Es soll mir Keiner jemals nehmen, was ich besitzen will.“

„Armer Demarris!“ sagte Andrea und zuckte die Achseln.

„Was ist mit ihm?“

„Im Grunde nichts, denn er tröstet sich wie ein Sokrates.

Der arme Junge hat irgendwo erfahren, daß es mit seinen Einbildungen nichts ist und daß ein Anderer, dem er solche profane Absichten gar nicht zumuthete, ihm den Weg verrannt, auch wohl gar schon die Festung erobert hat, die, wie er glaubte, ihm allein ihre Thore öffnen würde.“

„Demarris ist ein Narr!“ rief Napoleon, indem er sich umwandte und hastig auf und ab ging.

„Aber ein vortrefflicher, großmüthiger Narr; einer der erhabenen Narren, die für den Freund nicht allein in den Tod gehen, sondern auch Heroen der Selbstverleugnung sind. Er würde sich von jedem tarpejischen Felsen stürzen und mit seinem letzten Seufzer Dich segnen. Vorläufig jedoch verlangt er nur Gewißheit über sein Schicksal; Gewißheit, ob sein bewunderter Freund liebt und geliebt wird, ob er somit das zärtliche Paar beglückwünschen darf.“

Napoleon war an dem offenen Fenster stehen geblieben und blickte auf die Rhone hinaus, wo unter den Bäumen versteckt das Landhaus lag. Seine Hände, die er aus den Rücken gelegt hatte, zucken zusammen, er schleuderte das lange schwarze Haar um seinen Kopf und wandte sich heftig um, indem er den spottenden Andrea durchdringend anblickte.

„Das ist edel und groß!“ rief er. „Demarris ist ein guter, braver Mensch!“

„Gewiß ist er das! Schade nur, daß diese Treue nicht belohnt werden kann.“

„Wodurch?“

„Durch einen Wettkampf von Edelmuth.“

„Was würdest Du thun, Andrea?“ fragte Napoleon.

„Wenn der Spaß aufhören soll,“ erwiderte dieser, indem er eine von den Kirschen vom Tische nahm, die Napoleon ihm angeboten hatte, „so ist eine Antwort überflüssig. Sentimentale Pinseleien, auch wenn sie den Anstrich rührender Tugend haben, dürfen uns niemals bestimmen, sie zu unserem Vorbilde zu machen oder wohl gar übertreffen zu wollen. Du bist jedenfalls in ganz anderer Lage, als Dein opferfreudiger Freund.“

„Ich kann ihm nicht helfen!“ sagte Napoleon heftig.

„Du wirst geliebt und liebst; welche übermäßige Narrheit wäre es also, in irgend einen Zweifel zu fallen!“

„Nein!“ rief Napoleon, und er blieb einen Augenblick nachsinnend stehen, darauf streckte er seine Hand aus und fuhr fort: „Ich speise heute bei Frau von Colombier, begleite mich und nimm Theil daran, ich lade Dich in ihrem Namen ein.“

„Du hast Auftrag dazu?“ fragte Pozzo di Borgo.

„Ja, und ich bitte Dich es anzunehmen.“

„Herzlich gern,“ sagte Andrea. „Ich wollte zwar heute noch abreisen, aber ich bleibe bis morgen, wenn es Dir angenehm ist.“

„So erwarte ich Dich und – und hoffe, Du sollst mit mir zufrieden sein.“

„Ah, ein entschlossener Sprung über den Rubikon!“ rief Pozzo di Borgo.

„Du wirst nicht erstaunen?“

„Nein, nein! Wirf Deine Würfel, ich will Dir den Becher halten und dem großen Wurfe Beifall klatschen! Ich hole Dich ab, sobald Du befiehlst.“

Nach einer raschen Verständigung ging Pozzo di Borgo fort und als er hinaus war, sagte er leise lachend: „So ist Alles in Richtigkeit. Die gescheidte Dame hat ihn heut in der Frühe eingefangen, eingeladen, und ich soll dabei sein. Er will mir zeigen, wie groß sein Glück, seine Liebesgluth und seine Klugheit ist, die sich so schön vereinigen. Mit dieser Neuigkeit beladen werde ich nach Ajaccio kommen! Wohlan denn, so will ich mich so festlich als möglich schmücken, um ein galanter Brautführer zu sein.“

