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Artikel „Zeiller, Martin“ von Max von Waldberg in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 44 (1898), S. 782–784, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Zeiller,_Martin&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 15:30 Uhr UTC)
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Zeiller: Martin Z., deutscher Reiseschriftsteller und Geograph des 17. Jahrhunderts, ist am 17. April 1589 im obersteyerischen Orte Räuthen bei Murau geboren, wo sein gleichnamiger Vater, ein Schüler Melanchthon’s als evangelischer Pfarrer wirkte, bis er als ein Opfer der Gegenreformation aus dem Lande verwiesen wurde. Der ältere lebte dann als Pestilenzprediger in Ulm, wo er 82 Jahre alt 1609 starb. Diese Schicksale des Vaters wirkten natürlich auch auf die Lebensverhältnisse und Entwicklung des jüngeren Z. zurück. Von seinem Geburtsort kam der durch einen Unfall einäugig gewordene mit seinem Vater nach Ulm und blieb daselbst bis 1608[1], als er zum Besuche der Universität nach Wittenberg abging. Väterliche Verbindungen und Beziehungen mögen es wol auch gewesen sein, die ihn wieder in die österreichischen Lande und seine engere Heimath brachten. Zuerst kam er nach Linz, wo er als Hofmeister einer größeren Anzahl junger Adeliger, vorübergehend auch als Lehrer an der dortigen öffentlichen Schule fungirte. Nach kleineren Reisen mit seinen jungen Pflegebefohlenen wurde er, als sich dieser Kreis von Schülern auflöste, von seinem Gönner, dem Grafen von Tattenbach, nach dem Herrschaftssitze Zeiller berufen, wo er sich der Ausbildung der beiden jungen Grafen Tattenbach widmen und sie auf ihren ausgedehnten Bildungsreisen begleiten sollte. Volle zehn Jahre stand er in diesem Dienste, um dann bei anderen Adelsgeschlechtern die gleichen Aufgaben zu lösen. So führte Z. ein Leben, das damals vielen Gelehrten beschieden war, als Hofmeister an eine gesellschaftlich untergeordnete Stellung gebunden, aber durch die reichen Zöglinge in die Lage gebracht, behaglich große Reisen zu unternehmen, die damals in der Regel dem Führer lehrreicher waren, als den Geführten. Mit dem Sohne des österreichischen Statthalters von Schwanenberg und dem eines anderen Adeligen, die er beide zuerst auf die adelige Landschule in Linz gebracht hatte, unternahm er neue Reisen, bis er 1628 seine Italienfahrt antrat, die schon um jene Zeit als wesentliches Fortbildungsmittel des Gelehrten galt. Längere Zeit weilte er in Venedig, ebenso in Padua, wo ihn die „Deutsche Nation“ mit dem Amte eines Syndicus der juristischen Facultät betraute. Als seine Zöglinge 1629 in die Heimath zurückkehrten, gab er diese Stellung auf und reiste nach Ulm, wo er sich dauernd niederließ, einen eigenen Hausstand begründete und als Verwalter verschiedener, geringe Mühe beanspruchender Aemter, zuerst 1633 als Oberaufseher des Gymnasiums, 1641 als Censor historisch-philosophischer Schriften, 1643 als Inspector der deutschen Schulen ein behagliches Leben führte, das er mit einer reichen litterarischen Production ausfüllte. – Z. galt bald, infolge seines ausgedehnten schriftstellerischen Wirkens als eine deutsche Berühmtheit. Gelehrte, Staatsmänner und Fürsten unterließen es nie, ihn auf ihrer Durchreise in Ulm aufzusuchen. Als er am 6. October 1661 als 73jähriger Mann starb, war sein Ruf als vielseitiger gelehrter Schriftsteller auch über die vaterländischen Grenzen hinaus fest begründet.

[783] Aber trotz seinem unermüdlichen litterarischen Wirken ist es nicht leicht, sich eine klare Vorstellung von Zeiller’s geistiger Individualität zu machen. Bei Persönlichkeiten ohne scharf ausgeprägten künstlerischen oder litterarischen Charakter ist im 17. Jahrhundert zumeist jede freiere Regung des Individuums durch die öde polyhistorische Richtung der Wissenschaft und Prosalitteratur von vornherein unterdrückt worden. Gelehrte und Dichter haben damals ihre persönliche Eigenart nur dann entwickeln können, wenn sie aus Neigung oder Beruf in die Lage kamen, das religiöse Leben und Empfinden auf sich wirken zu lassen. In der geistig bewegten Atmosphäre der geistlichen Litteratur konnten sie als Kirchenliederdichter, als Homileten, Apologetiker oder Polemiker sich frei entfalten. Jede andere litterarische Beschäftigung ging, abgesehen von der Lyrik und spärlichen Dramatik, im todten Compiliren auf. Die Wissenschaft gab sich zumeist zufrieden, aus vielen alten ein neues Buch zu liefern. Und diese Zustände bestimmten nun das Schaffen Martin Zeiller’s, der auch nicht viel Besseres geschaffen als viele mitstrebende Zeitgenossen, und sich nicht durch litterarische Originalität, sondern nur durch die Zahl seiner Werke, durch die bewundernswerthe Ausdauer in seiner compilatorischen Thätigkeit aus der Vergessenheit in die spätere Zeit hinübergerettet hat.

