Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Wilmanns, Gustav“ von Carl Bardt in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 43 (1898), S. 304–306, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wilmanns,_Gustav&oldid=- (Version vom 4. November 2024, 23:23 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Wilmans, Roger
Band 43 (1898), S. 304–306 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Gustav Heinrich Wilmanns in der Wikipedia
Gustav Heinrich Wilmanns in Wikidata
GND-Nummer 117395447
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|43|304|306|Wilmanns, Gustav|Carl Bardt|ADB:Wilmanns, Gustav}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=117395447}}    

Wilmanns: Gustav W., ordentlicher Professor an der Universität Straßburg, wurde am 30. December 1845 zu Jüterbogk geboren. Der Vater, zuletzt königlicher Baurath, siedelte 1852 mit einer zahlreichen Familie nach Berlin über, wo Gustav bis Ostern 1864 das Friedrich Wilhelmsgymnasium besuchte und sodann bis 1867 Philologie und Geschichte studirte. Er promovirte am 18. December 1867 auf Grund seiner Dissertation: De sacerdotiorum p. p. R. quodam genere. Praecedit quaestio de Laurento et Lavinio oppidis (Berlin 1867). Als fleißiger Student hat er Haupt, Kirchhoff, Droysen, Hübner, Jaffé und Andere gehört, die Anregung, die seinem Leben die Richtung geben sollte, empfing er in den Vorlesungen und besonders den Uebungen von Theodor Mommsen. Es war die erste große Freude seines bisher in stiller Arbeit verlaufenden Lebens, wie ganz allmählich aus dem in scheuer Ehrfurcht betrachteten Lehrer ein warmer Freund wurde. Demnächst absolvirte er, um für alle Fälle gesichert zu sein, die Staatsprüfung und trat am Kölnischen Gymnasium sein pädagogisches Probejahr an. Aber noch ehe er es beendet hatte, wurde er nach Dorpat als Docent berufen, etwa in die Stellung eines außerordentlichen Professors an deutschen Universitäten. Schon damals war entschieden, daß er seine Arbeitskraft zunächst der Epigraphik widmen würde, nicht in dem Sinne, als ob das eine besondere Wissenschaft sei, denn er hatte sich tief durchdrungen von der Wahrheit des von Mommsen oft betonten Satzes, daß Epigraphik wie Numismatik ohne Philologie und Geschichte nur traurige Schattenbilder einer Wissenschaft seien, wol aber in dem, daß seine eigene Forschung wenigstens für Jahrzehnte diese Richtung nehmen sollte. Vorbereitende Arbeiten waren seine Exempla inscriptionum latinarum, die ihm in der Durcharbeitung der fertigen Bände und der Scheden zu den unfertigen des Corpus inscriptionum latinarum das gesammte Arbeitsgebiet übersehen lehrten, und eine Reise nach Steiermark, [305] um die früher copirten Römischen Steine nachzuprüfen, die ihn mit der schwierigen Technik des Inschriftenlesens vertraut machte. Mit besonderen Schwierigkeiten hatte er hier in civilisirtem Lande nicht zu kämpfen, obwol es ihm in abgelegenen nur relativ civilisirten Gebirgsthälern begegnete, daß ein Localblättchen nicht undeutlich zu verstehen gab, das „nette Herrchen aus Berlin“ möchte wol ein preußischer Spion sein, und den Behörden ein nachdrückliches videant consules zurief, sodaß erst die Gelehrten des Landes einen beruhigenden Artikel nachsenden mußten mit der Aufforderung, dem ganz harmlosen Reisenden ja keine Schwierigkeiten zu bereiten. Nach Abschluß der Reise im Sommer 1869 ging W. nach Dorpat, das während derselben ihm immer „wie ein düsterer Schatten“ vorgeschwebt hatte, und die frische Wirksamkeit auf diesem Vorposten deutscher Wissenschaft (er las römische Geschichte der Republik und des Kaiserreichs, Epigraphik und Staatsalterthümer) ließen ihn bald dort heimisch werden. Die streitbaren deutschen Gelehrten hielten gut zusammen und verloren den Muth und den Humor nicht, denn auf dem Boden, wo nur zu[WS 1] bald der tiefernste, tragisch endende Todeskampf des Deutschthums ausgefochten werden sollte, gab es vorerst nur lustige Plänkeleien, so als von oben die Weisung erging, die Universität habe künftig mit der Centralstelle nur russisch zu correspondiren, und auf die Beschwerde der Professoren, man könne ja kein Wort russisch, unter der Hand von Petersburg der gutmüthige Wink kam, man solle nur Couverts mit russischer Adresse drucken lassen, über den deutschen Inhalt wolle man hinwegsehen. W. hatte gerade noch Zeit gehabt, von Dorpat aus sich Petersburg anzusehen, als ihn das deutsche Reich 1872 an die neue Universität Straßburg berief, der er während der letzten sechs Lebensjahre, die ihm noch beschieden waren, zunächst als außerordentlicher, im letzten Jahre als ordentlicher Professor angehört hat. Mittlerweile hatte er die Bearbeitung des Afrika gewidmeten Bandes (Tunis und Algier) des Corpus inscriptionum latinarum übernommen. Ein