Während dessen blieb Napoleon unruhig in seinem Zimmer zurück. Sein Kopf war voll Gedanken, sein Herz voll fieberheißem Blut. Er hatte in Andreas Gesicht das leise Zucken seines Spottes gelesen, hatte die lauernden Blicke wohl bemerkt, und in den lobenden, antreibenden Worten ahnte sein Mißtrauen die verborgene Falschheit. – War dieser Mann nicht der frühste, erste Feind, den er, so lange er denken konnte, gehabt? War er nicht in den Jugendspielen schon sein Nebenbuhler, in der Schule sein Nebenbuhler, in der Meinung der Menschen über die Befähigung dieser beiden alle anderen überragenden Knaben sein Nebenbuhler? Ihr Ehrgeiz hatte sie überall feindlich gegenübergestellt, sie beneideten, sie haßten sich, sie hatten sich grollend endlich getrennt. Doch seit dieser Zeit war Vieles anders geworden, beinahe zehn Jahre vergangen. Jetzt sahen sie sich einsichtiger als Männer wieder und hatten den kindischen Streit vergessen. Warum sollten sie sich noch hassen, warum, worüber noch Nebenbuhler sein? Der Advocat kehrte nach Ajaccio zurück, Paoli hatte ihm seine Freundschaft und Liebe geschenkt; doch ohne Zweifel dachte Carlo Andrea daran, jetzt in Corsica eine Rolle zu spielen, wohl gar eine politische Rolle, eine, die zu einem neuen Befreiungsversuche führte. War Gastori nicht auch ein Advocat gewesen, hatten Männer dieser Art, Richter und Rechtsgelehrte nicht zu allen Zeilen hervorragenden Antheil an der blutigen Geschichte dieses kleinen, verlassenen Inselvolks genommen?

Als Napoleon dies Alles in seinem Gedankenungestüm bedachte, lief er heftiger auf und ab mit zuckendem Gesicht das schwarze Haar um die finstere Stirn. Corsica war für seinen Ehrgeiz zu klein, doch wenn die Corsen, von Paoli, von diesem Pozzo di Borgo und anderen Anhängern der Nationalpartei aufgehetzt, die Aufruhrfahne aufpflanzten, die französische Partei niederschlügen, von Frankreich sich losrissen, Paoli’s Republik wieder einsetzen wollten – Nun und nimmer sollte und durfte das geschehen! Frankreich befand sich auf dem Wege zu großen und wichtigen neuen Gestaltungen. Necker, die Freunde der Freiheit, die Nationalversammlung, das Volk, das Heer – alle wollten sie, alle hofften darauf. Die hochmütigen Elemente des Hofes, des alten Adels strebten allein dagegen, aber was konnten sie thun? Sie mußten weichen und fallen. Standen nicht manche berühmte Namen, Männer aus den vornehmsten Familien schon bei der Volkssache? Die Lafayette, die Noallis, Mirabeau, Andere und er selbst, der kleine Lieutenant, er mit seinen Entwürfen, mit seinem Ehrgeiz! – Wenn er sich in diese große Bewegung stürzte, mit seinen Empfehlungen an die ersten Männer des Hofes, er würde sich Bahn brechen. Necker sollte ihn sehen, er sollte seine Entwürfe hören, der tugendhafte, große Minister, der Retter Frankreichs, der Liebling des Volks. In seiner begeisterten Stimmung glaubte er schon vor ihm zu stehen, und was er ihm sagen wollte, lief mit Gedankenblitzen durch sein Gehirn und gestaltete sich zu abgebrochenen Sätzen, die er rasch und wild mit rauher Stimme hervorstieß. Er war gewiß, daß er zu großen Dingen, zu großen Thaten bestimmt sei, er fühlte die Kraft dazu; er fühlte den Hauch des gewaltigen Geistes, der ihm zurief: „Du wirst mit Deinen Thaten die Welt erfüllen!“

Und wo gab es einen anderen Weg, als den, der vor ihm lag? Dies Liebesbündniß mit der Tochter eines alten, edlen Geschlechts war der Anfang, es war der erste Handschlag des Glücks. Und dieser mißgünstige, dieser lauernde Andrea mit seinem falschen Lächeln, mit seinem listigen Beifall, was wollte er?

