Alterthümer, Geschichten und Sagen der Herzogthümer Bremen und Verden/Das kirchliche Leben in den Herzogthümern zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts

Zwei friesische Gesänge Alterthümer, Geschichten und Sagen der Herzogthümer Bremen und Verden (1856)
von Friedrich Köster
Merkwürdigkeiten aus der Gegend von Hambergen
[138]
22.
Das kirchliche Leben in den Herzogthümern zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts.
[1]
(Aus dem Stader Sonntagsblatte. 1853. № 31.)

Am Ende des sechszehnten und im Anfange des siebzehnten Jahrhunderts stand die Kirche unserer Provinz in ihrer erfreulichsten Blüthe; eine überwiegend große Summe der Lebensthätigkeit war ihrem Gebiete zugewiesen. Während jetzt das Sinnen und Schaffen der Einzelnen, wie der Gemeinschaften, auf eine erschreckende Weise dem bloß äußerlichen Bedürfniß sich zuwendet, glaubte man damals [139] nichts Wichtigeres vornehmen zu können, als die kirchlichen Verhältnisse zum Segen der Gemeinden sorgfältig zu ordnen. Diesen Bestrebungen mußten alle übrigen nachstehen. Wie jetzt für die Erde, wurde damals für den Himmel gearbeitet. Während man in unserer Zeit die festlichen Tage auf ein Mindestmaß beschränkt hat, und die Obrigkeiten fast mit Aengstlichkeit darüber wachen, daß der Arbeit nichts entzogen werde, suchte man damals auch die Wochentage möglichst mit kirchlicher Feier zu heiligen. Wir können dies namentlich aus der Kirchenordnung der Stadt Buxtehude erkennen. In dieser Stadt, deren kirchlicher Sprengel jetzt vielleicht 3000 Einwohner umfassen mag und in jener Zeit keinenfalls größer war, wurden drei Prediger angestellt, und im Jahre 1552 ihre geistliche Thätigkeit geordnet. Der Hauptpastor hatte nur ausnahmsweise Amtsgeschäfte: er sollte blos Prediger sein. Zwei Mal wöchentlich bestieg er die Kanzel, am Sonntage und Mittwoch; seine ganze Zeit und Kraft konnte er diesen Predigten widmen. Die beiden Diakonen, welche ihm zur Seite standen, hatten die Frühpredigt am Sonntag zu halten, Morgens 5 Uhr im Sommer, 6 Uhr im Winter. Es ist bei den Protestanten immer Sitte gewesen, abweichend von dem Gebrauch katholischer Länder, geschmückt zur Kirche zu gehen; den Armen und den mit der nothwendigen Arbeit des Hauses Belasteten sollte die Erquickung des göttlichen Worts nicht entzogen werden; sie konnten diesen kirchlichen Uebungen früh Morgens in Altagskleidern beiwohnen. Außerdem hatten die Diakonen die Vesperpredigt oder Mette und am Freitage einen kirchlichen Vortrag zu halten, wobei jedesmal der ganze kleine Katechismus dem Volke vorgesprochen werden mußte; dies war durchaus nöthig, denn es war das einzige Mittel, dem Gedächtnisse der Leute die lutherischen Glaubenslehren einzuprägen. Lesen und Schreiben lernten nur Bevorzugte, Voksschulen wurden erst später eingeführt, Bücher nützen denen nicht, welche keinen Buchstaben kannten. Erst im Jahre 1780 machten die Prediger darin Veränderungen. Die Schule war zu Kräften gekommen und konnte der Kirche in der Unterweisung beistehen.

[140] Die Diakonen hatten außerdem die vorfallenden Amtsgeschäfte zu besorgen, die Sacramente zu verwalten, am Sonnabend Beichte zu hören, Trauungen zu verrichten und den Kranken mit geistlichem Zuspruch beizustehen. Letzteres war der Grund, warum an allen Stadtkirchen mehrere Prediger angestellt waren. Jeder Kranke wurde täglich wenigstens einmal besucht, der Prediger betete mit ihm oder las ihm aus einem Andachtsbuche vor. Wir finden daher die Gebetbücher aus jener Zeit vielfach in schmalem, länglichen Format, was sonst nicht im Geschmack der damaligen Welt lag, aber den Predigern mußte ein bequemes, leicht mitzuführendes Buch bei solchen Gelegenheiten lieb sein. Diese Krankenbesuche waren die Beschäftigungen, welche die meiste Zeit der Prediger in Anspruch nahmen.

