Adolf Oberländer (Karl Voll)
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Adolf Oberländer: Sensenschmiede bei Garmisch. | |
Zu Voll: Adolf Oberländer. | Gedruckt bei George Westermann in Braunschweig. |
Die Münchener „Fliegenden Blätter“ haben unter den deutschen humoristischen Blättern die stolzeste und ehrenvollste Vergangenheit. Auch sie sind ein Kind jener starken satirischen Bewegung, die durch die europäische Kunst seit dem Wiener Kongreß gegangen ist, und die, wie man heute getrost sagen darf, einen großen Teil des Allerbesten hervorbrachte, was im neunzehnten Jahrhundert überhaupt geschaffen worden ist. Die Entstehung der „Fliegenden Blätter“ gehört dem Ende der vierziger Jahre an, wo die politischen Triebkräfte in Deutschland so viel Geist, leider aber auch so viel Unglück auslösten. Sie haben den Kampf gegen Bureaukratie und Reaktion tapfer mitgekämpft.
Jedoch hat nicht nur die lebhafte Freude an der Karikatur, wodurch die ganze Epoche ausgezeichnet war, ihnen zum Leben verholfen, sondern auch eine ganz besondere Richtung der damaligen Kunst. Die erste Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts hat mit ausgesprochener Vorliebe und größtem Glück die Zeichnung an sich gepflegt. Dieser Vorliebe ist nicht nur die Wiedererweckung [808] einer der vornehmsten graphischen Künste, des Holzschnittes, sondern vor allem die künstlerische Ausbildung der Lithographie zu danken. Wenn wir die ganze künstlerische Größe jener Zeit ermessen wollen, wenn wir die Absichten und Ziele ihrer Kunst ganz klar erkennen wollen, dann müssen wir uns immer an die Zeichnungen wenden, die sie uns in unübersehbarer Fülle hinterlassen hat, und in denen sie das Innerste ihrer Gedanken auf die beste künstlerische Weise offenbart hat.Aus diesen zwei Momenten, aus der Freude an der Karikatur und an der Zeichnung, ist die Entstehung der „Fliegenden Blätter“ zu erklären. Aber das erste Moment ist insofern verkürzt worden, als sie sich bald von der politischen Satire abwandten und den reinen Humor in ganz neutraler Weise zu pflegen begannen. Immer mehr zogen sie sich auf das Gebiet der humoristischen Schilderung des gesellschaftlichen Lebens zurück. Ihre Herausgeber folgten in diesem Entschluß, wahrscheinlich unbewußt, dem Entwickelungsgang der politischen Karikatur, die damals schon am Ende ihrer Blütezeit stand, und sie folgten zugleich den Tendenzen der allgemeinen Kunstlage, die immer mehr nach Blättern verlangte, die ausschließlich von Künstlern geleitet wurden. Mit dieser Entfernung vom politischen Leben verloren die „Fliegenden Blätter“ allerdings etwas von jener pikanten Schärfe, die sie in den ersten Jahrgängen besessen hatten, sie wurden harmloser, aber gerade dadurch gelang es ihnen, in jedem Sinne des Wortes ihr Gebiet und ihren Wirkungskreis zu erweitern. Auf die Männer der ersten Zeit folgte eine andere Generation von Zeichnern und Malern, die hauptsächlich von dem Standpunkt des Künstlers aus das Leben betrachteten und glossierten. Dadurch erhielt das Blatt eine poetische Nuance, die für lange Zeit ihr bestes Erbteil war. Bis vor wenigen Jahren sind denn auch die „Fliegenden Blätter“ fast ausschließlich das Organ der deutschen und vor allem der Münchener Künstler gewesen. Erst vor kurzem wurden sie durch die „Jugend“ und den „Simplizissimus“ aus dieser beherrschenden Stellung verdrängt.
