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Artikel „Wymetal, Wilhelm Ritter von“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 44 (1898), S. 395–397, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wymetal,_Wilhelm_von&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 13:45 Uhr UTC)
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Wymetal: Wilhelm Ritter v. W., Publicist unter dem Namen W. Wyl, (seit 1875) wurde am 27. December 1838 zu Wien als der Sohn des Hofraths Franz Ritter v. W. geboren. Er erhielt eine gründliche und vielseitige Bildung, entschied sich, nachdem er, jedenfalls auf Anregung der Familie, das juristische Studium mit dem Doctorat abgeschlossen, 1861 für die ihn früh anziehende Kunstwissenschaft, die er unter Erasmus Engerth als dessen Lieblingsschüler begeistert trieb, verließ aber, in der Hoffnung auf einen Conservator-Posten am Belvedere getäuscht, 1872 die Vaterstadt für immer und wurde, wie ihn später eigner wehmüthiger Scherz bezeichnete, der „Vagabund“ „Wilhelm der Irrfahrer“. Zwei Jahrzehnte hat er die Erde durchstreift, und wenn er auch durch jenes Scheitern seines Plans, in fester Berufsstellung dem Kunst-Fachwissen zu dienen, an dauernder Pflege dieser seiner Herzensneigung behindert worden ist, er wurde der hehren Göttin und dem Ideale ästhetischer Schönheit niemals und nirgends untreu: wie nah und stark auch die Versuchung an ihn herantrat! Ein Meister und ein Held der Feder, hat er sich zwar dem Teufel des Journalismus verschreiben müssen, aber Ueberzeugung und litterarisches Gewissen hat er nicht geopfert. Ein gewandter Stil, rücksichtslose, durchaus subjective und dennoch unparteiische Kritik, welche er übte, die Lauge herben Spotts, den allgemach, besonders unter körperlichen Leiden der Weltschmerz und düstere Lebensbetrachtung ankränkelten, waren die bezeichnenden Eigenschaften der äußeren Wiedergabe seiner schriftstellerischen Intuition. Letztere selbst aber war an den Brüsten der echten Kunst und an ihren anerkanntesten Erzeugnissen genährt, von dem Weihehauche jener höheren Religion berührt, die in der Nächstenliebe die Basis der evangelischen Wahrheit erblickt und aus dieser Idee Christi auch „die sociale Frage“ lösen will, und damit gattete sich ein warmes Mitgefühl für das Volk in seinen urwüchsigen Daseinsformen nach deren [396] Ernst und Scherz. Wie er räthselhafte, scheinbar widerspruchsvollste Producte der bildenden Kunst zergliedert, kindlich naiv und scharfsichtig zugleich seines Freundes Franz v. Lenbach – vgl. Wyl’s „Gespräche mit Lenbach“ ‚Dtsch. Revue‘ März 1896 – Bilder erfaßt und charakterisirt, wie er die Aera Tizian’s, dessen ihm ans Herz gewachsene Assunta Lenbach als Weihnachtsgeschenk kurz vor dem Tode gesandt, in farbensatten Culturskizzen auferstehen hieß, wie er in zwei schlaflosen Schmerzensnächten der letzten Leidenszeit drei dicke holländische Bände über seinen neben Tizian vergötterten Rubens und Reynolds ausfüllte, so zauberte sein Gedächtniß Land und Leute, die er besucht, Scenerie und Situation, in denen er gewandert, mit keckem Pinsel aufs Papier. Auch die Musik hatte es ihm angethan: er beherrschte das Clavier, die Töne Haydn’s, Beethoven’s, Schuberts, vor allem Mozart’s, legte er sich zurecht.