„Am 1. Dec. 1615 predigte der Pastor Th. Dassow ernstlich gegen das Hexenwesen und sagte unter Anderem: Werdet ihr nicht von solchen Greuelsünden ablassen, so wird Gott mit Feuerdonner darein schlagen. Kaum hatte er das gesagt, so erfolgte ein furchtbarer Donnerschlag, ein Blitzstrahl fuhr leuchtend über die Versammlung hin, und ein großer Feuerklumpen fiel, jedoch ohne zu schaden, auf den großen Leichenstein vor dem Chor. Alles Volk stürzte aus der Kirche heraus, und aus den Häusern liefen die Leute nach der Kirche hin, in der Meinung, dieselbe stehe in hellem Feuer. Als man aber gar keine Beschädigung wahrnahm, gingen Viele in die Kirche hinein, wo man nun die Lieder: Aus tiefer Noth schrei ich zu dir und: Nun lob’ mein Seel’ den Herren mit einander sang. Am 10. Dec. (II. Adv.) ward dann von der Kanzel abgekündigt, daß zum Dank gegen Gott wöchentlich des Dienstags oder Donnerstags in Petrikirche Betstunde gehalten werden soll.“ (Pape, Kirchl. Chron. v. Buxt. S. 64.) Es wurden also wöchentlich fünf Predigten und zwei Betstunden gehalten, so daß nur der Montag ohne öffentlichen Gottesdienst war. Daraus läßt sich auf einen regelmäßigen Kirchenbesuch schließen; denn sonst hätte man sich schwerlich dazu verstanden, außer dem schon reichlich gebotenen Gottesdienste noch zwei Betstunden und zwar aus einem Grunde einzuführen, welcher vor den Augen der [141] jetzigen Welt nur als ein sonderbares Naturereigniß betrachtet werden würde. Eine gläubige Zeit sieht Mahnungen zur Buße, wo eine andere Zeit nur gleichgültigen Zufall entdeckt.

Fragt man aber, ob diese so weit ausgedehnte und mit dem täglichen Leben stets durchflochtene kirchliche Feier wirklich so viel Heilsames und Befriedigendes hatte, so müssen wir es unbedingt bejahen. Unserer Zeit, welcher es schwer wird, sonntäglich zwei Stunden der kirchlichen Andacht zu widmen, scheint ein täglicher, öffentlicher Gottesdienst vielleicht übertrieben, und es wird gefragt, woher nahmen die Leute die Zeit dazu? Es war täglich eine Stunde, welche der Arbeit entzogen wurde; diese Stunde konnte erübrigt werden. Der Geist der Zeit hatte sich damals noch nicht auf das Irdische allein geworfen; wenn der gewöhnliche Mann Nahrung und Kleidung hatte, brauchte er wenig mehr; ein Wirthshausleben unserer Zeit gab es nicht; es ward niemand verleitet, den Schweiß der Woche in einem Sonntagabend zu vergeuden. Die Gelegenheiten zur Verschwendung lagen nicht täglich vor, wie jetzt, wo man die meisten Wirthshänser als Anstalten betrachten kann, welche nicht dem Bedürfniß und der Nothdurft der Menschen dienen, sondern ihrer Vergnügungssucht und Schwelgerei. Wirthshäuser damaliger Zeit hatten strenge Hausordnung. Die Reisenden mußten sich derselben unterwerfen. Wenn sie in ein Gasthaus gingen, aßen sie mit dem Wirth und seiner Familie; ein Essen zu ungewöhnlicher Zeit zu bestellen, wäre sehr auffällig und nicht immer von Erfolg gewesen. Der Morgenimbiß war gemeinschaftlich, wie das Mittagsessen und Abendbrod. Der Reisende konnte sich nur einen Trunk geben lassen zu aller Zeit, denn Durst wurde bei einem Deutschen vorausgesetzt zu aller Zeit. Vornehme Leute erlaubten es sich, des Morgens nach den Rathssitzungen die Verhandlungen im Wirthshause oder in der Apotheke noch einmal zu durchsprechen, wurden aber oft von den Predigern darüber gestraft. Gemeine Leute nahmen sich es nicht heraus. Für sie gab es nur Festlichkeiten bei Hochzeiten, Kindtaufen und Jahrmärkten. Diese Gelegenheiten dienten dazu, das dem Menschen inwohnende [142] Streben nach Vergnügen reichlich zu befriedigen. Aber das, was wir eine Erholung und ein Ausruhen von der Arbeit nennen und was eine Unentbehrlichkeit des Lebens ist, fand die damalige Zeit in und mit der Kirche. Diesen Segen hatte die Reformation gebracht. Der dreißigjährige Krieg rüttelte daran und zerstörte viel; was er übrig ließ und was sich kümmerlich wieder erholte, ohne zur alten Blüthe zu kommen, hat das achtzehnte Jahrhundert mit seinem zersetzenden Geiste und mit seiner Gleichgültigkeit gegen die Kirche zum Theil vernichtet.


  1. [273] Z. 10 v. u. (Von Herrn Pastor Wiedemann in Bargstedt).
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