ADB:Wendeborn, Gebhard Friedrich August

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Artikel „Wendeborn, Gebhard Friedrich August“ von Gustav Frank in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 41 (1896), S. 712–714, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wendeborn,_Gebhard_Friedrich_August&oldid=- (Version vom 29. Dezember 2024, 17:55 Uhr UTC)
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Wendeborn: Gebhard Friedrich August W., Prediger und Culturhistoriker, wurde als der Sohn eines Pfarrers zu Wolfsburg im ehemaligen Herzogthum Magdeburg am 20. April 1742 geboren. Des Frühverwaisten nahm sich auf der Schule zu Klosterbergen der Abt Steinmetz (s. A. D. B. XXXVI, 1) väterlich an. Als er 1759 die Universität Halle bezog, unterdrückte er seine Neigung zur Medicin auf die Versicherung seines Vormundes hin, sein Vater würde sich im Grabe umdrehen, wenn er nicht bei der Theologie bliebe. Nach zweijährigem Aufenthalte vertauschte er Halle, daß ihm durch die beständigen Kriegsunruhen verleidet wurde, mit Helmstedt. Nachdem er hier kaum ein Jahr verbracht, mehr durch Selbststudium als Collegia sich fortbildend, legte er in Magdeburg die Prüfung pro licentia concionandi ab, lebte als Hofmeister in Stade, dann als Informator und Candidat des Ministeriums in Hamburg. Um Aussichten zur Beförderung in Holstein zu erhalten, ließ er sich in Rendsburg examiniren. Vom Hamburger Ministerium vorgeschlagen, reiste er im Mai 1767 zu einer Wahlpredigt bei der deutschen Gemeinde in Trinitylane nach London. Obschon er bei der Wahl wider Erwarten nicht obsiegte, verhielt er sich doch, um der englischen Sprache mächtiger zu werden, längere Zeit in Northampton und Oxford. Für die soeben erledigte Predigerstelle an der deutschen Marienkirche in der Savoy begehrt, trat er gleichwol, des Unsinns müde, der sich beim Wahlgeschäft äußerte, die Rückreise über Frankreich und die Niederlande 1768 an. Kaum in Hamburg angelangt, traf ihn der Ruf zur eben genannten Predigerstelle. Vom Senior Goeze ordinirt kehrte er nach London zurück. Allein zu seiner nicht geringen Verwunderung fand er seine Kirche von einer Gegenpartei, an ihrer Spitze der berüchtigte Prediger Wachsel, occupirt und bewacht (s. Wendeborn’s Brief an einen angesehenen Geistlichen in Berlin über seine bisherigen Londoner Schicksale. Hamb. 1770). Schon wollte er England zum zweiten Male verlassen, als die ausgestoßenen Vorsteher der Gemeinde und andere Freunde ihn zurückhielten, eine neue Gemeinde gründeten und eine eigene Kirche (eingeweiht 1770) in Ludgate Hill erbauten. Und so konnte W. sagen, daß er keinen Vorgänger im Amte gehabt, allerdings auch keinen Nachfolger. Die von ihm (Braunschweig 1774) im Druck erschienenen Predigten wurden, weil dem lutherischen Lehrbegriffe nicht widersprechend, einer zu großen Anhänglichkeit an das athanasische Glaubensbekenntniß geziehen. Die Aussicht, Lehrer der deutschen Sprache bei dem Prinzen von Wales zu werden, veranlaßte ihn, „Elements of German Grammar“ (1774) drucken zu lassen (4. Aufl. 1803, vermehrt mit den 1797 erschienenen Exercises). Von 1779 bis 92 schrieb er den Londoner Zeitungsartikel für den Hamburger Correspondenten. In demselben Jahre, in welchem die Gordonischen Tumulte in London vorfielen, traten seine „Beiträge zur Kenntniß Großbritanniens“ (1780) ans Licht, der Vorläufer seines größeren Werkes: „Der Zustand des Staats, der [713] Religion, der Gelehrsamkeit und der Kunst in Großbritannien gegen Ende des 18. Jahrhunderts“ (4 Thle., Berlin 1784–88, von welchem Werke eine von W. selbst besorgte englische Uebersetzung u. d. T. „A view of England towards the Close of the eighteenth Century“ in 2 Bänden London 1791, ein Nachdruck in Dublin und eine holländische Uebersetzung erschien). Als Ergänzung dazu kann seine „Reise durch einige westliche und südliche Provinzen Englands“ (2 Bde., Hamburg 1793) angesehen werden. Durch des Geschichtschreibers Robertson Vermittlung erhielt er, da er sich mit dem Zwange eines Doctors der Gottesgelahrtheit auf keine Weise belästigen lassen wollte, von Edinburg das Diplom eines Doctors der Rechte, und wurde 1789 zum Mitglied der kais. ökonomischen Gesellschaft in Petersburg, 1792 der königl. Akademie der Wissenschaften in Berlin ernannt. Während der Renovirung seiner Kirche unternahm er seine zweite Reise nach Frankreich, der Schweiz und in die Niederlande. Viele berühmte und seltsame Menschen hat er kennen gelernt, einen David Hume, Adam