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Artikel „Wyneken, Friedrich“ von Karl Ernst Hermann Krause in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 44 (1898), S. 400–403, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wyneken,_Friedrich&oldid=- (Version vom 19. April 2024, 00:28 Uhr UTC)
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Wyneken: Friedrich Konrad Dietrich W., in seiner Familie und in seinem Gemeindekreise als Fritz Wyneken bekannt, † am 4. Mai 1876 als Pastor zu Cleveland in Amerika und Präsident der Missouri-Synode, war am 13. Mai 1810 zu Verden, im damaligen Napoleonischen Königreich Westfalen (Hannover), geboren als der 6. und jüngste Sohn des Pastors Heinrich Christoph W. Er studirte Theologie in Göttingen und Halle als flotter Bursch von energischem und dabei liebenswürdigem Wesen. Erst später wandte er sich, wesentlich unter dem Einfluß seines Bruders, des Dr. Ernst Johann Moritz Wyneken, dem strenggläubigen Lutherthum zu, wurde darin bestärkt als Hauslehrer in der Familie des spätern Consistorialraths v. Hanfstengel in Stade und erhielt sich darin sowol auf Reisen in Frankreich und Italien als begleitender Erzieher und ebenso als Rector der kleinen Mittelschule zu Bremervörde. Namentlich die Baseler Missionsschriften übten damals in seinem Kreise einen bestimmenden Einfluß, und durch deren Schilderung der kirchlichen Verwahrlosung der Lutheraner in Nordamerika getroffen, schiffte er sich mit einem Candidaten C. W. Wolf 1838 nach Baltimore ein, ohne nähere Kenntniß der dortigen Verhältnisse. Dort lernte der Pastor Johann Häsbärt ihn schätzen und gab ihm bei seiner Abreise im Herbst eine Empfehlung an das Missionscomité der Synode von Pensylvanien, welches ihn alsbald nach Indiana sandte, um dort die zerstreuten deutschen Protestanten aufzusuchen und womöglich zu Gemeinden zu sammeln; zunächst sollte er nach Decatur, Adams Co. Von hier aus durchstreifte er als pfarramtlicher Missionsprediger die damals noch fast wüsten Gegenden von fast 6 Countys von Fort Wayne, den Westen von Ohio bis Michigan und in weitem Bogen zurück, mit der Ueberzeugung, daß ohne geistliche Hülfe die dortigen lutherischen Deutschen theils ins Heidenthum zurückfallen, theils den Schwärmern, besonders den Methodisten in die Hände fallen würden. Nachher ließ er sich von den Gemeinden in und um Fort Wayne zum Pastor berufen, und sein dortiges Blockhaus wurde der Mittelpunkt seines Wirkens. Dort vermählte er sich 1841 mit der Farmerstochter Sophie (Chr. Hochstetter nennt sie irrig Maria) Buuk. Seine schlanke, ernste und doch liebreiche Weise des Auftretens und sein fester, in jeder Lage sich erweisender Glaube bewirkte hier ein wunderbares Zusammenschließen der Lutheraner. Im October 1841 ging er wieder nach Deutschland hinüber, um Mitarbeiter in der Missionsarbeit zu gewinnen und zugleich ärztliche Hülfe wegen eines Halsleidens in Anspruch zu nehmen. Im freien Amerika im harten Glaubenskampfe gegen das freie Sectenthum und im Anschluß an die Bestrebungen der ausgewanderten sächsischen Altlutheraner, welche ihre Glaubenssätze nach Pastor Ferdinand Walther’s Thesen der Disputation im Collegeblockhaus zu Altenburg, Perry County, Missouri, festgelegt hatten und seit 1844 in Walther’s Zeitschrift „der Lutheraner“ von St. Louis aus verbreiteten, war W. zu einem in sich abgeschlossenen, weltlich rücksichtslosen Lutherthum gekommen, das sich alsbald auch in Widerstreit gegen die Reformirten setzte und in Hannover bei seiner Anwesenheit zur allmählich immer strengeren Abtrennung der bis dahin durchaus einigen Religionsparteien den Anlaß gab. Im Mai 1843 kehrte er nach Amerika zurück. Er [401] hatte mannigfache Hülfe gefunden. Auf sein Andrängen erließ auch 1845 die evangelisch-lutherische Pastoralconferenz in Leipzig einen Aufruf, den Lutheranern in Amerika thatkräftig die Hand zu reichen; nicht ohne Erfolg. 