Adolf Oberländer ist nun unter den Mitarbeitern der zweiten Generation der selbständigste, freieste und weitaus bedeutendste. 1845 (1. Oktober) in Regensburg geboren, kam er schon in so jungen Jahren nach München, daß er mit dessen Kultur durchaus verwachsen ist und den Typus des guten Münchener Künstlers aus der Zeit des großen Krieges darstellt; in diesem Satz ist wirklich nötig, das Wörtchen „gut“ besonders hervorzuheben, weil gerade damals [809] zwei Arten von Künstlern in München und wohl auch anderwärts waren. Die echt künstlerisch gesinnten waren frohe, grundsolide Leute, die nichts aus sich machten, und die trotz aller Erfolge schlichte, natürliche Menschen blieben. Die andere Art ist weniger gut, aber sie hat die Aufmerksamkeit der Welt auf sich und allerdings auch auf die Münchener Kunst gezogen. Ihre Vertreter flogen von Erfolg zu Erfolg, pflegten eines wahrhaft fürstlichen Lebens und standen im Glanz und rauschenden Pomp als das da, was das liebe Publikum Malerfürsten nennt. Zu diesen hat Oberländer nie gehört. Aber er gehörte bis zu einem gewissen Grade wenigstens der Schule an, aus der die meisten von ihnen hervorgegangen waren, der Pilotyschule.Es ist ein eigenartiges Geschick um die Pilotyschule. Es scheint wirklich, daß damals kein junger Künstler dem gefeierten Meister ausweichen konnte. Sie sind fast alle mehr oder weniger lange bei ihm gewesen; nur stellt sich heraus, wenn man genauer nachforscht, daß so sehr zufrieden mit ihm gerade diejenigen nicht waren, die wir heute als die besten seiner Schüler zu bezeichnen pflegen. Der Verfasser hat in diesen „Monatsheften“ schon darauf hinweisen müssen, daß z. B. Leibl nur so ganz unversehens in Pilotys Atelier geraten war und auch nur ungern darin aushielt. Auch Oberländer hat nicht die freudigsten Erinnerungen an jene Zeit, wo er grausame Hexenprozesse in sehr pedantischer Abstufung malen sollte. Bald mutete ihm Piloty zu, das Menschenfeindliche dieser Prozesse dadurch zu manifestieren, daß ein schönes junges Mädchen roh gequält wurde, bald sollte der ganze Graus der Institution an den hirnverbrannten Peinigungen dargetan werden, die man einem alten verhutzelten Weiblein antat. Solche ausgeklügelten Unglücksfälle, solch unwahrhaftiger Realismus und solche bewegungslose Posenstellerei waren nun aber Oberländers Geschmack nicht, und das Hexenbild, das er malen sollte, und mit dem er sich auch redlich, jedoch unlustig genug abgequält hat, ist bis auf den heutigen Tag nicht fertig geworden. Dagegen war nun das, was er in seinem offenen Blick für das Tatsächliche und in seiner ungezwungenen Einfachheit malen wollte, wiederum nicht nach Pilotys Geschmack.
So schieden sich bald die Wege der beiden. Oberländer hatte nicht die Mittel, um jahrelang unfruchtbaren Studien nachzugehen, die ihm obendrein innerlich keine Förderung gewähren konnten. Deshalb trat er, um seinen Lebensunterhalt zu gewinnen und um machen zu dürfen, was ihm lieb war, bei den „Fliegenden Blättern“ ein. Lange Jahre wurde er dadurch der eigentlichen Malerei entfremdet, und es war ihm das ein nicht geringer Schmerz. Aber bei den [810] „Fliegenden Blättern“ ist er das geworden, was er werden mußte, der größte Meister der Illustration, den die Deutschen neben Wilhelm Busch besitzen. Er ist außerdem derjenige geworden, der die Ideale der Pilotyschule am reinsten und am großartigsten verkörperte, aber nur indem er sich von Pilotys Zwang lossagte. Das ist die kunsthistorische Stellung Adolf Oberländers.
So wie Leibl äußerlich in direktem Widerspruch zu Piloty stand, aber als Maler denjenigen Realismus auf gesunde zukunftssichere Weise pflegte, den Piloty und die Seinigen in mehr theatermäßiger Art auffaßten, so hat Oberländer das von seinem Lehrer angestrebte Pathos und die heroische Größe der wirklich künstlerischen Vollendung entgegengeführt. Man darf seine Tätigkeit als die Rechtfertigung von Pilotys Streben auffassen, allerdings mit dem ausdrücklichen Beisatz, daß Oberländer – ebenso wie Wilhelm Leibl – dem Ziel des Meisters auf anderem, von ihm selbst gefundenem Wege entgegenging.
