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Artikel „Virdung, Michael“ von Johannes Bolte in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 40 (1896), S. 10–11, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Virdung,_Michael&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 18:05 Uhr UTC)
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Virdung: Michael V., neulateinischer Dichter aus dem Ende des 16. Jahrhunderts. Am 5. Juni 1575 als Sohn des Rathsherrn Matthäus V. zu Kitzingen geboren, studirte er in Straßburg und Jena, vermuthlich auch in Heidelberg. Der Jenaer Jurist und Humanist Nicolaus Reusner krönte ihn am 21. Januar 1597 mit dem Dichterlorbeer, während ihn sein Altersgenosse Jacob Rosefeld (Lusus poetici, Jena 1597, Bl. G 4 a) als pullus Musarum elegantissimus besang. Nachdem er dann zwei Jahre lang in Böhmen als Erzieher bei dem Freiherrn Sigismund v. Smirziz gewirkt, wandte er sich nach Nürnberg und erhielt im Januar 1605 die Professur der Beredtsamkeit und Geschichte an der Altdorfer Universität, die er 1624 mit der der Politik vertauschte. Während der drangvollen Kriegsjahre hatte er mit mancher Noth zu kämpfen, bewog aber auch, wie er in seinen Briefen an den Prokanzler G. Richter erzählt, Tilly und Holk durch ein lateinisches Bittschreiben, von der Brandschatzung Altdorfs abzustehen. Er starb daselbst am 28. October 1637. Von den Kindern, die aus seiner 1606 mit Margaretha Lehner geschlossenen Ehe hervorgingen, überlebten ihn zwei Söhne und eine Tochter. Sein von Aubry gestochenes Bildniß zeigt ein breites, gutmüthiges Gesicht mit hoher Stirn. – Virdung’s Dichterruhm beruht weniger auf den kleinen poetischen Episteln und Epigrammen, in denen er das Lob seiner Gönner und Freunde, wie Reusner, Konrad Rittershaus, Paul Melissus, J. Gruter, Janus Dousa, verkündigte (Juvenilia, Nürnberg 1598; in den Tragoediae, Nürnberg 1609 und in Gruter’s Delitiae poetarum Germanorum 6, 895–916. 1612), als auf den drei Trauerspielen Saulus (Jena 1595), Brutus (Jena 1596 zusammen mit dem Saul, ebenso in den Juvenilia 1598) und Thrasea (zusammen mit den vorigen in den umgearbeiteten Tragoediae, Nbg. 1608 u. Nbg. 1609). V. strebt nicht wie die früheren neulateinischen Dramatiker dem Ideale eines christlichen Terenz nach, sondern bewundert, erfüllt von Scaliger’s Lehren, die griechischen Tragiker und noch mehr Seneca, Muret und Heinsius, dessen Auriacus er 1602 in einem Briefe an Gruter preist. Gleich diesen Dichtern concentrirt er die Handlung auf ein geringes Maaß, beschränkt aber auch die Darstellung so sehr, daß jede von diesen tragoediolae, wie er sie 1609 selbst bezeichnet, höchstens 27 kleine Seiten füllt. Die beiden ersten Dramen sind nach dem gleichen Schema gebaut. Im Saul beginnt der Feind des Helden, der Teufel Alastor, mit einem exponirenden Monologe; den Brutus, mit dem V. eine Fortsetzung zu Muret’s Cäsardrama geben will, eröffnet Cäsar’s Schatten, um als Rachegeist, als Alastor im antiken Sinne, das nahe Ende seiner Mörder zu verkünden. In beiden Stücken fällt der Held im 4. Acte nach einer verlorenen Schlacht durch Selbstmord, und beide Mal liefert der Edelmuth des triumphirenden Gegners, dort des David, hier des Antonius, einen versöhnenden Abschluß. Der Sohnestreue Jonathan’s entspricht im Brutus die Freundestreue des Lucilius. Im Ausdruck strebt V. nach gehaltener Würde, wird aber oft gesucht und schwülstig. Im dritten Stücke bringt er den Helden dem modernen Empfinden näher, indem er dem römischen Senator Thrasea, der sich muthig der Tyrannei Nero’s widersetzt und sich nach Empfang des Todesurtheils gelassen die Adern öffnet, nicht bloß stoische Todesverachtung, sondern geradezu christliche Anschauungen über die Unsterblichkeit in den Mund legt. Aber er vermag die taciteische Erzählung nicht anschaulich zu gestalten; der 3. Act, in dem Virtus dem falschen Stoiker Egnatius erscheint und mit der [11] Erinnys streitet, fällt völlig aus dem Zusammenhange heraus und ist ohne Kenntniß des Tacitus unverständlich. Virdung’s Tragödien scheinen trotz der wiederholten Auflagen keine nachhaltige Wirkung geübt zu haben; nur in dem 1606 von Wolfhart Spangenberg verdeutschten Straßburger Saulus zeigen sich Spuren seines Einflusses. – Von seinen übrigen Schriften führe ich noch die „Oratio de concordia“ (Altdorf 1611), die von G. Richter veranlaßte Lobrede auf Gustav Adolf: „Alexander novantiquus“ (Altdorf 1633; auch in seinen „Orationes varii argumenti“, Nürnberg 1642) und seinen mit M. Bernegger in Straßburg herausgegebenen Commentar zu Tacitus’ Agricola (Argentorati 1617. Norimbergae 1637) an.

Freher, Theatrum virorum eruditione clarorum 1688, S. 1532. – Will, Nürnbergisches Gelehrten-Lexicon 4, 90 (1758) und Bibliotheca Norica 1, 2, 262 Nr. 1260. 5, Nr. 440. 1163. 1268. – Mehrere Briefe bei Reifferscheid, Quellen zur Gesch. des geistigen Lebens in Deutschland 1 (1889), im Göttinger Mskr. Philos. 94, Nr. 34 und 171 u. a. – W. Spangenberg, Ausgewählte Schriften hsg. von E. Martin 1887, S. VIII. – Bünger, M. Bernegger 1893, S. 115, 365.