Textdaten
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Autor: Ferdinand Stolle
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Titel: Alpenbilder
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aus: Die Gartenlaube, Heft 23–24, S. 357–359, 376–378
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[357]
Alpenbilder.
Von F. Stolle.
1. Ein Sommersonntag im Alpenstädtchen Reichenhall.


Ein tiefer Frieden sinkt in meine Seele,
Gedenk’ ich dein, du stilles Alpenthal,
Smaragdengrün, in Blumengold gewieget,
Umklungen von dem Abendsonnenstrahl.

Die rothen Wolken ziehen an den Bergen
Und über grünes Waldmeer still dahin,
Dieweil die Firnen, wie die Wächter Gottes,
Im reichen Gold des Sommerabends glüh’n.

Der Hirtenknabe dort auf grüner Alme,
In Blumen ruhend, singt sein Abendlied;
Und vor bekränztem Muttergottesbilde
Entblößten Haupts der müde Pilger kniet.

Da tönt durch Baum und Blatt und rothe Blüthen,
Wie einer schönern Gotteswelt entflohn,
Wie Engelgruß durch dieses Thales Frieden,
Sanct Zeno’s frommer Abendglockenton.

Und alle Berge zauberhaft umklungen,
Umrankt von Märchengrün aus alter Zeit,
Das da prophetisch immer wieder klinget
Von deutschen Volks dereinst’ger Herrlichkeit.

Kennt ihr des Wunderberges Marmorhalle,
Worinnen Deutschlands Kaiser trauernd harrt,
So lange, bis des Marmortisches Runde
Dreimal umschlungen hat der Silberbart?

Noch flattern um den Hochthron finstre Raben,
Der Kaiser träumt, der dunkle Zauber bleibt,
Bis daß die Zeit, wo auf dem Walserfelde
Der Birnenbaum der Freiheit Blüthen treibt.

Reichenhall.

Reichenhall –! holder, freundlicher Klang; erinnerungrosig ziehst du durch so manche Seele, die gebannt auf trostlose Ebene, wo die Wolken eintönig von Horizont zu Horizont ziehen und der Blick unerquickt in die unbegrenzte Ferne schweift – die aber doch einmal so glücklich war, zwischen deinen Almen zu wandeln und trunken emporzuschauen zu deinen Bergen, ruhend im himmlischen Blau. Und wie manches Herz wird dankbar deinen Namen segnen, das Genesung fand in deinem Schooße, du stilles Alpenthal, wo Gott so gnadenreich seine Quellen sprudeln läßt für arme kranke Erdenpilger!

Es ist heil’ge Sonntagfrühe. Das Nachtgewitter ist verrollt in den Bergen. Bis zwei Uhr haben die entsetzlichen Schläge wiederhallt, haben die Feuergarben verderbendrohend niedergehangen. Bis zwei Uhr haben die Lichtlein geleuchtet der erschreckten Bewohner von Reichenhall.

Die Tyroler und Salzburger Alpen hatten sich eine Mitternachtschlacht geliefert, wie man seit lange keine zweite vernommen; eine Schlacht voller Silberpracht und Grabesdunkel, voll golden zerrissener Himmelsdecken und Felsenerzittern. Die Hitze gestern war zu erstickend gewesen, die Luft so elektrisch, daß das Sanct Elmenfeuer auf dem Wege nach Kirchberg von Pappel zu Pappel gesprungen. – In der Gegend von Maria Plain hatte das Wetter gezündet. Lange leuchtete der Feuerschein durch die Nacht.

Jetzt ist es wieder Morgen und Alles still; nur die thautrunknen Halme und Alpenveilchen erzählen sich schüchtern von den feurigen Bändern der Nacht und wie der Felsengrund gezittert.

Welche Frische, welche Erquickung! Immer freundlicher quillt der junge Morgen über die Abhänge des Stauffengebirgs. Im Thal und Städtchen noch Alles still. Nur die Kathi, welche die Molken von der Kuchelbachalp herabbringt, pocht an die Thür zum Schießhüttengarten. Das Thal dampft, Untersberg, die Stauffen, Schwegel, Müllnerberg und Ristfeuchthorn, die Riesenwächter von Reichenhall, rauchen ihre Morgenpfeife. Allmählich beginnen sich ihre Häupter zu röthen.

Da, aus Blättergrün des Curgartens von Achselmannstein, erwachen die Töne eines Chorals, die, ein frommer Sonntaggruß, weihevoll durch den immer goldener werdenden Morgen ziehen. Es ist der Choral

„Vor deinen Thron tret’ ich hiermit.“

Die Bademusik beginnt ihr Morgenconcert.

