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Artikel „Vitigis, König der Ostgothen“ von Felix Dahn in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 40 (1896), S. 75–82, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Vitigis&oldid=- (Version vom 7. Oktober 2024, 21:46 Uhr UTC)
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Vitigis, König der Ostgothen, 536–541. Nachdem Neapel, die dritte Stadt des Reiches, in die Hände Belisar’s gefallen war, schöpfte das Volksheer der Ostgothen den Verdacht des Verrathes gegen seinen feigen König Theodahad (s. A. D. B. XXXVII, 684), der in der That Volk und Reich der Gothen um Geld an Byzanz verkauft hatte, entsetzte ihn in einer Heeresversammlung auf dem weiten Blachfeld zu Regeta zwischen Anagni und Terracina, das der kleine Fluß Ufens oder Decemnovius durchrinnt, und wählten an seiner Statt zum König den nur gemeinfreien, nicht adeligen V., der sich durch tapfere Thaten im Gepidenkrieg von c. 530 ausgezeichnet hatte. [Theodahad ward auf der Flucht aus Rom nach dem festen Ravenna unterwegs erschlagen, s. den Artikel.] Im Drange der Gefahr erinnert sich das Volk seiner alten Rechts- und Machtstellung über dem Königthum und seines Rechts der freien Wahl des Königs, die sich bei solcher Noth auch über den regelmäßig anerkannten Voranspruch des Adels hinwegsetzt bei Neuverleihung des Königsstabes, unter Abweichung von dem bisherigen Königshause, vor den Gemeinfreien berücksichtigt zu werden.

Die drohende Gefahr, die Entrüstung des verrathenen Volkes hat die tief eingewurzelte stark romanisirte Königsgewalt der Amaler hinweggefegt: es ist wieder altgermanisches Königthum, – nicht mehr das ziemlich absolut gewordene der Amaler, – voll Anerkennung der Volksfreiheit und von heldenmüthiger Begeisterung getragen, was aus dem ersten Aufruf des Vitigis – selbst in Cassiodor’s rhetorischem Latein – zu uns redet: „der König, der unter den Heereswaffen auf den Schild erhoben ward, nach der Sitte der Väter, so daß dem Manne, dessen Ruhm der Krieg gegründet, die Waffen die höchste Ehre gaben … Nicht in engen Gemächern, in weit offenem Gefild, nicht unter dem nahen Geflüster der Schmeichler, – beim Schall der Kriegsdrommeten ward ich gekoren, – auf daß unter ihrem Schmettern das Volk in seinem Verlangen nach gothischem Königthum den rechten König finde.“

Allein V. mußte viel mehr als seine Amalischen Vorgänger, mit ihrer stark imperatorisch gefärbten Macht, den Volksadel und die Volks- d. h. Heeresversammlung bei allen wichtigen Beschlüssen zu Rathe ziehen. So holte er auch deren gewiß nicht leicht zu erlangende Zustimmung ein zu dem schweren Entschluß, zunächst zurück zu weichen: der Vorsichtige mißtraute – mit bestem Grund wie sich alsbald zeigen sollte – den Bewohnern der Stadt Rom, zumal deren Bischof: er besorgte Verrath, wenn er sich hier belagern lasse. Zudem mußten die von Theodahad absichtlich vernachlässigten Rüstungen vervollständigt werden: das sollte zu Ravenna geschehen, der sturmfreien Meerveste; dorthin sollten dann auch, nach Verständigung mit den Merovingen, die in dem ostgothischen Theil Südgalliens stehenden Tausendschaften herangezogen und dann erst mit voller Wucht die Byzantiner angegriffen werden.

