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Artikel „Zinck, Gustava“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 45 (1900), S. 311–313, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Zinck,_Gustava&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 11:57 Uhr UTC)
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Zinck: Gustava Sophia Agneta Z., geborene Raddatz, Zeit ihres Lebens Auguste Z. und unter dieser Bezeichnung auch Dichterin, wurde am 6. September 1821 zu Rostock geboren, und da sie wie ihr Gatte mecklenburgischer Abkunft war, fühlte sie sich immer wieder ins Gebiet der niederdeutschen Sprache zurückgezogen und pflegte das Platt stets als ihre eigentliche Muttersprache. Obwol Tochter und, seit 1841, Ehefrau eines Kaufmanns (August Ludewig Christoph Heinrich Z., 1802–84), bewahrte sie sich durch die vielen trüben Erfahrungen ihren idealen Sinn. Das Paar lebte 1841–50 in Hamburg, bis 1856 in der Heimath, Rostock, 1856–69 in Westpreußen, seitdem bis 1876 in Dresden, 1876–84 abwechselnd zu Wien und Berlin, in welch letzterer Stadt der Mann 1884 starb. Von da an hielt sich A. Z., niemals gern fest ansässig, bald in der, bald in jener der genannten Städte, bei Kindern oder einem Bruder, auf. Schließlich wohnte sie meistens in Friedenau b. Berlin bei ihrer Tochter Marie v. Borch, durchkostete den Schmerz, diese und eine hoffnungsvolle achtzehnjährige Enkelin unerwartet früh im Tode vorangehen zu sehen. Doch scheint sie da Lust und Halt am Leben nicht verloren zu haben, und zwar 74 Jahre alt, aber auch nach diesem Schicksalsschlage ungebrochen, starb sie fünf Monate nach dem geliebten Kinde, am 25. October 1895 ebendort, in derselben Behausung.

Sie war, so schildert sie der älteste Sohn in pietätvollem Gedenken, bis zum letzten Tage sehr lebhaft und geistig so frisch wie eine ganz junge Frau. Stets der Mittelpunkt der geselligen Cirkel, in denen sie verkehrte, und schlagfertig wie der Blitz, entzückte sie alle durch übersprudelnden Humor und die fesselndste Unterhaltung. Ueber Auguste Zinck’s menschliche Art unterrichtet ein hübscher anonymer Nachruf, unmittelbar unter dem Eindrucke ihres Todes und [312] sichtlich mit genauer Kenntniß geschrieben, im „Berliner Tageblatt“. „Sie war“, heißt es da, „eine feingebildete, reich veranlagte Frau von hervorragender dichterischer Begabung, und nur die liebenswürdige Bescheidenheit ihres Wesens verhinderte, daß ihr Name die gebührende Beachtung in weiteren Kreisen fand … Um ihrer vortrefflichen Eigenschaften willen war die nun Verstorbene eine sehr geachtete und allbeliebte Erscheinung sowohl in den litterarischen als in vielen gesellschaftlichen Kreisen Berlins“. Der Sohn liefert noch folgende Züge zu ihrer Charakteristik: Sie war bei allen, zunächst bei den Familiengliedern, höchst erwünscht als Gast, denn sie besaß die Gabe, andere Menschen fröhlich zu machen, im höchsten Grade, witzig oft zum Totlachen! Und dabei war’s ihr manchmal selbst gar nicht leicht ums Herz: die vielen trüben Erfahrungen und Erinnerungen ihres bewegten Lebens hafteten an ihr äußerst stark, aber das merkten doch nur die Eingeweihtesten. Sie war eine sehr originelle, geistreiche Frau, von der Art, wie sie immer seltener werden.

