Textdaten
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Autor: Albert Moeser
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Titel: Am Bodensee
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aus: Die Gartenlaube, Heft 6, S. 100, 101
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1876
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[100]

 Am Bodensee.

Das Dampfroß braust am Gestade entlang,
Ueber dem Wasser hallt Sturmgesang.
Die in Spiegelglätte noch eben schliefen,
Die Wogen, sie steigen herauf aus den Tiefen,

5
Sie schwellen und bäumen sich Bergen gleich,

Nahen sich rollend dem Uferdeich,
Recken empor sich wie graue Gespenster,
Schleudern den Gischt in’s Wagenfenster,
Sinken zurück dann mit Donnerhall

10
In den Fluthenschwall.


     Wohl! Ich verstehe das wilde Grollen
Der Wasserberge, der aufruhrtollen;
Die Wogen, sie können es nimmer vergessen,
Daß sie die Herrschaft einst besessen,

15
Daß sie den ganzen Erdenball

Vordem umschmiegt mit brausendem Schwall.
Doch aus der Wasser umfangendem Schooß
Rang, mälig sich hebend, das Land sich los.
Sie sahen, verdrängt, in Höhen und Gründen

20
Tausendfältig sich Leben entzünden

Und reicher stets aus des Stoffes Schranken
Gestaltet ersteh’n der Schöpfung Gedanken.
Der Zauber der Formen, Farben und Töne
Schmückte die Flur mit harmonischer Schöne,

25
Der Thiere Geschlechter erfüllten das Feld,

Und der Mensch ward geboren als Herr der Welt.

     Das ist es, weshalb die neidischen grollen
Und schäumend wider die Ufer rollen,

[101]

Sie möchten ersäufen das grüne Land,

30
Begraben das Werk der Menschenhand,

Sie hassen die Form und die Weltvernunft,
Ersehnen des Chaos Wiederkunft,
Möchten in lebenvertilgender Schlacht
Stürzen das All in die alte Nacht.

35
     Aber es wüthet umsonst die Welle;

Wir jagen vorbei mit siegender Schnelle,
Und heute noch von des Rigi Spitzen
Seh’ ich die Häupter der Alpen blitzen,
Wie sie sich baden im Lichtazur,

40
Ein Wunder wie keins auf irdischer Flur.

Und wenn mir frohlockend die Seele schwillt,
Dann zaubr’ ich hervor ein anderes Bild:
In Schönheit strahlend und Harmonie
Steigt mir herauf vor der Phantasie

45
Reizumflossen die süßeste Frau,

Und weilt sie auch fern in nordischer Au,
Ihr Bild steht leibhaft vor mir da
Und ewig ist es im Geist mir nah,
Und berauscht von Natur und Menschenschöne,

50
Ergießt sich mein Herz in Jubeltöne

Und spottet der finsteren Urgewalten,
Die hassend verfolgen des Lichtes Gestalten,
Und höhnt, von Entzücken vollgesogen,
Euren Grimm, ihr Wogen.

55
Wohl weiß ich: einst werdet ihr siegen

Und wieder wie anfangs das Erdreich umschmiegen.
Was lebt, das bringt ihr in grimme Noth,
Und über den Erdball schreitet der Tod,
Die Sonne verliert einst Gluth und Glanz,

60
Es endet um sie der Planeten Tanz,

Sie neigen sich matt in den Sonnenball
Und verschwinden im All.

     Doch eh’ sie hereinbricht, die Weltennacht,
Flammt noch durch Aeonen des Himmels Pracht;

65
Die Erde rollt lang noch in sicheren Bahnen,

Und wie sie auch grollen, der Tiefe Titanen,
Die Schönheit bleibt sich’rer Besitz der Welt,
Und ehe der Erdball in Trümmer fällt
Und das Menschenauge, das letzte, bricht,

70
Geht manches Geschlecht noch am goldenen Licht,

Millionen noch schwelgen im Grün der Au,
Schau’n aufwärts von Bergen in’s Aetherblau,
Millionen noch werden aus Frauenaugen
Nimmerermess’nes Entzücken saugen

75
Und, selig durchglüht vom höchsten der Triebe,

Aufjauchzen in heiliger Liebe.

 Albert Moeser.