„Ha! wenn –“ Napoleon stand still, die Begeisterung verschwand aus seinen Mienen. In dem Augenblick entstand ein Gepolter auf der Treppe. Es kam Jemand eilig die Stufen herauf, dann wurde die Thür aufgerissen, Demarris trat mit erhitztem Gesicht herein und lief auf Napoleon zu, der vor ihm zurückwich.

„Weißt Du es schon?“ rief Demarris heftig.

„Ja, mein Freund,“ erwiderte Napoleon, „beruhige Dich.“

[260] „Das sind Ereignisse, die Niemand ahnen konnte!“

„Es konnte Niemand sie ändern, weder ich noch Du.“

„Nein! aber was wird nun geschehen?“

„Demarris,“ sagte Napoleon, „ich kenne Dich, Du wirst immer das thun, was sich für Deinen edlen Sinn ziemt.“

„Wahrhaftig, das werde ich!“ rief Demarris freudig. „Du kannst Dich darauf verlassen.“

„Pozzo di Borgo hat mich so eben verlassen. Er theilte mir Alles mit.“

„So weiß er es auch schon. Der Oberst hat die Nachricht in diesem Augenblick erhalten.“

„Von wem?“

„Von dem Commandanten von Lyon. Von dem Grafen Barandon.“

„Von Lyon!“ sagte Napoleon und er betrachtete den Lieutenant mit Blicken voll Besorgniß. „Sei ruhig, mein armer Demarris, Du bist sehr aufgeregt. Laß uns kaltblütig bleiben.“

„Ei zum Henker!“ rief Demarris, „wer kann da kaltblütig bleiben? Das ist ein Ereignis;, das ganz Frankreich in fruchtbare Aufregung bringen muß. Du scheinst die Folgen nicht überlegt zu haben.“

„Ich habe Alles wohl überlegt, mein Freund.“

„Nun, so weißt Du vielleicht noch nicht Alles. Necker ist nicht allein abgesetzt und aus Frankreich verjagt, Paris nicht allein im Ausstande, auch die Bastille ist erobert. Die französischen Garden haben mit dem Volke gemeinschaftliche Sache gemacht, die deutschen Regimenter verjagt. Das Invalidenhaus wurde geplündert, dreißigtausend Gewehre, alle Kanonen vom Volke genommen, die Schweizer in der Bastille wurden niedergeschossen, General Delauncy, der Commandant, ermordet. Sein blutiger Kopf, seine Hände, der Kopf Flosselle’s, des Handelsgerichts-Prasidenten, wurden auf Piken durch die Straße getragen.“

Napoleon hörte stumm diese wunderbare, schicksalsvolle Neuigkeit, doch nichts verrieth seine Ueberraschung. Er stand mit verschränkten Armen, unbeweglich, seine Augen weit geöffnet.

„Die Revolution hat begonnen!“ sagte er, als Demarris schwieg.

„Eine Nationalgarde hat sich in Paris gebildet, Lafayette ist an ihrer Spitze,“ fuhr Demarris fort. „Die Armee ist zurückgezogen, sie soll aufgelöst, Broglie entlassen werden. Nationalgarden entstehen überall.“

„Das Volk wird siegen!“ rief Napoleon. „Die Revolution wird siegen!“

„Wie wird sie enden!“

Napoleon antwortete nicht, er blickte über die Rhone hinaus. „Sind diese Nachrichten schon in Valence verbreitet?“ fragte er.

„Noch nicht, man verheimlicht sie noch, um Maßregeln zu berathen, möglichen Unruhen vorzubeugen. Aber wie lange soll das währen? Kaum ein paar Stunden.“

„Höre, Demarris!“

„Was willst Du, lieber Napoleon?“

„Schweige gegen Jedermann.“

„Das will ich Dir versprechen. Auch der Oberst hat es mir befohlen. Es giebt manche unruhige Köpfe, selbst im Regimente, die ihm Sorge machen, aber diese – diese haben jetzt an andere Dinge zu denken.“ Er warf einen halb freundlichen, halb scheuen Blick auf den Freund. Napoleon schien nichts zu hören und nichts zu bemerken.