In Rom ließ er nur vier Tausendschaften zurück: vor dem Abzug nahm er noch dem Papst, dem Senat mit dem Volk von Rom, unter Erinnerung an die Milde der gothischen Herrschaft und an die Wohlthaten des großen Theoderich, den Eid unverbrüchlicher Treue ab, führte aber eine Anzahl von Senatoren als Geiseln mit sich. In Ravenna vermählte er sich, seine bisherige Frau aufgebend, mit der widerstrebenden Enkelin Theoderich’s, der Schwester des jung verstorbenen [76] Athalarich (s. A. D. B. XX, 581) Matasvintha, um durch diese Verbindung mit dem Königshause die Anhänger der Amaler für sich zu gewinnen. Mit den Merovingen, die sofort, die Bedrängnisse der Gothen in Italien ausnützend, in dem ostgothischen Gallien eingefallen waren, schloß er unter Zustimmung des Adels einen schon von Theodahad eingeleiteten Vertrag, wonach diese den gothischen Besitz in Gallien erhalten, aber dafür Hülfsvölker gegen die Byzantiner nach Italien schicken sollten. – freilich durften diese nicht aus dem eigentlich fränkischen Heerbann genommen werden, denn die Merovingen hatten sich ja von Justinian schweres Geld zahlen lassen, um ihm Waffenhülfe zu leisten! – sondern Burgunden wurden dazu bestimmt, die dann als unbotmäßige Freischaren erscheinen sollten.

Einstweilen geschah in Rom, was der König vorausgesehen: trotz des von ihm geschworenen hohen Eides drängte mehr als Alle Papst Silverius zum Verrath, zum offenen Abfall von den Ketzern auf die Seite des rechtgläubigen Imperators: eine Gesandtschaft, von römischen Großen geführt, lud Belisar feierlich ein, von der Stadt Besitz zu ergreifen. So zog er denn auf der via Latina heran und (am 9. December 536) durch das asinarische Thor in die Stadt, während die gothische Besatzung zum flaminischen Thor hinaus abrückte nach Ravenna. Sofort sorgte Belisar, die hohe politische und strategische Bedeutung dieser Erwerbung erkennend, für deren Sicherung: er stellte die zum Theil verfallenen alten Mauern – Aurelian’s! – wieder her, legte auch vor den Thoren überall Befestigungen, zumal an dem Tiber an, ließ Getreide aus der Campania und aus Sicilien beischaffen und machte Rom zum Ausgangspunkt der Unternehmungen seiner Unterfeldherrn, die allmählich ganz Mittelitalien gewannen, nachdem sich der Süden, Calabrien, Apulien mit der starken Veste Benevent, von gothischen Truppen entblößt, schon vorher freiwillig angeschlossen hatten; ja sogar die in Samnium gegen die Küste hin wohnenden Gothen unterwarfen sich, die wichtigsten Städte Tusciens: Narnia, Spoletium, Perusia öffneten ihre Thore. Solchem Fortschreiten der Feinde mußte der König entgegen treten: ohne das Eintreffen der gothischen Truppen aus Südgallien abzuwarten, sandte er ein starkes Heer und Kriegsschiffe nach Dalmatien, diese von den Byzantinern gewonnene Provinz, zumal die Hauptstadt Salonae wieder zu erobern. Er selbst aber führte, „wie ein grimmiger Löwe“, sagt ein Zeitgenoß, die gothische Hauptmacht, die Procop – wohl übertrieben – auf 150 Tausendschaften anschlägt, auf Rom. Groß war, unerachtet der bisherigen ununterbrochenen Erfolge, in dem Byzantinerheer die Furcht vor dem unvergessenen gothischen Heldenthum: ja der Schreck vor den Gothen war so betäubend, daß die von Belisar zur Deckung der Tiber- und Anio-Uebergänge in einem Brückenthurm aufgestellten Wachen bei Annäherung des Königs ohne Schwertstreich entflohen, aber, Schande und Strafe fürchtend, nicht nach Rom zu Belisar, sondern nach Campanien. So stieß Belisar bei einer Kundschaftung – ungewarnt – bei jenem Thurm auf die Gothen, die den Fluß bereits überschritten hatten: sein Kampfeseifer riß ihn in das dichteste Handgemenge, Ueberläufer erkannten ihn und forderten alle Gothen auf, den Reiter des Rosses mit dem weißen Fleck – ein solches Pferd hieß griechisch Phalion, gothisch Balan, (φάλιος ist aber nur weiß, glänzend) zu werfen. Aus äußerster Bedrängniß rettete nur die Aufopferung seiner Leibwächter den Feldherrn, der, hart verfolgt, mit Mühe in die Stadt gelangte, die sofort von den Siegern mit sieben Lagern umschlossen ward. Auf das Gerücht, sie seien bereits durch das pankratische Thor in die Stadt gedrungen, wollten die erschrockenen Byzantiner diese räumen. Kaum daß sie Belisar zurück hielt. V. ließ den Römern starke Vorwürfe über deren Verrath machen: die Griechen würden sie nicht schützen können, aus deren Mitte von [77] jeher nur Komödianten, Gaukler und Kleiderdiebe nach Italien gekommen seien. Es begann nun (Februar 537) die erste der wiederholten Belagerungen Roms in diesem Kriege. Von den sieben gothischen Lagern umschlossen sechs auf dem linken Tiberufer, unter den damaligen vierzehn größeren Thoren der Stadt fünf von dem flaminischen im Norden bis zum praenestinischen im Osten; um sich die milvische Brücke und durch sie das beliebige Ueberschreiten des Flusses zu sichern, schlugen sie ein siebentes Lager auf dem rechten Ufer, auf dem „Felde des Nero“, von hier aus auch das aurelische und transtiberinische Thor im Westen bedrohend: in diesem Lager befehligte Markja die aus Gallien gezogenen Besatzungen, in den sechs andern der König selbst und fünf von ihm gewählte Heerführer: die Gothen, nun seit so langer Zeit mit römischer Kriegführung vertraut, hatten auch Einiges von römischer Lagerkunst gelernt: sie umzogen jedes Lager mit einem Graben, häuften die ausgeschaufelte Erde zum Wall und krönten diesen oben mit Pfahlwerk; auch durchschnitten sie alle 19 Wasserleitungen, die damals von allen Seiten der Campania her auf die Stadt zuliefen.

