Alterthümer, Geschichten und Sagen der Herzogthümer Bremen und Verden/St. Willehad, der erste Bischof von Bremen

Eine Scene aus dem Zuge der Sachsen nach Britannien Alterthümer, Geschichten und Sagen der Herzogthümer Bremen und Verden (1856)
von Friedrich Köster
St. Ansgar, der erste Erzbischof von Bremen
[47]
6.
St. Willehad, der erste Bischof von Bremen.

Der heilige Willehad, welcher als erster Bischof von Bremen bis auf den heutigen Tag in wohlverdientem Andenken steht, gehört zu den ältesten Aposteln des Christenthums im nördlichen Deutschland. Geboren in der Provinz Northumberland in England, stammte er von einer der altsächsischen, vor Zeiten eingewanderten Familien. Seine Erziehung und Ausbildung verdankt er nächst seinen Eltern vorzüglich dem berühmten Lehrer Alcuin, der seiner mit großer Theilnahme in seinen hinterlassenen Schriften gedenkt. Ungefähr um das Jahr 770, unter der Regierung des Königs Alred, kam er, von glühendem Eifer für das Christenthum getrieben, als Heidenbekehrer über das Meer in das Land seiner Vorfahren, und begann seine Missionsthätigkeit zuerst in Dockum, in Friesland, an derselben Stelle, an welcher wenige Jahre vorher der heilige Bonifacius den Märtyrertod erlitten hatte. Die Bekehrung schritt hier zu seiner Freude bald zusehends fort; viele Heiden ließen sich von ihm taufen, und mehrere edle Familien des Volks vertrauten ihm ihre Kinder zur Erziehung und zum Unterrichte an. Als ihn aber der Eifer, einen bisher noch gänzlich heidnischen Boden aufzusuchen, in das Gebiet von Gröningen, im heutigen Friesland, trieb, erregten seine Vorträge die Wuth des dem Götzendienste leidenschaftlich ergebenen Volkes, und kaum entging er der Ermordung durch einen Götterausspruch, welchen die heidnischen Priester nach der Anwendung des Looses verkündigten.

Nachdem sich Willehad aus dieser äußersten Lebensgefahr wie durch ein Wunder unversehrt gerettet sah, [48] begab er sich von da in die Provinz Drenthe, wo seine Vorträge zwar ungehinderten Eingang fanden, der blinde Eifer seiner Begleiter aber in Kurzem Alles wieder verdarb. In größter Erbitterung über die gewaltsame und unbesonnene Zerstörung ihrer heidnischen Heiligthümer traten die Bewohner der Gegend zusammen, stürzten sich über die christlichen Missionare her, tödteten mehrere derselben und erwiederten die besänftigenden Worte des ihnen friedlich zuredenden Willehad mit harten Schlägen, wobei einer der heftigsten Widersacher unter den Heiden sogar mit dem Schwerte auf ihn einhieb, um ihn zu tödten. Auch würde sicherlich der gegen ihn ausgeführte Schlag tödtlich geworden sein, wenn derselbe nicht glücklicher Weise durch einen ledernen Riemen aufgehalten wäre, vermittelst dessen Willehad eine Kapsel am Halse trug, in welcher er stets nach der Sitte der Zeit Reliquien zum Schutze bei sich unter seiner Kleidung führte. Als ihn die abergläubischen Heiden durch diesen ihnen unbekannten Umstand gerettet sahen, standen sie, so wüthend sie auch waren, sofort von ihrem Angriffe ab, weil sie ihn durch eine höhere Macht geschützt glaubten.

Mittlerweile hatte Karl der Große von Willehads unerschrockener Wirksamkeit gehört. Er rief ihn daher im Jahre 781, als er die Sachsen für hinlänglich besiegt hielt, zu sich, und übertrug ihm die Verkündigung des Christenthums an der untern Weser, in dem ausgedehnten Gaue Wigmodi, wo außer den Sachsen auch die benachbarten Friesen seiner Fürsorge übertragen wurden, und später der Kirchensprengel von Bremen entstand. Zwar hatte er anfangs nur die Stellung eines Presbyters, weil das Volk, wie ausdrücklich bemerkt wird, keine Bischöfe als fränkische Beamte unter sich dulden wollte; dessenungeachtet richtete er in seinem übrigens völlig selbstständigen Wirkungskreise durch seinen besonnenen Eifer während einer zweijährigen Thätigkeit für die Verbreitung des Christenthums bei den heidnischen Sachsen mehr aus, als dem siegreichen Frankenkönige Karl durch gewaltsame Maßregeln möglich gewesen war. Denn es wurden durch ihn in der kurzen Zeit nicht nur viele friesische und sächsische Familien für den christlichen Glauben gewonnen, sondern sogar auch [49] einige Gemeinden und Kirchen an der Unterweser gegründet, bei denen er geeignete Priester zur regelmäßigen Besorgung des Gottesdienstes anstellte.

