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Artikel „Urban, Julius“ von Hyacinth Holland in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 39 (1895), S. 346–349, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Urban,_Julius&oldid=- (Version vom 27. November 2024, 09:08 Uhr UTC)
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Urban: Julius U., Tondichter. Geboren zu München am 30. April 1825, erhielt derselbe zwar frühzeitig im Clavierspiel gründlichen Unterricht, welcher jedoch nach dem schon am 28. Februar 1833 erfolgten Tode seines Vaters, des berühmten Schauspielers Wilhelm U. (s. u.) unterbrochen wurde, da die mit acht Kindern hinterlassene Wittwe keine Mittel für Lehrer aufzuwenden vermochte. Der Knabe durchlief die Schulen und half sich selbst weiter so gut es ging, studirte die Harmonielehre unter der Leitung des Professor Andreas Wohlmuth (starb am 31. December 1884), bis der Capellmeister Joseph Hartmann Stuntz den talentvollen feurigen Jüngling in seine eiserne Lehre nahm. Später unterwies ihn Professor Christian Wanner († am 12. Januar 1874) im Clavierspiel. Seine Kenntnisse und Fähigkeiten verwerthete U. im Ertheilen von Unterricht und behielt, trotz der ermüdenden Tagesarbeit, noch Kraft und Muth genug, um eigene Werke zu schaffen. Die Lust und Liebe der Jugend glüht durch solche Hemmnisse nur höher auf, weiß alle Mühsale zu überwinden und wagt sich deshalb mit jubelndem Uebermuthe an die höchsten und schwersten Probleme. Auch die Dichtkunst wurde eifrig gepflegt; eine Zeit lang rangen die beiden Schwesterkünste gleichsam um den Vorrang, welcher schließlich doch wieder der Musik zufiel. Anfangs 1848 trat U. für Wilhelm Speidel in eine Familie zu Thann (Elsaß), aber nur zu bald endete der Ausbruch der „Revolution“ die erfreuliche Thätigkeit, da seine Schüler für die Pflege der heitern Künste des Friedens keine Zeit fanden. U. eilte nach München zurück und vergrub sich in einer Fülle von Schöpfungen und Compositionen, so daß schon am 30. April 1849 der kaum vierundzwanzig Jahre zählende Tondichter mit einem großen Instrumental- und Vocalconcert vor das Publicum zu treten wagte, wobei nur eigene Werke, eine Symphonie (aus D-dur), eine Cantate (Nacht und Morgen), zwei Lieder mit Clavierbegleitung und eine Ouvertüre zur Aufführung gelangten. Der theilnehmende Beifall des Auditoriums wuchs von Nummer zu Nummer; man rühmte den Fleiß und den kühnen Muth des jungen Mannes, der als Autodidakt mühsam und unter zahlreichen Hindernissen sich emporarbeiten mußte; ebenso wurde das entschieden schöpferische Talent, die Originalität und geschickte Verarbeitung der Ideen und Melodien und die gründliche Bekanntschaft mit den großen Meistern anerkannt – schwerwiegende Vorzüge, wogegen die allen Erstlingsarbeiten anhaftenden formellen Mängel nicht in Betracht kamen (Nr. 129 „Allgem. Ztg.“ vom 9. Mai 1849). Nach einem so ermuthigenden Beginnen folgten zwei Decennien voll glücklicher Thätigkeit: U. leitete den damals frisch erblühenden „Künstler-Sänger-Verein“, welcher zum fröhlichen Gedeihen der schönen, unvergeßlichen Maifeste immer eine dankenswerthe Folie bot. Hier bildete U. die für seine Compositionen geeigneten Kräfte [347] welche ebenso bereitwillig die zahlreichen Lieder wie die heiteren, musikalischen Einfälle ihres Dirigenten mit Lust und Liebe executirten. So componirte U. den nachmals auch in Druck edirten und mit einer Vignette von Moriz v. Schwind ausgestatteten „Festmarsch“ zum Rubensfeste (1857); er lieferte die Introduction zu der Grundsteinlegung der neuen Maximiliansbrücke, womit im J. 1858 die siebente Säcularfeier des Bestehens der bairischen Hauptstadt inaugurirt wurde, ebenso den Chorgesang zur Eröffnung der berühmten Kunstausstellung desselben Jahres (Nr. 204 „Neueste Nachrichten“ vom 23. Juli 1858); er leitete den ganzen Cyclus von musikalischen Ovationen, womit die letzte Anwesenheit des großen Cornelius zu München im Juni 1861 den rechten Hintergrund gewann. Die Leistungen des „Künstler-Sänger-Vereins“ werden sicherlich noch ihren Historiker finden; U. aber war der Zauberer, welcher mit seinem Stabe die Begeisterung