Da klappt hier und da eine grüne Jalousie. Sie thut sich auf. Himmlischer Morgen strömt hinein, herzerquickend, wangenröthend. Man hört Nachbarn sich einen guten Morgen zurufen. Dann lauscht Alles den Klängen des Chorals. Und immer goldener blüht der Morgenhimmel auf. Es wird lebhafter. Vereinzelte Curgäste wandeln bereits zwischen den blühenden und thautropfenden [358] Gesträuchen des Gartens von Achselmannstein. Auch auf der Straße wird es lebendig. Vom Thore her rollt der Stellwagen, überfüllt mit Frühaufgestandenen, die beim Bothenwirthe eingestiegen und gottvergnügt in den jungen Tag hineinfahren, nach Anger, nach Salzburg, nach Hellbrunn, Gott weiß, wohin.

Da blitzt es himmlisch im Morgen. Die ersten Strahlen der Sonne zittern golden über das Thal, alle Matten mit Diamanten und Rubinen übersäend. Den Blumen stehen beim Anblick der Sonne die Thränen der Freude in den Augen. Hörner und Clarinetten klingen dazwischen:
„Die Sonn’ erwacht.“

Die weißen, an den Bergen dahinliegenden Nebel zerfließen in immer zartere Schleier, bis das ganze Thal abgeklärt und so frisch, als ob es soeben aus der Hand des Schöpfers hervorgegangen, im Glanze des Morgens ruht. Wie verliert sich die Riesenpyramide des Hochstauffen mit ihrer kreuzgeschmückten Felsenstirn in tiefes Blau! Wie thronen so gewaltig die Alpen im Hintergrunde; wie fallen die Steinbastionen der Reitalp so jäh in die Tiefe; wie schaut selbst der düstre Untersberg im Morgensonnenlichte nicht unfreundlich herüber! Seine Märchen und Gnomen, die ihn in nächtlicher Weile umklingen und umwandeln, sind vor der Sonne gewichen. Verschlossen sitzt der alte Kaiser im Marmorpalaste, und die tobenden Zechgelage in des Kaisers Weinkeller beim Hallthurm sind verstummt vor dem Frühgesange der Haidelerche. Wie einladend winkt die kleine Alphütte dort auf dem Vorbau des Müllnerberges! Wer auf einer jener sonnigen Höhen stehen und ausschauen könnt’ über die Welt und Gottes Pracht und Herrlichkeit, über die Gletscher und Eisfelder bis zur erhabenen Schneepyramide des Großglockner; über die grünen Landschaften von Oberbaiern, die gesegneten Fluren von Salzburg, die blitzenden Seen in Nähe und Ferne!

Und das Thal selbst! Wie idyllisch umarmt von den Bergen! Wie lachen die freundlichen Schweizerhäuser mit ihren grünen Jalousien und zierlichem Schnitzwerk, laubumrankt, rosenumblüht! Dort auf dem Calvarienberge das Kirchlein mit seiner weithin leuchtenden goldenen Thurmspitze. Umringt von grünen Matten, bachdurchströmt, waldumrahmt das gastliche Kirchberg. Im Hintergrunde auf kecker Felsenstirn das tannenumrauschte Sanct Pankraz mit seinem uralten Nachbar, dem epheuumrankten Karlstein. Dort am Fuße des Hochstauffen, noch umschattet von den Morgenbergen, das Kirchlein Nonn mit seinen paar ländlichen Wohnungen, wo man so trefflichen Rahm bekommt. Weiter zur Linken die freundliche Paddingeralm, wo die Alpenveilchen so reichlich blühen. Und all diese grünende und blühende Herrlichkeit durchrauscht und durchblitzt von der Saalach, dem frischen, raschen Tyrolerkinde.

Ländliche Morgentoiletten, reizende Sommerhütchen werden sichtbar auf Altanen und in den Lauben. Die Kaffeetassen klirren im Morgenlichte. Heitere Gespräche, Scherz und Rosenlaune. Kleine Landmädchen kommen von den Bergen und bieten Walderdbeeren zum Verkauf. Für wenig Kreuzer, welche Frühlingsgabe! Welcher Duft! Wo sich der Blick hinwendet, Alles so froh, so glücklich in diesem von der Welt so abgeschiedenen reizenden Erdenwinkel.

