ADB:Welz, Justinian Ernst von

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Artikel „Welz, Justinian Ernst von“ von Viktor Hantzsch in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 42 (1897), S. 744–746, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Welz,_Justinian_Ernst_von&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 14:00 Uhr UTC)
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Welz *): Justinian Ernst v. W. (auch Weltz oder Wels), Baron von Eberstein, der erste bedeutende Vertreter des Missionsgedankens in der lutherischen Kirche Deutschlands, war 1621 auf dem Stammgute seiner Familie in Oesterreich geboren. Nachdem er sich in seiner Jugend einem weltlichen Leben ergeben hatte, brachte ihn die wachsende Noth seiner lutherischen Glaubensgenossen im Reiche zur Selbstbesinnung. Er veränderte seine Lebensweise von Grund aus, entsagte allen Vergnügungen und wandte sich ernsten Studien zu. Außer der Bibel beschäftigte ihn namentlich das Leben der Reformatoren, sowie die Geschichte der christlichen Kirche in den ersten Jahrhunderten. Ergriffen von den Leiden der Märtyrer, sowie von dem Glaubenseifer der Einsiedler und der Missionare jener Zeiten, beschloß er ihnen ähnlich zu werden und wie sie für das Heil der Menschheit zu wirken. Da sich aber der Verwirklichung seiner Pläne in Deutschland und Oesterreich allzuviele Hindernisse entgegenstellten, begab er sich nach den Niederlanden, um unter dem Schutze der hier herrschenden bürgerlichen und religiösen Freiheit seine Ideen auszubreiten. In Leiden veröffentlichte er zwei kleine Schriften, die äußerst charakteristisch für seine Denkweise sind. Zuerst erschien der „Tractatus de tyrannide“ (Lugd. Bat. 1641). Darin weist er mit kühnem Freimuth nach, daß die Grundursache des tiefen Verfalls der Christenheit die Tyrannei der herrschenden Classen, namentlich der Fürsten sei, zeigt dann die Ursachen, die Erscheinungsformen und die Folgen der Tyrannei und untersucht endlich die Frage, warum doch Gott trotz seiner Gerechtigkeit und Liebe die Tyrannei zulasse. Zwei Jahre später ließ er diesem Fürstenspiegel ein ganz ähnlich angelegtes Werk unter dem Titel „Hispanicae dominationis arcana“ (Lugd. Bat. 1643) folgen. Während seines Aufenthaltes in den Niederlanden war es ihm klar geworden, daß die schlimmsten Tyrannen und Feinde des wahren Christenthums die Könige von Spanien seien. Unterstützt durch eine ausgebreitete Kenntniß der hervorragendsten Geschichtswerke seit der Reformation sammelte er deshalb eine außerordentliche Menge von Beispielen tyrannischer Gesinnung und Handlungsweise Philipp’s II. und seiner Nachfolger und stellte daraus die eben erwähnte Schrift zusammen, die in meisterhafter höchst wirkungsvoller Sprache den Spaniern ihre Schandthaten vorhält und nicht nur damals in den Niederlanden großen Beifall fand, sondern auch jetzt noch als Beitrag zur Sittengeschichte jener Zeit schätzbar ist. Nach der Vollendung dieser Schrift scheint sich W. wieder nach Deutschland begeben [745] zu haben. Seit 1663 verschwindet er für 20 Jahre völlig aus der Oeffentlichkeit. Aus einigen Andeutungen seiner späteren Schriften geht hervor, daß