„Komm in einer Stunde wieder her zu mir, Demarris,“ sagte er, „ich habe Dir etwas mitzutheilen. Etwas Wichtiges, das uns Beide angeht.“

„Ah!“ rief Demarris, und eine plötzliche Nöthe schoß über sein Gesicht. „Du willst mir mittheilen – ich werde kommen, Bonaparte, doch ich sage Dir –“

„Jetzt laß mich allein!“ unterbrach ihn dieser. „Geh! geh! lieber Demarris.“

Diese letzten Worte wurden so bewegt und mit solcher Hast hervorgestoßen, daß Demarris verstummte und sich entfernte. Kaum war er hinaus, so warf Napoleon den Rock ab, die Uniform über, steckte den Degen an und drückte den Hut auf sein wirres Haar. So folgte er Demarris rasch nach.



5.


Nach einer Stunde kam Pozzo di Borgo. Er hatte sich sauber angekleidet und blieb erstaunt stehen, als er Bonaparte an seinem Schreibpulte fand, wo er Papiere, Karten und Bücher zusammenräumte. Um ihn her lag Alles in Unordnung. Ein großer Kasten stand neben dem Pulte, in der Mitte des Zimmers ein Koffer, Kleider und Wäsche lagen auf den Stühlen, sammt allerlei anderen verschiedenartigen Dingen.

„Ein interessantes Bild der babylonischen Verwirrung!“ lachte Pozzo di Borgo. „Aber warum bist Du noch nicht im Staat?“

„Setze Dich, Carlo, ich muß nothwendig erst damit fertig sein,“ antwortete Napoleon, „und Ordnung schaffen.“

„Ein Hausvater muß an Ordnung denken, aber was sollen Koffer und Kisten? Das sieht aus, als wolltest Du reisen.“

„Es kann wohl so sein,“ nickte Napoleon freundlich.

„Heute noch?“

„Ich glaube es beinahe.“

„Also bist Du auch dessen schon sicher, lieber Napoleon? Es ist Alles entschieden?“

„Entschieden für immer, Carlo. Du sollst es erfahren, gedulde Dich nur noch kurze Zeit.“

„Du hast Recht,“ sagte Carlo Andrea, „wer das Glück vor sich sieht, muß nicht zögern, es zu benutzen. Was wird aber aus Deiner Geschichte Corsica’s werden?“

„Sie muß unvollendet bleiben.“

„Das ist schade, doch wohlbedacht, denn in Deinen neuen Verhältnissen würde diese Arbeit vielleicht nicht passen.“

„Ich kann damit warten,“ erwiderte Napoleon, und seine Augen glänzten muthwillig, „bis die nächsten Jahre Stoff zu einigen neuen interessanten Capiteln liefern, was doch wohl zu erwarten ist.“

„Wirklich, es kann so kommen!“ rief Pozzo di Borgo, „und möglich genug, daß Du dann das Ganze umarbeiten mußt.“

„Wenn ich Zeit dazu habe!“ lachte Napoleon und packte eifrig weiter. „Aber ich fürchte, lieber Carlo, daß ich sobald nicht wieder dazu gelange.“

„Weil andere Thaten Dich rufen! Du siehst sehr heiter aus, Napoleon. Bedenkst Du nicht auch, was Du hier zurücklassen mußt?“

„Gewiß bedenke ich es,“ sagte Bonaparte und warf den Kopf in die Höhe. „Aber bin ich dazu geschaffen, bei einem Weibe zu sitzen und ihr die weißen Hände zu küssen?“

„Der neue Cäsar, den die Welt erwartet!“ lachte Andrea.

