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Artikel „Wagner von Freynsheim, Camillo“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 42 (1897), S. 741–744, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wagner,_Camillo&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 15:22 Uhr UTC)
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Wagner *): Camillo W. von Freynsheim, Dichter, zumeist unter dem Pseudonym Karl Guntram, wurde am 22. Juni 1813 als Sohn eines herrschaftlichen Gerichtspflegers zu Frankenburg in Oberösterreich geboren. Bis 1822 von der trefflichen Mutter herangebildet, besuchte er die Gymnasien zu Linz und Salzburg und absolvirte dann bis 1830 die philosophischen Jahrgänge im Benedictinerconvict zu Kremsmünster, seitdem die juristischen und staatswissenschaftlichen zu Innsbruck, Prag und Wien und, nach Vielseitigkeit strebend, die berg- und forstwissenschaftlichen an der Akademie zu Schemnitz. In diesen Jahren ist seine früh regsame freisinnige Denkart fest eingewurzelt, gewiß genährt durch Erfahrungen im Kremsmünsterer Stift, besonders aber durch die Eindrücke, die er auf ausgedehnten Ferienwanderungen durch die meisten Landschaften des damaligen österreichischen Gesammtstaates, auch die Lombardie und Venetien, sowie die Schweiz sammelte. 1838 kam er zur Berg- und Salinendirection in Hall (Tirol), Februar 1840, definitiv angestellt, als Bergoberamtsactuar nach Joachimsthal, Ende des Jahres als Berggerichtsassessor nach Steyr. Diese Stadt wählte ihn, nachdem er sich 1847 länger in Paris und London, in den Niederlanden und Belgien, aber auch in Norddeutschland in mannichfacher Hinsicht umgeschaut hatte, 1848 ins Frankfurter Parlament, aus dem er, Mitglied des liberalen linken Centrums, im April 1849 mit den andern Oesterreichern austrat. Am 11. Januar hat er darin eine Principienrede gehalten; diese spiegelt uns ein dichterischer Mandatscollege hübsch wieder, obschon er den Standpunkt Wagner’s verwirft, „der auch jetzt noch die Paragraphen Zwei und Drei (der staatsrechtlichen Neuordnung) für anwendbar hielt auf Oesterreich, der die Theorie unbekümmert um den nächsten Erfolg durchgeführt sehen wollte. Er gehörte zu den gebildetsten und talentvollsten Oesterreichern, und empfahl seinen Namen durch alle die liebenswürdigen Eigenschaften der Bescheidenheit, Innigkeit und Herzlichkeit, an welchen man in der Parteiwuth so leicht irre werden konnte“, und daran hängt er, obzwar Gegner, folgende Glosse zu der von W. erweckten Stimmung: „Ach, es war ein tragisches Schauspiel, solche gründlich deutsch gesinnte Männer (vorher hatte Arneth gesprochen) hoffnungslos ringen zu sehen gegen das Unvermeidliche! Volksstämme wie in Tirol, Salzburg, Ober- und Niederösterreich und Deutschböhmen aus der engen Gemeinschaft gewiesen zu sehn, weil ihr Staat ein Großstaat geworden und so große Ansprüche zu erheben, so viel weitere Aufgaben zu erfüllen hatte. All diese österreichischen Debatten waren eine endlose Pein“. Auch sein landsmännischer Gesinnungsgenosse Alfr. v. Arneth hebt das Aufsehen, das diese Rede erregte, hervor. Seit dieser Zeit hat W. nie mehr an der Praxis der Tagespolitik Antheil genommen, dessenungeachtet aber seine aufrichtig liberale und grunddeutsche Gesinnung keineswegs verleugnet. In innerpolitischen Fragen wie in der ganzen Weltanschauung stand er auf dem Boden der Josephinischen Tendenzen, zu denen sich fast das [742] ganze höhere Beamtenthum Oesterreichs bis ans letzte Viertel unseres Jahrhunderts heran bekannt hat. Daher konnte W. auch unbeschadet seiner Ueberzeugungen ohne Störung seine Laufbahn im Staatsdienste fortsetzen. 1850 wurde er Landgerichtsassessor zu Salzburg, 1852 Landgerichtsrath zu Hermannstadt, 1854 Oberlandesgerichtsrath und Vicepräsident am dortigen Landesgericht, mit der selbständigen Leitung der Abtheilung für Strafsachen betraut, aber infolge der schon durch das 1860er Octoberdiplom geänderten staatsrechtlichen Verhältnisse der Länder der ungarischen Krone Januar 1861 nach Wien versetzt, wo er zuerst, bis zur endgültigen Auflösung des siebenbürgischen Gerichtssenats beim Obersten Gerichtshofe als Aushilfsreferent Verwendung fand und mit sämmtlichen deutschen Beamten Transleithaniens in Disponibilität trat. Danach amtirte er drittehalb Jahre als Vorsitzender bei den Schlußverhandlungen der Criminalabtheilung des Wiener Landgerichts, endlich beförderte man ihn zum Rath am Oberlandesgericht ebendaselbst, und auf diesem Posten ist er dann bis in die achtziger Jahre hinein mit Titel und Charakter eines Hofraths verblieben, obzwar er aus dem Ressort, für das er sich Fachkenntnisse in ungewöhnlichem Umfange angeeignet hatte, ein für alle Male herausgerissen war. Nach mehr als vierzigjähriger Dienstzeit erfolgte seine Pensionirung, wobei ihn Kaiser Franz Josef mit dem Prädicat „von Freynsheim“ in den Adelstand erhob. Am 15. Februar 1896 ist er in Graz gestorben, wo er seinen Ruhestand verbracht hatte. Die körperliche Rüstigkeit verließ ihn erst spät, die geistige Frische und die regste Aufmerksamkeit für alle öffentlichen Vorgänge im Vaterlande, die nun in der Regel seinen Wünschen widersprachen, hielten bis zuletzt an.

