ADB:Zinzendorf, Karl Graf von
[341] Jena, woselbst er in die Jenenser „deutsche Gesellschaft“ eintrat und später (1758) in die dortige „lateinische“ Societät aufgenommen wurde. In diesem Jahre trieb ihn ein „phantastischer Zug“, wie er selbst schreibt, zu dem Stiefbruder seines Vaters, Nicolaus Ludwig, dem „mährischen Brüderbischof“ und Seele des Herrnhuterthums (s. u.). Zum Juristen vorgebildet, erlangte er 1759 die Bestallung als Hof- und Justizrath der kurf.-königlichen Landesregierung in Dresden. Der Einladung seines ältesten Halbbruders Ludwig Friedrich (s. u. S. 353) Folge gebend, reiste er Ende 1760 nach Wien, traf hier am 7. Februar 1761 ein und vertiefte sich alsbald in Studien über Handel und Finanzen und die Vorgeschichte seines in Nieder-Oesterreich wurzelnden Geschlechtes. Dies und die Ernennung vom März 1762 zum k. k. Commerzienrathe beim nied.-österr. Commerzialconsesse hielten ihn in der Kaiserstadt an der Donau fest. Noch bei seiner Beeidung als k. k. Kämmerer (Juli 1763) war er Protestant und als solcher Gast seiner Mutter in Dresden und Herrnhut; ja auch die Ernennung zum Kanzleidirector des Commerzialconsesses (29. November 1763) ging seinem, wie er angibt „von der Vernunft längst gutgeheissenen“ Uebertritte zum Katholicismus vorher. Solcher vollzog sich am 14. März 1764 zu Wien. „Dieser muthigen Entschließung ungeachtet beschämt und mit sich selbst uneins, hielt Graf Karl es für ein Glück, nicht in Wien zu bleiben, um von seiner Handlung nicht Jedermann Rechenschaft geben zu dürfen. Er ergriff mit Freuden die Gelegenheit, seinem Präsidenten (Grafen von Andlern und Wittem), der als k. k. Commissar nach Tirol gesendet ward, zu folgen und von dort aus die von Ihrer Majestät (Maria Theresia) anbefohlene Commerzialreise nach der Schweiz und Italien anzutreten.“ In dieser amtlichen Sendung (1764–65) begab er sich nach Tirol und von hier in die Schweiz, in das südliche Frankreich (auf welchen Wegen er mit Voltaire, Rousseau und Haller bekannt wurde und die Ehrenmitgliedschaft der ökonomischen Societät von Bern erwarb), sodann nach Genua, Mailand, Parma, nach Rom und Neapel. Inzwischen hatte sein ältester Halbbruder beim damaligen Hoch- und Deutschmeister, Karl von Lothringen, die Aufnahme Karl’s v. Z. in die österreichische Deutsch-Ordensballey erwirkt (24. März 1765) und ihm den nachträglichen Eintritt in das Noviziat des Deutschen Ordens (seit 1769) zugestanden. Inzwischen (10. April 1765) erhielt er die Genehmigung, Malta zu besuchen, von wo er über Sicilien, Neapel, Rom, Florenz, Mailand, Venedig (Triest, Fiume, Porto-Ré als Ausflugspunkte eingerechnet) am 5. October 1766 nach Wien zurückkam. Die Frucht der Reise vom Jahre 1764 legte er in 57 Denkschriften nieder, von denen besonders die über die Seehäfen und Livorno den Beifall der Hof- und Staatskanzlei fanden. Schon im November 1766 brach er jedoch wieder zu einer neuen „Kommerzial-Reise“ auf. Sie führte ihn über Deutschland in die österr. Niederlande, nach Frankreich, Spanien, Portugal, dann von Lissabon nach England, Schottland und Irland (woher seine Bekanntschaft mit Hume und Robertson stammt), abermals nach Frankreich und durch die Bretagne und Normandie in die Niederlande. In Brüssel verweilte er bis in den Juni 1769 und schloß Ende September 1770 seine nahezu vierjährigen Landfahrten mit dem Wiedereintreffen in Wien ab. Zu Sanssouci war er dem Preußenkönige vorgestellt worden und schloß mit dem Ritterschlage, den er als Deutschordensritter in Mergentheim empfing, sein Noviziat. Am 2. October 1770 finden wir ihn zum Hofrathe der Hof-Rechenkammer ernannt, deren Präsidium sein Halbbruder Ludwig v. Z. (s. u.) führte. Die Sommermonate der nächsten drei Jahre (1771–73) verbrachte er in „cameralistischen“ Studienreisen durch alle Staatsprovinzen, worüber er schriftliche Rechenschaft gab. Die zwischenläufige Aufhebung der Hof-Rechenkammer als solcher (24. Juni 1773) und ihre Umwandlung in eine [342] „Mißgeburt“, wie sich Karl v. Z. in seiner Selbstbiographie ausdrückt – beschränkte seine Thätigkeit zunächst im „Hofkommerzien-Rathe“. Außerdem war ihm (Mai 1773) die erledigte Ordens-Commende in Möttling und Tschernembl (Unter-Krain) zugefallen. Da er auf jenen Bereisungen der österr.