Wie glücklich aber ist erst derjenige, welcher zu keiner Badecur mit obligaten Sool-, Moor- und Nadelbädern, Molken- und Kräutertränken verurtheilt ist, sondern gesund, „frei, frisch, froh, fromm“ sich dieses prächtige Leben mit munterm Herzen und Auge anschauen darf! Es wird ihm, sobald der duftende Kaffee in der Geisblattlaube, in welche goldene Sonnenstrahlen fallen, getrunken, sobald die Hörnlein oder Milchbrodchen verzehrt, keine Ruhe lassen. Er muß hinaus auf die grünen Matten, wo die „Gas“, die Füllen und junge Langohrs sich in possirlich humoristischen Sätzen üben. Er muß hinein in das muntere Städtchen, durch die reinlichen Straßen wandeln, auf den Schildern die dem Norddeutschen unbekannten Gewerksnamen studiren, die Fragner, die Hafner, die Flaschner, die Manheimer, und dabei die Wölkchen der Havannah in die blaue Morgenluft entsenden.

Kirchgänger im Sonntagsschmucke, die goldene Quaste an den runden schwarzen Hüten, wandeln vorüber; Frauen und Mädchen um den Hals die vielfach geschlungene glänzende Silberkette. Hier und da ein stattlicher Gebirgssohn, kühner „Gamsjaga“, die Adlerfeder und das Edelweiß im grünen Tyrolerhute.

Vor dem Löwenbräu, wo die grünen Linden stehen, ist ein flotter Zweispänner vorgefahren. Man ist bemüht, die Wagentaschen mit blinkenden Rheinweinflaschen und reichlichem Mundvorrath zu versorgen. Bekannte steigen ein.

„Wohin des Weges?“

„Berchtesgaden, Königssee, Eiskapelle!“

„Vergessen Sie nicht auf Sanct Bartholomä, dem lieblichen Eilande, die delicaten Salmling, und bitten Sie den wackern Forstwart daselbst, daß er mit dem Fernrohre Gemsen aufspürt. Bei der Rückfahrt verabsäumen Sie um Alles die herrliche Ramsau nicht, Schwarzbachwacht und Jettenberg, eine der malerischsten und liebenswürdigsten Partieen.“

„Danken schönstens, soll uns nichts entgehen.“

Unter freudigem Hutschwenken der Insitzenden rollt das Wäglein auf dem Wege nach Berchtesgaden munter dahin. Einer der Herren Doctoren eilt über den Weg. Die Doctoren sind unter den Badebekanntschaften unbezahlbar.

„Guten Morgen, Herr Doctor, was gibt’s Neues?“

„Der deutsche Bundestag –“

„Ich bitt’ Sie um Alles in der Welt, sprechen Sie mir an diesem himmlischen Morgen nicht vom deutschen Bundestage.“

„In der Traube ist famoser Theisendorfer angekommen.“

„Das laß ich mir gefallen. Danke schön. Will jetzt zum Apotheker. Er soll mir ein paar Alpenblumen einpfarren, die ich gestern auf dem Salzbüchsel gepflückt. Auf Wiedersehen!“

Die sehr freundliche Apotheke von Reichenhall ist eine Art Mittelpunkt, ein Focus, wo sich namentlich während der Badesaison allerhand Leute zusammenfinden, weil man hier über Alles Auskunft erhält, was einem hier Badenden immer zu wissen nöthig ist. Pro Primo kann er hier den berühmten Alpenkräutersaft mit Pfeffermünzküchleins an der Quelle trinken. Ist es um Zurechtweisung hinsichtlich schöner Alpenpartieen in naher Umgegend zu thun, erhält man hier die besten Rathschläge. Zugleich stehen zwei wohlgehaltene Maulthiere, der Hansl und die Liesl, unter Führung des wackeren Sepperl bereit, den Steiglustigen bis an die Schneelinie emporzutragen. Sind wir im Unklaren über gepflückte Kräuter und Alpenblumen, wird uns in der Apotheke von Reichenhall die sicherste Auskunft. Haben wir fremdländisch Papiergeld,, das sonst Niemand wechselt, bekommen wir hier das schönste bairische Silbergeld dafür. Kurz, die Reichenhaller Apotheke ist nicht blos eine Heilanstalt für die Unannehmlichkeiten des Lebens, sondern auch eine Beförderung der Annehmlichkeiten desselben. Der Chef dieser trefflichen Officin ist der um Reichenhall hochverdiente, frühere Bürgermeister, Herr M. Mack; ein wahrer Gebirgsvater, der, sobald die erste Anemone, das erste Aurikel am Fuße des Stauffen im Frühjahr die Augen aufschlägt, auf die Berge steigt, wo er mit Fleiß und Kenntniß die heilsamen Kräuter sammelt für seinen Kräutersaft. Dieser Mann ist für das freundliche Städtchen und seine malerische Umgebung wie geschaffen. Jahre lang ist er bemüht gewesen, schöne Punkte, reizende Fernsichten dem Naturfreunde ersteigbar und zugänglich zu machen. Er hat wohlgehaltene Fußpfade angelegt, sie mit Barrieren geschützt, Wegweiser aufgestellt, für Ruhebänke gesorgt. Die dankbaren Bewohner von Reichenhall haben darum auch ihm zu Ehren die kleine von ihm auf dem Schroffen erbaute Alphütte, von wo man die kostbare Aussicht über das ganze Thal bis Salzburg genießt, die Bürgermeisteralp genannt. Außerdem gibt es am Fuße des Hochstauffen auch noch eine Apothekeralm, die ihm eigenthümlich zugehört.