Belisar aber entfaltete in der Vertheidigung Roms mit Umsicht und Ruhe alle Mittel seiner hohen Feldherrnschaft: er selbst übernahm die Bewachung des pincianischen und des salarischen Thores, weil dort einerseits die Mauern am leichtesten zu übersteigen, andrerseits diese Ausgänge hier für Ausfälle am günstigsten gelegen waren, die andern Thore vertraute er andern Führern an, das flaminische ließ er ganz zumauern wegen bedrohlicher Nähe eines gothischen Lagers. Selbst in Neapel durch eine trockengelegte Wasserleitung eingedrungen, ließ er wolweislich die von den Feinden unterbrochnen ebenfalls vermauern. Da nun wegen des Ausbleibens des Wassers die Mühlen versagten und es an Zugthieren für die Radmühlen gebrach, erfand, um das Getreide mahlen zu können, Belisar die Schiffsmühlen, indem er mehrere Kähne neben einander in dem Tiber verankerte. Als V. diese Vorrichtung zerstörte, indem er Bäume und Leichen gefallener Römer dawider treiben ließ, sperrte Belisar den Oberlauf des Flusses durch quergezogene Ketten. Obwol nun durch zwei neue Schiffsmühlen für Brot und für Trinkwasser durch die städtischen Brunnen gesorgt war, entbehrten die Römer doch schwer des Wassers für das geliebte Bad und schalten auf Belisar, der zu geringe Kräfte mit gebracht und sie unverschuldet diesen Bedrängnissen ausgesetzt habe. Ein Versuch des Königs, diese Stimmung zu verwerthen, scheiterte: Belisar wies jedes Recht der Gothen trotzig ab – sehr gegen die Verträge zwischen Theoderich und Kaiser Zeno. So mußte denn V. zum allgemeinen Sturm auf Rom schreiten: es war am 18. Tage der Einschließung bei Sonnenaufgang.

