ADB:Vorherr, Gustav
Goethe’s Projecte anklingen, anderseits aber das früher beliebte sog. physiokratische Princip in das Artistische übertragen. Die an der Spitze aller Künste stehende Landesverschönerung „umfaßt im allgemeinen den großen Gesammtbau der Erde auf höchster Stufe, lehrt den Menschen sich besser und vernünftiger anzusiedeln, den Boden neu in Besitz zu nehmen und klüger auszunützen, sie legt das Fundament zu einem verbesserten Kunst- und Gewerbewesen, gründet die echte Bauhütte, trägt wesentlich zur Veredlung der Menschheit bei, webt ein hochfreundliches Band, wodurch künftig alle gesitteten Völker zu einer großen Familie verkettet werden und knüpft durch den Sonnenbau die Erde mehr an den Himmel“. Das also sei die Aufgabe des neunzehnten Jahrhunderts „das gesammte Bauwesen eines Landes, Wasser-, Brücken-, Straßen- und Hochbau des Hofes und Staates, der Communen und Stiftungen, dann die Baupolizei nebst dem Feld- und Gartenbau zu umfassen, die Hochgebäude nach den vier Hauptgegenden (man denkt dabei unwillkürlich an die Anlage der Stadt Mannheim) zu orientiren, die Wohnhäuser mit steter Hinsicht auf das Schöne möglichst vollkommen einzurichten, die Städte und Dörfer zu verschönern, die Fluren vernünftiger einzutheilen und zu gestalten, geschicktere Bauleute zu bilden (!), ein glückliches Bürgerthum zu gründen und zu erhalten, Gemeines zu veredeln und Niedriges zu erhöhen“. Die wahre Landesverschönerung oder „Verschönerung [304] der Erde entsteht nur dadurch, daß Agricultur, Gartenkunst und Architektur in größter Reinheit, ungetrennt, nicht bloß für das Einzelne, sondern hauptsächlich für das Gemeinsame wirken“. In den von V. 1821 bis 1830 redigirten „Monatsblättern für Bauwesen und Landesverschönerung“ brachte er mit unermüdlicher Redseligkeit bei jeder Gelegenheit seine Ideen zur Geltung, insbesondere über die richtige Himmelsstellung der Häuser, der Häuserreihen, der Dörfer und Städte, ein Problem, welches Dr. Faust in einer eigenen Schrift „Zur Sonne sollen die Menschen wohnen“ (Bückeburg 1832) abermals betonte. Auf Vorherr’s Betrieb wurde 1821 in Baiern ein eigenes Comité für Landesverschönerung zusammengesetzt, 1823 trat zu Altenburg ein ähnlicher Bauverein ins Leben, 1827 für Wittenberg und an verschiedenen anderen Orten. Seine Landesverschönerung wurde bei V. nicht nur eine deutsche, sondern eine europäische, ja sogar die ganze Erde und die gesammte übrige Welt betreffende Angelegenheit. Ueberall theilte er seine Lehre mit und ließ selbe durch seine Schüler in Blättern und Zeitschriften verbreiten, so daß V. bei der redlichsten Gesinnung zuletzt doch den Vorwurf eines immerwährenden Eigenlobes auf sich lud. Sein immer wiederkehrendes Programm lautete: „Freundliche, auf das beste eingerichtete Häuser und Höfe; glückliche Bewohner; schönere Städte, Dörfer und Fluren, bessere Bürger, verschönerte Länder, verbesserte Völker; verschönerte Erde, veredelte Menschheit! Wenn sich auch die Menschen weder in der Religion, noch in der Politik zu vereinigen im Stande sind, so werden sie sich doch in der Landesverschönerung – die alle Baustyle duldet, aber aufräumt, sichtbare Ordnung und Reinlichkeit nicht bloß im Einzelnen, sondern im Allgemeinen verbreitet, Wohlstand befördert und Liebe zum Vaterlande mehrt – aneinander schließen und verbrüdern zum Glücke der Menschheit. Heil und Ruhm demjenigen Staate, welcher in dieser Hinsicht mit einem trefflichen Beispiele vorleuchtet! Möchte für diese große Volkssache bald auf der ganzen Erde mit aller Liebe und Ausdauer gearbeitet werden!