Ich hätte dem wackeren Manne gern meine Aufwartung gemacht, um mir über meine auf dem Salzbüchsel gemachten botanischen Eroberungen einige Auskunft zu erbitten, fand aber die Officin bereits von einer andern Species liebenswürdiger Flora hinreichend bevölkert. Drei Crinolindamen füllten den Raum bis zum Provisor so vollständig, daß ein Eindringen sich als eben so unmöglich, wie unthunlich herausstellte.

Ich setze darum meinen Weg zur Post fort. Der Theisendorfer Postwagen ist eben angekommen, aus dem sich neue Badegäste abwickeln. Am Hausthor des Postgebäudes thürmen sich Koffer, Kisten, Reisetaschen, Schachteln, Hutfutterale mit umschnürten Regenschirmen. Die stattliche Figur des tüchtigen Posthalter Puchner geht anordnend auf und ab. Die neuen Ankömmlinge, welche noch keine Wohnung haben, nehmen einstweilen in dem großen und schönen Postgebäude ihr Absteigequartier.

Indeß ist die Sonne hoch genug gestiegen, um das Verlangen nach einem frischen Töpfchen nicht als unbillig erscheinen zu lassen. Man betritt die geräumige und freundliche Postrestauration. Kellnerinnen [359] im Sonntagsschmucke, auf dem Gürtel den gestickten Namen, eilen geschäftig hin und wieder.

„Walli, ein Seidel, aber frisch!“

„Eben angesteckt,“ lautet es erquicklich, und bald schäumt der goldene Trank im blanken Glase vor uns, dessen Deckel mit einer freundlichen Gebirgslandschaft geschmückt ist.

In den Gastzimmern der Post zu Reichenhall kann dem Besucher die Zeit nimmer lang werden. Auf der Papptafel an der einen Thüre kann er die Sehenswürdigkeiten der Salinenstadt und Umgegend hinreichend kennen lernen. Die schönsten Punkte, Fernsichten, Alpenpartieen, Klamm’s stehen da schwarz auf weiß. Auf einer anderen Tafel findet er die Preise, um vermittelst Fuhre, Maulthier oder Esel nach dieser oder jener Partie befördert zu werden. Eine große Karte von Baiern an der Wand zeigt an, wie weit man von der Heimath und wie hoch oben im Baierlande man drinnen sitzt. Selbst die Telegraphentaxen sind nicht vergessen. Auch an sonstiger Lectüre ist kein Mangel. Man findet die Augsburger Allgemeine, in Südbaiern das tägliche Brod, die Münchner Nachrichten, die fliegenden Blätter, den Münchner Punsch, sowie das im Zugschwerdtschen Verlage erscheinende gut redigirte Reichenhaller Localblatt, die Grenzboten.

Das Seidel ist geleert, die Augsburgerin höchst oberflächlich durchblättert, die harmlosen Witze des Punsches und der Fliegenden sind belacht. Que faire? Neue Bekanntschaften anknüpfen? Die Gelegenheit ist nicht ungünstig. Nein, wieder hinaus in den herrlichen Morgen; durch Waldesgrün längs der rauschenden Saalach nach den gastlichen Arkaden von Kirchberg, wo man umgrünt sitzt von duftenden Matten, umarmt wird von bewaldeten Bergen und umrauscht von Silberbächen. Und ist’s Kirchberg nicht, dann bei der Brücke links abgeschwenkt zum Molkenbauer im kühlen Felsenthale, wo gegenüber der Röthelbach sich brausend vom hohen Lattengebirge stürzt.

Aber die Sonne wird immer brennender. Darum zurück zum Städtlein. Man wandelt die unterschiedlichen Bräu’s vorüber. Auf der Straße bereits unerträgliche Hitze. Wie schaut da der Blick so erquicklich in die dunklen kühligen, oft mit grünen Maien geschmückten Hausfluren, wo Baierland sitzt beim frischen Trunke und die Thonkrüge aneinander klirren!