„Erst der Ruhm, dann die Liebe!“ rief “Napoleon. „Erst das Volk, dann die Familie. Das macht mich frei und leicht und nimmt alle Zweifel von mir, mein lieber Carlo. Und jetzt bin ich fertig, und hier kommt Demarris. Hierher, mein Freund, Du kömmst zur rechten Zeit. Erzähle ohne Zurückhaltung, was Du gehört hast; Pozzo di Borgo wird so erfreut darüber sein, wie wir es sind.“

„Daß Paris im Ausstande und die Bastille erstürmt ist, rufen sich die Leute schon auf den Straßen zu,“ sagte Demarris.

„Wahrhaftig!“ rief Andrea, „ist es so weit?“

„Aber die nächste Nachricht ist die,“ fuhr der Lieutenant fort, „daß Necker zurückgerufen ist und von Paris mit Begeisterung erwartet wird.“

„Was sagst Du dazu?“ fragte Bonaparte.

„Du wirst zur glücklichen Stunde erscheinen, um den tugendhaften Minister einziehen zu sehen,“ erwiderte Andrea. „Ich bin überrascht und erstaunt zwar, doch es ließ sich voraussehen, es mußte so kommen. Der König kann jetzt keinen Widerstand mehr leisten, er wird sich in die Arme des Volkes werfen.“

„Aber das Volk nicht mehr in seine Arme!“ rief Napoleon.

„Die Revolution ist da, die Armee aufgelöst. Jetzt gilt es bei Volk und Vaterland zu stehen.“

„Dazu wirst Du Gelegenheit genug finden, mein lieber Napoleon.“

„Ich habe sie! ich bin dabei!“ schrie Bonaparte, ergriff Demarris beim Arm und sah ihn mit seinen schwarzen, funkelnden Augen durchdringend an. „Ich fordere von Dir einen großen Freundesdienst,“ begann er, „doch ich weiß, daß ich mich auf Dich verlassen kann.“

„Fordere was Du willst, Bonaparte,“ erwiderte Demarris, während sein Gesicht sich dunkel röthete. „Ich bin bereit.“

[261] „Begieb Dich zu Frau von Colombier, sie erwartet in mich. Willst Du?“

„Ich will, Bonaparte.“

„Sage ihr, ich könnte nicht erscheinen.“

„Wann willst Du kommen?“ fragte Demarris.

„Niemals! In einer halben Stunde fahre ich die Rhone hinab nach Marseille, von dort nach Corsica, nach Ajaccio; ich weiß nicht, wann ich zurückkehren werde. Ich habe meinen Urlaub vom Obristen geholt, habe ihn sofort erhalten. So geh, lieber Demarris, geh und entschuldige mich. Sage ihnen, daß meine Pflicht mich forttrieb, die Pflicht gegen mein Vaterland, daß ich ihr folgen muß, daß mein Schicksal es so will, daß ich nicht anders kann!“

Demarris stand erstarrt. „Napoleon!“ rief er endlich verwirrt und warnend, „hast Du nicht auch andere Pflichten?“

„Keine, die mich abhalten könnte, dieser höchsten und ersten zu folgen, keine, die mich zwänge, sie zu vergessen. Ich habe einen schönen Traum geträumt, dabei muß es bleiben. Ich bin nicht für Weiberliebe geschaffen, Demarris, Du hast es mir oft gesagt und Du hast Recht. Ich bin auch kein Gegenstand, der Unglück und Verzweiflung anstiftet. Fort also, mein Freund; sei glücklich, Du wirst es sein!“

Demarris war noch immer betäubt, aber er lächelte bei den Betheuerungen Napoleons über seinen Beruf zur Liebe. „Ich werde Dich entschuldigen,“ sagte er, „werde Dich vertheidigen.“

„Gut, gut, richte es zum Besten ein, wie es für Dich und mich paßt, und lebe wohl, bis wir uns wiedersehen!“ rief Bonaparte, und indem er ihn umarmte, trieb er ihn fort und kehrte nachdenklich dann zu Pozzo di Borgo zurück.

Seine Arme verschränkend und ihn fest anblickend, blieb er vor ihm stehen, der sich niedergesetzt hatte und anscheinend in vollkommener Ruhe den Rest der Kirschen verspeiste, welche noch auf dem Tische lagen.

