Textdaten
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Autor: Betty Lucas
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Titel: Ackerknecht und Raphael
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aus: Die Gartenlaube, Heft 10, S. 145–148
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[145]

König Heinzelmann mit Anna in der Küche.
Aus Mintrop’s „König Heinzelmann“.

[146]

Ackerknecht und Raphael.
Von B. Lucas.
(Mit Abbildung.)


Ein Schatzfinder! Wie abenteuerlich, mittelalterlich das klingt! Und doch wie einfach natürlich sich das zutrug, was in diesen Blättern schon einmal (1872, S. 196 ff.) in rascher Erzählung berührt ist und nun, dem Werthe des Gegenstandes entsprechend, in eingehenderer Weise vorgeführt werden soll.

Der Maler Eduard Geselschap sah um 1844 in Düsseldorf bei einem Freunde einige Zeichnungen, die ihm durch den genialen Schwung der Behandlung, durch die Kühnheit der Composition so imponirten, daß er ausrief: „Mein Gott! Wer konnte das zeichnen?!“

„Ein Bauer, Theodor Mintrop,“ war die Antwort.

Nicht lange nachher sehen wir Geselschap im bergischen Lande an einem frisch gepflügten Felde stehen und dem Pflügen eines kräftigen Bauernburschen zuschauen, der mit lautem Zurufe die Pferde zu tüchtigem Eingreifen ermuntert.

„Seid Ihr der ländliche Raphael?“ rief Geselschap dem Bauern freundlich entgegen. Dieser näherte sich und Geselschap staunte den herrlichen Kopf an, der den Adel der Gesinnung auf der Stirn trug und aus dessen Auge das heilige Feuer der Begeisterung sprühte.

Und er hob den Schatz. –

Auf der linken Uferseite der Ruhr, unweit Werdens, liegt ein einsamer Bauernhof, bewirthschaftet von der Familie des Besitzers. Hier ward Theodor Mintrop seinen Eltern als dritter Sohn geboren und kurzweg „Dores“ genannt. Die Mutter, eine einfache, dem Realen zugewandte Frau, sah überall nach dem Rechten. Der Vater war ein strenger Mann in Bezug auf Ausübung der täglichen Pflichten jedoch ausgestattet mit einem ausgeprägten Sinn für Humor. Er erkannte sehr bald, daß sein Dores so „eigen“ sei, wie er selbst, und er nahm ihn mit, zog er über Land und in den Wald. Da war der Dores in seinem Element. Sein Auge sah überall Dinge, die einem Anderen entgehen. Und mit echt empfundener Freude zeigte er dem Vater bald Dieses, bald Jenes, hier eine Schönheit der Beleuchtung, dort eine Eigenthümlichkeit der Färbung mit einem so feinen Gefühle und Verständniß, daß des Vaters Auge und Herz sich erweiterten und er sich sagte: „So ist es, nur wußte ich es nicht zu sagen; der Dores ist doch ein aparter Junge.“

Einen wahren Märchenschatz hatte der Alte aufgespeichert. Dabei besaß er eine Gabe der Darstellung, daß dem Dores bald Alles umher zu leben begann. Aus der Quelle tönten Stimmchen; im Winde rauschte es vernehmlich; aus des Waldes Schatten traten Gestalten; in Schluchten und Ritze huschten die Zwerge, und überall verkörperte sich die Umgebung, indem sie ihn stets zum Mittelpunkte machte und er Zwiesprach mit den Gestalten seiner Phantasie hielt.

Dores wuchs in dieser Einsamkeit des Bauernhofes, der so recht lauschig in Wald und Flur gebettet liegt, und malerische Fernsichten bis zum Rheine bietet, heran. Er mußte seine Zeit zwischen dem dürftigen Schulunterrichte, der so ungenügend war, daß er nicht richtig schreiben lernte, und dem Hüten der Heerde theilen. Und kehrte er Abends heim, so ging es in die Spinnstube, wo Knechte und Mägde sich versammelten. Da knisterte und flammte der Kamin, da rauchten die Knechte, da spannen die Mägde, und der alte Schäfer Sükelmann erzählte in seiner hastigen und rauhen Weise seine Schauergeschichten, daß dem Dores die Haare zu Berge stiegen und es ihn gruselte. Und wenn er nun andren Tages seine Heerde wieder auf die einsamen großen Triften führte und er Stunde um Stunde in die Natur versenkt da saß, da ward es lebendig um ihn: er sah die Wesen, sprach mit ihnen, herrschte über sie, dünkte sich ihr König. Daheim aber nahm er dann die Kohle vom Herde und bevölkerte die Stallwand oder das Scheunenthor in kühnen Umrissen mit den Gestalten, die sein Geist gesehen.