Man kommt zur Traube. Hier ist’s mit der Resignation alle. Man muß erfahren, ob der Doctor die Wahrheit gesprochen. Man tritt in die kühle Unterstube. Der Doctor hat Recht. Nichts geht über sin gutes Theisendorfer.

Während dieser höchst angenehmen Beschäftigung, der Wahrheit des Doctors auf die Spur zu kommen, ist es Mittag geworden. In den Straßen die fürchterlichste Hitze. Es ist, als ob die Felsen zu einem Riesenbackofen umgeschaffen worden. Jetzt entsteht die Frage: Zu welcher der unterschiedlichen Kripplein sich wenden? Table d’hôte im comfortablen Speisesaale von Achselmannstein, unter gewählter Gesellschaft? Aber Comfort und gewählte Gesellschaft kann man in Europa überall haben. Oder Diner auf der Post? Oder in einem der unterschiedlichen Bräu’s? Nichts da! In’s Freie, in’s Grüne! Wo kann die Erdbeerkaltschale und der Kaiserschmarren besser munden, als unter den schattigen Linden im Löwengarten? Gedacht, gethan. Auch ist der Weg dahin nicht zu weit. Andere Leute scheinen dieselbe vernünftige Ansicht gehabt zu haben. Unter dem grünen Laubdach blinken bereits auf sauber gedeckten Tischen lustig Flaschen und Gläser. Speisen und Getränke delicat und nicht übertheuer. Man lebt wahrhaftig wie der liebe Gott in Frankreich.

Nach Tische schlendert man in die nahgelegene Leihbibliothek zur guten Madame Zugschwerdt und sucht sich eine leichte Lectüre für die Siesta. Zu Hause angekommen im freundlichen Stüblein mit der herrlichen Aussicht, haben die sorgsamen Wirthsleute bereits in den Morgenstunden die Jalousien geschlossen, um das Zimmer angenehm kühl zu erhalten. Man macht sich’s so bequem, wie immer möglich, streckt die Erdenhülle behaglich auf’s Sopha und erhält in der That einen Begriff, wie es dem lieben Gott in Frankreich zu Muthe ist. Ottilie Wildermuth, die liebenswürdigste der jetzt lebenden Schriftstellerinnen, führt uns in ihr grünes Schwabenland, in ein lindenumblühtes Pfarrhaus mit scharmanten Pfarrtöchtern. Die Geschichte ist nicht lang, aber erquickt. Dabei rauscht der Röhrtrog im Hofe so monoton, daß sich endlich das Haupt unwillkürlich auf das Kissen neigt und das holdeste Mittagschläfchen uns in seine Arme nimmt, während draußen die Julisonne erstickend auf Berg und Thal ruht.

[376] Es ist drei Uhr. Es klopft. Die Th’resi fragt, ob sie den Kaffee bringen dürfe. Die Genehmigung erfolgt. Man thut die Jalousien, die nach dem Untersberge hinausgehen, ein wenig auseinander. Alle Wetter, welche Gluth noch! Man begibt sich in das Nebenzimmer und schaut nach dem Hochstauffen. Dieselbe Entdeckung. An ein Ausgehen nicht zu denken. Man ist förmlich sonnenbelagert. Der aromatische Levantetrank mundet zu einer Cigarre vortrefflich. Eben will man wieder zur Wildermuth die Zuflucht nehmen, da bringt der Briefträger liebe Briefe aus der Heimath. Dem armen Manne steht der Schweiß auf der Stirn. Er bekommt einen Sechskreuzer zu einem Labetrunk.

Was zu Hause gleich Alles vorfällt, sobald man auf ein paar Tage den Rücken gekehrt hat! Der alte D. ist gestorben. Hab’ ihm also bei meinem jüngsten Abschied zum letzten Male die Hand gedrückt! Die Marie B. Braut mit dem F. Also doch noch! Und bei R’s. ein kleiner Erbprinz angekommen. Da wird Freude sein!

Es pocht wieder. Die Frau Wirthin ist’s. Mit dem stereotypen, aber sehr gemüthlichen „B’hüt’ Si Good!“ stellt die gute [377] Frau einen frischen Blumenstrauß mit frischem Wasser auf das Pfeilertischchen am Spiegel.