„Du begreifst,“ sagte Napoleon, „daß dies so sein muß.“

„Die Speculation drohte schlecht auszufallen,“ lächelte Andrea.

Napoleons Gesicht wurde gelbgrauer. „Liebe!“ rief er, „Du hörtest, was ich darüber sagte. Es ist eine untergeordnete Leidenschaft, die beherrscht und überwunden werden muß, wenn die edelsten und höchsten menschlichen Tugenden es gebieten.“

„Ich kenne sie nicht, mein lieber Napoleon,“ erwiderte Pozzo di Borgo sanftmüthig die Achseln zuckend, „weiß auch nicht, ob ich sie jemals kennen lernen werde. Doch was ich von ihr gehört habe, läßt mich beinahe glauben, daß sie der reinste und edelste Quell alles Göttlichen sei. Es giebt jedoch nichts, was nicht zum Zerrbild verunstaltet und lächerlich gemacht werden könnte.“

„Sie wird mich bald vergessen und einsehen, daß ich recht gethan,“ antwortete Napoleon mit unterdrückter Heftigkeit. „Unter diesen plötzlich eingetretenen Verhältnissen würde die kluge Mutter schnell anderen Sinnes geworden sein. In Paris ist keine Empfehlung für mich mehr möglich, und wenn ich ihr erklärt hätte, daß ich nach Corsica wollte, um dort für die Sache des Volkes einzutreten, würde sie so wenig wie Beatrice daran Gefallen gefunden haben.“

„Sie könnten wohl andere Vorschläge machen,“ erwiderte Pozzo di Borgo und blickte ihn an.

„Dies aber bleibt mir jetzt allein über,“ fuhr Napoleon rascher fort. „In Corsica werden bald zwei große Parteien sich bekämpfen.

Die Partei, welche die Corsen bei der Freiheit und bei Frankreich erhalten, und die, welche sie in die alte Wildheit und Verlassenheit zurückreißen will.“

„Zu ihrem uralten Rechte und ihrer Unabhängigkeit,“ sagte Andrea.

„Unabhängigkeit!“ rief Napoleon, „wohin hat sie geführt? Zu Mord und Elend.“

„Der Präsident wird zurückkehren,“ antwortete Andrea, „und sein Werk vollenden.“

„Was wird er aus Corsica machen? Ein Stückchen Erde voll Herren und Knechte, von Advocaten regiert, vielleicht wohl gar zuletzt unter englischen Schutz gestellt und aufgesogen von diesen Krämern.“

„Immer bester,“ sagte Andrea, „als eine Beute von Speculanten, denen Alles feil ist, selbst Freiheit und Vaterland, wenn sie dadurch ihre Zwecke erreichen können.“

Napoleons Gesicht erstarrte noch mehr. Ein Zucken lief dabei um seine Lippen, er konnte sich kaum noch beherrschen. „Wir werden uns in Ajaccio wieder begegnen,“ sagte er.

„Es ist schade, daß wir nicht zusammen reisen können, Napoleon. Aber ich muß nach Paris, um zu sehen, was für des Präsidenten Zurückberufung aus der Verbannung gethan werden kann.“

„Und dann, Carlo Andrea?“

„Dann wird Corsica wieder ein Haupt und eine Seele haben.“

„Er, der Greis!“ schrie Napoleon, „aber Du, sein Arm und sein Geist neben ihm.“

„Wenn ich zu seinem Ruhme beitragen kann, will ich gewiß nicht fehlen.“

„Das war es?“ rief Napoleon, und eine corsische Gluth loderte in seinen Augen auf. „Darum wolltest Du mich in Frankreich wohl versorgt zurücklassen?“

„Ein Franzose muß in Frankreich am glücklichsten sein,“ lächelte Pozzo di Borgo, „und nach Allem, was Du als wahr und gewiß betheuertest, ertheilte ich Dir den verlangten Rath offen und ehrlich.“

„Ehrlich!“ versetzte Bonaparte verächtlich, „laß uns offen und ehrlich sein. Deine Theilnahme für mich war Falschheit, ich verstehe Deine Zwecke. Seit wir denken können, hassen wir uns, und dieser Haß wird uns begleiten, so lange wir leben.“

„Wer weiß das, mein lieber Napoleon?“ sagte Andrea.