Dies zeigt noch mit voller Deutlichkeit Wagner’s im letzten Lebensjahre in den Druck gegebene Serie von Betrachtungen und Aphorismen, die als „Spreu im Winde! Gedanken eines Achtzigjährigen“ ‚Die Gesellschaft. Monatsschrift für Litteratur, Kunst und Socialpolitik‘, XI. Jahrg. (1895), S. 1073–1082 und 1207–1218 brachte; es sind dies nicht etwa gesammelte Journalartikel. Sie streifen die verschiedensten Streitfragen des modernen Lebens vom Standpunkte eines abgeklärten Urtheils, das in philosophischer Bildung und wohlverarbeiteten Lebenserfahrungen fußt, und bekunden, trotzdem er sich wiederholt für einen Menschen der vorigen Generation erklärt, ein unerschütterliches Festhalten an der idealen Humanität und dem edeln Freisinn, die uns schon aus Wagner’s früheren Aeußerungen unverhüllt entgegenleuchten. Somit blieb er bis an den Rand des Grabes seinen Jugendidealen nicht bloß im Herzen, sondern auch mit der Feder unentwegt treu. Nicht in affectirt abgerissenen Sätzen, wie das so beliebt ist für derartige kleine Scheidemünze, sondern in straffer übersichtlicher Darlegung behandelt er Probleme wie Liebe und Ehe, praktischer Pessimismus, Religion und Confession: er bezeichnet als modern aufgeklärter Katholik die Reformation als ein Unglück, einen dreihundertjährigen Rückschritt, besonders weil seitdem Confession und Confessionalismus maßgebend seien. Die allgemeine Unvernunft in der Anschauung des Lebenszwecks u. s. w. und frische Lebensfreudigkeit, Herzensgüte, Humor, ernste Arbeit, ethische Erziehung, freiheitliche Gesinnung, logischere Rechtspflege (Unterdrückung von Duell, unbedingter Verbrecherverdammniß), gesunder Fortschritt, Selbstvertrauen, das sind so die Leitmotive seiner Auslassungen, die bei aller Fülle selbständiger Idee und poetischer Wärme ein sprachlich glattes Gewand tragen; so machen „eine Aschermittwoch-Phantasie“ und ein Gedicht von fünf Stanzen, die erstere mehr realistisch, die zweite mehr didaktisch-philosophisch gestimmt, den Schluß. Und gleich diesem aneinander gereihten Bodensatz seines rückschauenden Denkens über Welt und Zeit sind auch die „Gedichte“, 1894 in einem ziemlich starken Bändchen gesammelt, die, wie ein kundiger Verehrer in der „Neuen Freien Presse“ (s. u.) sagt, „Perlen [743] deutscher Lyrik enthalten“. Von seinen Erzeugnissen auf diesem Felde waren früher wol nur kleine Proben in Chr. Schad’s „Deutschem Musenalmanach“ hervorgetreten: IX (1854), S. 294–296, V (1855), S. 77–80 (sechs Nummern „Am Tode meines Kindes“) u. s. w.