Die Frau Wirthin ist nicht ungesprächig. Aber da man von zehn Worten erst das elfte versteht, wird man nicht klug, was sie eigentlich sagen will, und bleibt uns darum nichts übrig, als perpetuirlich bejahend mit dem Kopfe zu nicken. Die Briefe aus der Heimath erkundigen sich sämmtlich, wie es in Reichenhall gefalle. Den Leuten kann geholfen werden. Annemiedl empfiehlt sich wieder mit ihrem „B’hüt’ Si Good“, und man greift nach Tinte und Feder, um die erwartungsvolle Heimath nicht länger warten zu lassen.

Der Zeiger weist auf sechs. Auch im Parterre der Wirthsleute hebt der Seiger aus und läßt seine sechs Schläge vernehmen. Die Correspondenz ist beendet. Die Jalousien werden aufgeschlagen. Welch prachtvolle Aussicht über die Gärten nach dem Untersberge! Es ist noch immer bedeutend warm. Damen unter blauen und grünen Entoutens wandeln auf dem freundlichen Fußpfade über den Streitbüchel nach Großgmain. Eine Promenade im Schatten der hohen Gradirhäuser muß jetzt sehr angenehm sein. Ich habe nur wenig Hundert Schritte dahin.

Wie rieselt das so lieblich und angenehm durch die haushohen Dornengebinde! Die Wassertheile verdampfen und immer gehaltreicher wird die Soole. Wo man hinschaut, weiße Salzkrystalle. In den Lauben und auf Bänken, im Schatten der Gradirhäuser ruhen, die salzgeschwängerte Luft athmend, vereinzelte Genesung Suchende.

Achselmannstein.

In unmittelbarer Nähe dort liegen die stattlichen Gebäude von Achselmannstein, eines der stärksten und segensreichsten Soolbäder von Deutschland, dessen Ruf seit zehn Jahren in beständigem und verdientem Zunehmen begriffen. Der Mann, welcher mit ungeheuren Kosten diesem segensreichen Heilbade seine dermalige Gestalt gab und zu seinem Rufe so wesentlich beitrug, ist ein Sachse aus dem Königreiche, Herr Steuerinspector Rink. Zahlreiche Badegäste finden in Achselmannstein ein ebenso bequemes, wie angenehmes Unterkommen. Ein freundlicher Garten mit sorgfältig gehaltenen Spaziergängen und wohlgepflegtem Baum- und Strauchwerke grenzt unmittelbar an die Badegebäude, in welchen es weder an Billard-, noch an Conversations- und Lesezimmer mit ausgewähltem Journalcyclus fehlt. An schönen Frühlings- und Sommernachmittagen finden in dem Garten von Achselmannstein kleine theatralische Vorstellungen statt, die zum Amüsement des Publicums heiter beitragen.

Ueberhaupt ist das Thal von Reichenhall vermöge seiner großartigen Salinen – die Edelquelle springt sechzehngradig aus dem Kalkgebirge –, wegen seiner von den Alpen geschützten Lage, seiner himmlisch reinen und zugleich weichen Luft – jeder Athemzug ist einen Gulden werth –, wegen seiner stets frischen Molken und Alpenkräutersäfte und seiner paradiesischen Lage zu einem Heilbade wie geschaffen. Wie Mancher und Manche fanden hier Genesung für ihre schwache und kranke Brust und für manches andere Leiden! Das Leben ist im Allgemeinen nicht theuer. Wo man in nord- und mitteldeutschen Bädern einen Thaler braucht, reicht man hier im Verhältniß mit höchstens einem bairischen Gulden (17 Silbergroschen) aus. Reichenhall ist kein Luxusbad, wohl aber ein Naturbad im wahren Sinne des Wortes. Von hier hat man mit die Auswahl unter dreißig der reizendsten Alpenpartien, von denen die meisten kaum einen Tag in Anspruch nehmen. Wer darum eine Zeit lang in diesem liebenswürdigen Erdenwinkel verlebt hat, wird nur die freundlichste Erinnerung mit in die Heimath nehmen. Darum ist wohl auch fast kein Land Europa’s, das nicht Badegäste nach Reichenhall geschickt hätte. Die Curzeit beginnt mit Anfang Mai und währt bis zum Herbst, wo die Nebelkappen über die Thäler sinken und die Häupter der Berge sich mit Schnee umhüllen.




Die Abendsonne steht über dem Plateau der sechstausend Fuß hohen Reitalp. Aber ihre goldenen Strahlen vermögen den tausendjährigen Schnee in den Schluchten und Abgründen dieses Felsenlabyrinths nicht zu schmelzen.

Dort oben auf jenen stolzen Höhen blüht das Edelweiß in seiner reinsten Schöne, duften die Alpenblumen in frischester Bergluft.