Aeußere Verhältnisse verschiedener Art haben es leider verschuldet, daß dies Talent sich in anstrengenden Tagesarbeiten erschöpfen mußte. Wymetal’s Laufbahn ging da nicht eben aufwärts; denn seine glänzenden Leistungen brachten ihn rasch unter die Elite der rastlosen Correspondenten, die von Ost nach West und zurück die Menschheitsschicksale im Augenblickspanorama auffangen sollen. So hat er für seine älteste Aufsehen erregende Publication, „Mein Tagebuch im Prozeß Sonzogno“ (1876), als Berichterstatter der „Neuen Freien Presse“ und der „Neuen Zürcher Zeitung“ stenographisches und actenmäßiges Material bei den 22tägigen Verhandlungen der römischen Assisen (Herbst 1875) gesammelt, und dieser „einzige deutsche Originalbericht“ mit Documenten, biographischen Beigaben und Porträts zeigt W. auch in zwei hervorstechenden Zügen seiner Schriftstellerei: einmal quellenmäßige Unterlagen mit einer gesuchten beinahe urkundlichen Genauigkeit zur Zeitgeschichte darzubieten, anderntheils diesen Nimbus halb unbewußt sofort wieder zu zerstören durch einen gewissen pikanten Aufputz, dem allerdings alle Affectirtheit fremd ist, vielmehr eine liebenswürdige Ungezwungenheit beiwohnt. Sogar wenn es das Thema verbietet, mit Grazie zu plaudern, wie in dem, inhaltlich dem erwähnten publicistischen Debüt verwandten Hefte „Der Kampf mit dem Drachen. Eine Studie über den Fall Crispi“ (1895), fesselt seine leichte, lichtvolle Schreibart, der es nie an satirischen Spitzen und schlagendem Witze gebrach. In andern Fällen findet diese in dem besonderen Wesen der betreffenden Erscheinung den Uebergang, die Stimmung wirklicher Poesie mit der Actualität packender Gegenwartsereignisse zu mischen. Das sehen wir am deutlichsten in den beiden Büchern, die er der 1880er und 1890er Wiederkehr der berühmten oberbairischen Passionsspiele gewidmet hat: „Maitage in Oberammergau. Eine artistische Pilgerfahrt“ (1880) und „Der Christus-Mayr. Neue Studien aus Oberammergau“ (1890), zumeist wol aus den Referaten für das „Berliner Tageblatt“ erwachsen. Die biedern Gebirgsbauern des bairischen Oberlandes mögen ja gar wol, wie es heißt, auf W. nicht nett zu sprechen gewesen sein, als er – in der ersten Schrift – nach eigener Aufnahme den Text „ihres“ Passionsdramas durch den Druck der Controlle unterbreitete; trotzdem spiegeln diese flüssigen Schilderungen das Milieu dieses modernisirten Stückchens Mittelalter richtig und anmuthig ab, und der dargebotene Wortlaut brauchte die Druckerpresse ja gewiß weniger zu scheuen als das Secirmesser der Philologen, dem er verfiel. Alle genannten Richtungen seiner regen Phantasie verbinden ihre Fäden in den „Spaziergängen in Neapel, Sorrent, Pompeji, Capri, Amalfi, Pästum und im Museum Borbonico“, wovon die neueste unveränderte Auflage in Volksausgabe 1897 herauskam, die erste 1894. Da steht der Mann mit dem Dichterauge und dem heißblütigen Herzen, mit der schönheitsdurstigen Seele und dem feinen Kunstverstande als untrüglicher Cicerone vor uns, der aber nicht nüchterne Daten an Paragraphen kettet, [397] sondern fesselnd eine herrliche verlorne und doch unvergänglich gebliebene Cultur nebst einer unvergleichbaren Naturwelt vor uns aufweckt: eine volkspsychologisch bedeutsame That. Und daran reihen sich endlich die köstlich erzählten „Venezianischen Geschichten und Gestalten des 16. Jahrhunderts“ ‚Aus Tizians Tagen‘ (1896, 4. Aufl. 1897; davor ein Porträt W.’s), vorgeblich aus einem alten bei einem Venediger Kleinantiquar aufgestöberten deutschen Renaissancebüchel ausgegraben, ganz verständlich im oben angedeuteten Zusammenhange.

Auf seinen Reisen mit dem Schreibstift in der Hand ist W. 1882 auch nach Nordamerika gelangt. Dorthin hatte ihn seine Gattin (seit 1878), die verwittwete Rosalie Köpfli, des Obersten z. D. S. D. Brodtbeck-Gysin älteste Tochter, gezogen, die seiner 1892 beginnenden Wassersucht eine ebenso treue Wärterin gewesen, wie seit Anfang seiner Wirksamkeit eine theilnehmende Gefährtin. In Utah entstanden damals „Mormon Portraits. Eine Geschichte Joseph Smith’s und seiner Sekte, in englischer Sprache geschrieben in Salt Lake City“ (1886), und nachdem er bis in den Urwald gestreift und mannichfach journalistisch thätig gewesen, kehrte er nach Europa heim – nein, er hatte ja nur das Heim seiner Familie, die ihm allenthalben folgte. 1891 ging er als Specialcorrespondent der „Kölnischen Zeitung“ zur Chicagoer Weltausstellung, schrieb für diese und die (deutsche) „Illinois Staatszeitung“ (hier als „Yorick“ und auch als Redacteur) und ließ sich 1895 nach vergeblichem Aufenthalte in Neapel’s Klima in München nieder, wo er strebend und wider die nagende Qual am Herzen ringend am 4. Januar 1896 starb.

Die Bedeutung der Persönlichkeit Wymetal’s und den weichen und doch so runden Charakter können erst die Sammlung seiner zerstreuten Feuilletons und mancherlei Berichte sowie der authentischen Mittheilungen über ihn klären, die Wymetal’s Wittwe und Sohn Friedrich (geb. 1879), der die 4. Ausgabe der „Spaziergänge“ so pietätvoll und schön nachempfindend einleitete, mit Ino Strannik vorbereiten. Danach wird der Unterzeichnete (vgl. dessen Anzeige im „Literar. Centralbl.“ 1898, Nr. 6, Sp. 183) in Bettelheim’s „Biogr. Jahrbuch u. dtsch. Nekrol.“ (vgl. dessen I. Bd., S. 71) eine sorgsame Lebens und Charakterstudie vorlegen. Bis jetzt sehe man auch die Nachrufe „Ueber Land u. Meer“ 1895/96, Nr. 18; „Münchn. Neueste Nachrichten“ v. 17. Jan. 1896, Nr. 26, S. 9; „Neue Zürch. Ztg“ v. 5. Jan., Nr. 5, S. 2; (Pascal David i. d.) „Straßburger Post“ 5. Jan. 1896; Illinois Staatsztg. 21. April 1898.