-ungarischen Provinzen Ost-Galizien (kurz zuvor erst durch die I. Theilung Polens an Oesterreich gefallen) nicht einbezogen hatte, so rüstete er sich alsbald zu einer Fahrt ins Nordkarpathenland, mit der Genehmigung, die Reise über Polen bis St. Petersburg ausdehnen zu dürfen. Z. trat sie am 14. Mai 1774 an und kehrte von der Zarenstadt an der Newa über Schweden, Dänemark und Deutschland nach elf Monaten wieder heim. In Schweden besuchte er die Eisenwerke oder Hütten von Dammara und Falun, die Seehäfen von Gefle und Karlskrona und machte in Upsala die Bekanntschaft des großen Botanikers Linné. Im Hofcommerzienrathe erstattete er (1775) sein Referat über die innere Eisenindustrie vor der hiefür bestellten Hofcommission. Die Aufhebung des Hofcommerzienrathes (8. Januar 1776) veranlaßte einen wichtigen Wechsel im Leben Zinzendorf’s. Am 17. März als Gouverneur der Freihafenstadt Triest beeidet, traf er hier am 13. Juni ein und blieb sechs Jahre hindurch bemüht, seiner wichtigen Aufgabe nach allen Seiten hin gerecht zu werden. In diese Zeit seines gemeinnützigen Wirkens, das in Hinsicht der Erleichterung des Verkehrs eine Denksäule bei Obschina an der Poststraße nach Triest (1780) verewigt, fällt der entscheidende Thronwechsel, der Antritt der Alleinherrschaft durch Josef II. (1780), dem die staatswirthschaftlichen Fachkenntnisse Zinzendorf’s nicht entgangen waren, und die Heranziehung des bisherigen Gouverneurs von Triest zum Präsidium der neugestalteten Hof-Rechenkammer nahe lag. Z. ward am 7. Februar 1782 seiner bisherigen Thätigkeit entzogen, und im April an die Spitze eines Amtes gestellt, dessen Einrichtung an sich dem neuen Präsidenten mißfiel und manche undankbare Mühe bescheerte. 1784 (26. April) übertrug ihm Kaiser Josef II. den Vorsitz bei der Hofcommission für die Robotaufhebung. „Ungeduld“ – äußert er sich – „treibender Geist, Schnellregiere, große selbst wohlthätige Absichten haben, ohne jemals über die Mittel, solche zu erreichen, ernsthaft nachdenken zu wollen; diese Gebrechen auf Seite des Regenten; Stolz und Uebermuth und ein neidischer Geist der Unabhängigkeit von Seiten der Referenten und Räthe waren die Hindernisse, welche dem Grafen dieses wichtige Präsidium im höchsten Grade sauer machten; sie vereitelten gänzlich und unaufhörlich sein unablässiges Bestreben, richtige und zweckmäßige Maßregeln zuerst festzusetzen und dann allererst zur Ausführung zu schreiten. Der Kataster (die neue josefinische Grundvermessung und Besteuerung) ward übereilt, mit Widersprüchen angefüllt und schlechterdings verfehlt, mit gewaltsamen Eingriffen in das Eigenthumsrecht, welche gar nicht hereingehörten, vermengt, und der Graf sah sich in seinem Gewissen gedrungen, unter der folgenden Regierung selbst zur Widerrufung desselben (Katasters) beizutragen. Er hat seine vergeblichen und fehlgeschlagenen Bemühungen und den ganzen historischen Verlauf dieses kühnen Versuches (Kataster) in einem eigenen Werke in Folio aufgezeichnet und dadurch seine Rechtschaffenheit und Gesinnungen für das öffentliche Wohl vor unverdienten Vorwürfen der Nachwelt gerettet“. – So reiht sich auch Karl v. Z. jenen Staatsmännern an, die für die Schattenseiten der josefinischen Reformen ein scharfes Auge hatten. Er bezeichnet daher auch die Besteuerungsmaßregeln vom 3. Januar 1786 für Ungarn als mit „rascher und leichtsinniger Schnelligkeit“ vollzogen und erfolglos. Schon vorher mit der Landescommende des deutschen Ordens zu Friesach in Kärnten, dann zu Groß-Sonntag in Steiermark ausgestattet, 1787 mit der von Laibach