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Artikel „Wildermuth, Ottilie“ von Theodor Schott in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 42 (1897), S. 504–507, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wildermuth,_Ottilie&oldid=- (Version vom 19. April 2024, 17:37 Uhr UTC)
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Band 42 (1897), S. 504–507 (Quelle).
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Wildermuth: Ottilie W., schwäbische Schriftstellerin, geboren in Rottenburg a./N. am 22. Februar 1817, † in Tübingen am 12. Juli 1877, war die Tochter des originellen durch seine Erzählungen in ganz Württemberg bekannten damaligen Criminalraths Rooschütz und der Leonore geb. Scholl, einer frommen, [505] klugen, praktisch tüchtigen Frau. Einfach ist der Lebensgang von O. W. gewesen; ihre Mädchenjahre brachte sie in dem kleinen freundlichen Städtchen Marbach zu, wohin ihr Vater 1819 als Oberamtsrichter befördert worden war, in einfachen, aber behaglichen Verhältnissen, ein munteres, gescheidtes, braunäugiges Mädchen, das sich mit den drei Brüdern in Haus und Feld tummelte, daneben aber von mächtigem Wissenstrieb erfüllt las, was man ihr von Büchern irgend anvertrauen konnte, die ganze Wissenschaft, welche die Volksschule bot, mit Leichtigkeit sich aneignete und bald in dem Kreise ihrer Gespielen und der Verwandtschaft bekannt und beliebt war als lebendige Erzählerin von gelesenen oder selbsterfundenen Geschichten und als Verfasserin artiger Gedichte. Mit 16 Jahren kam sie zu ihrer weiteren Ausbildung auf sechs Monate nach Stuttgart, am 5. September 1843 verheirathete sie sich mit Johann David Wildermuth, einem tüchtigen Philologen, der aus schwierigen Verhältnissen sich zum Studium emporgerungen hatte und nun die Stelle eines Professors der modernen Sprachen an dem Tübinger Gymnasium bekleidete. Die Musenstadt am oberen Neckar ist seitdem ihre bleibende Heimath gewesen; ein einfaches, aber reiches, innerlich und äußerlich beglücktes Leben führte sie dort, fleißig im Haushalt und im Ertheilen von Unterricht für Mädchen, später auch besorgt für Kostgänger, welche sie aufnahm, in einem großen Kreis von Verwandten und Bekannten stehend, tüchtiger Frauen und hervorragender Männer (Uhland, Keller, Klüpfel, Landerer, Oehler, Palmer, Reusch), der sich bald durch ihre schriftstellerische Thätigkeit, durch ihr Bekanntwerden in den verschiedensten Kreisen ungemein erweiterte. Als sie im Februar 1847 ihrem Mann eine Geschichte vorlas und bemerkte: So könne eigentlich Jedermann schreiben, entwarf sie auf sein neckendes Wort hin: Versuchs einmal! ein Genrebild, „die alte Jungfer“, das Mann und Bruder gefiel, ans „Morgenblatt“ eingesendet und dort freundlich aufgenommen wurde. Von dort an ist ihre Feder 30 Jahre lang nicht mehr müßig gewesen; die eigene Freude an Schriftstellerei, das Gefühl, andern durch ihre Arbeiten eine Freude zu machen trieben sie zu immer neuen Skizzen und Novellen, zu welchen ihre große geistige Elasticität und ihre reiche Phantasie stets frischen Stoff lieferten. Mit richtigem Takt hatte sie den für sie geeigneten Stoff von Anfang an erfaßt: das Leben ihrer schwäbischen Heimath mit seiner Gemüthstiefe, seinen Eigenthümlichkeiten, seinen schönen und komischen Seiten. Durch und durch ein Kind ihres Landes, das sie durch Besuche bei Verwandten und durch kleine Reisen von Grund aus kannte, wohl vertraut mit den großen und kleinen Berühmtheiten des schwäbischen Verwandtschaftshimmels, mit scharfem Auge begabt für jede Besonderheit, voll trockenen gutmüthigen Humors, unterstützt von einem vorzüglichen Gedächtniß, grundgescheidt und voll Lebensweisheit, verstand sie mit lebendigster Erzählungskunst, in welcher sie Meisterin war, ihre köstlichen Familiengeschichten, Lebensbilder, Erzählungen niederzuschreiben, in welchen Wahrheit und Dichtung auf das glücklichste in einander flossen, Sitten und Zustände, welche mehr und mehr einer untergehenden Periode angehören, mit schalkhafter Liebenswürdigkeit gezeichnet und für immer fest gehalten werden. Eine feine Kennerin des weiblichen Herzens hat sie den Reichthum ihrer reinen Empfindungen, ihrer treffenden Gedanken und ihres frommen Glaubens ausgegossen in idyllische Schilderungen, in welchen sie auch gern verweilte bei stillen unbedeutenden Persönlichkeiten, deren Leben und Thun sie stets eine interessante Seite abzugewinnen wußte. Auf ihre schwäbische Heimath, auf die einfachen Verhältnisse derselben hat sie sich in richtiger Weise beschränkt, und wenn auch hier mancher Ruf des Unmuths laut wurde über die verrätherische Aehnlichkeit mancher Personen, so ist sie doch in diesen Schilderungen unübertroffen geblieben; für Unzählige im kleinen und großen Vaterlande wurde sie die hochbeliebte erheiternde [506] Freundin, und für nicht Wenige eine freundliche Trösterin, eine der beliebtesten und gelesensten Frauenschriftstellerinnen jener Zeit. Auch die Welt der Jugend eroberte sie sich, selbst eine glückliche Mutter, indem sie mit trefflichem Verständniß auf das jugendliche Fühlen und Denken einging. Eine reine keusche Natur, fern von Prüderie und Emancipirtheit, nimmt sie auch in dieser Hinsicht eine ehrenvolle Stellung in der deutschen Litteratur ein. In immer reicherem Maße wurde ihr diese verdiente Ehre zu theil; in stets neuen Auflagen erschienen die Sammlungen ihrer Erzählungen, hochangesehene Zeitschriften (Morgenblatt, Hausblätter, Daheim) zählten sie zu den geachtetsten Mitarbeitern, neue Bekanntschaften gewann sie schriftlich und mündlich (Just. Kerner, Jer. Gotthelf, Adalb. Stifter, Schelling, Heyse, Schubert, Bodenstedt u. a.), hohe und höchste Personen (Königin von Holland, von Baiern u. a.) ließen sie sich vorstellen und wo sie hinkam auf kleinen und großen Reisen war sie der gern aufgesuchte, hochgeschätzte Gast; den officiellen Ausdruck ihrer Anerkennung erhielt sie in Württemberg im J. 1871 durch die Verleihung der großen goldenen Medaille für Kunst und Wissenschaft.