Mancher Tadel ward ihm für die „Firlefanzereien“, wie sein Zeichnen genannt wurde. Nur Eine fand sich, die sein Talent bewunderte, und das war die alte Fiechen, die Frau des alten Schäfers. In ihrem Stübchen räumte sie ihm den besten Platz an dem einzigen Fenster ein und wachte ängstlich, daß Niemand an seine Zeichnungen rühre, die er an Sonn- und Feiertagen unablässig entwarf.

Eines Sonntags aber saß er bei der Mutter in der Kammer und zeichnete halb verstohlen mit einem Rothstifte, den er sich vom Schreiner erbettelt hatte, ein Jesukindlein, als eine Nachbarin eintrat und die Mutter anging, ihr ein Heiligenbild zu leihen, welches das Heiligenhäuschen, das auf ihrem Acker stehe, bei der großen Procession schmücken müsse.

„Mein Heiliger ist verregnet,“ jammerte sie.

Jedoch es wollte sich keine passende Schilderei an den Wänden der Kammern finden.

„Der Dores kann Euch einen neuen Heiligen malen,“ begann die Mutter.

„Der Dores einen Heiligen, einen richtigen Heiligen?“ fragte beklommen die Nachbarin.

„Ja, der kann Alles,“ entgegnete stolz die Mutter mit einem Blicke auf den sie anstarrenden Dores. – „Der Heilige ward bestellt. –

Dem Dores schlug das Herz bis in den Hals; der Athem stockte ihm. Seine Mutter hatte sein Zeichnen, das vielgeschmähte, gelobt. Ein Auftrag war ihm geworden. In diesem Augenblicke gab es keinen seligeren Menschen auf der Welt als den Dores. – Das Honorar für diesen „Heiligen“ bestand in drei schönen rothen Aepfeln, und ein jeder barg ein blankes Fünfgroschenstück. Reicher war kein Crösus. Nun konnte der Bote ihm große, schöne Bleistifte und großes, frisches, weißes Papier mitbringen.

Von Jugend auf ward Mintrop von den Bauern „der Maler“ genannt. Ach, und wie sehnte und härmte er sich, es zu werden! Aber das Schicksal hielt ihn an der Scholle fest, fest, die Scholle zu bearbeiten als Knecht seines Bruders, denn im Bergischen gilt noch das Recht der Erstgeburt.

Dores wurde Soldat und theilte in Köln seine Stube mit Hackländer, und durch Diesen erhielt er den ersten Begriff von Literatur. Wie eine so angelegte Natur von Schiller und Shakespeare, Goethe und Bürger gepackt und gefesselt wurde, ist begreiflich. Als er auf den Hof zurück kam, verbannte er die alten Spuk- und Räubergeschichten und begann damit, in der Spinnstube den Othello vorzulesen. Selbst begeistert, ausgestattet mit einer imponirenden Gestalt und einem breiten, ausgiebigen Organe, sah er bald die Bauern mit weit aufgerissenen Augen, mit offenem Munde, die Pfeifen ausgegangen in der Hand, ihm staunend zuhören und grimmerfüllt das Schicksal Jago's erwarten. Ebenso ergriff er sie durch Shylock, Götz, Tell und manchen Andern. Bald füllte sich die Spinnstube immer mehr, und leer ward das Wirthshaus. Hier und da hatte ein gutes Wort Einkehr gefunden, die Begeisterung nachhaltig gewirkt, war der Sinn für das Schöne geweckt worden. Die Wahrheit siegte eben.

Dreißig Jahre war Dores Mintrop alt, als ihm, wie in dem oben erwähnten Artikel erzählt wurde, die Stunde schlug, die ihn als Schüler in die Akademie in Düsseldorf einführte. Wie froh saß der kräftige, starke Mann mit dem edlen Kopfe unter den Knaben, das A-B-C der Kunst zu erlernen! Ein eiserner Fleiß ließ ihn rasch die nöthigen Studien beendigen, und bald sehen wir ihn frei seinem Genius folgen. In allen Kreisen der Gesellschaft sprach man von ihm und bewarb sich um ihn. Die Kunstkritiker bezeichneten ihn als ein Phänomen am Kunsthimmel. Eine wahre Herzensfreude aber ward ihm, als bald eine Deputation seines Dorfes erschien und bei ihm ein Bild für die Kirche bestellte.