Der Charakter der „Fliegenden Blätter“ und die eigene Anlage führten Oberländer von der aufregenden tragischen Kunst der offiziellen Kreise zur humoristischen Illustration. Er hat hier im Stile der Historienmaler, den er freilich geläutert und von allen Schlacken befreit hat, die Kunst von Münchens großem Humoristen, Spitzweg, fortgesetzt. Dem Stil der Biedermeierzeit folgte auch hier in notwendigem Gegensatz der heroische. Ursprünglich wollte Oberländer ja dieses Fach nicht ausschließlich pflegen, aber ihm und uns zum Glück hat er bei den „Fliegenden Blättern“ so reiche Arbeit gefunden, daß er ihr nicht mehr entrinnen konnte. Wer ihn nun aber lediglich als Illustrator von Witzen auffassen, wer in seinen Beiträgen in den „Fliegenden Blättern“ nur den Witz sehen wollte, würde sich gründlich irren und jedenfalls nicht die Meinung treffen, die der Künstler selbst bei und von seinen Arbeiten hat. Der Witz und die Unterschrift ist bei ihm ebensogut Nebensache wie bei Daumier, und beide Künstler verwahren sich mit Recht dagegen, daß man dem begleitenden Text mehr Wert als den einer Erklärung beilege, die nur für diejenigen nötig ist, die nicht sehen können. Die Unterschriften rühren auch in der Regel nicht vom Zeichner her. Das Wort ist ja so wenig die Hauptsache bei Oberländer, daß die Art der zeichnerischen Darstellung zu der des Witzes in prinzipiellem Gegensatz steht. Während der Schriftsteller sein Wort scharf auf die Pointe zugespitzt [811] hat, arbeitet Oberländer eine Situation heraus, die er in behaglicher Breite, allerdings auch in äußerst klar charakterisierender Weise schildert. Zur Zeit der krassesten Inhaltsmalerei war er schon der rein künstlerisch tätige Schilderer und hat darum mehr mit den Modernen gemeinsam, als man beim ersten Blick glauben möchte. Die Ausführlichkeit seiner Illustrationen ist das direkte Gegenteil zu der knappen Schärfe des Witzes. Mit ihr hängt zusammen die edle Eigenschaft von Oberländers Kunst, der tiefe, reine Humor. Dieser hat nun nichts zu tun mit den trivialen Begriffen, die ihm wohl oft untergeschoben werden. Er will nicht die grobe Lachlust erwecken, sondern nur das feine Lächeln hervorlocken, das lange und vergnügt andauert.
Oberländers Kunst ist im landläufigen Sinne überhaupt nicht humoristisch. Ihre Formen haben etwas Heroisches; aber da sie unendlich warm ist, so hat sie doch jene Eigenschaft, die im höchsten Sinne des Wortes humorvoll ist. Die Wärme gibt ihr den Wert und hat sie durch die Jahrzehnte hin in unerschöpflicher Fülle und in gleichmäßig bleibender Kraft ausdauern lassen. Der Stil der sechziger Jahre, aus dem Oberländer hervorgegangen ist, hat die Lebensfähigkeit verloren, und seine Formen und Ausdrucksmittel erscheinen uns veraltet; aber noch immer wirkt Oberländer wie in der alten Zeit. Wir sind uns ja des Unterschiedes bewußt, der ihn von den Zeichnern der „Modernen“ trennt, aber wir sind uns auch bewußt, daß der Unterschied nur die Wahl der Ausdrucksmittel betrifft, nicht die Qualität der Arbeit. Das ist ein neuer Beweis für die so wenig beachtete Tatsache, daß der Stil und die Kunstrichtung nicht den Wert eines Kunstwerkes ausmachen. Man kann in jedem Stil gut und in jedem kann man schlecht arbeiten. Es ist nun aber auch wahr, daß Oberländer zu den ganz wenigen aus Pilotys Richtung gehört, die positive Werte schufen. Er kann zwar nicht und will auch nicht so in das Detail eingehen, wie die heutige Kunst das tut; aber indem er das geistig Belebte zur Grundlage seiner Studien macht und es nach dem Sinne der älteren Schule ganz bewußt stilisiert, [812] hat er doch den Weg zur positiven Wahrheit nicht verlassen. Was er gibt, beruht in allen Fällen und Einzelheiten auf genauen Studien. Diese unterdrücken zwar viel vom berechtigten und wohl auch manchmal vom notwendigen Detail; aber sie sind doch keine blutleeren akademischen Studien, wie sie früher üblich waren und im weiten Umkreis von Oberländers künstlerischen Freunden gemacht wurden. Sie gehen mit klarer Erkenntnis auf das Wesen der Sache und der Situation ein. Sie bilden auch die Basis für seine Zeichnungen, die manchmal so scharf zugeschnitten und stilisiert sind, daß man die Akribie und strenge Gewissenhaftigkeit gar nicht bemerkt, mit der der Künstler die Vorbereitungen zu ihnen getroffen hat.