Redlich und eifrig verwerthete er, was er an Belagerungskunst den Römern abgelernt: außer Sturmleitern und Reisigbündeln zur Ausfüllung der Gräben wurden vier Widder, von je 50 Mann bedient, und Holzthürme, so hoch wie die Mauern hergestellt: Rinder sollten sie ziehen. Entsetzen ergriff bei dem Anblick die des Kriegs seit lang entwöhnten Römer. Aber Belisar lachte der ungeschlachten Veranstaltungen: er fuhr auf den Wällen Ballisten auf und Stein-Schleuder-Maschinen („Wild-Esel“) und deckte die Thore durch „Wölfe“ d. h. Fallgitter mit spitzigen Stählen und Klingen. Er befahl, auf jene Rinder zu zielen: sofort fielen alle und die Thürme sammt ihrer Bemannung standen unbeweglich und unnütz. Darauf durchbohrte er selbst mit sichrem Schuß gepanzerte Heerführer an der Spitze ihrer Scharen. Das pankratische und das flaminische Thor ließen die Gothen wegen des schwierigen Zugangs unbestürmt: aber ein gefährlicher Angriff traf das aurelische Thor und dessen starke Deckung: das Grabmal Hadrian’s: Die Stürmenden waren, gedeckt durch den Säulengang des Sanct Peter, überraschend so schnell genaht, daß sie, die nur waagrecht schießenden Ballisten „im todten Winkel“ unterlaufend, gegen Pfeile und Wurflanzen [78] durch ein Dach von ungeheuren Schilden gedeckt, hart an die Mauern gelangten: schon stiegen sie auf Leitern die Zinnen hinan, als die verzweifelten Vertheidiger, in Ermangelung von anderen Geschossen, die zahlreichen Marmorbildsäulen, die das Grabmal zierten, zerschlugen und mit den hinab geschleuderten Trümmern die Stürmenden unter ihrem Schilddach begruben; an jenem Ort ward – im Graben vor dem Wall – der schöne schlafende Faun gefunden, der die Glyptothek zu München schmückt.

Unbehelligt blieb, ob zwar der Wall dort bedenkliche Risse zeigte, wie bei allen andern Angriffen das pincianische Thor: – was die Römer auf den besonderen Schutz Sanct Peter’s zurückführten. Am salarischen Thore wurden die Angreifer zurückgeschreckt durch die furchtbaren Geschütze auf dem Thurme zur Linken, deren eines einen edlen Gothen, der, durch Tapferkeit und volle Rüstung, ausgezeichnet, abseit von dem Keile stehend, die Zinnen mit seinen Pfeilen säuberte, Panzer und Leib durchbohrend, an einen hinter ihm stehenden Baume nagelte.

Aber an dem „Vivarium“ drohten die Feinde einzudringen: dieser Zwinger für Löwen und andere Circusthiere hatte einen Zugang von außen und hinter niedriger Außenmauer nur schwachen Innenwall: V. ließ die Außenmauer durch Maschinen erschüttern und an mehreren Stellen erklimmen: Belisar, durch seine verzagenden Unterführer von dem salarischen Thore herbeigerufen, ließ die Gothen absichtlich in den engen Zwinger eindringen, dann seine Kernscharen, nur mit dem Schwerte bewaffnet, plötzlich über die Ueberraschten herfallen, die, hilflos zusammen gedrängt, sämmtlich niedergehauen wurden; in Verfolgung des Vortheils schlugen die Sieger auch die draußen haltenden Reihen in die Flucht und verbrannten die verlassenen Maschinen.

Das gleiche Ende ward durch einen Ausfall auch den Sturmgeräthen vor dem salarischen Thore bereitet: hoch schlugen die Flammen in die Luft.

So war der erste große allgemeine Sturm überall abgeschlagen und zwar mit furchtbaren Verlusten der Gothen, deren dichte Sturmsäulen anfangs kein Geschoß verfehlt, deren fliehende Haufen zuletzt das Schwert der Ausfallenden vom Rücken her niedergemacht hatte: von Tagesanbruch bis zum Abend hatten sie ihr Bestes geleistet an todesverachtender Kühnheit – und umsonst! Dem wackern König hatte nur einmal das Glück gelächelt: bei jener Ueberraschung Belisar’s am Anio: seither verfolgte ihn – trotz alle Mühung – ein Unstern. Die Führer der Gothen selbst gaben ihre Verluste an diesem Tag auf 30,000 Todte und mehr als 60,000 Verwundete an.