Dagegen lag Wagner’s schöngeistiges Schaffen in der Hauptsache auf erzählendem Gebiete. Ohne es zu weiterem Rufe oder zu entschiedener Anerkennung seitens der Kritiker zu bringen, ist W. mehrere Jahrzehnte hindurch als Epiker, in Prosa und Vers, auf geschichtlichem Boden wie auf dem der modernen Gesellschaft, thätig gewesen. Eines gewissen einschneidenderen Erfolges konnten sich jedoch die beiden in letzterer Sphäre spielenden Romane „Drei Geschwister“ (3 Bde., 1847, 2., Titel-Aufl. 1851) und „Schattenspiele“ (2 Bde., 1854), dieser humoristisch, rühmen, von denen insbesondere der erste, wol Wagner’s Debut aus größerer schriftstellerischer Gattung, bis ins sechste Jahrzehnt des Jahrhunderts durch seine mannhafte Verfechtung liberaler Zeitideen viel Anklang und Verbreitung genoß. Außerdem veröffentlichte er folgende Novellen und Novellenbändchen: „Felicitas. Roman“ (1873, „Neuestes belletristisches Lese-Cabinet“ Nr. 1370–1374), „Aus den Bergen“ im „Familienbuche des österreichischen Lloyd“, preisgekrönt, in Hackländer’s „Hausblättern“ „Aus vergangenen Tagen“ und „Die Araberin“, im „Buch der Welt“ „Störfranzl“ und „Vom Senegal“, im „Daheim“ „Emmerenzia“, in der Wiener „Neuen Illustrirten Zeitung“ „Ein Hochzeitstag“, ferner, zum Theile Sammeldrucke der vorstehenden: „Mit dunklem Hintergrunde“ (1875, „Neuestes belletristisches Lese-Cabinet“ Nr. 1526–1530), „Dorfgeschichten“ (1889), Nr. 658–660 in Meyer’s Volksbüchern, enthaltend „Ein Hochzeitstag. Störfranzl. Aus den Bergen. Emmerenzia. Onja der Zigeuner“, endlich „Viola tricolor und andere Novellen“ (1891).

In gebundener Form gab W. die epische Dichtung „Andreas Hofer, der Sandwirth“ (1867) heraus, sowie seine Hauptleistung, das historisch-epische Poem „Kaiser Karl der Fünfte“ (1865), „die Frucht mehrjähriger Arbeiten und Studien“ (N. Fr. Pr.). Dazu bemerkt Wurzbach (s. u.) S. 92b: „Der Dichter unternahm es, einen großen Lebensgang mit treuer Festhaltung der historischen Wahrheit wie in einem poetischen theatrum mundi durchzuführen; der Standpunkt, welchen der Kaiser seiner Zeit gegenüber einnahm, ist auch der des Dichters. Er wählte zum Metrum den vierfüßigen amphibrachischen Jambus, in Strophen von sieben Zeilen, von denen sechs gereimt, die siebente aber zur leichteren Anknüpfung der ununterbrochen sich abrollenden, mitunter reimchronikartigen Erzählung ungereimt ist. Das Buch fand weniger Verbreitung, als es jedenfalls durch den Reichthum von Anschauungen, durch die Plastik seiner Schilderungen, die fleißige und verständige Behandlung und durch den über manche Scene ergossenen poetischen Duft und die durchgehends geschickte Ausführung verdient hatte. Mit zwei im sechzehnten Jahrhundert erschienenen Versuchen in spanischer Sprache, Sempare’s „Carolea“ und Luis Çapata’s „Carlo famoso“, hat das ganz originelle Werk Guntram’s nichts zu schaffen“.

Unter letztgenanntem Pseudonym – Karl Guntram – gehen Wagner’s sämmtliche schöngeistige Arbeiten, auch die in früheren Jahren in der Augsburger „Allgemeinen Zeitung“, insbesondere aber im ehemaligen Cotta’schen „Morgenblatt für gebildete Leser“ veröffentlichten, sowie eine größere Anzahl von Feuilletons und politischen Aufsätzen, während er auf rechtswissenschaftlichem unter dem civilen Namen Wagner geschrieben hat, z. B. in dem von Dr. Franz Haimerl herausgegebenen „Magazin für Rechts- und Staatswissenschaften“, dessen Band II, 409–416 eine Studie aus seiner Specialdisciplin, „Ueber den Umfang der berggerichtlichen Realgerichtsbarkeit“, III, 246–252 einen Aufsatz [744] „Ueber die Nothwehr“, VI, 97–102 einen „Ueber die Durchführung des Schadenersatzes (im weitesten Sinne) aus strafrechtlich verpönten Handlungen“ aufnahm, wo W. überall fast nur in Anknüpfung an Gesetzeswortlaut, nicht mit Beihülfe der Fachlitteratur Ausschnitte aus juristischen Problemen unter die Lupe nimmt.

Die Compendien, litterargeschichtlichen Hand- und Nachschlagebücher u. s. w. schweigen über Wagner; zuerst und am eingehendsten behandeln ihn C. v. Wurzbach, Biogr. Lex. d. Kaiserth. Oesterr., 52. Bd. (1885), S. 91 bis 93, danach Brümmer, Lex. d. dtsch. Dichter u. Prof. d. 19. Jhrhs.3 I, 291, viel kürzer und auch bibliographisch arg lückenhaft. Vgl. den anonymen Nekrolog von Bekanntenhand Neue Freie Presse v. 15. Febr. 1896, Abendbl. (Nr. 11 311), Kleine Chronik, S. 2. In Kürschner’s Litteraturkalender (da noch XVIII, 1341) weist ihn Wurzbach a. a. O. für Jahrg. VI (1884), S. 277 nach. Die Mittheilung über das Frankfurter Auftreten nach Heinrich Laube, Das erste deutsche Parlament III (1849), 207.

[741] *) Zu Bd. XL, S. 486.