ADB:Weber, Georg (Historiker)
Anselm Feuerbach, den späteren Professor der Archäologie in Freiburg i. B., wandte er sich dem Studium der Geschichte, Litteratur und classischen Philologie zu. Von den Docenten, deren Vorlesungen er hörte, trat ihm besonders nahe K. Fr. Hermann, ebenso hatte er zu Schlosser und Chr. Bähr persönliche Beziehungen. 1832 erwarb er sich in Heidelberg den Doctorgrad summa cum laude mit der Dissertation: „de Gytheo et rebus navalibus Lacedaemoniorum“ (Heidelberg 1833). Die nächsten Jahre verbrachte er auf Reisen in Begleitung seiner Zöglinge: in Genf, dann in Italien: in Mailand, Venedig, Florenz, Rom und Neapel, schließlich in Paris. Bei den unmittelbaren Eindrücken an den Schauplätzen großer historischer Vergangenheit selbst mehrten und vertieften sich seine historischen Kenntnisse und Anschauungen. In Genf, unter Antheilnahme des Historikers Sismondi, begann er seine Studien über Calvin, welche in Paris vollendet, 1836 in Heidelberg unter dem Titel: „Der Calvinismus im Verhältniß zum Staat“ erschienen. Dies Werk, sowie die 1845 und 1853 erschienene „Geschichte der akatholischen Kirchen und Sekten in Großbritannien“, 1856 in neuer Titelauflage erschienen als „Geschichte der Kirchenreformation in Großbritannien“, 2 Bde., zu welcher er das Material in London sammelte, sind außer der erwähnten Dissertation seine einzigen auf eigenem Quellenstudium beruhenden Forschungen. Unter dem Einfluß derselben mußte bei ihm mehr und mehr die Romantik, welche in Heidelberg in nächster Nähe an ihn herangetreten war, ihren Zauber verlieren, wenn er auch den hohen Werth dieser Schule für die Entwicklung der Kunst und Litteratur nie verkannt hat.
Weber: Georg W. ist am 10. Februar 1808 in dem rheinpfälzischen Städtchen Bergzabern, welches damals unter französischer Herrschaft stand, geboren. Erst mit 17 Jahren in das Gymnasium zu Speyer eingetreten, konnte er doch schon nach 3½ Jahren (1828) die Universität Erlangen beziehen; 1829 siedelte er nach Heidelberg über. Seine erste Jugendzeit war eine Schule harter Entbehrungen gewesen: sein Vater, ein geringer Handwerker, war früh gestorben, seine Mutter hatte nur in Noth und Sorge sich und ihr einziges Kind durchbringen können. Aber sie war eine wackere, redliche Frau, welche in ihrem heiteren und lebendigen Sinn den Muth nicht verlor. Ihrem Einfluß verdankte es W., daß er schon in früher Jugend das Leben ernst und gewissenhaft aufzufassen lernte, aber, wenn er auch durch die ärmlichsten Verrichtungen das Seine zur Bestreitung des Haushalts beitragen mußte, doch nicht verbittert wurde: ein freundlich-wohlwollendes, liebevolles Wesen ist immer ein Grundzug seines Charakters geblieben. Seine Wißbegierde fand Befriedigung in regellosem Durchlesen der kleinen Leihbibliothek seines Heimathortes, sein empfänglicher Sinn wurde beeinflußt durch die lange nachwirkenden Eindrücke der Revolutionszeit, von denen gerade die bewegliche Pfalz mit am meisten ergriffen wurde. Theils durch freundliche Unterstützung, theils durch eigenen Fleiß hatte er sich einigermaßen die nöthigen Vorkenntnisse für das Gymnasium angeeignet, das er äußerlich durch wohlwollende Freunde gefördert mit den besten Zeugnissen verlassen konnte. Kümmerlich hatte er sich auch in Erlangen behelfen müssen, und erst in Heidelberg gestaltete sich sein Geschick freundlicher, da es ihm gelang, in dem Hause einer respectablen englischen Familie als Hauslehrer angenommen zu werden. Anfangs hatte er Theologie studiren wollen, jedoch, beeinflußt durch seinen Speyrer LehrerDas Glück blieb W. hold. Noch in Paris