Die Reproduktionen freilich nach solchen Studien, wie sie dem vorliegenden Aufsatze beigegeben sind, scheinen einem ganz anderen Meister anzugehören. In ihnen steckt nun der wahre Oberländer nicht ganz, aber viel von seiner besten Art. Sein persönliches liebevolles Verhältnis zur Kunst wird in ihnen klar. Es spricht sich in ihnen allerdings auch immer jene Voreingenommenheit – im besten Sinne des Wortes – aus, die man wohl sonst im Leben findet, wenn uns von Freundesseite die Schilderung eines Menschen gegeben wird. Es sind die Freunde ja immer diejenigen, die die wichtigsten Züge zu einem Charakterbilde veröffentlichen; aber sie sind auch gewöhnlich diejenigen, die nicht imstande sind oder die nicht die Lust haben, den ganzen Mann zu schildern. Sie erzählen das, was ihnen aufgefallen ist, was ihnen bemerkenswert oder lieb war, und gestalten mehr oder weniger unbewußt alles nach dieser ihrer persönlichen Auffassung.
So ist Oberländer mit den von ihm gezeichneten Tieren befreundet. Man muß ihn selbst seine Tierstudien kommentieren hören, um diese Art seines künstlerischen Schaffens zu begreifen. Jedes Tier, das er zeichnet, ist nach seinem eigenen Ausdruck ein Porträt, und er weiß den Charakter jedes einzelnen zu entwickeln. Ihm ist der Hund, den er malt, nicht allein der beliebige Vertreter einer zoologischen Spezies, sondern ein bestimmtes Individuum mit besonderen Gewohnheiten und Charaktereigentümlichkeiten. Diese Züge sucht er festzuhalten und läßt bei solchem Bestreben dann vielleicht manches weg, was ein Heutiger [813] mit der weiter fortgeschrittenen Schärfe der Beobachtung der körperlichen Erscheinung niemals weglassen würde. Es stehen sich da eben zwei grundverschiedene Anschauungen gegenüber, die von entgegengesetztem Ausgangspunkt uns zur Darstellung leiten. Jede beruht auf scharfer Beobachtung, und gerade Oberländer darf beanspruchen, als ein guter Beobachter zu gelten. Es ist ein in seiner Art einziger Genuß, mit dem ruhigen Manne zu sprechen, der in schweigender Gelassenheit die Reden seines Partners anhört und erst, wenn dieser ganz fertig ist, in der Weise darauf repliziert, daß zunächst das, was nicht absolut logisch gedacht ist, richtiggestellt wird. Er spürt die kleinste Lücke in der Folgerichtigkeit der Ideen. Die gleiche Klarheit aber haben seine Illustrationen. Darin liegt ihre zündende Kraft, die in Anbetracht der von ihm gern gepflegten Breite der Schilderung staunenswert ist.