Z. hat als Reiseschriftsteller einen die Grenzen Deutschlands weit überschreitenden Ruhm genossen, aber seine Schilderungen von Land und Leuten, geschichtlichen und topographischen Verhältnissen, baut er nur auf Materialien auf, die seine Vorgänger mühselig herbeigeschleppt haben. Er war so sehr im Banne des gedruckten Stoffes befangen, daß er selbst dort, wo er aus schriftlichen Quellen schöpfen konnte, daß er selbst in der Beschreibung von Ländern, die er bereist hat, selten ein selbständiges Urtheil, eine vom Herkömmlichen abweichende Anschauung vorzutragen wagt. Es galt für gelehrter, ein Citat anzubringen, als eine eigene Meinung zu haben. Es ist daher unerklärlich, wie unter solchen Umständen schon bei den Zeitgenossen Bedenken gegen seine Glaubwürdigkeit auftauchen konnten. Wie trostlos ist Zeiller’s „Itinerarium Italiae Nov-antiquae oder Raißbeschreibung durch Italien“ (Frankfurt a. M. 1640, bei Merian), wenn man dabei an Montaigne’s Tagebuch seiner Italienreise denkt. Mit zusammengebettelten, von Anderen gemünzten Wendungen wird eine kühle Bewunderung ohne innere Antheilnahme geäußert. Wie die meisten seiner Vorgänger verräth er mehr Freude an den Curiositäten, Künsteleien und Spielereien gewerblicher Kleinkunst als an den unvergänglichen Werken der großen Meister. Aus oberflächlichem gelehrten Interesse wird hie und da auf eine antike Statue hingewiesen, von Michel Angelo kennt er nur den Moses und das jüngste Gericht, bei dem ihm offenbar nur die gewaltigen Dimensionen sehenswerth erschienen. Raphael wird nicht erwähnt, dagegen ein Altar aus Pfauenfedern, Straußeneier, in denen die Passion eingeritzt wird, mit breitem Behagen aufgezählt. Den Raritäten und Curiositäten galt sein Interesse. Weder Kunst noch Natur erregen ihn gemüthlich, und ganz der eigenartigen Entwicklung der Naturgefühle im 17. Jahrhundert entsprechend entlockt ihm ein künstlich zugestutzter Garten mehr Bewunderung als der herrlichste Zauber südlicher Landschaft.

Aber während hier noch ab und zu ein eigenes Erlebniß, eine eigene Erfahrung durchschimmern, sind die anderen zahllosen Itinerare, die er für fast alle europäischen Länder fingerfertig schrieb und die oft in vielen Auflagen erschienen, noch unselbständiger und werden mehr durch ihre Existenz als Belege für den gesteigerten Reiseverkehr, wie durch ihren Inhalt bemerkenswerth. Aber gerade die Raschheit und Leichtigkeit, mit der er das gesammelte historisch-topographische Material zu abgeschlossenen viel gelesenen Darstellungen verarbeitete, machten ihn zum berufensten Mann, als der berühmte Künstler und geniale [784] Buchhändler Merian eine Hilfskraft für die Texte seiner topographisch-künstlerischen Darstellungen brauchte. Für die Meriansche Topographie hat nun Z. eine Reihe von Textbüchern geliefert, die durch zweckdienliche Anordnung, geschickte Auswahl des mitzutheilenden sich vortheilhaft von den Leistungen der anderen Mitarbeiter abheben. Neben einer großen Reihe deutscher Staaten hat Z. auch Frankreich in der Topographia Galliae behandelt.

Aus dieser fast überreichen Production von geographischen Werken und Itineraren verdient nur noch ein Buch Erwähnung, d. i. sein „Fidus Achates, oder der getreue Rayßgefährt samt einem Bedenken, wie die Raysen wol und nützlich anzustellen seynd“ (Ulm 1651 und öfter), das mit seinem Verzeichniß von Reiserouten durch Europa und praktischen Anweisungen und Rathschlägen für Reisende, nicht mit Unrecht der „erste Baedeker in deutscher Sprache“ genannt wurde.

Z. greift in seiner Vielschreiberei auch in das Gebiet der schöngeistigen Litteratur über. Die in seinen Werken verstreuten Epigramme haben mehr gnomischen als satirischen Charakter. Die vielgelesene Uebersetzung von Rosset’s Theatrum tragicum war mit ihren novellistischen Skizzen nicht nur ein beliebtes Unterhaltungsbuch, sondern auch eine viel ausgenützte Stoffquelle für andere Autoren. Seine Uebertragung von Garon’s Le Chasse-Ennuy wurde eine vielgelesene Schwanksammlung. Am meisten aber entfaltete sich der polyhistorische Zug von Zeiller’s Wesen in den eigenen belletristischen Schriften, die nichts als gelehrte Trödelbuden sind, in denen zur Bildung und Unterhaltung der Leser der ganze Bildungsstoff der Zeit systemlos zusammengetragen wird. Allerlei anekdotischer Kram, Collectanea aus allen Gebieten der menschlichen Interessen, Curiosa aus den Gebieten des Wissens und Lebens, Miscellanea, Gelehrtes und Unterhaltendes wird in buntester Folge aufgetischt. Unter diesen Sammelschriften haben die wiederholt aufgelegten „Epistel“-Sammlungen den meisten Beifall gefunden, obgleich sie ebenso ungeordnet wie die anderen, Berichte über Mißgeburten, Gelehrtengeschichte, polyglotte Reisegespräche, Notizen über Wünschelruthen und tausend anderes durcheinander gewürfelt dem Leser bieten. – Und diese Vermischung von nützlichem und polyhistorischem Kram ist auch charakteristisch für die ganze Geistesrichtung Zeiller’s. Sie stempelt ihn zu einem typischen Vertreter jener gelehrten Vielschreiber des 17. Jahrhunderts, die durch die Menge des mühselig zusammengetragenen Stoffes in ihren Büchern das zu ersetzen suchen, was ihnen an Einbildungskraft und geistiger Eigenart abging.

Joerdens, Lexicon deutscher Dichter und Prosaisten, Bd. V, S. 598–602.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: 1680; Zahlendreher