weilend, erhielt er die Aufforderung, an die Spitze der neubegründeten Lateinschule seiner Vaterstadt zu treten; Anfang 1839 wurde er zum 2. Hauptlehrer an die höhere Bürgerschule in Heidelberg, 1848 zu deren Director ernannt, obwohl die Regierung lieber einen geborenen Badener dazu gewählt hätte. In das Gebiet der allgemeinen Pädagogik arbeitete er sich, obwohl es ihm anfangs fremd erschien, und er schwer zu kämpfen [300] hatte, sich in die kleine Gedankenwelt der heranwachsenden Jugend hineinzuversetzen, mit der ihm eigenen Arbeitskraft und warmen Liebe für seine Pflichtbefohlenen ein, getreu seinem Wahlspruch: „Liebe zur Sache und Ausdauer bei der Arbeit überwindet alle Schwierigkeiten und Hindernisse“. Von seiner pädagogischen Thätigkeit und den dabei obwaltenden Grundsätzen legen Zeugniß ab die alljährlich von ihm veröffentlichten Programme, von der allgemeinen Achtung und Liebe, die er sich erwarb, die wiederholte Anerkennung der Regierung und der Stadt, besonders auch als er 1872 in den Ruhestand trat, ferner das Ehrengeschenk und die Adresse, welche ihm 250 ehemalige Schüler bei dieser Gelegenheit überreichten. Aus seinen pädagogischen Erfahrungen gingen auch die Schriften hervor, welche seinen Namen so weit populär gemacht haben, vor allem die universalhistorischen. Das „Lehrbuch der Weltgeschichte“, zuerst 1846 in einem Bande erschienen, dann in 2 Bände umgearbeitet, hat im J. 1888 seine 20. Auflage erlebt, die „Weltgeschichte in übersichtlicher Darstellung“ zuerst 1851 herausgekommen, ist 1889 ebenfalls in 20. Auflage erschienen, wie fast alle Werke Weber’s durch Wilhelm Engelmann in Leipzig verlegt. Auch im Auslande wurden sie bald so populär, daß es wohl kein europäisches Culturland gibt, in dem nicht das eine oder das andere, oder beide übertragen wurden, sogar in solche Sprachen, welche der Verfasser selbst nicht verstand. Nur wenige Schriftsteller haben sich daher so zahlreiche Freunde erworben, wie Georg W. Als Ergänzung zu diesen historischen Handbüchern gab er heraus: 1851 und 1852 „Litterar-historisches Lesebuch enthaltend Proben aus den bedeutendsten Litteraturwerken aller Völker und Zeiten“ in 3 Theilen, 1856 „Lesebuch zur Geschichte der deutschen Litteratur alter und neuer Zeit“ (4., verm. Aufl. 1878). Durch seine großen Erfolge ermuntert begann er dann 1857 fast 50jährig die „Allgemeine Weltgeschichte“, welche bis 1881 in 15 Bänden und 4 Registerbänden vollendet wurde und 1882–1890 revidirt und vermehrt in 2. Auflage erschien.
W. hat sich stets als Schüler Schlosser’s betrachtet, welchem er sein erstes Werk über den Calvinismus widmete und dem er sein Lebelang eine warme Anhänglichkeit bewahrte. Nach seinem Tode schrieb er einen schönen Nekrolog über ihn in „Unsere Zeit, deutsche Revue der Gegenwart“, Jahrg. VI, und zur Feier seines hundertsten Geburtstages setzte er ihm ein neues Denkmal in der Festschrift: „Fr. Chr. Schlosser der Historiker. Erinnerungsblätter aus seinem Leben und Wirken“, Leipzig 1876. Aber er war doch weit davon entfernt, die Eigenart dieses Mannes nachahmen zu wollen, denn „Schlosser war eine so ursprünglich, so genialisch angelegte Natur, daß sich niemand nach ihm bilden konnte, ohne in eine bewußte Manierirtheit zu verfallen“. Ueber seine eigene Auffassung von Geschichtschreibung spricht sich W. folgendermaßen aus: „Die Palme des Historikers wird nur dem zu Theil, der den Lauf der Dinge und die Charaktere der Menschen mit dem Maßstabe der Gerechtigkeit mißt und zugleich die Gesetze künstlerischen Schaffens und Ordnens anwendet. Weder der einseitige Subjectivismus, der