Derselbe Mann aber, der in der Diskussion jeden logischen Fehler richtigstellt, ist die verkörperte Bescheidenheit und Anspruchslosigkeit und besitzt eine wahrhaft humane Courtoisie. Diese große Einfachheit steht jedoch in einem ganz merkwürdigen, obschon leicht erklärbaren Gegensatz zu seiner Kunst und seinen künstlerischen Liebhabereien. Oberländer ist nicht nur einer der wenigen der älteren Schule, die auf das Positive gingen, sondern der einzige, dem die reiche und große Bewegung gelungen ist. Andere haben auch versucht, Bewegung in die Figuren und Massen zu bringen: aber es sind dann immer doch nur „gestellte“ Bewegungen. Oberländer allein wußte Schwung und Fluß in die Massen zu bringen. Das ist nun das Beste, was er aus dem auf das Heroische gerichteten Stil seiner Zeit holen konnte. Hierin berührt er sich auch sehr nahe mit dem ihm sonst so wenig wahlverwandten Wilhelm Busch, mit dem man ihn so oft zu vergleichen pflegt, obwohl sich ihre beiden Erscheinungen eher fliehen als sich auch nur vergleichsweise zusammenbringen lassen. Aber Busch ist in mancher Hinsicht doch der Name, den man nennen muß, um Oberländers Bedeutung erst recht fest zu fassen. Bei Busch finden sich auch jene heroischen Kompositionen und sogar nicht selten; aber ihnen fehlt, trotzdem sie oft großen Schwung haben, die einleuchtende, unmittelbar wirkende Klarheit, die Oberländers Stil gerade im vielfigurigen Stück besitzt. Erst wenn Wilhelm Busch nur einzelne und wenige Figuren [814] zeichnet, dann kommt er zu jener unnachahmlichen, von Oberländer nie erreichten Drastik, die das Geheimnis seines Stiles und seiner Wirkung ist, und die im ganzen neunzehnten Jahrhundert nur noch ein anderer – dann allerdings in noch höherem Maße – besitzt: der große Hauptmeister der französischen Karikatur Honoré Daumier.
Drastisch ist Oberländer nicht oft, und seine ganze auf breite Schilderung ausgehende Kunst hat auch keine Möglichkeit, drastisch zu werden. Aber er charakterisiert doch nicht weniger fein als Busch, nur bleibt er immer dem Einzelfall näher. Oberländer erhebt zwar die Einzelerscheinung in ein höheres, dem Alltagsleben entrücktes Niveau, aber seine Figuren haben doch noch immer fast etwas Persönliches. Das fehlt bei Busch, der in seiner sparsamen Strichführung auf die schärfste und darum so sprechende Festlegung des Typischen hinarbeitet. Damit hängt auch die Einseitigkeit von Busch zusammen, der in viel engerem Sinn als Oberländer sich der Karikatur gewidmet hat, und der auch sonst nicht die große Vielseitigkeit wie Oberländer besitzt. Damit soll natürlich nicht einer über den anderen gestellt werden; denn die beiden großen Meister deutscher Illustration lassen sich eben nicht miteinander vergleichen. Sie ergänzen sich auch nicht einmal. Obwohl sie beide als Künstler dem Münchener Milieu entstammen, so sind sie doch verschiedene Wege gegangen, als seltene Vertreter der selbständigen deutschen Kunst.
