Textdaten
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Autor: Emil Adolf Roßmäßler
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Titel: Alte und neue Alterthümer
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 3, S. 32–33
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Teil 18 der Artikelreihe Aus der Menschenheimath.
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Aus der Menschenheimath.

Briefe
Des Schulmeisters emerit. Johannes Frisch an seinen ehemaligen Schüler.
Achtzehnter Brief.
Alte und neue Alterthümer.

Es scheint eine tief begründete und sehr allgemeine Eigenschaft des Menschen zu sein, das Alterthümliche zu schätzen; und wie jede so artet auch diese Eigenschaft in ihren höchsten Steigerungen in Uebertreibung aus; während sie in ihrer ruhigen Bethätigung die höchste Berechtigung hat.

Was ist es denn, was sich in uns regt, was uns mit jenem so eigenthümlichen und so behaglichen Schauer erfüllt, wenn wir auf deutschem Boden ausgegrabene römische Inschriften betrachten; – wenn wir eine antike Statue in ihrer künstlerischen Vollendung bewundern; oder den nur wenig veränderten Goldring eines Römers an unseren Finger stecken?

Wenn Dir, mein Freund, solche Gelegenheiten sich darbieten, so versäume es nicht, Dir diese Frage vorzulegen. Die Beantwortung derselben wird Dir den Genuß, den Du dann empfinden wirst, gewissermaßen zergliedern, zu vollem Bewußtsein erheben. Du wirst dann eine Zaubergewalt über Dich gekommen fühlen. Das Alterthum, vor dem Du stehen wirst, wird Dich für Augenblicke über die Gegenwart emporheben, daß Dein Auge mit einem Blicke ungeheuere Zeiträume, das lebende und längst untergegangene Geschlechter, überfliegen kann. Du wirst dann nicht mehr blos Menschen sehen, sondern die Menschheit wird vor Dir stehen, wie sie einst war, und wie sie jetzt ist. Du wirst vielleicht zum ersten Male einen Zusammenhang der Zeiten und der Menschenwerke erkennen.

Der Geist der Geschichte ist es, dessen Wehen Dich dann durchdringen wird.

Was ist aber der Geist der Geschichte? Es ist eine Geisterstimme, welche uns erzählt, welche Wege das Menschengeschlecht bisher gegangen ist, und welche uns mahnt, für unseren Weg dadurch uns rathen zu lassen. Die, welche jenen Weg einst belebten, sind nicht mehr, aber Spuren von ihnen sind auf dem Wege liegen geblieben. Indem wir sie aufsammeln, malen sie uns ein Bild ihrer Urheber und dem bewußten Menschen werden sie liebe Erinnerungszeichen, wie die Silberlocke des längst begrabenen Vaters.

Aber, Freund, nicht blos das ist Geschichte, was uns die Schicksale des Menschengeschlechts erzählt, und nicht blos das sind Geschichtsquellen, was an Menschenwerken Kunde von ihren Urhebern giebt. Nicht blos unter dem Schuttlande vom brunnensuchenden Zufalle aufgegrabene Städte sind Geschichtszeugen – die ganze Erde ist ein Geschichtsbuch, welches sich während vielen Millionen von Jahren selbst geschrieben hat. Die Steinschichten ihrer Oberfläche sind seine Blätter und die Versteinerungen in denselben sind die erläuternden Bilder. Was wir Weltgeschichte nennen – in diesem stolzen Worte nennt sich der Mensch die Welt – das ist blos „die Geschichte unserer Tage“; denn die Zeit, seit welcher der Mensch auf die Schaubühne des Erdenlebens trat, ist eben nur ein Tag vom Alter der Erde.

Ich bezieht mich hier auf das, was Du hierüber in Nr. 3 u. 4 der Gartenlaube v. J. in dem Artikel: „Die Vulkane“, und in Nr. 15 in: „Die ältesten geschichtlichen Denkmale“, gelesen hast.

Du kennst schon meinen Grundsatz, den ich so gern der Schule als Lebensodem einhauchen möchte: die Erde ist unsere Heimath, in der ein Fremdling zu sein Jedermann Schande und Schaden bringt.