schürte, nährte und leitete – letzteres mit einer Strenge und Pflichtbeflissenheit, welche jeden Dilettantismus verbannte und an die betreffenden Forderungen stellte, welche freilich nicht jedem behagten. Mit der unvermeidlichen Aenderung des Materials, als der Spiritus allmählich verflog und bloß das gemüthliche Moment der Unterhaltung in den Vordergrund rückte, legte U. seine Stelle nieder. Die Genossenschaft ehrte seine Verdienste durch Uebergabe einer Dankadresse und eines köstlichen Albums, in welchem die treuen Freunde durch Handzeichnungen und Skizzen dem Scheidenden ein Zeichen der Erinnerung boten. Das waren für U. die glücklichsten Jahre, in welchen bei fortgesetztem Schaffen seine Werke entstanden, darunter eine zweite Symphonie, eine große Oper „Die Guerillas“ (Text von Hermann Schmid), eine andere „Die letzten Tage von Pompeji“ (in drei Acten), ein komisches Singspiel „Der dumme Peter“ (in drei Aufzügen), das „Schwabenmädle“ (Liederspiel in einem Aufzug) und viele andere Gelegenheitscompositionen, wie Quartette, Lieder, Chöre und Tänze. Da sich andere Orchester, Bühnen und Fachgenossen meist ablehnend dagegen verhielten, beschloß U. seine die „Rückkehr des Odysseus“ betitelte Cantate unter eigener Direction (am 9. Mai 1860) im großen Saal des Odeon aufzuführen und zwar mit einem glänzenden, freilich ohne weitere Folgen bleibenden succès d’estime. Trotz der vorsichtig ablehnenden Kritik (im Abendblatt 114 der „Neuen Münchener Ztg.“ vom 12. Mai 1860) ging U. an eine neue symphonische Schöpfung „Frithjof“, welche indessen nur theilweise zur Aufführung kam, wobei sich das Publicum aber still und schweigend verhielt, so daß der tief betroffene Dichtercomponist fortan jedes weitere Hinaustreten in die Oeffentlichkeit vermied. Dafür gedachte U. ernstlich auf dem Gebiete der dramatischen Dichtung weiter zu schreiten.

Er schrieb ein Märchen „Schneewittchen“, welches wohl für eine spätere musikalische Inscenirung berechnet war, dann die Lustspiele „Eine Stunde vor der Trauung“ und das „Familienfest“, ebenso ein fünfactiges Schauspiel „Adeline oder Provinz und Residenz“. Vergebens bot er allen Scharfsinn auf um seine Werke anonym vor die rechte Schmiede zu bringen; mit erfinderischer List ersann er allerlei Winkelzüge, die betreffenden Bühnenleiter und kritischen Regisseure über die wahre Autorschaft zu täuschen; die Manuscripte folgten auf weiten Umwegen abgelehnt zurück. Es fehlte immer an plastischer Gestaltungskraft und Bühnenkenntniß, auch verrieth die Kindlichkeit der meist in gebundener Form stolzirenden Rede den ganzen Dilettantismus eines Autodidakten, welcher, statt seine Kräfte zu concentriren, gern auf fremde Gebiete hinüberschweifte. U. naschte bei Strauß und Schopenhauer, klügelte über dringliche Reformen im Gebiete der Heilkunst, vertiefte sich auch in diplomatische Fragen und setzte kühn manches Memoire darüber auf, wie denn auch beim Ausbruch des Bruderkampfes im J. 1866 – die „Allgemeine Zeitung“ in Augsburg veröffentlichte über dergleichen Insinuationen [348] zum Ausgleich einige überraschende Proben, was z.  B. die deutsche Jugend zum endgültigen Friedensabschluß zu leisten habe – und ebenso bei Beginn des deutschen Krieges 1870, wo die gerade nicht unglaubliche Rede ging, U. habe den obersten Kriegsherren erhebliche Winke gegeben, wie der ganze Handel glorreich und auf kürzestem Wege beendet werden könne. – Infolge vieler gescheiterten Hoffnungen schloß sich U. nur um so schroffer gegen die umgebende Welt ab und zog sich in sein Inneres zurück. Er strebte und arbeitete noch rastlos, wieder ganz der Pflege seiner Kunst zugewendet, aber weniger freudig. Die Lust war ihm vergällt. So lange Einer noch diesseits der möglichen Lebenshälfte steht, treibt die schaffende Kraft vergnüglich mit hoffender Zuversicht weiter; ist aber die Polhöhe resultatlos überschritten, so erlahmt der willigsten Phantasie nur allzuleicht der Flügelschlag. Dazu trat auch die Existenzfrage ernstlicher heran. U. bewarb sich ein paar Mal um eine Dirigenten- und Capellmeisterstelle, leider vergeblich, trotz eines hohen Protectors, welcher das edle Streben und