„Ich!“ erwiderte dieser heftig, „ich! Wir werden uns in Corsica schnell wieder gegenüber stehen.“

„Wir werden Beide für die Freiheit kämpfen.“

„Du für die Freiheit, wie sie Paoli im Sinne hat, ich für die Freiheit des Menschengeschlechts, für die Grundsätze der Revolution! Du wirst davon abfallen. Du hassest diese Lehren, Du hassest Frankreich und hassest mich.“

„Und Du,“ antwortete Carlo Andrea, „Du liebst nur Dich, nichts Anderes auf Erden. Diese glühende Selbstsucht wird der Strom sein, der Dich verschlingt.“

„Ha!“ rief Napoleon, „Du wirst Corsica und Paoli verlassen, wirst den Despoten Dich in die Arme werfen und ihr Werkzeug werden. So wirst Du enden!“

„Und wie wirst Du enden? “ fragte Andrea.

Sie standen sich Beide gegenüber und blickten sich mit starren, durchbohrenden Augen an, als läse der Eine in der Seele des Andern, und vor ihnen enthüllte sich die Zukunft in wunderbaren und schrecklichen Bildern.

„Laß uns scheiden,“ sagte endlich Napoleon kalt. „Wir werden Beide thun, was wir vermögen, und werden erfahren, was uns bestimmt ist. Geh’ Deinen Weg, Carlo, aber hüte Dich. Es kann sein, daß ich Dich einst erschießen lasse.“

„Ich werde Dich nicht tödten, Napoleon,“ erwiderte Pozzo di Borgo mit seinem steckend scharfen Lächeln, „aber ich werde Dir Dein Grab graben. – Lebe wohl!“


Und sechsundzwanzig Jahre später stand der russische General und Minister Carlo Andrea Pozzo di Borgo in seinem glänzenden Cabinet in Paris und hielt in der Hand ein Papier, das er mit demselben scharfen Lächeln betrachtete. Es war die Bestätigung über des gefangenen Kaisers Napoleon Schicksal. Pozzo di Borgo vornehmlich hatte seine Fortführung nach St. Helena gefordert und durchgesetzt.

„Ich habe gehalten, was ich ihm versprochen,“ sagte er. „Wir thaten Beide, was wir vermochten, das Schicksal hat über uns entschieden. Ich trieb ihn aus Corsica und ließ ihn verbannen, seine Anhänger vertrieben mich. Aber ich durchwanderte Europa, ihm Feinde aufzuwecken; ich war es, der die Cabinete zum Krieg trieb, ich schürte den Haß der Fürsten und der Völker, ich trieb Bernadotte zum offenen Bruch mit ihm, ich bewog die Feldherrn zum raschen Zug auf Paris. – So stieß ich ihn vom Throne, stieß seinen Sohn aus Rom und jetzt – habe ich ihn nach Helena gebracht. Dafür hat er mich gehaßt und verfolgt,“ fuhr er fort, „gefürchtet und bedroht wie keinen Anderen. An ihm lag es nicht, wenn sein Gelöbniß nicht zur Wahrheit wurde. [262] Was hätte er darum gegeben, mich in seine Gewalt zu bekommen? was hätte er gethan, wenn Kaiser Alexander sein dringendes Verlangen erfüllt und mich ihm ausgeliefert hatte? Er hätte mich erschießen lassen!“ flüsterte er hohnvoll und einen schrecklichen corsischen Triumph gesättigter Rache in den düsteren Augen fügte er hinzu: „Dafür habe ich ihn nicht getödtet, aber sein Grab habe ich gegraben und habe jetzt die letzte Schaufel Erde auf ihn geworfen!“




  1. Wir veröffentlichen heute die letzte Arbeit dieses jüngst verstorbenen Autors. Als ob es wie eine Ahnung seines baldigen Todes über ihn gekommen, nannte er das letzte Product seiner Muse: „Am Scheidewege“. – Mit ihm ist einer unser besten Novellisten und ein treuer, ehrlicher Patriot geschieden.
    D. Redaction