er sich während dieser Zeit mit Studien aller Art beschäftigte, die ihm mit Recht den Ruf ungewöhnlicher Bildung verschafften. Insbesondere aber ergab er sich Neigungen, die für sein ganzes späteres Leben von grundlegender Bedeutung wurden: einem Hange zur Einsamkeit, sowie dem lebhaften Wunsche, den Heiden das Evangelium zu predigen. Dieser Wunsch wurde in ihm allmählich so stark, daß er beschloß, aus seinem zurückgezogenen Leben hervorzutreten, um die gesammte lutherische Kirche Deutschlands für seine Ideen zu gewinnen. Zu diesem Zwecke gab er zunächst 1633 zu Ulm einen Tractat „Vom Einsiedlerleben, wie es nach Gottes Wort und nach Art der alten heiligen Einsiedler anzustellen sei“ heraus, der in eindringlicher und wahrhaft volksthümlicher Sprache die Glaubensgenossen zur innern Einkehr und Selbstschau aufforderte. Im folgenden Jahre erschien er selbst in Regensburg, um die hier zum Reichstag versammelten Vertreter der evangelischen Stände für seine Missionsabsichten zu begeistern. Er übergab ihnen einen Plan zur Abstellung der kirchlichen Schäden und zur wirksamen Bekämpfung der während des Krieges eingerissenen Sittenlosigkeit, sowie verschiedene Gutachten namhafter Theologen, welche seine auf innere Reformation und äußere Ausbreitung des Lutherthums gerichteten Vorschläge warm befürworteten. Gleichzeitig ließ er, um auch weitere Volkskreise auf seine Ideen aufmerksam zu machen, unter dem Pseudonym Justinianus zwei gegenwärtig äußerst selten gewordene Mahnrufe erscheinen: „Eine christliche und treuherzige Ermahnung an alle rechtgläubigen Christen der Augsburgischen Confession, betreffend eine sonderbare Gesellschaft, durch welche nächst göttlicher Hülfe unsere evangelische Religion möchte ausgebreitet werden“, sowie „Einladungstrieb zum herannahenden großen Abendmahl und Vorschlag zu einer christerbaulichen Jesusgesellschaft, behandelnd die Besserung des Christenthums und Bekehrung des Heidenthums“. Beide Schriften sind dadurch wichtig, daß sie zum ersten Male die deutsch-evangelische Kirche nachdrücklich an ihre bisher ganz vernachlässigte Missionspflicht erinnerten. Die erste fordert die Glaubensgenossen zur Beantwortung folgender drei Fragen auf: 1. Ist es recht, daß wir evangelische Christen das Evangelium allein für uns behalten und dasselbe nirgends suchen auszubreiten? 2. Ist es recht, daß wir allerorten soviele Studenten der Theologie haben und geben ihnen doch nicht Anlaß, daß sie anderwärts in dem geistlichen Weinberge Jesu Christi arbeiten helfen? 3. Ist es recht, daß wir evangelische Christen auf allerlei Kleiderpracht, Wohlleben in Essen und Trinken und anderes soviel Unkosten wenden, aber zur Ausbreitung des Evangeliums bisher noch auf keine Mittel bedacht gewesen sind? In der andern Schrift machte W. offenbar im Hinblick auf die scheinbar so erfolgreiche Missionsarbeit des Jesuitenordens den Vorschlag, alle protestantischen Missionsfreunde möchten sich zu einer über ganz Deutschland ausgebreiteten Jesusgesellschaft zusammenschließen, welche den Zweck verfolgen sollte, Candidaten der Theologie in die Heidenländer auszusenden und sie dort durch fortlaufende Unterstützungen zu erhalten.