versehen, erlebte Karl v. Z. in seiner bisherigen Amtsstellung und als Erbland-Jägermeister [343] Nieder-Oesterreichs die Bewegung in den österr. Niederlanden, den verhängnißvollen Türkenkrieg, den Fall von Brüssel und den Tod Kaiser Josef’s II., des „merkwürdigen“ Fürsten, wie er ihn nennt. Dann kamen die Zeiten der leopoldinischen Restauration Oesterreichs. Karl v. Z. mußte sich mit dem Präsidium der „um vielen Einfluß gekommenen Hofrechenkammer“ begnügen, während Graf Rudolf v. Chotek (s. A. D. B. IV, 138) zum Hofkammerpräsidenten emporstieg (Januar 1791), eine Thatsache, welche Karl v. Z. nicht ohne deutliche Verstimmung erörtert, da der ihm von Kaiser Leopold II. am 23. November 1790 zugewiesene Wirkungskreis inbetreff der indirecten Steuern ein wenig dankbarer und sehr eingeschränkter war. Am 26. April 1791 Geheimrath geworden, erlebte Karl v. Z. vom Thronfolger, Kaiser Franz II., aus Anlaß der Aufhebung der Hofrechenkammer (23. November 1792) die Ernennung zum Staatsminister in den inländischen Angelegenheiten mit Sitz und Stimme im Staatsrathe, und bald darauf (18. Februar 1793) die Oberleitung des „Staatsrechnungs-Departements“, wie nunmehr die aufgelöste Hofrechenkammer als eine der Agenden des inländischen Staatsrathes hieß. An seinem Gesichtskreise zog die französische Revolution vorbei, der „gerichtliche Mord“ des Königs, das blutige Ende der „beweinenswürdigen“ Königin, der „Mord“ an der „tugendhaften Madame Elisabet“ und als Gegenstück die Hinrichtung des „Tyrannen“ Robespierre. Die Bestrafung der Wiener und ungarischen „Jakobiner“ 1795 und die Untersuchung eines Vorfalles vom 14. Juli 1794, als nämlich. „einige junge Männer, meist Steiermärker, auf dem Kalenderberge bei Mödling einen sogen. Freiheitsbaum errichteten“ – beschäftigte den Staatsrath und sein Mitglied Karl v. Z. Er nahm stets für den Frieden das Wort und war ein Gegner aller gewagten Finanzoperationen. Aber die Ereignisse drängten immer mehr in die entgegengesetzte Richtung, und die Autobiographie verzeichnet die schweren Schläge, welche Oesterreich fortan heimsuchten. 1800 wurde Karl v. Z. „Statthalter“ der Balley Oesterreich. Als dann 1801 der Staatsrath in der sog. „Conferenz“ aufging, erhielt Z. ein kaiserliches Handbillet vom 9. September, worin ihm mitgetheilt wurde, daß für ihn gegenwärtig kein Platz in der Conferenz sei. So zog er sich immer mehr auf seine Thätigkeit in der Deutsch-Ordenssache (als Landescomthur der Balley Oesterreich) und in den Angelegenheiten der niederösterreichischen Stände, deren Landmarschall er geworden, zurück. Doch wurde er auch zu schriftlichen Gutachten in Staatssachen veranlaßt und am 24. August 1802 durch Ernennung zum Minister in der Staatsconferenz für inländische Geschäfte in seinen früheren Wirkungskreis hinübergeleitet. Später, am 7. Juni 1808, erfolgte seine Ernennung zum „dirigirenden“ Staats- und Conferenzminister. Doch kam es bald (7. December 1809) zu einer Neugestaltung des geheimen Staatsrathes und zum Rücktritt des 70jährigen, zartgebauten und mit Augenleiden häufig behafteten Mannes aus dem öffentlichen Dienste. Er starb an der Schwelle des großen Befreiungskrieges, im Alter von 75 Jahren zu Wien an Lungenlähmung und wurde in der Familiengruft zu Karlstetten (bei Herzogenburg a. d. Traisen) beigesetzt, an der Seite seines Bruders und der Ahnen. Zu Triest hatte ihm die evangelische Gemeinde als ihrem Gönner (1786) eine Gedenkinschrift anläßlich der Eröffnung ihres Gotteshauses (in der vormaligen katholischen Kirche Santa Rosalia) gewidmet, am 14. Juli 1793 ersuchte die Stadt Graz den Grafen Karl v. Z. um sein Bildniß für den Rathssaal, das vom Maler Binder am 18. October vollendet wurde und auf der Rolle, die er in der Rechten hält, seinen Wahrspruch anführt: „Häuslicher Wohlstand ist des Bürgers und des Bauern glückliches Loos! Wohl dem Staat, der ihnen solches hinlänglich gesichert hat“.