Smith, Oliver Goldsmith, den Historiker Gibbon, den starrköpfigen Burke, den mannweiblichen Chevalier d’Eon, den Physiker und antitrinitarischen Theologen Josef Pristley, den nicht ganz heiligen Hofprediger Ziegenhagen, den gefeierten Kanzelredner Wilhelm Dodd, als Wechselfälscher am Galgen gestorben, den Apologeten Roustan, den Caplan Woide, bekannt als Herausgeber des Codex Alexandrinus, die alttestamentlichen Textkritiker Kennicot, dem beim Variantensammeln gute Augen über Sprachkenntniß gingen, und den tauben Pater Houbigant. Von deutschen Gelehrten weiß er manchen individuellen Zug beizubringen. So von Semler, hochgewachsen und furchtsam, der seinen ehemaligen Ruhm eines aufgeklärten Kopfes aus den Schmelztiegeln in die Luft habe fliegen lassen; vom mißtrauischen, in Gesellschaft frohgelaunten Senior Goeze, der ihm bereiteten Aerger durch Rhabarber abzuführen pflegte; vom Augsburgischen Senior Urlsperger, dem er als ein Unrecht vorhielt, durch Erklärung des Geheimnisses der Dreieinigkeit der Kirche ihr Mysterium zu rauben; vom Leibarzt Zimmermann in Hannover, welchem der betrübte Zustand seines Unterleibes vorzüglich die Ideen verwirrt habe; von seinem litterarischen Concurrenten Archenholz (siehe A. D. B. I. 511), den er als falschen Propheten und Aergeres schildert. Merkwürdig genug fiel seine Begegnung mit Dr. Bahrdt (s. A. D. B. I, 772) aus. Der war, für sein Philanthropin in Heidesheim Zöglinge zu werben, nach London gekommen und wußte sich durch Betonung seiner gewonnenen besseren Einsichten und deren Folgen derart zu insinuiren, daß W. sich seiner thatkräftig annahm, auch seine Kanzel zu einer Predigt ihm einräumte. Bahrdt hat ihm dafür im „Kirchen- und Ketzeralmanach“ sowie in seiner Selbstbiographie das größte Lob gespendet: ein Mann von Genie, vielen Kenntnissen, gutem Geschmack und gereifter Welt- und Menschenkenntniß. „Er war mein Freund, mein Führer und angenehmster Gesellschafter“. Er soll auch – so versichert Bahrdt – sein Führer zur Londoner Halbwelt gewesen sein. W. erklärte dieses im Hamburger Correspondenten vom 6. Mai 1791 für die schändlichste Lüge, die je mit frecher Unverschämtheit in die Welt hineingeschrieben wurde. „Gebt – ruft er mit der Emilie im Othello aus – einer jeden ehrlichen Hand eine Peitsche, und peitscht den schändlichen Kerl nackend durch die Welt!“ Bahrdt’s Entschuldigung lautete: er habe das bischen Erdichtete in seine Lebensbeschreibung bloß eingeschoben, weil er geglaubt, dem Buche damit einen Schwung zu geben. Nach 22jähriger friedsamer Amtsthätigkeit, während welcher er gegen 3000 Predigten gehalten, legte er 1790, weil man ihm die Nachmittagspredigten weder erlassen, noch für dieselben einen Vicar bestellen wollte, seine Stelle nieder. Er versichert, die Kirche nie mit einem so erleichterten Herzen verlassen zu haben als dieses Mal, da er sich nun nicht mehr in die elenden Launen armseliger [714] und zum Theil geldstolzer Leute zu schicken brauchte. Bis daher für die Engländer (wenn auch gerade nicht für die bischöfliche Geistlichkeit) eingenommen, beginnen jetzt seine Klagen über die gänzliche Veränderung des englischen Volkscharakters, wiefern infolge des amerikanischen Krieges und der französischen Revolution die Losung „Freiheit und Wilkes“ verstummt war, und der Egoismus den Gemeinsinn verdrängte. Gern ergriff er daher die Gelegenheit, einen reichen jungen Engländer, für die Universität Göttingen bestimmt, nach Deutschland zu begleiten. Als er zurückgekehrt in dem Lande ehemaliger Freiheit die Freiheit im Reden über politische Angelegenheiten sehr eingeschränkt, dagegen die Minister mit der Macht ausgestattet fand, nach ihrem Gutdünken jeden Fremden von der Insel zu jagen, beschloß er England für immer zu verlassen. Er lebte seit 1793 von seinem durch Fleiß und Sparsamkeit erworbenen Vermögen in Ruhe und philosophischer Unabhängigkeit bis zu seinem Tod (24. Mai 1811) in Hamburg, geschätzt wegen seines offenen, ehrlichen Charakters und seiner freimüthigen Wahrheitsliebe. Außer „Vorlesungen über die Geschichte des Menschen und seine natürliche Bestimmung“ (Hamb. 1807) hat er daselbst seine Lebensgeschichte geschrieben, die er (sammt seinen Büchern) handschriftlich der Hamburgischen Stadtbibliothek mit der Verfügung testirte, daß sie innerhalb zweier Jahre nach seinem Tode veröffentlicht werde. Sie ist unter dem Titel: „D. G. F. A. Wendeborn’s Erinnerungen aus seinem Leben“ vom Stadtbibliothekar C. D. Ebeling in 2 Th., Hamb. 1813, herausgegeben worden.