Auch in den folgenden Ausfällen und Gefechten, oft auf dem neronischen Feld, erlagen meist die Gothen den berittnen hunnischen Bogenschützen, denen sie keine gleiche Waffe entgegen zu stellen hatten: ihre Schützen fochten nur zu Fuß und ihre Reiter führten nicht Bogen noch Pfeil; sie vermieden daher, entmuthigt, zuletzt alle Gefechte und suchten nur durch Aushungerung die Belagerten zur Ergebung zu zwingen. Aber Belisar sandte einen großen Theil der wehrunfähigen Einwohner zu Schiff nach Neapel und Sicilien, dieser Gefahr zu begegnen. Erst hierauf gelang es V. den Hafen Portus zu besetzen und so die Seezufuhr abzuschneiden. Nun stieg im Laufe des Sommers die Noth in der Stadt durch Seuchen und Hunger; da gelang es dem Geschichtsschreiber dieses Kriegs, dem Rechtsrath Procopius, mit Belisar’s Gemahlin Antonina vereint, Schiffe mit Lebensmitteln von Neapel nach Ostia zu bringen: die Vorräthe wurden durch die Stellungen der durch Ausfälle anderwärts beschäftigten Belagerer glücklich in die Stadt geschafft.

Im dritten Kriegsjahr (537/538) suchten die Gothen, mehr noch durch Seuchen und Hunger als durch das Schwert gelichtet, vergeblich durch Gesandte, [79] von römischen Beigeordneten begleitet, günstigen Frieden in Byzanz zu machen. Der während dieser Verhandlungen vereinbarte Waffenstillstand ward von den Barbaren sehr unklug, von Belisar sehr geschickt zur Besserung der Stellungen verwerthet und schließlich von beiden gebrochen.

Inzwischen hatte sich ein kleines Heer der Byzantiner, geführt von Belisar’s bestem Feldherrn, Johannes, Rom heimlich verlassen, das Picenum durchstreift, Ulitheus, den Oheim des Königs, mit seiner Schar geschlagen und getödtet, im Rücken die Verbindungen der Belagerer mit Ravenna bedroht und nachdem Ancona und Ariminum gefallen, jene Hauptstadt selbst gefährdet, in der Matasvintha, ergrimmt über den aufgezwungnen Ehebund, dem Beispiel ihrer Mutter Amalasvintha (s. diese) und Theodahad’s folgend, mit Byzanz in geheime Verbindungen trat: „sie verhandelte mit Johannes über Verrath und Vermählung“, sagt Prokop kurz.