alle Erscheinungen im Spiegel bestimmter Doctrinen und Grundsätze anschaut, noch die farblose Weltbetrachtung, welche mit demselben Gleichmuth über Erdenglück und Menschenelend hinschreitet und die höchste Aufgabe des Historikers in dem Eintragen und Verbuchen alles Geschehenen und Gewordenen erblickt, wird den Preis davontragen. Der wahre Geschichtschreiber darf nicht wie der Goethesche Fischer kühl bis ans Herz hinan in das Meer des Weltlebens schauen, aber auch nicht mit dem Zorne und der Morosität eines Pessimisten auf die dunkeln Seiten und die Zeichen des Verfalls hinweisen. Der echte Historiker muß wie ein schöpferischer Künstler die Außendinge in seine Seele eindringen lassen und sie verklärt und veredelt zurückstrahlen. Die [301] Geschichtschreibung ist zugleich Kunst und Wissenschaft, sie muß das wirkliche Leben treu und wahrhaft darstellen, dasselbe aber zugleich mit Künstlerhand und mit liebevoller Vertiefung in die reiche Menschenwelt schöpferisch neugestalten.“ Durch diese Worte gekennzeichnet, nimmt die Weber’sche Weltgeschichte ihre Mittelstellung zwischen der Schlosser’schen und Ranke’schen. Das Erscheinen der letzteren begrüßte W. mit hoher Genugthuung: er freute sich, daß nun auch die Universalhistorie, die so lange als Stiefkind der Litteratur behandelt war, durch das geniale Werk des Altmeisters deutscher Geschichtsforscher „in den Adelstand erhoben wurde“. Eine Concurrenz brauchte er von demselben nicht zu fürchten, da Ranke’s großes Werk in seiner geistreichen Durchführung nur wenigen historisch durchgebildeten Menschen verständlich ist, Weber’s Weltgeschichte aber zum Volke spricht. Hier hat sie sich ihren Platz erobert durch die von politischem und religiösem Parteieifer freie, sich liebevoll in die Zeiten versenkende, wissenschaftlich ernste Forschung, durch das auf gesundem Menschenverstande beruhende Urtheil, die klare, ruhige, in langer pädagogischer Erfahrung gereifte Darstellungsart, welche jede Phrase, jedes Räsonnement von sich fern hält. „Gerecht sein gegen jede aufrichtige Bestrebung ist echte und wahre Humanität“, dieser andere Wahlspruch Weber’s geht auch seinen weltgeschichtlichen Werken als leitendes Motiv voran. Des Unterschiedes aber, welcher besteht zwischen dem populären, reproducirenden Darsteller und dem quellenmäßigen Forscher ist er sich stets bewußt geblieben, dem Urtheil des letzteren pflegte er sich trotz seiner großen Erfolge bescheiden unterzuordnen.
Außer den genannten Werken hat W. noch verfaßt: „Das vaterländische Element in der deutschen Schule. Vier Schulreden“ (1856, 2. Aufl. 1865); „Geschichte der deutschen Litteratur von ihren Anfängen bis zur Gegenwart, Nebst e. Abriß der neuesten Kunst und Wissenschaft in Deutschland“ (1850, 11. Aufl. 1880); „Geschichtsbilder aus verschiedenen Ländern und Zeitaltern“ (1880), ferner seine Selbstbiographie und zahlreiche Aufsätze in den Heidelberger Jahrbüchern, den Theol. Studien und Kritiken, Raumer’s histor. Taschenbuch, der Deutschen Revue, der Festschrift des histor.-phil. Vereins zu Heidelberg zur 500jährigen Jubil. der Univ., u. v. a., besonders aber in der Münchener Allg. Zeitung. Gemeinsam mit seinem Schwiegersohne Heinrich Holtzmann gab er heraus „Geschichte des Volkes Israel und der Entstehung des Christenthums (2 Bde. 1867). Zu dem großen Kreise von Männern, welche die Heidelberger Universität in diesem Jahrhundert so weltberühmt gemacht haben, gehört auch Georg W., obwohl er zu seinem Leidwesen hatte darauf verzichten müssen, selbst in den akademischen Lehrkörper einzutreten. Bei den nahen