besonders reiches Erntefeld öffnete sich hier der Epigraphik, wie überall, wo auf die hohe Cultur des Alterthums nach gründlicher Verwüstung nicht eine neue Cultur, die Trümmer der alten vernichtend, gefolgt ist. Treffliche Vorarbeiten von Victor Guérin und namentlich von Leon Renier lagen vor, aber der strenge Grundsatz des Corpus, daß das Werk durchweg auf Autopsie gegründet werden sollte, verlangte auch abgesehen davon, daß selbst Renier’s Abschriften sich doch nicht als vollgenügend erwiesen, trotz der großen dem Besuche eines Deutschen entgegenstehenden, theils natürlichen, theils politischen Schwierigkeiten, die neue Bereisung des Landes. Daß W. für diese Aufgabe wissenschaftlich durchaus gerüstet war, wußte jeder der ihn kannte vorher, aber welches Maß von praktischer Umsicht, körperlicher Zähigkeit gegenüber den Anstrengungen und Gefahren der Reise, welche Geschicklichkeit im Umgang mit Menschen, welche Energie, Klarheit und Findigkeit in der Verfolgung seiner Ziele er entfalten würde, das hat wol Niemand geahnt. Im Herbste 1873 ging er über Neapel, Syracus, Malta nach Tunis, wo ihm neben Empfehlungen der deutschen Regierung besonders solche des Prinzen Friedrich Karl gute Dienste leisteten; die erste Reise in die Halbinsel südlich von Tunis war nur ein harmloses Vorspiel, denn W. machte die Reise mit Dr. Junker zusammen, und ein mitgenommenes Zelt schaffte den Reisenden saubere, trockene, warme Unterkunft für die Nacht, und ein Koch sorgte für gute Verpflegung; aber auf den großen Touren nach Tubursuk, von da nach Mograwa, über Kairnân, die heilige Stadt der Mohammedaner, an die Küste nach Susa (Hadrumetum), von da nach Sfakes und der Insel Kerkena, Gabes und der Insel Dscherda, durch die Wüste nach Caffa, von da nördlich über Kef unter mannichfachen [306] Zügen kreuz und quer nach Smala und zurück über Kef nach Tunis hatte er mit den Schrecken des afrikanischen Winters und den unsäglichen Mühseligkeiten und Gefahren der Reise in der Wildniß in einer Weise zu kämpfen, daß man erstaunt, wie der zarte, fast übermäßig hellblonde, kurzsichtige Mann sie ertragen konnte; aber er ertrug sie nicht nur, sondern kehrte gestählt, gekräftigt, gehoben im freudigen Bewußtsein des schönen Erfolges im Mai 1874 zurück. Im Sommer 1875 ging er über Paris, wo er die schwierige Aufgabe mit den französischen Gelehrten Fühlung zu gewinnen glücklich löste, nach Algier, wo ihm in den uncivilisirten Gegenden ähnliche natürliche Hindernisse wie in Tunis entgegentraten, auf der ganzen Reise aber politische Schwierigkeiten, die gar nicht zu überwinden gewesen wären, wenn nicht die nachdrückliche Verwendung des jetzigen Reichskanzlers, damaligen Botschafters in Paris, Fürsten Hohenlohe ihm schließlich durch General Chancy Empfehlungen der Militär- und Civilbehörden verschafft hätte. Im März 1876 war er in Paris zurück, und die Grundlage für den 11 000 Inschriften umfassenden Band war durch Vergleichung aller erreichbaren Steine gelegt, aber um einen nur zu theuren Preis: die erste Reise schien seine körperlichen Kräfte gesteigert zu haben, die zweite hatte sie aufgerieben. Als er im Sommer 1877 in Berlin erschien, war er ein gebrochener Mann; er begann noch im Winter seine Vorlesungen, aber bald mußte er sie aussetzen, es folgten noch einige Leidensmonate in Baden-Baden, während deren eine Schwester ihn mit aufopfernder Treue pflegte; am 6. März 1878 verschied er. Auf dem Krankenlager drückte ihn keine Sorge schwerer als die um sein nun unfertig bleibendes Werk, und dem Sterbenden war der schönste Trost, daß Mommsen ihm schrieb, er möge versichert sein, daß, wenn ihm etwas zustoßen sollte, er in seinem Sinne und in seinem Namen die Arbeit zu Ende führen werde, wie er selber im umgekehrten Falle auf Wilmanns’ Eintreten an seiner Stelle zähle. So trat denn trauernd der Greis des Jünglings Erbschaft an, und 1881 erschienen die „Inscriptiones Africae latinae“; auf dem Titel steht collegit G. Wilmanns, aber von S. 408 ab ist es für die Freunde des Verstorbenen immer wieder ein Schmerz zu sehen, wie zwischen der bisherigen Note: descripsi oder contuli und der dann folgenden contulit G. Wilmanns“ der Tod eine dunkle Scheidewand gezogen hat. Die einzige Frucht seiner Arbeit, die er noch selbst gezeitigt hat, die schöne Abhandlung „Die römische Lagerstadt Afrikas“, hat er in der Gabe der Freunde zum 30. November 1877 dem Lehrer und Freunde dargebracht.

Zahlreiche Briefe von Wilmanns aus Afrika sind aufbewahrt und dürften demnächst erscheinen; über ihn vgl. die vita in der Dissertation, den kurzen Nachruf in Bursian’s Biogr. Jahrbuch, Ad. Michaelis, Worte am Grabe des Dr. G. W. am 10. März 1878, und Mommsen’s Vorrede z. VIII. Bande des C. I. L.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: zu zu