Zinzendorf: Karl Joh. Christian, Graf von Z., österreichischer Staatsmann, Deutschordens-Land-Komentur, geboren am 5. Januar 1739 zu Dresden, † am 5. Januar 1813 zu Wien; der siebente Sohn des Grafen Friedrich Christian v. Z., Erbherrn von Zinzendorf und Pottendorf in Nieder-Oesterreich († 1756) und seiner zweiten Frau, Gräfin Christiane Sofia v. Reinike-Callenberg († 1775). Wie die von ihm selbst verfaßte Lebensbeschreibung erzählt, verbrachte er in dem strenglebigen und überfrommen Elternhause zu Dresden, woselbst sein Vater als kursächsischer Geheimrath und Kammerherr seine Tage schloß, eine freudelose und geistiger Verflachung preisgegebene Jugend. 1757, nach dem Ableben seines Vaters, begab sich der achtzehnjährige Karl v. Z. nachUngemein mäßig und arbeitsam, ein stilllebiger Mensch, dessen feingeschnittene [344] Züge und lebhafte Augen den Mann von Bildung und Vielseitigkeit andeuten, hinterließ Karl v. Z. außer einer reichen Bibliothek ein Tagebuch in 60 Octavbänden und eine Autobiographie, die mit dem Jahre 1803 abbricht. Nebstdem bewahrte er in 116 Foliobänden alle in seiner fünfzigjährigen Amtsthätigkeit von ihm herrührenden Ausarbeitungen und Gutachten, und widmete diesen Nachlaß der k. k. Hofbibliothek. Das, die Geschichte seiner Familie, der im alten Adel Nieder-Oestetreichs wurzelnden Ritter, Herrn, Freiherrn und Grafen v. Zinzendorf, behandelnde Manuscript in 3 Foliobänden vererbte er auf seinen Großneffen, Grafen v. Baudissin. Auch veröffentlichte er in der josefinischen Zeit einige Aufsätze in den „Ephemeriden der Menschheit“, hsg. v. Iselin und in Häberlin’s „Staatsarchive“. Zweier Aufsätze insbesondere (vom Jahre 1781) in den Ephemeriden: „Ueber die Wirkung der aufgehobenen Handelsverbote in ungleich belegten Ländereien“ (Ephemeriden 1781, IX. Stck., Sept., S. 257–283) und „Ueber die Einschränkung großer Gewerbe zu Gunsten kleiner“ (ebenda, Juli, S. 61–90) gedenkt er selbst in seiner Autobiographie. Auch äußert er sich hier mit unverkennbarer Befriedigung über sein Eintreten für „Handelsfreiheit“ bei den Wiener Berathungen vom Januar 1781, gegenüber der Mehrzahl der „auf Nationalmonopole und Vorurtheile sich stützenden Minister und Referenten“: „Der ungarischen Nation hätten diese Anträge so wohl gefallen, daß ein gewisser Somssich von Ofen dieselben in lateinischen Versen besang.“ Seine Bedeutung als eines der frühesten Vertreter des „Freihandelsprincips“ in Oesterreich ist auch gewürdigt worden.
- Vgl. unten Ludwig Friedrich Julius Graf von Zinzendorf. Außerdem Vaterl. Blätter f. d. oest. Kaiserstaat, Jahrg. 1813, Wien, S. 44 (Nekrolog). – Oesterr. Nationalencyklopädie hsg. v. Czikann u. Gräffer, VI (1837). – Adolf Beer, Ein österr. Freihändler im 18. Jahrh. (N. Fr. Presse 1888, 20. Juli). – Wurzbach, Biogr. Lex., 60. (Schluß-)Band, 1891.