Da hoben die Gothen, vom Mangel bedrängt in der ausgesognen Campagna, und besorgt um Ravenna, die Einschließung von Rom auf: 374 Tage, vom Februar 537 bis März 538 hatte sie gewährt, 69 Stürme, Ausfälle, Gefechte waren in dieser Zeit gezählt worden: dort, vor den Thoren Roms, lag gebrochen die gothische Heeresmacht! Die Trümmer führte V. zurück gegen Ariminum, diese Stadt wieder zu gewinnen: aber nicht auf dem nächsten Wege, der flaminischen Straße, die ihm Narnia, Spoletium, Perusia – in Feindeshand – sperrten: er selbst ließ kleine Besatzungen in Clusium, Urbs vetus, Petra, Tudertum, Auximum, Urbinum, Caesena, Mons feretrus zurück. Belisar aber sandte aus dem Hafen von Rom eine Flotte mit Landungstruppen, die, in Genua gelandet, Pavia bedrohten, ein gothisches Heer vor dieser Stadt schlugen, dann ohne Schwertstreich Mailand, ganz Ligurien, Bergamo, Como, Novara und andere Städte gewannen. Er selbst zog Ende Juni gegen V., der noch immer Ariminum und Ancona belagerte: ohne Widerstand ergaben sich (IV. Kriegsjahr 538–539) die gothischen Besatzungen von Clusium und Tudertum: Belisar schickte sie nach Neapel und Sicilien; er erhielt Verstärkungen aus Byzanz unter Narses, der später den Gothenkrieg abschließen sollte, darunter 2000 Söldner aus dem (gothischen!) Volke der Heruler. Mit dieser Macht zog er, zur Beobachtung der Gothen in Auximum nur eine kleine Schar zurücklassend, zum Entsatz des schwer bedrängten Johannes in Ariminum heran. V. hob die Belagerung auf und wich nach Ravenna zurück. Belisar folgte nicht gleich, er gewann Urbinum, dessen Gothen sogar in seinen Dienst traten, Johannes Forum Cornelii und die ganze Aemilia. Belisar aber, der vor Weihnachten die Belagerung von Urbs vetus begonnen hatte, ward hier über Erwarten lange festgehalten. Inzwischen trafen die von dem Merovingen Theudibert I. versprochenen burgundischen Hülfsscharen in Italien ein: durch sie verstärkt zwang ein gothisches Heer Mailand zur Uebergabe (die Stadt wurde für ihren Abfall schwer gestraft von den erbitterten Gothen und größtentheils zerstört) und von da aus die meisten Städte Liguriens (Sommer und Herbst 539). Allein V. erkannte richtig, daß die Entscheidung bei Ravenna fallen müsse und daß er hier dem im Frühjahr drohenden Angriff Belisar’s nicht gewachsen sein werde. Er suchte Bundesgenossen: statt der doppelzüngigen Merovingen wollte er durch glänzende Geldgeschenke den Langobardenkönig Wachis gewinnen: doch dieser hatte sich eng an Byzanz geschlossen. Da wandte er sich, auf den Rath erfahrner Männer, an den alten Feind Justinian’s, den Perserkönig Chosroës im fernen Asien: zwei ligurische (doch gewiß arianische Priester) unternahmen gegen reichen Lohn die weite Reise und wirklich gelang es ihnen, den Großkönig zur Erneuerung seiner Angriffe zu bewegen. Justinian, eingeschüchtert, rief in der That Belisar und dessen Heer aus Italien ab, die asiatischen Grenzen zu schützen und entließ die Gesandten [80] des Vitigis mit dem günstigen Bescheid, er werde sofort Botschafter nach Ravenna schicken, einen beiden Theilen vortheilhaften Frieden zu schließen. So schienen des wackern Königs Ausdauer im Kampf und findige Heranziehung der Perser den Bestand des Gothenreiches in Italien – obzwar mit mancher Landeinbuße – gerettet zu haben.

Allein es kam anders.

