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Artikel „Wildauer, Mathilde“ von Hermann Arthur Lier in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 42 (1897), S. 493–495, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wildauer,_Mathilde&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 19:43 Uhr UTC)
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Wildauer: Mathilde W., Schauspielerin und Sängerin, wurde in Wien im J. 1820 geboren. Von ihrer Kindheit und ihrem Bildungsgange wissen wir nur so viel, daß sie Schülerin des alten Schauspielers Karl Müller, des Vaters der Sophie Müller, war. Wie Costenoble in seinem Tagebuch berichtet, wurde sie, erst 14 Jahre alt, am 14. März 1834 auf dem Wiener Hofburgtheater geprüft. „Sie gab eine Scene der Isabella aus den ‚Quälgeistern‘, eine Scene aus der ‚Marie‘ von Kotzebue und eine aus dem ‚Bräutigam aus Mexiko‘. Ihre Isabella hatte keine frohe Seele, ihre Marie war zu farbloses Einerlei, obschon Gefühl verborgen liegen mag; ihr Suschen war die beste Probe von allen dreien; die Aussprache ist nicht schlecht, das Organ angenehm, wenn auch nicht helltönend, die Gestalt klein und niedlich, und auch das Gesicht soll schön sein; letzteres konnte ich nicht genau in Augenschein nehmen.“ Trotz dieser im ganzen mehr ungünstigen, als günstigen Kritik durfte das überaus jugendliche Mädchen, das vielleicht besonders hohe Protection genoß, bald darauf eine öffentliche Talentprobe auf dem Burgtheater ablegen. Am 1. April 1834 machte sie als Susette in den „Rosen des Herrn von Malesherbes“ ihren ersten theatralischen Versuch. „Sie sprach“, wie Costenoble erzählt, „klar und verständlich, [494] auch ganz verständig und äußerte oft Gefühl“, doch wußte sie sich mit dem Gehen und Stehen noch nicht recht abzufinden. Am 23. Mai 1834 folgte ihr zweiter Versuch als Suschen in Clauren’s „Bräutigam aus Mexiko“. Costenoble sah sie bei diesem Auftreten nicht, verzeichnete aber in seinem Tagebuche ein Urtheil des berühmten Friedrich Wilhelmi, der in dem Kinde „ein recht schönes Talent“ zu erkennen meinte. Bei ihrem dritten Debut am 14. Juni 1834 als Gurli in Kotzebue’s „Indianern in England“ „gefiel sie in einigen Scenen rasend. Sie wurde im zweiten Arte, nach ihrer Erzählung, und am Schlusse gerufen und dankte vernünftiger als viele ihrer älteren Kunstgenossen. Das Mädchen ist erst vierzehn Jahre alt – daraus kann und wird sich noch Schönes entwickeln.“ So erfolgte denn trotz ihrer großen Jugend ihr Engagement, und am 24. Juni 1834 trat sie bereits als Mitglied des Hofburgtheaters auf. Doch irrte man sich damals in Wien noch sehr über ihre eigentliche Begabung, da der oberste Chef der Burg, Graf Czernin, meinte, sie werde nur in rührend naiven, nicht aber auch in drolligen Rollen zu verwenden sein. Die Zukunft sollte lehren, daß das gerade Gegentheil der Fall war, und daß die W. vor allem für das komische Fach begabt war. Zunächst freilich hatte sie eine schwere Zeit der Prüfung durchzumachen, da „die Actricen des Burgtheaters dem Kinde die nothwendige Zuversicht durch schroffen Tadel zu rauben suchten, statt sie schonend und freundlich zu unterweisen“. Nur Frau Koberwein machte hierin eine Ausnahme, und ebenso nahm sich Costenoble der Anfängerin treulich an. Erst ziemlich spät gelangte sie in den Besitz einiger Soubrettenrollen, die ihr am besten lagen. Eine ihrer besten Leistungen war die Katharina in Shakespeare’s „Bezähmung der Widerspänstigen“, und die Friederike in Bauernfeld’s „Leichtsinn aus Liebe“ gab sie mit unnachahmlicher Grazie. Den größten Erfolg aber erzielte sie als Nanderl in Alexander Baumann’s Singspiel „Das Versprechen hinter dem Herd“. Kein Geringerer als Laube erklärte sie für „ein weibliches Talent ersten Ranges“. Er setzte die größten Hoffnungen auf ihre Entwicklung und war deshalb höchlichst enttäuscht, als die W., die sich einer prächtigen Stimme erfreute, ihren Willen durchsetzte und im J. 1850 ein Engagement als Sängerin an dem Wiener Hofoperntheater erhielt, ohne ihre Stellung an der Burg aufzugeben. Sie gehörte fortan beiden Instituten an, wurde aber, ihrer Neigung entsprechend, weit mehr in der Oper, als im Schauspiel beschäftigt. Sie sang anfangs feinere Soubrettenrollen, wie die Susanne in „Figaro’s Hochzeit“ und die Zerline im „Don Juan“. Später ging sie in das Primadonnenfach über und glänzte z. B. als Linda in Donizetti’s „Linda von Chamounix“ und als Katharina in Meyerbeer’s „Nordstern“. „Ihre Stimme war ein heller, nicht übermäßig starker, aber voll ausreichender Sopran von reinstem Wohllaut.“ Dazu kam ein unermüdlicher Fleiß, eine glänzende schauspielerische Begabung und eine sichere Gesangstechnik, die sie sich noch spät angeeignet hatte, sowie eine seltene, bestechende, frauenhafte Schönheit. Nachdem sie sechzehn Jahre hindurch an der Burg und weitere fünfzehn an der Hofoper thätig gewesen war, ließ sie sich im J. 1861 pensioniren. Laube hoffte, daß sie noch einmal an die Burg zurückkehren würde, und hätte ihr den Eintritt jeden Tag ermöglicht, aber sie konnte sich zu diesem Schritt nicht entschließen, sondern zog sich, hypochondrisch geworden, mehr und mehr in die Einsamkeit zurück, in der sie, erst 58 Jahre alt, am 23. December 1878 zu Wien starb. Da sie nur selten auf Gastspiele ging und nach Norddeutschland nicht weiter als bis Dresden gekommen war, war ihr Name außerhalb Oesterreichs wenig bekannt. Trotzdem gehörte sie zu den Größen, auf deren Namen der Ruhm des Wiener Theaters beruht.

Vgl. H. Laube, Das Burgtheater. Leipzig 1868. S. 314–316. – [495] E. Wlassack, Chronik des k. k. Hof-Burgtheaters. Wien 1876. S. 192. – Illustrirte Zeitung. Leipzig 1879. Nr. 1857, S. 90. – Almanach der Genossensch. Deutscher Bühnenangehöriger. Kassel u. Leipzig 1880. S. 184. – Wurzbach LVI, 131–136. – C. L. Costenoble, Aus dem Burgtheater 1818–1837. Tagebuchblätter II. Wien 1889. (Siehe das Register.)