Indessen wurden diese erfreulichen Fortschritte des Christenthums schon im Jahre 782 unerwartet durch einen neuen, vom Sachsenherzoge Wittekind angestifteten Aufstand unterbrochen, welcher sich weit und breit über Norddeutschland erstreckte und erst im Jahre 783 mit der Schlacht an der Hase im Osnabrück’schen endete. Auch das sächsische Wigmodien hatte an diesem Aufstande und der Verfolgung der Christen theilgenommen. Der fromme Willehad, welcher sich noch zeitig genug der Wuth der Empörer zu entziehen gesucht und seinen Weg durch das Butjadinger, damals Rustringen genannte, Land genommen hatte, entkam zwar, wenn auch nur mit Mühe, doch glücklich zu Schiffe nach Friesland; allein mehrere seiner Gefährten und Begleiter, namentlich ein Presbyter Folcard und ein Graf Emming im Gaue Leri, in der Gegend von Delmenhorst, ein Benjamin im Oberriustrigau an der Weser, ein Arteban im Ditmarschen und ein Gerwal in Bremen, unterlagen nebst vielen Anderen dem Schwerte der Feinde. Höchst wahrscheinlich trugen diese grausamen Niedermetzelungen wehrloser Christen Vieles dazu bei, den schon längst durch andere Ereignisse erregten Unwillen Karl’s des Großen gegen die Sachsen in einem solchen Grade zu steigern, daß er bald darauf 4500 derselben bei Verden an der Aller schonungslos hinrichten ließ.

Um in diesen Bedrängnissen am Stuhle des heiligen Petrus Trost und Aufrichtung für sich zu suchen, benutzte Willehad die Zwischenzeit bis zur Wiederunterwerfung des Sachsenlandes zu einer Fahrt nach Rom, der Hauptstadt der Christenheit, wo er wahrscheinlich mit dem Glaubensboten Liudger, der aus demselben Grunde, wie er, außer Thätigkeit war, zuerst zusammentraf und ein dauerndes Freundschaftsbündniß schloß. Beide fanden bei dem Pabste Adrian liebreiche Aufnahme und ermuthigenden Zuspruch. Willehad begab sich sodann, während sein Freund Liudger nach Monte Cassino ging, um in den Orden der Benediktiner zu treten, nach Deutschland zurück und ließ sich [50] in Epternach bei Trier, einem Kloster aus des heiligen Willibrords Stiftung, nieder, wo sich allmählich auch seine zerstreuten Schüler wieder um ihn sammelten. Nachdem er hier zwei Jahre lang, theils mit Andachtsübungen und Lesen, theils mit schriftstellerischen Arbeiten und dem Abschreiben der Briefe des Apostel Paulus beschäftigt, ein von der Außenwelt abgeschlossenes beschauliches Leben in Ruhe geführt hatte und Vielen durch Lehre und Wandel ein Segen geworden war, rief ihn Karl der Große nach der Taufe Wittekind’s im Jahre 785 wiederum nach Sachsen zu neuer Thätigkeit an der Unterweser zurück.

Ungeachtet der Beschwerlichkeit der Reise eilte Willehad noch im Winter desselben Jahres nach Eresburg, dem jetzigen Stadtberg oder Marsberg an der Diemel in Westphalen, wo der König damals sein Hoflager hielt. Hier freundlich aufgenommen, empfing er auf’s Neue den Auftrag, in das verwais’te Wigmodien zu ziehen, die störrigen Sachsen zu bekehren und zu taufen, die zerstörten Kirchen wieder herzustellen und neue aufzubauen. Da seine Stellung als christlicher Lehrer selbst nach der Wiederunterwerfung der Sachsen immer noch eine unsichere und gefahrvolle blieb, so verlieh ihm der König nach hergebrachter Weise die Abtei des alten begüterten Klosters Justina (Mont-Jütin) in Oberburgund, um ihm eine Zufluchtsstätte in den Zeiten der Noth und Bedrängniß zu sichern.