Die Geschichte unserer politischen Heimath ist eben nur ein kleiner Theil, ist nur der jeweilige Schluß jener großen, eigentlichen Universalgeschichte, welche eben jene große für alle Menschen gleiche Erdheimath in ihrem Werden und Umwandeln schildert.

Man nennt diese Wissenschaft Geologie, was wörtlich durch Erdkunde zu übersetzen sein würde, wenn dieses Wort nicht schon durch eine obendrein ungenaue Uebersetzung von Geographie vergeben wäre. Erinnert man sich, daß das Wort Erde alles das begreift, was auf diesem ungeheuern Stäubchen des Weltalls sich befindet, so erscheint uns die Geologie, die Erdkunde, als die gewaltigste, als die umfassendste Wissenschaft. Wie aber im Verlauf der Zeit der Mensch sein Forschen und Wissen in bestimmte Theile, die er Wissenschaften nennt, gesondert hat, so ist dabei unter dem Titel der Geologie derjenige Theil verstanden worden, welcher von der muthmaßlichen ersten Entstehung und Entwickelung des Erdkörpers bis zu seiner gegenwärtigen Beschaffenheit handelt.

Kann es für Denjenigen, der mit seinem geistigen Auge über die engen Grenzen seines Tagewerkes hinausblickt, etwas Erhabeneres geben, als die Wissenschaft, welche ihm sagt, wie die Erde entstanden und allmälig das geworden ist, was sie jetzt ist?

Ich habe Dir erst einmal, in meinem dritten Briefe, etwas aus dem Gebiete dieser erhabenen Wissenschaft erzählt. Mein heutiger Brief soll die Vorbereitung auf einige weitere Mittheilungen sein. Er sollte Dir die gangbaren Begriffe Geschichte und Alterthum berichtigen.

Was man jetzt gewöhnlich Alterthümer oder Antiquitäten nennt, müssen wir nun denjenigen gegenüber, von denen ich Dir einige vorführen werde, neue Alterthümer nennen.

Ich zeige Dir hier eine sehr alte Antiquität aus der Geologie.

Staunte man schon, bei der Ausgrabung von Pompeji in der zu Stein verhärteten vulkanischen Asche, welche 79 n. Chr. jene unglückliche Stadt verschüttete, die Abdrücke von menschlichen Körpertheilen zu finden – wie muß man erst staunen, wenn man auf beiliegendem Bilde die Fährten von Thieren sieht, welche vor Millionen von Jahren gelebt haben?

In einer der ältesten geschichteten Gebirgsarten, in dem bunten Sandsteine, findet man an manchen Orten, z. B. bei Heßberg, solche Fährtenabgüsse. Die näheren Umstände ihres Vorkommens lassen ihre Entstehungsweise nicht zweifelhaft. Jene Thiere, deren Deutung nach diesen Spuren und wenigen versteinerten Knochen, die aber vielleicht nicht einmal von jenem Fährtenthiere herrühren, noch nicht mit Sicherheit erledigt werden kann, liefen auf einem weichen, jetzt als harter, thoniger Mergel erscheinenden, Schlamme hin und hinterließen ihre Fußstapfen darin. Wahrscheinlich bald [33] nachher wurden große Sandmassen darüber aufgethürmt, welche zu Sandsteinfelsen erhärteten, und natürlich jene Fußstapfen ausfüllten und abformten. Jetzt findet man nun auf der Unterseite der untersten Schicht jener Felsen diese uralten Abformungen. Es ist mehr als einmal gelungen, beim Brechen größerer Flächen solcher Sandsteinplatten diese Fährten in der Reihe zu finden, wie das Thier sie beim Gehen hinterlassen hatte. Auch unsere Figur zeigt Dir die vier zusammengehörigen Fährten eines vierfüßigen Thieres, dessen Vorderfüße kleiner als die hintern waren.

Gegenwärtig kennt man schon ziemlich viel verschiedene Fährtenarten, welche bestimmt von ebenso vielen verschiedenen Thierarten herrühren müssen.