Oberländer mag vielleicht sogar beanspruchen dürfen, insofern der Selbständigere zu sein, als bei ihm kein Einschlag von irgendwelcher Seite her zu spüren ist, während es bei Busch schwer fällt, nicht an die französischen Zeichner zu denken. Hiermit ist nun eine Seite von Oberländers Talent und Charakter berührt, die von ganz besonderem Wert und Interesse ist. Die Schule, der er angehörte, hatte von Anbeginn unter fremden Einfluß gestanden. Piloty und die Seinigen haben immer wieder alte oder ausländische Meister als Vorbild gebraucht, und man weiß besonders, wie selbst die berühmtesten Pilotyschüler von der alten Kunst beeinflußt wurden. Männer wie Lenbach, um nur den bekanntesten zu nennen, sind ohne das Beispiel der Alten nicht zu denken, und man nimmt das Beste aus ihrer Kunst, sobald man aus ihr die Anregungen oder mehr als das, die Anleihen, die sie bei Rubens, Tizian und den anderen allen gemacht haben, hinwegnimmt. Das ist bei Oberländer nicht der Fall. Er hat wohl den großen Respekt und die tiefe Vorliebe für die alten Meister, die man zur Zeit seiner Jugend in anderem – übrigens nicht in höherem – Maße als heutzutage hatte; aber er würde niemals auf den Gedanken kommen, bei Rembrandt [815] oder Mark Anton sich Anregung für seine Zeichnungen zu holen. Er hat auch keine altmeisterliche Jugendperiode hinter sich wie so mancher andere, der später selbständig wurde. So weit wir ihn verfolgen können, ist er immer er selbst gewesen und hat immer nur aus seiner eigenen Zeit heraus geschaffen. Das ist nun auch der Hauptgrund, daß er unter den Künstlern aus der Pilotygegend der größte und stärkste geworden ist, und daß er der einzige ist, der sich inmitten einer neuentstandenen Kunst seine Wirkungskraft erhalten hat.
Dadurch endlich hat er sich auch von dem sogenannten „Gschnas“ ferngehalten, von dem Tapeziererstil, der bis vor nicht langer Zeit, wie in ganz Europa, so auch in Deutschland und München geherrscht hat. Das ist aber geradezu bewundernswert; denn nicht wenige der ihm gestellten Aufgaben drängten fast mit Notwendigkeit auf die damals übliche sogenannte „historische Treue“ hin. Wie viele Ritter und Burgfrauen mußte er zeichnen, wie viele romanische und gotische Löwen, wie viel stolze Damen der Renaissance und des Barocks! Aber er hat immer mit richtigem Takt gefühlt, daß der Wert nicht in der Treue des Kostüms, sondern in der natürlichen Auffassung der Bewegung und des rein Menschlichen liegt. So ist er um die schlimmen Klippen des pseudohistorischen Stils glücklich herumgekommen. Allerdings hat er bei der Behandlung solcher Themen eine ganz besondere, seinem Talent sehr förderliche Unterstützung insofern erhalten, als sie seinem Sinn für Größe und Kraft sehr entgegenkamen. Hier offenbart sich auf das schönste jene Eigenschaft, die jeder echte Künstler hat, und die man ebensogut Bescheidenheit wie Trotz nennen kann, weil sie von beiden etwas hat; er, der doch mit seinen Zeichnungen gute Stimmung beim Publikum hervorbringen wollte, hat es sich nie einfallen lassen, durch allerlei Nebensächlichkeiten wie die damals so sehr beliebten antiquarischen Details kokettieren zu wollen. Er ist stets beim künstlerischen [816] Kern, bei der Sache selbst geblieben.
Wie groß nun auch immer sein Geichick ist, in den alten Rittern und spanischen Granden den Humor freizumachen, so wendet er sich doch am liebsten der Gegenwart zu. Das kulturhistorische Interesse ist ja beim Kunstwerk schließlich nur eine Dreingabe und sollte nicht mit so großem Nachdruck betont werden, wie es gewöhnlich geschieht. Aber bei Oberländer darf man doch davon sprechen, daß er während der Jahrzehnte, die er bei den „Fliegenden Blättern“ an der Arbeit war, ein gutes Stück Kulturgeschichte von Süddeutschland festgehalten hat, und besonders dankbar muß ihm derjenige sein, der den allmählichen Wandel in den künstlerischen Anschauungen, wie sie um Ende des neunzehnten Jahrhunderts eingetreten sind, historisch zu entwickeln hat. Oberländer ist ihnen Schritt um Schritt gefolgt, nicht als einer, der sie mitgemacht hat, aber als ein aufmerksamer Beobachter. Es konnte nicht ausbleiben, daß er das Neue etwas weniger ernsthaft behandelte, als es zu nehmen war, aber auch hier zeigt sich nun wieder die Wärme seiner Empfindung und sein gesunder Takt. Er ist niemals schroff geworden. Das spürt man nie deutlicher, als wenn man die von ihm ja nicht herrührenden Unterschriften zu diesen Zeichnungen liest. Der Text ist oft beinahe aggressiv und wird heute wohl nicht immer so geistreich gefunden werden, als die Verfasser damals hoffen durften: aber Oberländers Zeichnungen bleiben frei von dieser Perfidie der Ignoranz, und indem er die Spitzen wegließ, hat er oft genug dann den Nagel auf den Kopf getroffen und das, was am jungen Most noch unvergoren und unschmackhaft war, richtig als solches gekennzeichnet. Die Qualität des Jahrgangs aber hat er nicht herabgesetzt.
