Aennchen von Tharau und Simon Dach

Textdaten
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Autor: A. L.
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Titel: Aennchen von Tharau und Simon Dach
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 45, S. 721–722
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[721] Aennchen von Tharau und Simon Dach. Wohl jeder Deutsche kennt Simon Dach’s Volkslied „Aennchen von Tharau“, wenigstens in der Herder’schen Uebersetzung desselben in’s Hochdeutsche; aber nicht Allen dürfte die Entstehung des Gedichts und das Verhältniß Dach’s zu Aennchen bekannt sein. Fast allgemein verbreitet ist die Ansicht, daß Simon Dach Aennchen geliebt und ihr, obgleich seine Liebe nicht erwidert wurde, dieses Gedicht gewidmet habe. In ähnlicher Weise faßt auch Wilibald Alexis (Dr. Häring) in seinem Lustspiel „Aennchen von Tharau“ das Verhältniß Dach’s zu Aennchen auf. Er führt uns in demselben Aennchen als ein liebenswürdiges Edelfräulein vor, während er Dach als einen pedantischen, fast kindischen Professor der Poesie schildert, mit dem Aennchen ihr loses Spiel treibt. Eine andere Ansicht über das Verhältniß Dach’s zu Aennchen ist diese, daß Aennchen Dach’s Liebe zwar erwidert, jedoch von ihren Verwandten gezwungen worden sei, mit Dach, der damals kärglich besoldeter Lehrer an der Domschule in Königsberg war, zu brechen.

Beide Ansichten sind irrig. Dach hat in keinem intimen Verhältniß zu Aennchen gestanden, und das betreffende Gedicht ist weiter nichts als ein Carmen, welches Dach zur Hochzeitfeier Aennchens mit seinem Freunde Partatius dichtete. Den Beweis dafür enthält die Kirchenchronik des bei Königsberg i. Pr. gelegenen Ortes Tharau. In derselben heißt es: „Andreas Neander, Pfarrer in Tharau, ist Anno 1630 gestorben. Dieser hatt von seiner Ehegattin, die eine Sperberin von Gebuhrt gewesen, nebst einem Sohne, eine einzige von gestalt angenehme Tochter nahmens Annam hinterlassen, welche die Anke von Tharau ist, von der das bekanndte Liedt oder Aria (Anke von Tharau ös, de my geföllt) herrühret, so in Alberti Arien gedruckt zu finden ist, undt von dem berühmten Preußischen Poeten Simon Dach, welcher [722] damalen noch ein Studiosus gewesen, bei deroselben Hochzeitt gemachet worden, indem dieselbe nach ihres seligen Vatern Tode 11 Jahre alt in die Pflege undt Aufferziehung ihres Vormundes Herrn Stolzenbergs, Kauffmanns und Mältzenbräuers in Königsberg auffgenommen und 7 Jahr nach desselben Tode im 18. Jahre ihres alters ist verheyrathet worden an Johannem Partatium der Zeitt Pfarrer in Trempen, Insterburgischen Ampts, nachmalen aber in Lankischken, Labiauen Ampts: woselbst sie nach des Partatii Tode noch 2 Successores, nemlich Herrn Gruben und Herrn Melchior Beilstein in demselbigen Pfarr-Ampt geheyrathet hatt. Endlich hatt einer ihrer Söhne von der ersten Ehe, Herr Friederich Partatius, littauscher Pfarrer in Insterburg, Sie, da Sie verwitwet undt ganz unvermögendt gewesen, zur Verpflegung zu sich genommen. Undt da auch derselbige zu Ihrem großen Leidwesen Anno 1688 im Osterfest verstorben, ist Sie doch von dessen Witiben, Frau Elisabeht, einer gebornen Schützin, biß an Ihr seliges Ende verpfleget undt zu Insterburg Anno 1689 umb Michaelis, im 74sten Jahre ihres Alters begraben worden.“

Diese Lebensskizze Aennchens ist um so glaubwürdiger, weil sie von einem Pfarrer herrührt, der die oben erwähnte Schwiegertochter Aennchens, Frau Elisabeth, geborne Schütz, heirathete und somit die Nachrichten über Aennchens Leben aus der zuverlässigsten Quelle schöpfen konnte.

Die Herder’sche Uebersetzung des Dach’schen Volksliedes ist, was Herder auch selbst einräumt, nicht als eine gelungene zu bezeichnen; besonders mangelt der Uebersetzung der kecke Humor, von dem das Original fast übersprudelt. Auch hat Herder die letzten Strophen nicht übersetzt, wahrscheinlich, weil sie ihm nicht in den bei der Uebersetzung der ersten Strophen angeschlagenen Ton paßten. Die Strophen, welche von Herder nicht übersetzt sind, lauten in zwanglosem Hochdeutsch:

„Was ich gebiete, wird von Dir gethan,
Was ich verbiete, das lässest Du stahn.
Was hat die Lieb’ doch für einen Bestand,
Wo nicht ein Herz ist, ein Mund, eine Hand;
Wo man an den Haaren sich zieht und sich schlägt
Und gleich den Hunden und Katzen verträgt.
Ankchen von Tharau, wir werden’s nicht thun;
Du bist mein Täubchen, mein Schäfchen, mein Huhn;
Was ich auch wünsche, Dich wird’s nicht erbosen,
Ich lass’ den Rock Dir und Du mir die Hosen.
Dies ist, o Ankchen, die süßeste Ruh:
Ein Leib, eine Seel’ sind wir beid’, ich und Du.
Das macht das Leben zum himmlischen Reich;
Durch Zanken allein wird der Hölle es gleich.“

Simon Dach wurde später als Professor der Poesie an der Albertina zu Königsberg ein gar frommer Mann und erklärte auf dem Sterbebette, daß ihn keines seiner Gedichte so sehr gereue, wie das Lied Aennchen von Tharau. Es ist eigenthümlich, daß gerade das Gedicht, welches den Namen Simon Dach’s unsterblich gemacht hat, von dem Dichter selbst für ruchlos gehalten wurde. A. L.