Beide Tractate überreichte W. dem Corpus evangelicorum. Dieses prüfte sie und besprach sie mit Anerkennung, vertröstete aber den Verfasser, als er um Beihülfe zu seinen Unternehmungen bat, auf bessere Zeiten. Unterdessen waren seine Pläne auch in theologischen Kreisen bekannt geworden. Sie fanden auch hier und da Anerkennung, bis sich plötzlich das Gerücht verbreitete, W. sei ein Schwarmgeist und ein Feind des kirchlichen Lehrstandes. Während seines Aufenthaltes in Regensburg war er nämlich mit dem bekannten Theosophen und Mystiker Johann Georg Gichtel, dem Herausgeber der Schriften Jakob Böhme’s, in Verbindung getreten und hatte mit ihm gemeinsam allerlei Pläne zur [746] Besserung der kirchlichen Schäden entworfen. Durch diesen Verkehr wurde W. der orthodoxen lutherischen Geistlichkeit verdächtig. Der Regensburger Superintendent Johann Heinrich Ursinus ließ eine „Wohlgemeinte, treuherzige und ernsthafte Erinnerung an Justinianum“ drucken, worin er ihm chiliastische Irrlehren, münzerischen und quäkerischen Geist, ja selbst die Absicht der Leutebetrügerei vorwarf und alle Rechtgläubigen nachdrücklich vor der Betheiligung an der geplanten Jesusgesellschaft warnte. W. antwortete durch eine „Wiederholte, treuherzige und ernsthafte Erinnerung und Ermahnung an alle evangelische Obrigkeiten, christliche und jesusliebende Herzen, die Bekehrung ungläubiger Völker vorzunehmen“. Diese Gegenschrift führt eine weit schärfere Sprache als ihre Vorgänger. Sie macht die herrschenden Kreise, namentlich die Geistlichkeit, für alle Schäden der Kirche verantwortlich, weist darauf hin, wie wenig die evangelische Christenheit bisher den Missionsbefehl Christi Matthäi am letzten geachtet habe, wünscht die Wiedereinsetzung des predigend reisenden Apostelamtes nach dem Vorbilde des Paulus und fordert endlich alle lutherischen Obrigkeiten auf, an jeder Universität ein Collegium de propaganda fide einzurichten, in welchem Studenten der Theologie in allem unterrichtet werden sollten, was einem Heidenbekehrer zu wissen und zu können nöthig ist. Da aus Furcht vor der Geistlichkeit kein Regensburger Verleger diese Schrift herauszugeben wagte, mußte sie W. in Holland drucken lassen. Bald reiste er auch selbst dorthin, weil seine Missionsaufrufe in Deutschland so wenig Entgegenkommen fanden. Er beschloß deshalb, seinem Missionsworte wenigstens die eigene Missionsthat folgen zu lassen. Nachdem er seinen Genossen Gichtel beauftragt hatte, in der Heimath für die Heidenbekehrung zu wirken, begab er sich nach Zwoll zu dem ihm befreundeten Prediger der dortigen lutherischen Gemeinde, dem Schwärmer Friedrich Breckling, ließ sich von diesem zum Apostel der Heiden weihen, legte seinen Freiherrntitel ab und errichtete mit dem größten Theile seines Vermögens eine Stiftung zu Gunsten solcher Studenten, die sich dem Missionsdienste widmen wollten. Dann schiffte er sich von Amsterdam aus nach dem holländischen Guayana ein, um dort die Eingeborenen zu bekehren. Ueber seine Erfolge ist keine Kunde in die Heimath gelangt. Unter seinen deutschen Freunden verbreitete sich einige Jahre später das Gerücht, er sei am Rio Essequibo von wilden Thieren zerrissen worden.

Die Nachwelt hat seine Bestrebungen gerechter beurtheilt als die Zeitgenossen. Zwar haben ihn einige Kirchenhistoriker einen Schwärmer, andere einen Missionsfanatiker genannt, alle aber stimmen darin überein, daß er voll selbstloser Begeisterung seine Stellung, sein Vermögen und selbst sein Leben opferte, um sich an der Lösung der damals fast noch nirgends anerkannten Missionsaufgabe der evangelischen Kirche zu betheiligen.

Zedler, Universallex. – G. Arnold, Unparteiische Kirchen- und Ketzerhistorie 2, 203. – Jöcher. – Herzog, Realencyklop. 10, 42 ff. – Wiggers, Geschichte d. evangelischen Mission I, 29–30. – Plitt, Kurze Geschichte d. lutherischen Mission, S. 32 f. (neue Ausgabe von Hardeland I, 22 f.). – Grössel, Justinianus von Welz (in Faber’s Missionsbibliothek 1891). – Grössel, Missionsgedanken in der lutherischen Kirche Deutschlands im 17. Jahrhundert (Allgemeine Missionszeitschrift 1894, Heft 9).

[744] *) Zu Bd. XLI, S. 702.