1844 berief die deutsche Gemeinde in Baltimore W. zu ihrem Prediger, wo er am 9. März 1845 eingeführt wurde und unter lebhaften und großen Anfechtungen unter Beseitigung der dort bisher bestandenen Union (des s. g. „amerikanischen Lutherthums“) die strenge Missourilehre in die Praxis einführte, nachdem er 1848 in die Missourisynode förmlich eingetreten war. Letztere hatte sich als deutsche evangelisch lutherische Synode von Missouri, Ohio und anderen Staaten 1847 in Chicago constituirt. 1850 berief ihn die Dreieinigkeitsgemeinde in St. Louis zu ihrem Prediger und 1851 schon wählte ihn die 4. (5.) Synodalversammlung der Missourisynode auf 3 Jahre zu ihrem Präses, ein Amt, welches ihm fortan immer neu übertragen wurde, bis er 1864 es endgültig selbstwillig wieder abgab. Professor Walther wurde sein Nachfolger. In diesem Amte sollte W. während der drei Jahre alle Parochien der Synode besuchen, Gemeinden, Pastoren und Schulen visitiren, womöglich in jeder Gemeinde selbst eine Predigt halten, die Pastoralconferenzen und die Districtssynoden besuchen, geforderten Rath ertheilen und natürlich den Generalsynoden präsidiren. Das mächtige Organisationstalent des glaubensgewaltigen und dabei überaus werkthätigen Mannes erhob die von F. Walther und W. Sihler begründete, aber seit 1848 mehr und mehr niedersächsisch werdende, jedem hierarchischen Zwange absolut fremde Missourisynode alsbald zu einer kirchlichen Macht, deren Einfluß zunächst der Ausbreitung der Methodisten unter den Deutschen in ihrem Bereiche ein Ziel setzte, aber auch sich rasch in Deutschland fühlbar machte. Um Prediger und Lehrer zu ziehen, hatten die „Sachsen“ schon ein deutsches College und theologisches Seminar in Altenburg, Perry County, begründet, das 1847 in den Mittelpunkt der Synode nach St. Louis verlegt war. Gleichzeitig hatte der Pfarrer Löhe das von ihm begründete und von Sihler fortgeführte Predigerseminar in Fort Wayne, Ind., der Synode übergeben unter der Bedingung, daß die Anstalt stets lutherisch bleibe und nur in deutscher Sprache unterrichte. Auch dies praktische Predigerseminar wurde 1860 nach St. Louis, 1875 nach Springfield, Illin., verlegt, in Fort Wayne aber das „Concordiaseminar“ als ein sechsclassiges Gymnasium errichtet, das 1884 sieben Professoren und 176 Schüler zählte. Das Springfielder College (Predigerseminar und Proseminar) zählte zu derselben Zeit 189 Schüler mit 5 Professoren (oder Pastoren), den theologischen Unterricht ertheilten 1884 die Professoren A. Crämer und H. Wyneken. Ein Schullehrerseminar war in Fort Wayne ebenfalls gegründet, 1865 aber wurde es zu Addison, Ill., eröffnet, von wo seitdem das von W. Lindemann begründete deutsche „Evang. lutherische Schulblatt“ ausgeht. Die Zahl der Präparanden betrug 1884: 196.

Gerade zur Zeit von Wyneken’s Wahl zum Präses kam in der Synode der Streit über das Lehramt zum Austrag, wonach überall nach Luther’s Lehre vom allgemeinen Priesterthum nur die Kirche, d. i. Gemeinde, das Recht und die Macht habe, Kirchendiener zu wählen und zu ordiniren, und daß sie das Schlüsselamt besitze und nur in ihrem Namen, „von Gemeindewegen“ also, absolvirt werden könne. Ein nach göttlichem Rechte bestehendes Aufsichtsamt der Kirche gäbe es nicht. Das Gegentheil wurde aufgefaßt als „die romanisirende Richtung, die mitten in der lutherischen Kirche in Deutschland, wie in Amerika auftrete“. Um dieser Lehre auch in Deutschland Geltung zu verschaffen, falschen Ansichten über die Lehre und Praxis der Missourier entgegen zu treten und auch in Deutschland Prof. C. F. W. Walther’s grundlegendes Buch „die Stimme [402] unserer Kirche in der Frage von Kirche und Amt“ erscheinen zu lassen, wählte die fünfte Synode den Professor Walther und den Präses Wyneken als Delegaten, um nach Deutschland zu gehen. Diese Delegation, z. Th. mit Enthusiasmus von der neu erstarkenden orthodoxen Richtung empfangen, hat ihren Zweck nicht erreicht, wohl aber dem streng lutherischen Separatismus