Mit großer Pietät malte er an dem heiligen Ludger, dem Schutzpatrone des Ortes, fast ein Jahr lang. Er brachte das Bild selbst nach Werden. Die Aufstellung und Einweihung desselben gestaltete sich zu einer Feier für Dorf und Umgegend, zu einer Ovation für ihn. Bei dem Festessen, das ihm gegeben wurde, schmückte ein Lorbeerkranz seinen Teller. Der ganze Saal war bekränzt, und als ein Tusch ihm beim Eintreten entgegenschmetterte, rief er ganz überwältigt: „O, hätte das mein Vater noch erlebt!“ Da er bald darauf erfuhr, die Schule sei arm, malte er ein großes Transparent, die Himmelfahrt Christi darstellend, [147] schenkte dasselbe der Schule zu Weihnachten und erzielte dadurch alljährlich eine große Einnahme für die armen Kinder. Ja, jedes Jahr wird das Transparent am heiligen Abende gegen ein Eintrittsgeld gezeigt, lockt durch seine große Schönheit stets die ganze Umgegend herbei und bleibt so eine Wohlthat für die Dorfkinder.

Mintrop fand in der Familie des Malers Geselschap, dessen innigster Freund er ward, trautes Familienleben. Es war ein reizendes Heim, welches sich ihm hier erschloß. Die junge liebliche Frau des Hauses mußte ihn gleichsam bemuttern, denn von den täglichen Bedürfnissen der civilisirten Welt hatte er keinen Begriff. Geld durfte er gar nicht in der Tasche haben, denn, ob viel, ob wenig, er gab Alles weg, und so sagte er selbst: „Gebt mir keines mehr!“ Aber eine Natur läßt sich nicht ändern. Oft, wenn er nach Hause kam, hatte er zehn Schritte hinter sich – damit es nicht auffalle – mehrere Bettler und Arme, die er dann in einem Specereigeschäfte, das unten in seinem Hause war, speisen ließ.

Ferner erinnere ich mich eines Winterabends, wo wir ihn zum Thee erwarteten. Er blieb länger als gewöhnlich. Frau Geselschap ward unruhig; endlich trat er ein. „Dores, wo bleibst Du?“ rief’s ihm entgegen.

„Ja, ja,“ sagte er, unwillkürlich vor Kälte schauernd, „da war ein armer Kerl mit zerrissener Hose; der schlotterte vor Frost, und da ich kein Geld hatte und er mich so dauerte, bat ich ihn mit in die Akademie zu gehen; da habe ich meine Unterhose ausgezogen und ihm gegeben.“ Alles brach in ein gutmüthiges Lachen aus, und er, der Gutmüthigste, lachte selbst am tapfersten mit.

Trotz seines riesigen Talents gab’s für Mintrop Jahre, in denen er Noth hätte leiden müssen, wenn er nicht bei seinem Freunde Geselschap Zuflucht gefunden hätte. Hier ward er mit Liebe gehegt und gepflegt, wie ein Lieblingsbruder. Hier verstand man ihn. – Köstlich war es, wenn er im Eifer der Rede, mit dem Wort, dem noch wenig gefügigen, der glühenden Phantasie nicht zu folgen vermochte; dann suchte er mit den Händen in der Luft zu zeichnen, was dem Worte nicht gelingen wollte. – Der Künstler bedarf vor Allen des Familienlebens, des Familienlebens im wahren Sinne des Wortes. Ein Heim, wo die Regungen des Herzens Widerhall finden, wo die Phantasie Boden gewinnt, wo die Liebe Anregung und Maßhalten dictirt. Und Dores ward der „Sonnenschein“ des Hauses. Nach ihm verlangten Mann, Frau und Kind – er war der Mittelpunkt ihres Glücks. –