Mit treuem Eifer und frischem Muthe begann darauf Willehad in Bremen seine erneuerte Thätigkeit. Die erste Sorge, welche ihn angelegentlich beschäftigte, bestand darin, daß er in Bremen selbst den Grund zu einer Hauptkirche legte und eine kleinere Kirche zu Blexen (Pleccateshem) unterhalb Vegesack, nicht fern vom Ausflusse der Weser, erbaute. Auch ließ er nach Vollendung dieser Kirche neben derselben einen schönen Brunnen graben, dessen Wasser noch lange Zeit nach seinem Tode für wunderthätig gehalten wurde, und der noch gegenwärtig seinen Namen führt. Zugleich verkündigte er an verschiedenen Orten, bald hier bald dort, den Bewohnern das Evangelium und suchte sie durch Lehre und Beispiel auf alle Zeiten für das Christenthum zu gewinnen.

[51] Hocherfreut über die Fortschritte, welche der christliche Glaube durch seine rastlosen Bemühungen an der untern Weser machte, reiste Willehad im Jahre 787 nach Worms, um einer von Karl dem Großen dorthin berufenen Kirchenversammlung beizuwohnen. Seinem lobenswerthen Lebenswandel und noch mehr seinen großen Verdiensten um die Verbreitung des Christenthums hatte er es zu verdanken, daß ihn der König bei dieser Gelegenheit mit der Bischofswürde bekleidete und ihm, wie es in der Stiftungsurkunde heißt, „nach dem Gebote des höchsten Priesters und die ganze Kirche leitenden Pabstes Adrian, sowie auch des Erzbischofs von Mainz, Lullo, und auf den Rath aller Priester, die zugegen waren, die Kirche von Bremen mit allen ihren Zubehörungen vor Gott und seinen Heiligen anvertraute.“ Am 13. Juli 787 ward er zu Worms zum ersten Bischof von Bremen mit der Weisung geweiht, „daß er dem Volke die Saat des göttlichen Wortes nach dem Maße der ihm verliehenen Weisheit treulich spende und diese junge Kirche nach kanonischer Ordnung und geistlicher Befugniß fördersam einrichte, und so lange pflanze und begieße, bis Gott der Allmächtige, seiner Heiligen Bitten erhörend, derselben Wachsthum verleihe.“ Dieser Tag seiner Weihe ist zugleich der Anfang des Bisthums Bremen, welchem Karl der Große, außer Wigmodien, einen Theil Westphalens, das Butjadinger- und Stedinger Land, das Jeversche und Ostfriesland überwies.

Nach beendigter Kirchenversammlung war Willehad zu seinen ihm nun noch lieber gewordenen Bekehrungsgeschäften zurückgekehrt. Obgleich die Bischofswürde ihm mehr Macht und Ansehen verlieh, als er vorher gehabt hatte, so wurde doch sein Stand von jetzt an dadurch schwerer, daß sich die hartnäckigen Sachsen, welche lange Zeit nicht einmal christliche Priester hatten unter sich dulden wollen, nun vollends einem ihnen von dem Frankenkönige vorgesetzten Bischofe mit Zehntrechten, Macht und Landbesitze auf alle Weise widerstrebten. Doch ließ er sich dadurch nicht einen Augenblick in seinen eifrigen Bemühungen für das Seelenheil Aller, welche zu seinem Kirchensprengel gehörten, aufhalten, vielmehr widmete er nächst der Predigt [52] des Evangeliums seine ganze Aufmerksamkeit der Einrichtung des Gottesdienstes, und schon am 1. November des Jahres 789 hatte er die Freude, daß er die von ihm mit angemessener Pracht erbaute Hauptkirche zu St. Petri in seinem Bischofssitze feierlich einweihen konnte.

Indessen waren ihm nur zwei Jahre drei Monate und sechsundzwanzig Tage zur Verwaltung des ihm anvertrauten hochwichtigen Amtes vom Schicksale beschieden. Schon längst hatte er des Alters Last und Mühen merklicher zu fühlen begonnen, als er auf einer seiner Visitationsreisen, die er nach dem Bedürfnisse der Neubekehrten seines Kirchensprengels häufig unternahm, zu Blexen an einem heftigen, täglich zunehmenden Fieber erkrankte, welches am 8. November 789 ein sanftes Ende seines thätigen Lebens herbeiführte.

