Textdaten
<<< >>>
Autor: Heinrich Stümcke
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Am Schalter
Untertitel:
aus: Die zehnte Muse. Dichtungen vom Brettl und fürs Brettl. S. 346–347
Herausgeber: Maximilian Bern
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1904
Verlag: Otto Eisner
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons = Google-USA*
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[346]

Am Schalter.

Stand ich da jüngst an der Bahnhofskasse.
– Telegraphisch nach X ich berufen war. –
Am Schalter vor mir ein junges Paar.
»Nach München zwei Karten, erster Klasse.«

5
Nach München! In diesem Augenblick

Flog weit meine Seele wie im Traum zurück.
Und Bilder so bunt und mannigfach,
Sie wurden im Geiste mir wieder wach.
Ich sah ihn wieder, den Frühlingstag!

10
Wie sonnig die Stadt da vor mir lag!

Sah wieder mich durch die Propyläen
Voll Staunen und Wonne das erste Mal gehen.
Wie damals möchte ich noch einmal
Hinein in den alten Rubenssaal

15
Und schauen die blühenden weissen Leiber

Der prächtigen Menschen und Götterweiber,
Und Tizians erhabne Majestät,
Die noch so lebendig vor mir steht,
Samt den Lenbach, Uhde und Gabriel Max

20
Und dem lieben Phantasten in der Gallerie Schacks.

Wie ferne Musik umspielts jetzt mein Ohr!
Ha, die flotte Kapelle der Gardes du Corps –
Den Einzug der Gäste hör’ ich aufs neu
Wie am Sommerabend im Löwenbräu. –

25
An die Isar gepeitscht vom Frühlingssturm,

An die Frühschoppenstund’ am chinesischen Turm,
Unsre lustigen Reiterkavalkaden,
Auf der Ludwigsstrasse die schmucken Paraden,
An die Bergbesteigung im Frühlingsschnee,

30
An die wonnigen Nächte am Starnbergersee,

An Waldesrauschen und Herdengeläute
Und tausend anderes dachte ich heute.
Auch jene Nacht fiel wieder mir ein,
Wo wir wartend standen im Fackelschein.

35
Wie jauchzten ihm unsere Herzen zu,

Dem herrlichen Alten von Friedrichsruh!
Wie leuchtete da ein Feuermeer
Die dichtgefüllten Strassen einher!
Und dann vor dem festlichen Malerhaus,

40
Aus tausend Kehlen, welch Jubelbraus,

Und die warmen Grüsse des alten Recken,
Ein Blumenwerfen und Händestrecken.

[347]

Wie freundlich strahlte sein greises Gesicht
In unsrer Fackeln grellblutigem Licht,

45
Und ein Hauch aus vergangenen grossen Zeiten

Schien segnend uns alle da zu umbreiten.
Und weiter sann ich … »ich bitte den Herrn
Dringend, den Eingang nicht länger zu sperr’n«.
Ich fuhr zusammen – verschwunden der Traum!

50
Ich stand ja nur vor dem Kassenraum.

»Eins dritter Klasse nach Posemuckel!«
Suchend krümmt der Beamte den Buckel
Und nimmt vom alleruntersten Bord
Die staubige Karte – die erste – fort.

55
Und draussen hör’ ich den Schaffner schrei’n:

»Zwei erster nach München? Bitt’, hier herein.«


Heinrich Stümcke.