Was aber seine Arbeiten betrifft, so gaben der Zauber von Wald und Busch, die weiten Fernsichten seiner Heimath, die Frömmigkeit des Volkes, der Märchenschatz ihnen ihr Gepräge. Seine Göttin war die Schönheit. In seinen Arbeiten ist elementare Poesie. In Mintrop’s Wesen paarte sich Unschuld mit hohem Adel. Die Unmittelbarkeit seiner Anschauungen, die Wahrheit seiner Begeisterung, das Echte, Kräftige, Ursprüngliche seiner Empfindung neben rührend kindlicher Naivetät gaben seiner Erscheinung einen Zauber, dem Niemand widerstehen konnte. Darum tragen auch Mintrop’s Madonnen und Engel eine solche Hoheit, daß bewährte Kunstkritiker sagen: „man denkt an einen Schüler Sanzio’s von Urbino.“ Originell und ihm tief eigen sind die Verherrlichungen des Landlebens. Da ist ein Zauber von Ideen, Formen und Gruppen in nie dagewesener Lieblichkeit. In Kindergestalten drückte er vorzugsweise seine Gedanken aus, und wenn man sie sah, so sagte man sich, diese anmuthige Form sei für ihn, den Reinen, die richtige. Ja, die Form ward Styl. Wahrhaft classisch in der Composition sind die Friese, die den Weinbau, die Jahreszeiten, den Winter, das reiche Jahr, die zwölf Monate des Jahres behandeln und welche alle bäuerischen Verrichtungen, durch meist nackte Kinder, in wunderbarem Reiz darstellen. Da ist Alles Leben, Freude und Arbeit, und in der Arbeit Genuß – das echte Leben! Es ist, als hörte man das Jauchzen, das Lachen, den Schall des fröhlichen Schritts. – Die höhere Richtung in der Malerei (die Richtung Leonardo’s, Raphael’s) ist es aber nicht allein, was wir bei Mintrop hervorheben wollen, sondern es muß vor Allem der nationale, der germanische Charakter in den Werken des Verstorbenen betont werden. In ihnen prägt sich die deutsche Geistes- und Gemüthsrichtung in hoher Schönheit aus.

An Lob hat es dem todten Meister im Leben nie gefehlt; man hat ihn besungen in allen Tonarten, ihn himmelhoch erhoben. Aber man war nur von der hohen Schönheit seiner Werke entzückt, man ahnte den charaktervollen Zug in ihnen nicht. Und deshalb war ihm diese Anerkennung keine ‚moralische Hebung‘; das geschwätzige Lob konnte ihn, den bescheidenen, von der Größe seiner Sendung aber dennoch durchdrungenen Mann nicht befriedigen. Und wenn ihm die wohlwollenden Freunde den Pinsel in die Hand drücken wollten und meinten, er könne sich eine Million ermalen – dann lächelte er nur wehmüthig vor sich hin. – ‚Sie verstehen mich Alle nicht‘ – ‚man könnte rasend werden, wenn man sieht, wie sie es nicht begreifen‘ – ‚ich könnte einen König arm malen‘ … das sind Worte, die ihm oft entfuhren. Er, ein König im Reiche der Kunst, sollte sich des ‚redlichen Erwerbes‘ befleißigen; er, ein schöpferisches Genie, welches fast erstickte an der Fülle hoher künstlerischer Ideen, sollte mit dem Pinsel tage- und wochenlang an einem einzigen Figürchen oder gar an einem bunten Kleide herumstreichen! Die sittliche Höhe des Jahrhunderts nahm sogar Anstoß an der Nacktheit seiner Engelgestalten. Mußte er doch wirklich einem jüdischen Banquier die unschuldsvollen Kindlein mit einem Schamfetzen bekleiden!

Winckelmann rühmt als höchstes Kennzeichen griechischer Meister: edle Einfalt und stille Größe, sowohl in der Stellung wie im Ausdrucke. Man werfe das Auge auf die herrliche Schöpfung Mintrop’s: „Drei Grazien, einen geborenen Genius beschützend,“ mit der stolzen, ihm nach seinem Tode gegebenen Unterschrift: „Der deutsche Raphael“. Hier waltet edle Einfalt; hier athmet stille Größe. Alle Vorzüge seiner schöpferischen Kunst vereinigte er in seinem letzten Hauptwerke, dessen Veranlassung ihm für immer den Frieden des Herzens und schließlich noch das Leben kostete. Der Vorgang wurde uns in folgender Weise erzählt:

Eines Mittags, als Dores nach Hause kam, stutzte er, denn in der Thür des Wohnzimmers stand ein junges Mädchen, noch halb Kind, doch so voll Anmuth und Grazie, daß sie sein Auge ganz gefangen nahm und – bald genug seine Seele. Das holde Wesen blieb den ganzen schönen Sommer lang im Geselschap’schen Hause. In dem steten, ungezwungenen Verkehr der Familie, wo sich Jedes ganz gab, entwickelte sich bald eine tiefe Neigung des ernsten Mannes zu der Lieblichkeit dieser Mädchenblume. Und sie? Sie ahnte nicht die gewaltige Leidenschaft, die sie erweckte. Sie begriff sie kaum, weil sie dieselbe nicht theilte. Sie liebte und verehrte den Dores wie einen Bruder; ihm aber wollte, da sie fröhlich schied, schier das Herz brechen.

Als ihn die Kunde ihrer Verlobung traf – eilte er in den Wald. Nach einigen Tagen sagte er seinem Freunde: „Ich werde Johanna’s Andenken in einem Werke feiern und sie verherrlichen mit ganzer Seele.“ Und so befreite er denn seine Seele durch Bilder, in welchen er im Gewand des Märchens als Schutzgeist der Johanna auftritt, da es ihm nicht vergönnt war, im Leben ihr zur Seite zu stehen.

Er nennt es „König Heinzelmann“. An die siebenzig Blätter entstanden so, die ein rührendes Zeugniß geben, wie sein Herz sprach. Entzückend ist die Naivetät der verschiedensten Situationen, in denen König Heinzelmann als Schutzgeist der Geliebten nahe tritt. Tausend und tausend drollige kleine Gestalten, mit dem köstlichsten Humor ausgestattet, umgeben die Gebieterin, im Dienste des Herrn, des König Heinzelmann, folgen ihr von Ort zu Ort, schützen und begleiten sie, bald hier, bald dort, bei Tag und bei Nacht. Die Poesie seines Herzens hat sich hier verkörpert; er legte seiner Phantasie keine Zügel an. Ein vielseitigeres Werk hat Mintrop nicht geschaffen; es athmet bald hohe Romantik, bald liebliche Naivetät, nun seltsamen Ernst und dann wieder lustige Ausgelassenheit, um hoher Tragik und harmlosem Spuk zu weichen – just wie die Wogen seines Seelenlebens sich hoch aufbäumten, tändelten oder düster grollten.

Wir können nicht sagen, daß ein neuer „Liebesfrühling“ hier in Bildern an uns vorüberziehe. Der arme Gnomenkönig ist ja von vornherein nicht so glücklich, sich der Gegenliebe zu erfreuen. Wir verfolgen ihn Bild um Bild nur in immer emsigerem Liebesdienste, den die heimlich Geliebte sich ohne Weiteres gefallen läßt. Um so tragischer wirkt freilich dann der Schmerz des Verstoßenen, der eigentlich gar nicht verstoßen wird, sondern der seine bisherige Liebesdienstrolle ungehindert weiter [148] spielen darf – und in der That auch weiter spielt bis zum Ende seiner verfehlten Mission. König Heinzelmann hat nämlich sein unterirdisches Reich verlassen, um der Königin Romantik, die sich vor dem donnernden Eisen-Triumphwagen der Industrie zu ihm geflüchtet, eine treue liebende Seele zu suchen. Er findet die schöne Anna und verliebt sich in sie so gründlich, daß er darüber Alles, sein Reich sammt der Romantik vergißt. Wir kommen nicht aus einem bürgerlichen Haushalte hinaus, aber schon jetzt beleben ihn des Königs dienstbare Geister. Anna wohnt bei Onkel und Tante. Die Tante reist in’s Bad und übergiebt ihr die Wirthschaftsschlüssel. Das ist des Königs seligste Zeit. Unsere Illustration rührt aus ihr her: wie er dem Onkel den Kaffee kochen hilft! Wie schön hält er später das Garn zum Knaulwickeln! Da kommt die Tante wieder, Besuch dazu und endlich das Sängerfest und der Fremde ans Amerika, mit welchem Amor und Amoretten in’s Haus einziehen. Nun beginnt für den König der Liebe Leid: er sieht den Bund entstehen, die Verliebung, die Verlobung und sinkt bei der Trauung in Ohnmacht. Dennoch macht er auch noch die Hochzeitsreise mit – und rührender, ergreifender sind wenige Bilder, als das, wo er vor der Thür der Brautkammer Nachts auf einem Stiefelknechte sitzt und den Schuh der Geliebten weinend herzt! Erst am Meere, das er und sein Volk nicht betreten dürfen, erhält er den Scheidekuß – und weinend kehrt er in sein Reich zurück. – Aber – das Alles muß man sehen! Eine Beschreibung dieses wunderbaren Werkes würde einen ganzen Band füllen.[1]