Beziehungen, welche er zu vielen jener wissenschaftlichen Größen unterhielt, bei der Liebe zur Stadt, mit deren Leben er im Laufe der Jahre eng verwuchs, war er daher besonders dazu berufen, aus dem Schatze seiner reichen Erfahrungen und Empfindungen heraus auch ein Bild von Heidelberg und seiner geistigen Bedeutung im 19. Jahrhundert zu geben. Die „Heidelberger Erinnerungen“ (Stuttgart 1886), eine Festgabe zum 500jährigen Jubiläum der Universität, sind sein letztes eigenes Werk, jedem willkommen, der in kurzen Umrissen die große jüngste Vergangenheit Heidelbergs in schöner, anschaulicher Form an sich vorüber ziehen lassen will, werthvoll auch dadurch, daß sie so manchen menschlichen Zug großer Gelehrten der Nachwelt überliefern. W. liebte es, wenn er schrieb, an gewisse Maler zu denken, die auf ihren Schöpfungen auch das eigene Bild offen oder versteckt anbringen, und suchte es ihnen nachzuthun, daher denn auch die warme Subjectivität, von der seine Werke getragen sind. Deutlich aber und mitwirkend tritt die Person des Verfassers besonders in den Heidelberger Erinnerungen auf; auffallend konnte dies nicht sein, denn der „Director W.“ war eine populäre, in [302] ganz Heidelberg bekannte Gestalt. Wohin er kam auf seinen regelmäßigen Spaziergängen, wurde er gegrüßt von den ersten Kreisen an, mit denen er verkehrte, bis zu den niederen herab, welche in ihm ihren eigenen oder den Lehrer ihrer Kinder verehrten. Er genoß das Ehrenbürgerrecht sowohl der Stadt Heidelberg, als auch des damals noch selbständigen Stadttheils Neuenheim, in welchem er wohnte. Mit ganzem Herzen hing er selbst an der Stadt, die ihm zur zweiten Heimath geworden war, deren Schönheiten ihm täglich von neuem aufgingen, wenn sein Blick von seinem herrlich gelegenen Besitzthum über Berg, Wald und Schloß, Stadt, Brücke und Fluß dahinschweifte. Ein reiches Glück blühte ihm in seinem Hause, in welche eine edle Geselligkeit herrschte, an der Seite seiner Frau, welche aus angesehener Familie stammend ihm 1839 angetraut war und an 50 Jahre bis kurz vor seinem eigenen am 10. August 1888 erfolgten Tode eine treue Lebensgefährtin war.
Von seinen Kindern ist die einzige Tochter, Lina, verheirathet mit dem ord. Professor der Theologie an der Straßburger Universität, Heinrich Holtzmann, der älteste Sohn Heinrich Martin ord. Professor der Mathematik, ebenfalls in Straßburg, der zweite Karl Emil ist kaiserl. Viceconsul a. D. und im politischen Leben thätig als Mitglied des Reichstags, des preußischen Abgeordnetenhauses und der badischen zweiten Kammer; er lebt bald in Berlin, bald in Heidelberg; der dritte Sohn, Friedrich Percy, Dr. phil., war Redacteur und Schriftsteller, auch als Dichter nicht unbekannt, und hat seinen Vater besonders in seinen letzten Jahren in[WS 1] der Herausgabe der weltgeschichtlichen Werke rege unterstützt; die ganze 2. Auflage der Allg. Weltgeschichte ist von ihm besorgt, revidirt und herausgegeben; 1895 ist er gestorben, der jüngste, Georg, früher Kaufmann, lebt jetzt als Privatmann in Neuenheim bei Heidelberg.
- Ueber sein Leben hat Georg W. selbst berichtet, in „Mein Leben und Bildungsgang“ als Vorwort zum Lehrbuche der Weltgeschichte, ausführlicher in „Jugendeindrücke und Erlebnisse“, ein histor. Zeitbild, Leipzig 1887; treffend ist diese Selbstbiographie „ein Andachtsbuch tüchtiger und ernststrebender Jünglinge“ genannt worden. Vgl. ferner (H. Holtzmann), Georg W. (Beil. z. Allg. Zeitung 1888, Nr. 229). A. Hausrath, Georg W. (Deutsche Rundschau hrsg. v. Rodenberg XV, October 1888).
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: iu