Bevor Belisar dieser Befehl erreichte, hatte er selbst Auximum eingeschlossen, ließ durch andere Truppen Faesulae belagern und sandte eine dritte Schar den Gothen, die von Pavia her drohten, entgegen bis Dertona. Letztere Byzantiner und Gothen traf rasch nach einander der heimtückische Angriff Theudibert’s I., der, die beiden geschworenen Eide vergessend, mit 10,000 Mann über die Seealpen in Ligurien eindrang, sich von den über sein endliches Worthalten erfreuten Gothen über den Po schaffen ließ, dann aber zuerst diese Geleiter, dann die Gothen in dem Lager auf dem rechten Ufer überfiel und in die Flucht schlug und gleich darauf die Byzantiner zu Dertona, die ihm freudig entgegen gezogen waren, in der Meinung, es sei Belisar, der die Gothen vor sich her treibe. Durch Seuchen und Mangel ward indessen das Frankenheer bis auf zwei Drittel herabgemindert und zur Heimkehr genöthigt. Belisar gewann nun Faesulae und auch das heldenmüthig vertheidigte Auximum, dessen tapfere Besatzung gleichwol unter seinen Fahnen gegen V. zu fechten bereit war: – ein Zeichen der tiefen Zerklüftung, des Mangels an einheitlicher Begeisterung in dem Volk. Belisar umschloß nun Ravenna, die Veste der Sümpfe und Lagunen, die damals nur durch Hunger zu bezwingen war: die Flotte der Byzantiner beherrschte die See und sperrte der Hafenstadt Classis alle Zufuhr: V. ward auch jetzt von besonderem Unglück durch Zufall verfolgt: vorsorglich hatte er rechtzeitig in Ligurien eine große Zahl von Getreideschiffen auf den Po gebracht, sie in die Stadt zu führen und so die Aushungerung tragen zu können: da ward der Fluß, „als ob er auf die Römer habe warten wollen“, plötzlich so seicht, daß die Schiffe stecken blieben und diesen in die Hände fielen. Einen nochmaligen Versuch der Merovingen, die Verzweiflung der Gothen zu ihrem Vortheil auszunutzen, indem sie Waffenhülfe gegen eine Theilung der Halbinsel versprachen, wußte Belisar durch Erinnerung an die wiederholt erfahrene Treulosigkeit dieser Könige zu verhindern: er rieth V., sich lieber mit Justinian zu verständigen. Während dieser Verhandlungen gewann Belisar durch seine Heerführer Venetien und die Vesten in den cottischen Alpen: von einer gothischen Schar, die von Ligurien aus zum Entsatz von Ravenna heranzog, gingen nun sehr Viele zu Belisar über, weil in jenen Vesten ihre Weiber und Kinder waren gefangen worden. Zugleich traf die in der Seeveste schwer durch Hunger bedrängten Gothen ein Schlag des Unheils, der entscheidend gewesen zu sein scheint: die letzten Reste der gewaltigen Getreidevorräthe, die V. weislich hier aufgespeichert hatte, gingen Nachts plötzlich in Flammen auf: nicht ein Blitz, wie verbreitet ward, von Belisar bestochene Römer in Ravenna – auch die Königin Matasvintha soll die Hand dazu geboten haben – bewirkten die Zerstörung. Belisar hoffte nun in Bälde den Gothenkrieg ebenso ruhmvoll wie früher den vandalischen mit völliger Unterwerfung des Volkes und Gefangennahme des Königs beenden zu können, als – sehr zu seinem Verdruß – jene längst erwarteten Gesandten aus Byzanz (s. oben S. 79) eintrafen, die den Belagerten einen – verglichen mit der von Belisar geplanten völligen Unterwerfung – höchst günstigen Frieden anbieten sollten, der sofort angenommen worden wäre: V. sollte nur für das Land südlich vom Po dem Kaiser Schatzung zahlen und den halben Königsschatz! Justinian war des Gothenkriegs müde und seiner Truppen in Italien dringend zur Abwehr der Perser bedürftig geworden. Da spielte Belisar [81] ein gewagtes diplomatisches Spiel: er verhinderte den Abschluß des Vertrags durch seine Weigerung, die Urkunde zu unterzeichnen und ließ dann in Gegenwart der kaiserlichen Gesandten seine oft eifersüchtigen Unterfeldherrn einstimmig erklären, sie seien unfähig, die Gothen zu bedingungsloser Unterwerfung zu zwingen. Dadurch wollte er feststellen, daß nur er die Unterwerfung, die er in Bälde erwartete, zu erreichen fähig gewesen und andrerseits wollte er sich bei Justinian vor dem Vorwurf decken, den Gothen so günstige Bedingungen gewährt zu haben, deren Vollbezwingung er doch voraussah. Er wollte die Verhandlungen hinausziehen, da sein bester Verbündeter, der