Und immer tiefer sinkt die Sonne und immer tiefer bettet die scheidende Fürstin das Thal in den goldensten Sommerabend. Mit [378] Entzücken trinkt der Blick die himmlische Landschaft. Welch ein Grün der Matten, von Gold- und Silberblüthen durchwirkt –

Die rothen Wolken ziehen an den Bergen
Und über grünes Waldmeer still dahin,
Dieweil die Firnen, wie die Wächter Gottes,
Im reichen Gold des Sommerabends glühn.

Und ringsum Stille – Duft – Frieden. Die Madonnenbilder an den Wegen stehen im rothen Golde des Abends.

Ich wandle durch blumige Auen gen Sanct Zeno. Zwei fromme Schwestern aus dem Fräuleinstift in ihrer nonnenhaften, aber kleidsamen schwarz und weißen Tracht kommen des Weges daher. Blühende Gesichter und schon geschieden von der Welt in klösterliche Einsamkeit. Aber ihre Thätigkeit ist dem segensreichsten Berufe gewidmet, der trefflichen Erziehung junger Pensionärinnen. – Aus dem Garten des Hofewirths tönen Guitarren. Ich wende mich nach der Stadt zurück, dem Abendrothe entgegen. Aus einem kleinen Hause am Wege vernimmt man Stimmengemurmel. Vater und Mutter im Kreise der Ihrigen sprechen das Abendtischgebet.

Ein freundlich Schweizerhaus mit hervorragendem Dach und umlaufender Gallerie, verziert mit reichem Schnitzwerk, umrankt von Rosen und Blattgrün, ruht im Abendgolde.

Dort oben aber, auf der Abendseite der Gallerie, laubenartig umhüllt von rothem Jelängerjelieber, im weichen Fauteuil, das Blumenhaupt auf die Alabasterhand gestützt, ruht eine junge, wunderschöne Dame, eine weiße Rose aus fernem Nordland, die, halb gebrochen, die weite Reise nicht gescheut, Genesung zu trinken im milden stillen Alpenthale. Madonnenhaft umrahmt die dunkle Lockenpracht das von Meisterhand gezeichnete Oval, rosig angehaucht vom Abendroth, und der Himmel des zwischen langen seidenen Wimpern hervorbrechenden Auges ruht bereits geistig verklärt auf der abendrothbrennenden Schöpfung.

Arme Evelina! Der Doctor hat gleich nach dem ersten Besuche gar bedenklich das Haupt geschüttelt. Du wirst den Donner deiner grünen Nordsee, wenn sie sich weißschäumend an den Felsenufern bricht, nimmer wieder hören. Dein Engel wird dich aus diesem blühenden Erdenthale unmittelbar in das Himmelsthal sanft geleiten und der kleine Friedhof von Sanct Zeno deine irdische Hülle unter seine Blumen betten.

Wunderschönes Bild, vom Abendrothe umklungen, von Jelängerjelieber umblüht! Die Schatten der Abendberge breiten sich immer länger über das smaragdgrüne Thal, sie wachsen an den Höhen. Bald glühen nur noch die goldenen Kronen. – Tiefe Stille. –

Da tönt durch Baum und Blatt und rothe Blüthen,
Wie einer schönern Gotteswelt entflohn,
Wie Engelgruß durch dieses Thales Frieden
Sanct Zeno’s frommer Abendglockenton.




Es ist dunkel geworden. Ein weicher lauer Sommerabend wiegt Thal und Städtchen in seinen Armen. Auf Achselmannstein, stehen alle Fenster offen. Kühle Abendluft zieht hinein. Man sitzt auf dem Balkon, auf den Bänken vor dem Hause. Das leise Rieseln der Gradirhäuser tönt durch die Stille des Abends herüber. Im Lesezimmer haben sich einige Zeitungstiger der Journale bemächtigt. Sie sitzen schon mehrere Stunden unbeweglich. Vergebens blühte draußen der himmlische Abend ab. Die Raisonnements der Augsburger Allgemeinen, die unerquickliche Kleinstaaterei des Dresdner Journals ist ihnen lieber, als ein Verglühn der Alpensonne. Man lasse sie. Im freundlich erhellten Speisesaal ist heitere Gesellschaft. Ein paar Tyroler singen zur Schlagcither.

Ich kehre nach dem Posthause zurück, wo Bekannte zu finden. Welch ein Anblick! Zur Rechten und Linken flammen goldene Feuer auf den Bergen. Sie rühren von Besuchern her, die sich trotz der Tageshitze nicht abschrecken ließen, die fünftausend Fuß hohen Höhen zu ersteigen.