Das aufrichtige und innige Gottesvertrauen, welches den frommen Willehad auf allen Pfaden seines Lebens begleitet hatte, verließ ihn auch in der Stunde des Todes nicht. Als bei den immer heftiger werdenden Fieberanfällen die Hoffnung auf Besserung unter den Seinigen von Tage zu Tage schwächer wurde, äußerte Egisrik, der vertrauteste seiner um ihn ängstlich besorgten Schüler, was doch die neugestiftete Gemeinde und die unerfahrene Geistlichkeit, deren Haupt und einziger Rathgeber er sei, ohne ihn anfangen sollte; er möge sie nicht so früh verlassen, sie würden, wenn er von ihnen schiede, inmitten unter Wölfen, wie eine Heerde ohne Hirten sein. Da erwiederte er dem theilnehmenden Gefährten mit heiterer Ruhe die tröstenden Worte: „O laß mich der Anschauung meines Herrn nicht länger entbehren! Ich verlange nicht länger zu leben und fürchte nicht zu sterben. Ich will nur meinen Herrn, den ich alle Zeit meines Lebens von ganzem Herzen geliebt habe, bitten, daß er mir nach seiner Gnade einen solchen Lohn meiner Arbeit, wie es ihm gefällt, geben möge. Die Schaafe aber, welche er mir anvertraut hat, empfehle ich seinem eigenen Schutze, denn auch ich selbst habe das Gute, was ich etwa zu thun vermochte, in seiner Kraft vollbracht. So wird auch euch die Gnade dessen nicht fehlen, von dessen Barmherzigkeit die Erde voll ist.“

[53] Dieses innige Gottvertrauen, von welchem er noch in seiner Todesstunde den Seinigen ein so rührendes Beispiel gab, verbunden mit einer wahren und unwandelbaren Frömmigkeit, einer ächt christlichen Demuth und Bescheidenheit im Glücke, einem besonnenen Muthe und einer unerschütterlichen Standhaftigkeit im Unglücke, sowie einer strengen Enthaltsamkeit, bildete den Grundzug seines edlen Charakters. Seine gewöhnliche Nahrung bestand in Brot, Honig, Gemüse, Obst und Wasser; des Fleisches und der berauschenden Getränke jeder Art enthielt er sich gänzlich. Jeden Tag feierte er in frommer Andacht die Messe, war beständig mit Lernen und Lehren der Wahrheiten des christlichen Glaubens beschäftigt, wandte viele Mühe auf den Kirchengesang, indem er täglich zwei oder drei Psalmen sang; er besuchte fleißig die Mitglieder seiner zerstreuten Gemeinde und hatte Gnade bei Gott und allem Volke. Sein Wandel in Selbstverleugnung und seine große Strenge gegen sich selbst verliehen der Predigt seines Mundes Kraft und Nachdruck. Mit Recht gab ihm schon sein mächtiger Gönner und Freund, Karl der Große, das Zeugniß, daß er ein unsträflicher Mann vor Gott und seinen Heiligen sei.

Der Leichnam Willehad’s ward gleich nach seinem Tode von Blexen nach Bremen gebracht und in der von ihm selbst erbauten Kirche feierlich bestattet. Wie die Zeitgenossen ihm schon im Leben Wunderthaten zuschrieben, so legten sie solche auch seiner Leiche bei. Der berühmte Erzbischof Ansgar, der dritte in der Reihe seiner Nachfolger, welcher sein Leben nicht ohne lebhafte Theilnahme in lateinischer Sprache ausführlich beschrieben hat[1], zählt deren nicht weniger als vier und dreißig auf. Ihr Ruf verbreitete sich bald in weit entfernte Gegenden und bewirkte, daß ihn der Pabst nach der Sitte jener Zeiten unter die Zahl der Heiligen aufnahm, und Jahrhunderte hindurch wurde sein Gedächtniß alljährlich zwei Mal, am 13. Juli und am 8. November (den Tagen seiner Weihe und seines Todes), in der Kirche festlich begangen.

Verden.

G. H. Klippel.     

  1. Vergl. Lebensbeschreibung des Erzbischofs Ansgar, von G. H. Klippel, Dr. Bremen, Geisler. 1845. S. 115. ff.
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