Ein Lieblingsgebiet, das Oberländer immer wieder behandelt, sind die großen wilden Tiere und die kleinen Menschenkinder. Naturalistische Treue gab er bei ihnen allen nicht, aber er gab vieles von ihrer Art, sich zu bewegen, besonders bei den Kindern von ihrer Art zu spielen und Unfug zu treiben, mit dem glücklichsten Sinn für das Intime. Hier ist es nun allerdings in erster Linie notwendig, die Originalzeichnungen, womöglich die ersten Skizzen zu sehen. In den Reproduktionen geht manches von dem Ursprünglichen verloren, obwohl er seit dem Jahre 1876, wo die Photographie bei den „Fliegenden Blättern“ als Hilfsarbeiterin eingeführt [817] wurde, sich gewiß nicht über schlechte Reproduktion beklagen kann. Er selbst läßt die vorher gemachten Zeichnungen nicht als seine Kinder gelten. Er mußte ja bis 1876 so wie Schwind und die anderen alle direkt auf die Holzplatte zeichnen; die Zeichnung wurde dann vom Holzschneider ausgeschnitten. Aber dabei hat das Messer oft das Beste weggenommen und den Strich verdorben. Seitdem jedoch das Original als selbständige Arbeit angefertigt wurde und der Schneider eine photographische Reproduktion davon auf dem Holzblock erhält, hat sich die Reproduktion in ihrer Originaltreue unendlich verbessert. Das ist der Grund, warum man den echten Oberländer erst vom Jahre 1876 kennen lernen kann.
Oberländer hat anfänglich nicht Zeichner im üblichen Sinn des Wortes werden wollen. Er wollte sich der Malerei widmen und hat auch nicht wenig gemalt. Aber erst seit acht Jahren fand er wieder die Muße, sich mit Lust und Freiheit der Malerei zu widmen. Die Technik, die er gewählt hat, ist die Guasch, der er in höchst subtiler Art eine Fülle von Nuancen entlockt, und die er bis zu einem gewissen Grad mit der Ölmalerei konkurrieren läßt. Hier darf er machen, was er will, und braucht nicht Witze zu illustrieren, was für ihn in seiner gutmütigen Münchener Ausdrucksweise schließlich bloß „dummes Zeug“ ist. Nun kommt die ganze Ruhe seiner Kunst, ihr poetischer, stimmungsvoller Zug zum Ausdruck, allerdings in einer Weise, die nicht in gleichem Maße wie seine Illustrationen die volle Selbständigkeit gegenüber der älteren Schule zeigt. Hier kann er in großen Gestalten jene unendlich fein geführten Linien ziehen, die kein anderer so gut macht wie er, hier auch zeigt sich ganz deutlich, daß das, was er macht, unabhängig von dem fremden Wort ist, das ein anderer gefunden hat und das unter seinen Zeichnungen beinahe störend steht. Das Beste mögen hier auch wieder die Bilder sein, wo er Tierstudien verwerten und wo er vor allem seine geliebten Löwen vorführen kann. Ein Glanzstück ist der verlorene Sohn unter den Schweinen, von denen jedes einzelne ein Porträt ist. Der liebenswürdige Humor der Charakterschilderung und Entwickelung der Situation zeigt sich aber vor allem in der gelehrten Prinzessin.
So ist es dem rüstigen Mann, seitdem er wieder malen darf, beschieden, alle seine künstlerischen Wünsche voll zu befriedigen, ein Los, das nur wenigen zuteil wird.