“ Dabei ging V. freilich mit dem besten Beispiele voran, wirkte darauf hin, daß die Baugewerke emporgebracht und die Werkleute an Geist und Herz veredelt würden und eine standesgemäße Bildung erlangten. Deshalb gründete er eine Baugewerkschule (1823), welcher durch die Unterstützung der Regierung der Charakter einer öffentlichen Anstalt verliehen wurde. Hatte schon früher der edle Professor Mitterer für Gewerbeleute eine Sonntagsschule ins Leben gerufen, so dehnte V. den Unterricht für den ganzen Winter aus, so daß die Schule allgemach in großen Flor kam und bis zu Vorherr’s Ableben schon über 2000 Zöglinge, darunter sogar aus dem Auslande, zählte. Ihm schwebte dabei der Geist der mittelalterlichen Bauschulen mit ihren Ordnungen und Satzungen vor, eine Institution, von welcher man zu Vorherr’s Zeiten freilich am allerwenigsten mehr wußte; Solidität der Arbeit und gewissenhafte Erfüllung der obliegenden Pflichten wurden mit echt deutscher Ehrlichkeit Jedem ans Herz gelegt. So sollte der Weg gebahnt werden, auf welchem das Gewerbe der Kunst mit klarem Bewußtsein zu ihren Schöpfungen die hülfreiche Hand bieten könnte. Auch eine gewisse Selbständigkeit schien erreichbar, wie die vielen, aus dieser Schule hervorgehenden Landbaumeister bewiesen. Vierundzwanzig Jahre leitete V. seine Schöpfung, ebenso unter Ehren wie Anfeindungen. Eine Menge von Plänen, Rissen und Projecten (darunter auch der Einfall das Louvre mit den Tuilerien zu verbinden, 1809) wurden nebst vielen Vorlagenblättern lithographirt, vieles von seinem treuen Schüler Joseph Unger, welcher, geboren 1785 in der damaligen Vorstadt Au, als Bauingenieur im Ministerium am 15. September 1857 starb. – Vorherr’s Porträt ist seinen „Entwürfen zu Landschulgebäuden“ (1811) beigegeben; 1844 wurde dasselbe von C. Haach gezeichnet.
Vorherr: Gustav (Johann Michael Christian) V., Dr., Architekt, geboren am 19. October 1773 zu Freudenbach (im ehemaligen Fürstenthum Ansbach), Sohn eines geschickten Maurermeisters; erhielt eine sorgfältige Erziehung, studirte an den Universitäten Erlangen und Marburg die Staatswissenschaft und machte seine strengen architektonischen Studien an den Kunstakademien zu Berlin und Paris. Als Baupraktikant bereiste V. mit einem preußischen Stipendium ganz Deutschland und die Schweiz, die Niederlande, Frankreich und England und sammelte durch Autopsie jene Fülle von architektonischen Erfahrungen und Kenntnissen, welche er in der Folge mit wahrer Begeisterung für die Landesverschönerung verwendete. Als Architekt des Grafen Görtz zu Schlitz baute er 1800–1803 das Schloß Halleburg nebst mehreren Garten- und Wirthschaftsgebäuden und einige Brücken und wirkte damals schon, auf Anregung seines kunstsinnigen Bauherrn für Landesverschönerung. Von 1803 bis 1806 lebte V. als fürstlich-oranischer, dann bis 1809 als kaiserlich französischer Baumeister zu Fulda, wo unter seiner Leitung die Wilhelmstraße, eine Kirche, Schulhäuser, sowie mehrere Hof-, Domänen- und Salinenbauten, eine Hochstraße entstanden; da die Kriegszeiten zur Realisirung seiner Ideen für Landesverschönerung wenig geeignet waren, so legte er dieselben in ausgearbeiteten Programmen 1807 und 1808 (im Allgemeinen Anzeiger der Deutschen) nieder. Im Herbste 1809 als Kreisbauinspector nach München berufen, wurde er 1810 Mitglied des Oberbaucommissariates, dann Baureferent bei der Kreisoberadministration, 1815 Baucommissionsrath, 1817 Oberbaucommissär im Staatsministerium des Innern, 1818 Baurath bei der Regierung des Isarkreises und entfaltete in allen diesen Stellungen eine ganz außerordentliche Thätigkeit bis zu seinem 1847 erfolgten Ableben. Viele Kirchen, Pfarr- und Schulhäuser, Wohlthätigkeitsgebäude, Wasser-, Brücken- und Straßenbauten leitete V., er entwarf die Pläne zur Erweiterung und Gestaltung des (südlichen alten) Friedhofs mit den Arkaden (1813 und 1818 auf Stein gezeichnet von Jos. Unger). V. wirkte zur Bildung und Unterstützung des Bauhandwerkes, auch zur Verbreitung eines besseren Baustils und Geschmacks und gab in seinen „Andeutungen über die Direktion des öffentlichen Bauwesens in Baiern“ (1819) schätzbare Winke und Beiträge zur Organisation dieses wichtigen Zweiges der Verwaltung. Insbesondere betrieb er die Verwirklichung seiner Landesverschönerungs-Ideen, welche theilweise an- Vgl. Nagler 1850. XX, 537 ff.