und der immer anspruchsvoller auftretenden Hierarchie, ganz im Gegensatz zu ihrer Lehre auf die Beine geholfen. Walther’s Buch von Kirche und Amt fand freilich gute Aufnahme, es erreichte bei A. Deichert in Erlangen 1875 die 3. Auflage. Aber alle Verhandlungen mit Oberhofprediger Dr. Harleß in Leipzig, Professor Dr. Guericke in Halle und vielen andern führten zwar zu hoher Anerkennung, doch nicht zum Ziele, was auch den deutschen Kirchenregimenten ohne vollen Umsturz gar nicht möglich war. Die orthodoxen Pastoren des hannoverschen Consistorialbezirks zu Stade, welche sog. conservative Politik begünstigen zu müssen glaubten, entsetzten sich über das donnernde Anfahren Wyneken’s, sie hätten gar keine Politik zu treiben, aber sie hätten den Verfassungsbruch als lutherische Diener des Wortes als Meineid zu strafen, oder sie würden selbst als Meineidige oder Feiglinge dastehen. Sie bewunderten ihn, hielten ihn aber für „amerikanisirt“, sie wollten nur eine Staatskirche. Eine umfangreiche „Ansprache an die Glaubensgenossen in Deutschland“ der beiden Delegirten erschien in Pfarrer Löhe’s „Mittheilungen“ Jahrg. 1852, 1–3, sie erweckte auch Theilnahme und werkthätige Hülfe für die Lehranstalten der Missourisynode, sonst freundlichste entgegenkommendste Theilnahme, mehr nicht. Im Frühjahr 1852 kehrten die Delegirten zurück. Sie hatten sich in Deutschland nicht geändert und unentwegt baute W. die ihm anvertraute Synode fest und fester aus; schon 1854 mußte sie in vier Districte getheilt werden. Die Freiheit und Sicherheit der Missourikirche zeigte sich namentlich in der Ueberwindung der nicht ausbleibenden Glaubenszwiste, so mit der später fast ganz aufgesogenen Buffalosynode, später 1857 mit der Iowasynode über den Chiliasmus, woran W. sich nur noch in seiner Gemeinde betheiligte. 1863 wurde der Präses W. von der Dreieinigkeitsgemeinde in West-Cleveland zum Pastor gewählt, welche Stelle er wesentlich wegen seiner Gesundheit annahm, welche letztere ihn auch zwang, das Präsidium der Synode 1864 zurückzugeben. Mit Bedauern sah die Synode ihren starken Schirmer scheiden. Bald mußte die starke Gemeinde ihm einen Hülfsprediger geben, zuerst seinen Schwiegersohn Heinrich Crämer, dann seinen eigenen ältesten Sohn Heinrich, beide nachher Professoren der Theologie am Springfielder College.

W. litt, wie man meinte, an der „Predigerkrankheit“, der Stimmbänderlösung, es scheint aber, daß irgend ein Brustleiden sich festgesetzt hatte. Seine Gemeinde nahm auf seine Bitten ihm das Pastoramt ab und gab es dem Sohne, behielt ihn selbst aber als Hülfsprediger. Im Herbst 1875 ging er, um milderes Klima aufzusuchen, zu seinem Schwiegersohne, dem Pastor J. Bühler, nach San Francisco in Californien. Gerade als er todkrank nach Cleveland zurückkehren wollte, starb er am 4. Mai 1876 an einem Schlaganfall. Seine Gemeinde ließ die Leiche durch den ganzen Continent nach Cleveland kommen, wo sie ihn beigesetzt haben wollte. Die Kunde vom Tode des „alten Wyneken“ hatte die Vereinigten Staaten wie kaum eine politische Nachricht durchlaufen. „Der Vater der deutsch-amerikanischen Mission“ war todt, sein Werk blüht weiter; wer weiß, wie es noch einmal regenerirend in die Kirchen Deutschlands zurückgreifen mag. Aus seiner Ehe mit Sophie Buuk hinterließ er elf Kinder, fünf Söhne und sechs Töchter. Von ersteren ist Heinrich (Henry) W. Pastor und Professor am Springfield-College, geboren am 15. December 1844; sein Zwillingsbruder Martin, ebenfalls lutherischer Pastor, mußte wegen Stimmbänderlösung sein Amt niederlegen.

[403] R. Hoffmann, Die Missourisynode in Nordamerika, Gütersloh 1881. – J. F. Körtering, Die Auswanderung der sächs. Lutheraner etc., St. Louis, 2. Aufl. – J. C. W. Lindemann, Lebensbild von F. C. D. Wyneken im Synodalkalender für deutsche Lutheraner 1877– – Chr. Hochstetter, Die Gesch. der evangel.-luther. Missourisynode etc. (1838–1884), Dresden 1885. – Familiennachrichten.