Hunger, jeden Tag die Ergebung der Belagerten beschleunigen mußte. In solcher Lage kamen die Großen im Gothenheer, schon längst unzufrieden mit der sieg- und glücklosen Leitung des Vitigis, auf einen Gedanken, der jener Zeit nicht fern lag: – wie oft hatten sich byzantinische Feldherrn wider den Kaiser empört und eigne Herrschaften zu errichten versucht! Sie boten Belisar, ihrem Besieger, dessen Kriegskunst und Kriegsglück ihnen nun schon seit bald sechs Jahren den mächtigsten Eindruck gemacht hatte, an, ihn zum Kaiser des Abendlandes und zugleich zum König des Ostgothenvolks zu machen: – schon hundert Jahre früher hatten die salischen Franken in Gallien ähnlich einen kaiserlichen Statthalter zu ihrem König erhoben (s. Deutsche Geschichte I, 25). V. erklärte sich, als er von dem Vorhaben erfuhr, sofort bereit, dem großen Feldherrn zu weichen und zu dienen. Da spielte dieser ein unwürdiges und treuloses Spiel: er ging zum Schein auf den Vorschlag ein, indem er gegen Byzanz sich gegen die Anklage, es ernst gemeint zu haben, deckte durch die den kaiserlichen Gesandten und allen seinen Heerführern abverlangte Erklärung, viel besser als auf die Bedingungen des Kaisers hin Frieden zu schließen, sei ein Mittel, V. und alle Gothen kriegsgefangen zu machen, den ganzen Königsschatz und ganz Italien für Byzanz zu gewinnen. Dies Mittel war eben abscheulicher Verrath. Vorsichtig entfernte er, unter dem Vorwand von Nahrungsmangel, Narses und drei andre ihm feindliche, ihm seinen Ruhm mißgönnende Unterfeldherrn aus dem Lager, damit sie weder hier noch bei den Gothen seine Pläne durchkreuzen könnten und täuschte die Gesandten des Vitigis durch eidliche Annahme seiner Vorschläge. Die Gothen öffneten ihm nun jubelnd, als ihrem König, die Thore: noch wahrte er vorsichtig den Schein, indem er V. nur in ehrenvolle Haft nahm, als er aber die gefährliche gothische Uebermacht aus der Stadt entfernt und die Heermänner vereinzelt in ihre Siedelungen auf dem rechten Po-Ufer entlassen hatte, bemächtigte er sich des Königsschatzes im Palatium, wie die getäuschten Gothen immer noch wähnten, in der Absicht, ihn für sich zu behalten und gegen Justinian zu verwenden. Als nun, immer noch im Glauben an die Treue ihres neuen Königs Belisar, die wichtigsten Festungen sich ihm ergaben und öffneten – Treviso, Caesena und andre mehr – und deren Befehlshaber zu ihm nach Ravenna eilten – nur Ildibad, der spätere König, verließ Verona nicht, da seine Söhne ihm nicht aus Ravenna freigegeben wurden – da nahm Belisar die Maske ab: geschickt, aber mit abscheulicher Falschheit hatte er die Hauptstadt, den König, den Schatz, die schwerbezwingbaren Castelle, die wichtigsten Heerführer in seine Gewalt gebracht, das Heer durch Auflösung wehrlos gemacht. Den getäuschten Gothen gingen die Augen erst auf, als er sich dem Befehle Justinian’s gemäß anschickte, Italien zu verlassen: und das Land südlich vom Po lag widerstandslos in der Hand der Byzantiner: aber die Gothen nördlich des Flusses erhoben jenen Ildibad zum König, sie in den Kampf der Verzweiflung zu führen: er nahm an, auch wohl auf die Hülfe seines Oheims, des Westgothenkönigs Theudis (s. diesen) hoffend: gleichwol erbot auch er sich Belisar als Kaiser des Abendlands [82] und König der Gothen zu huldigen, doch Belisar wies ihn schroff zurück und schiffte sich (VI. Kriegsjahr 540/541) nach Byzanz ein, Matasvintha, viele gothische Edelinge, den Königsschatz und V. mit sich führend: dieser ist vielleicht bald gestorben oder seine Ehe ward als erzwungen gelöst: denn schon 550/551 finden wir Mathasvintha als Gattin des kaiserlichen Neffen Germanus und Mutter eines gleichnamigen Sohnes. V. war ein König und Kriegsmann, besser als sein Glück.

Quellen und Litteratur: die in Könige der Germanen II, München 1862 und Procopius von Caesarea. Berlin 1885 angegebenen: vgl. Hodgkin, Italy and her Invaders III. London 1865. – Hodgkin, the letters of Cassiodor. London 1886. Jordanis und Cassiodor sind inzwischen von Th. Mommsen in den Monumenta Germaniae historica 1882 und 1894 herausgegeben, ebenso manche der kleineren Chroniken, eine neue Ausgabe des Procop wird für 1896 von Haury bei Teubner erwartet.