Etwas von dieser Ader schlug in ihr jedenfalls vor, als sie, zugleich heimischem Volkswesen und Dialekt getreu, ihres engsten Landsmanns Fritz Reuter „Dorchläuchting“ dramatisirte, außerdem in einigen plattdeutschen Einactern, die über eine ganze Reihe von Bühnen gingen: in Druck gelangten wol bloß die beiden Lustspiele „Jede Pott findt sie’n Deckel“ und „De Schoolinspektschon“, zusammen 1886 erschienen. Die bei weitem bedeutendsten Gaben ihrer Muse liegen in dem Bändchen „Gedichte“ vor. In Dresden war es, wo sie, schon in reiferem Alter, mit ihren Poesien an die Oeffentlichkeit trat. Es geschah das auf Betrieb des Capellmeisters Frd. (Wilh.) Kücken, des bekannten Componisten (1811–82; s. d.), der, wie andere namhafte Tonsetzer (Witt, Bitterlich u. A.) einzelne, eine ganze Anzahl ihrer ungemein sangbaren Lieder in congruenten Tönen in Musik gebracht hat (S. 35, 39, 42, 45, 53, 113 des 1873er Drucks); eine reizende Apostrophe (S. 90) dankt ihm herzinnig, weil ein kleiner Theil des von ihm erworbenen Ruhmes auf sie gefallen sei. 1869 erschien dieses Gebinde ihrer lyrischen Ausbeute, zu Leipzig (nicht zu Dresden!), in zweiter Auflage 1873 zu Dresden. Das zierliche Duodezbändchen von nur 113 Seiten birgt eine Fülle empfindungsvoller, formvollendeter Poesie. Die darin vereinigten Erzeugnisse zeichnet fast sammt und sonders eine schöne Wärme des Gefühls ohne übertriebene frauenhafte Weichheit aus. Eben daher rührt es auch, daß sie sich so vortrefflich für die Composition eignen, ja, theilweise wie von selbst sich singen lassen. Unter diesen, die auf dem Concertpodium wie im Gesangverein, im Einzelunterricht wie in der Uebung des Gelegenheitssängers fortleben werden, stehen voran „Die Thräne“ – „Die Thräne, sie vergeß ich nicht, die du um mich geweint“, außer von Kücken auch von Witt mit höchst angemessener Melodie ausgestattet – und, fast ebenso bekannt, „Wohl war es eine Seligkeit“. Andrerseits finden sich in ihren elegisch gehaltenen Nummern mehrere Perlen der deutschen Frauenlyrik; besonders „Sei milde“ und „Meine Mutter“ sind in die meisten derartigen Anthologien, mit Recht, aufgenommen worden. Die Dichterin versteht bei aller Innigkeit übrigens auch entschiedenere und buntere Farben zu mischen, beispielsweise klingt’s stärker in den fünf fein aufgebauten Strophen „Ich liebe was da stark und wild, Ich liebe, was da kräftig, Ich liebe, was da rauscht und quillt, Was strömet laut und heftig“. Die wohlgelungensten und auch inhaltlich bedeutendsten finden sich in der Abtheilung „Aus alter Zeit“, über zwei Drittel der Gesammtheit umfassend, die vier Nummern „Frühling“ verschmelzen harmonisch Natursinn und echte Sentimentalität, als Gestalten marschiren persönlich Nahestehende im Rahmen erhobener Gelegenheitsdichtung auf, und desselben Stils bedienen sich die wenigen Blüthen „Aus später Zeit“. Seite 72–76 stehen vier anscheinend glückliche Uebertragungen [313] aus dem Englischen (nur einmal ist dabei das Original, Shelley, angegeben), S. 108 f. „Horch, der Vogel singt im Walde: Arbeit heißt, dem Höchsten dienen“ als „amerikanisch“.

Die obgenannte Tochter der Auguste Z., Frau Marie von Borch, geborene Zinck, ist am 23. November 1843 (nicht 1853, wie man in Nachschlagewerken, z. B. Kürschner’s Litteraturkalender, bis zum Tode und sogar auf dem Grabsteine liest) zu Hamburg geboren, am 23. Mai 1895 zu Friedenau bei Berlin gestorben. Sie war, so bemerkt ihr erwähnter Bruder, nicht so genial wie die Mutter, besaß aber mehr eigentliche Lebensklugheit als diese, die sich durch diesen Mangel oft selbst sehr schadete, und war auch gründlicher im Wissen, außerdem in modernen Sprachen gründlichst ausgebildet: beide skandinavische, Englisch, Französisch, Italienisch beherrschte sie vollkommen. Mustergültig hat sie sich als Uebersetzerin der nordischen Dichter Ibsen (Gespenster, Rosmersholm, Wildente, Volksfeind, Komödie der Liebe, Kronprätendenten usw.), J. P. Jacobsen (Niels Lyhne, Mogens), Kjelland, Strindberg, Knut Hamsun (Hunger), B. Björnson bethätigt, äußerst fleißig, gewissenhaft und tüchtig. Letzterer schrieb ihr noch einige Tage vor ihrem Ableben einen höchst ehrenden Brief und bat sie, ihm eine Kleinigkeit zu verdeutschen, falls ihr Zustand es irgend erlaube, von keinem Andern wolle er es haben, denn er fühle sie sich am meisten geistesverwandt. Werke eigner Erfindung hat sie nicht geschrieben, wol auch nie in Angriff genommen. An ihren geschickten metrischen Nachbildungen betheiligte sich die Mutter, in gebundener Form ungemein gewandt, stark, was aber beim Druck stets unerwähnt blieb.

Die vorstehende Charakteristik der Marie v. Borch(-Zinck) geht in der Hauptsache auf Ingenieur R. Zinck in Hamburg, ältesten Sohn der Auguste Zinck, über die er auch brieflich dankenswerthe Notizen betr. menschliche Art, Abstammung und wechselnden Aufenthalt lieferte, zurück. Die Titel der Borch’schen Uebersetzungen nach Kürschner’s Litteraturkalender XVII (1895) S. 130 f. Ebenda XVIII (1896) 1. Abth. S. 38 der Todestag der Borch, S. 35 der der Zinck, dieser mit richtigem Datum. Letzteres ist auch in der angezogenen Nekrologskizze des „Berliner Tageblatt“ vom 25. Octbr. 1895, Abendausg., S. 4 mit „Donnerstag Morgen“ gemeint, d. i. 25. October. Außerdem geben einzelne Nachrichten Brümmer, Lex. d. dtsch. Dicht. u. Pros. d. 19. Jhs.4 IV, 420a (Todestag irrig 24. Oct.); K. Schrattenthal, Die deutsche Frauenlyrik unserer Tage (1892), S. 108 f. (daselbst zwei Mal und S. 166 Zink).