Aber ihr Leben ging nicht in der Schriftstellerei auf; regen Geistes nahm sie ebensolchen Antheil nicht an Politik, aber an allen nationalen patriotischen Ereignissen (Krieg von 1864, 1866, 1870–71), sie war eine eifrige Wohlthäterin und Besucherin von Armen und Kranken, hatte auch ein freundliches Auge für den stillen Kummer; von Besuchern und Bittstellern aller Art wurde ihr Haus nie leer, auch der Mißbrauch, den sie erfahren mußte, verbitterte sie nicht; in den einfachen Räumen, wo sie auch noch in vorgerückteren Jahren gern Unterricht ertheilte, waltete eine wohlthuende Gemüthlichkeit, welche besonders auch durch ihre Mutter erhalten wurde, die sie seit dem Tode des Vaters (1847) zu sich genommen hatte († 1874). Zwei Töchter (Agnes, Adelheid) und ein Sohn (Hermann) bildeten einen anmuthigen Kinderkreis; kleine Reisen in die Schweiz, im Schwarzwald, Elsaß, nach Baden-Baden, Schleswig (Meldorf, wohin sich die älteste Tochter Agnes Willms verheirathet hatte, 1866) erneuerten alte Freundschaften und führten ihr neue Eindrücke zu. In den sechziger Jahren wurde ihre sonst gute Gesundheit durch ein ziemlich heftiges Nervenleiden angegriffen, die dadurch herbeigeführte Schlaflosigkeit kehrte auch später häufig wieder, da machte am 12. Juli 1877 ein Nervenschlag ihrem Leben ein rasches unerwartetes Ende. Auf dem Wörth in Tübingen, umrauscht von schönen Bäumen, steht ihr Denkmal, von den Frauen Tübingens errichtet, ein stattlicher Stein mit ihrem Broncerelief und ihrem Namen, eingeweiht am 10. August 1887. Ihre zahlreichen Schriften, meistens mehrfach aufgelegt und auch als gesammelte Werke erschienen, sind folgende: „Bilder und Geschichten aus dem schwäbischen Leben“ (1852); „Neue Bilder und Geschichten aus Schwaben“ (1854); „Aus dem Frauenleben“ (1855); „Die Heimath der Frau“ (1859); „Im Tageslichte, Bilder aus der Wirklichkeit“ (1861); „Lebensräthsel, gelöste und ungelöste“ (1863); „Perlen aus dem Sande“ (1867); „Zur Dämmerstunde“ (1871). Nach ihrem Tode erschien, von ihrer Tochter Willms gesammelt: „Mein Liederbuch“ (1877) und „Beim Lampenlicht“ (1878). – Unter ihren Jugendschriften sind zu erwähnen: „Aus der Kinderwelt“ (1854); „Erzählungen und Märchen“ (1856); „Aus Schloß und Hütte“ (1861); „Aus Nord und Süd“ (1874) u. s. w. Im J. 1870 erschien von ihr der erste Band der Kinderzeitschrift „Jugendgarten“, seitdem von ihren Töchtern Agnes Willms und Adelheid W. fortgesetzt. Einer Jugendfreundin Auguste Feuerlein, verehelichte Eisenlohr setzte sie ein biographisches Denkmal in: „Auguste, ein Lebensbild“ (1857). Aus dem Englischen übersetzte sie „Sonntag-Nachmittage daheim“ (1860); die Schrift von Jules Bonnet über Olympia Morata bearbeitete sie für das Deutsche (1854).

[507] Die hauptsächlichste Quelle für ihre Biographie ist: O. Wildermuth’s Leben. Nach ihren eigenen Aufzeichnungen zusammengestellt und ergänzt von A. Willms und A. Wildermuth; sonst sind zu erwähnen die kurzen Skizzen in: Unsere Zeit, N. F. 1877. Bd. 13, II, 952; Gegenwart 1877. Bd. 12, S. 102 ff., Schwäbischer Merkur 1888, S. 589.