Drei Jahre waren dahingegangen, seit Dores Mintrop der Geliebten „König Heinzelmann’s Liebe“ als Hochzeitsgeschenk dargebracht hatte. Ob seine Seele dadurch entlastet worden, daß er seiner Liebe Ausdruck zu geben verstand?

Wir sehen am Schlusse des Bilderdramas das Brautpaar selig im Arme der Liebe über’s Meer ziehen, der neuen Heimath entgegen – die Seele voll von Wonne, Lust- und Zukunftsgedanken. König Heinzelmann blieb einsam, gramzerrissen zurück.

Drei Jahre gingen dahin, und die Liebenden kehrten zurück. In der Heimath, auf der rothen Erde Westphalens, baute sich der Gatte ein Haus, das an den Wald lehnte und in das die Berge hineingrüßten. Hier, wo Beider Wiege gestanden, wurzelte ihr Glück und es erwuchs ihnen ein Röslein auf deutschem Grund: ein liebliches Kind, ein Mädchen. Er frug: „Wer soll Pathe sein?“

„König Heinzelmann soll Pathe sein,“ bat die junge Mutter bewegt.

Und sogleich ward ein Gevatterbrief von dem glücklichen Vater in die Kunststadt entsandt. Der Dores stutzte, als ihm die Kunde ward – er griff an die Stirn und meinte, er träume. – Aber drei Jahre sind eine lange Zeit und er sagte sich: „Du kannst sie mit Ruhe wiedersehen und – willst Pathe sein.“

An einem hellen, sonnigen Herbsttage zog durch einen stillen Waldweg der Pathe. Bald sah er das anmuthige Haus, zu dem ein Wiesenpfad führte, gefällig inmitten von Bäumen liegen. Eigene Gedanken über Das, was Alles hätte sein können, und wie es nun war, wollten nicht weichen. Er hatte sich im Wiesengrün niedergelassen und war in Sinnen versunken. Plötzlich sprang er auf und rief sich zu: „Sei ein Mann!“

Und festen Schrittes, den schönen Kopf hochgetragen, ja mit frohem Antlitze schritt er durch die Pforte, und mit wahrem Jubel tönte ihm „Dores. Dores!“ entgegen. Er hatte „Sie“ wiedergesehen und war fest geblieben. Die Taufe sollte stattfinden. Freunde und Verwandte in Festgewändern umstanden den reich mit Blumen umkränzten Tisch. Der Priester trat vor. Nun ward das Kindchen hereingebracht. Anna reichte bewegt dem Pathen das Töchterlein.

Es schlief. Er nahm es fast mit Ehrfurcht. Die kleine süße Last ruhte in seinen Händen. Er sah auf das weiche rosige Antlitz nieder, lange – lange. Da schlägt das Kind die Augen auf und sieht ihn an. Da war’s um ihn geschehen. Er wankt und zittert – Schwindel erfaßt ihn – er kann das Kind nicht mehr halten, reicht es der Mutter und stürzt weg – hinaus in’s Freie, – in den Wald!

Nicht lange, und der Tod neigte die Fackel. – Auf dem Todtenbette rief er aus: „O gütiger Gott, laß mich nur noch so lange leben, bis ich meine Aufträge ausgeführt habe; in meinem Geiste ist Alles fertig.“ – Aber der Tod gab keine Frist: der Künstler starb.

  1. Kunsthändler Reinhardt in Dresden hat dieses große aus siebenzig Prachtblättern bestehende Werk erworben, und seinem Kunstsinn und seiner Pietät für den Verstorbenen ist es gelungen, die Vervielfältigung desselben so trefflich ausführen und ausstatten zu lassen, daß das vollendete Kunstwerk als ein würdiges Denkmal des so früh Vollendeten begrüßt werden kann.