Auf der Postrestauration ist noch viel Leben. Neue Fremde sind angekommen, die sich’s nach den Strapazen auf dem Theisendorfer Wege an der wohl versorgten Tafel bestens schmecken lassen. Bekannte erheben winkend das Töpfchen und rücken platzmachend zu. Sie sind auch nicht lange erst heim von den unterschiedlichen Tagespartieen und können nicht genug erzählen von der erschauten Pracht und Herrlichkeit. Freund A. ist ganz entzückt von einer prächtigen Abendfahrt auf dem felsumthürmten Thumsee, wo ihn der gastliche Besitzer eine ganze Stunde hat herumfahren lassen. Auf dem Hinauswege ist er bei dem Kaitl, auf dem Heimwege bei dem Moserwirthe eingekehrt. Freund M. spricht begeistert von der Schwarzberg-Klamm bei Unken, jenem tiefernsten Gebirgswunder, jener schauerlich erhabnen Alpenpartie, wie in ganz Oberbaiern, Salzburg und Tyrol keine zweite zu finden. Ein Dritter hat den Standpunkt der Sonne so glücklich getroffen, daß er die brausenden Cascaden der Wimbach-Klamm von sechs Regenbogen umblüht gesehen. Ein Vierter erzählt mit reichem Humor von fünf Crinolinendamen, die, vom Gewitter überrascht, auf dem Heuboden der kleinen Zwieselalphütte zu übernachten gezwungen gewesen.

Unter solch interessantem und unterhaltendem Gespräch ist das Töpfchen alle, ehe man sich’s versieht, und ein Abendstündchen nach dem andern fliegt rasch vorüber.

Da entsinnt man sich, daß heute eine neue Badeliste erschienen. Walli bringt sie. Welche Freude! Die liebenswürdige Familie D. aus der Heimath ist angekommen. Welch angenehme Aussicht für die nächsten Tage!

Ein Reichenhaller Stammgast am obern Ende der langen Tafel zankt mit dem Kellner, daß er ihm bereits das dritte Strafseidl gebracht. Der untere Theil der Tafelrunde, wozu wir zu gehören das Glück haben, und wo Walli die Durststillung übernommen, ist glücklicher gewesen. Durchweg das frischeste Bier. O du gemüthliche Abendkneiperei im Posthause zu Reichenhall!

Da tönt draußen im Städtchen in langgezogenen Tönen und zur Ruhe mahnend die schöne bairische Jägerretraite des hier garnisonirenden Grenzcommando’s. Man bricht auf, sich die Hand zur guten Nacht reichend. Gute Nacht, Walli!

Draußen ist indeß der prachtvollste Sternenhimmel aufgeblüht. Hoch oben, dem Zenith nah, die freundliche Wega in der Lyra Mitte; weiter gen Westen der feurige Arctur, der Bärenführer, durch den vor zwei Jahren der Komet ging. Dort immer höher steigend der Schwan, und über den Nordalpen die Cynosura, der unveränderliche Polarstern. In den Straßen ist es still geworden; nur aus den Bräu’s vernimmt man vorbeigehend noch gedämpfte Stimmen und Gläserklang.

Man gelangt an das Salzburger Thor. Da kommt es durch die Dunkelheit getrabt. Vierbeinig. Es sind die Esel des wackern Reischl, gegenwärtig Parapluiemacher, ehedem tüchtiger „Gamsjaga“. Die beiden Langohren haben Badegäste nach dem hohen Oststauffen getragen und kehren jetzt von ihrer mühevollen Tagfahrt heim. Wie galoppiren sie trotzdem behende durch das geöffnete Thor, der ersehnten Ruhestätte zu! Herr Reischl ist zugleich beliebter Chambregarnier für zahlreiche Badegäste.

Die Feuer auf den Bergen sind erloschen. In unbestimmten Umrissen wälzen sich die dunkeln Massen der Bergriesen zum Nachthimmel.

Ich trete in mein traulich Stüblein. Die verlebten schönen Stunden ziehen wie eine freundliche Fata Morgana nochmals durch die Erinnerung. Wieder eine Rose mehr eingewunden in die oft dornenvolle Guirlande des Lebens.

Das Licht erlischt. Ich werfe noch einen letzten Blick hinüber nach dem Untersberge. Hu, wie finster, zaubergewaltig schaut er daher!

Um seinen Hochthron flattern noch die Raben –
Der Kaiser träumt – der dunkle Zauber bleibt,
Bis daß die Zeit, wo auf dem Walserfelde
Der Birnenbaum der Freiheit Blüthen treibt!

Das ist ein Sommersonntag im Alpenstädtchen Reichenhall!