den untadeligen Charakter des Petenten achtete und schätzte: erst schob ein kluger Pastor, im entscheidenden Momente die Orthodoxie des Componisten bekrittelnd, eine geschmeidigere Persönlichkeit vor, dann sprang ein anderer collegialer Neid dazwischen. Urban’s Schicksale ganz wahrheitsgemäß verarbeitet, hätten den besten Stoff zu einem Roman gegeben, welcher etwa den Titel führen müßte: „Wie es einem ehrlichen Deutschen ergehen kann“ oder ein echtes „Dichter- und Componistenleben“. Der durch solche Erfahrungen niedergebeugte Künstler hielt sich fürder von allen Wettbewerbungen mit jüngeren Kräften zurück, selbst wenn ihre Leistungen im Vergleich mit den seinen einzig noch im Tintenfasse schliefen. So blieb ihm die neidlose Thätigkeit eines Privatlehrers mit ihrer stolzen Freiheit, mit ihren Leiden und Freuden. Hatte er tagsüber im Kampf ums Dasein mit schwerfingerigen Schülern verklimpert, „Stunden“ und theoretischen Unterricht ertheilt, so durfte der müde in sein stilles, leeres Heim Rückkehrende kaum auf einen Besuch der Muse rechnen. Zwar glückte ihm noch eine „Bunte Reihe kleinerer und größerer Clavierstücke“, wovon aber nur drei, „Abendläuten“, ein „Hochzeitsmarsch“ und „Wiegenlied“ (Verlag des Verfassers) im Druck erschienen; auch entstand allerlei „Kammermusik“ (1867), viele Sonaten (1873) und Lieder, darunter die unpraktischerweise im Selbstverlag edirten „Frühlingsnacht“, der „Einsame“ und „Nachklang“. „Zwei Lieder ohne Worte“ und ein „Capriccio in H-moll“ erschienen bei Jos. Aibl. U. verzweifelte, in der jetzt hochgehenden musikalischen Richtung durchzudringen. Kein principieller Gegner der damals auftauchenden „Zukunftsmusik“ und dieselbe vom Standpunkte des Historikers objectiv betrachtend, hatte er doch von Jugend auf andere Sterne kennen gelernt als die gerade am musikalischen Himmel funkelnden Lichter. U. baute auf die Nachwelt, welche vielleicht freundlicher über ihn urtheilen werde. So schloß er seine besten Sachen in ein stattliches Kofferchen mit der ausgesprochenen Absicht, dasselbe erst nach zwei Decennien wieder öffnen zu lassen. Schon längst hatte er sich von seinen Freunden eigensinnig zurückgezogen. Der Tod einer theueren Schwester (1876) vereinsamte ihn noch mehr. Eine unüberwindliche Melancholie, im Zusammenhange mit einem lästigen Magenübel, gewann die Oberhand. Wenn er die Vergangenheit überdachte – ein Schaffen ohne Erfolg, Arbeit ohne Gewinn, so rauschten wohl schwarze Ahnungen um sein Haupt. Nur die Erhabenheit und Schönheit der Natur, wofür er immer ein offenes, empfängliches Auge besaß – freilich nur eines, denn das andere hatte er schon früher durch einen unglücklichen Stoß verloren – der Genuß der größten Meisterwerke der Tonkunst und der Gedankenaustausch mit seinen in der Ferne lebenden Schwestern, das erhellte sein Leben mit einigem Freudenscheine. Schon im Herbste des Jahres 1878 dämmerte der Plan herauf, demselben ein Ende [349] zu setzen. Er brachte Alles in musterhafte Ordnung, bis ins Kleinste. Materielle Sorgen quälten ihn nicht, seine Existenz war bei seinem äußersten Verzicht auf weitere Ansprüche eine hinreichend ergiebige gewesen. Die Katastrophe beschleunigte jedoch ein plötzlicher Irrwahn: er hielt sich eines ungeheuren Verbrechens angeklagt, eine riesenmäßige Verläumdung, welche ihn unschuldigerweise zum Geächteten machte, schwirrte um sein Haupt, zog auf ihn die Augen der Welt. Rath- und hülflos dagegen, schrieb er ein wirres Lebewohl für einen treuen Freund nieder, dem er den Vollzug seiner letzten Wünsche anvertraute, dann verließ er am 19. November 1879 spät Abends leicht gekleidet die Wohnung und suchte, obwol sonst ein tüchtiger Schwimmer, Hülfe und Rettung in jenem Element, welches er mit seinen Liedern und Dichtungen nur zu gern besungen und gefeiert hatte. Auf seinem Clavier lag Beethoven’s 32. Sonate in Es-dur aufgeschlagen. Ihre Klänge waren sein letzter Trost. Seine Leiche wurde nach einigen Tagen von der Isar bei Freimann angeschwemmt und im kleinen Dorfkirchhofe daselbst, wo schon manches Unglück zur letzten Ruhe kam, in aller Stille begraben. Kein Lied klang über die Scholle, darunter U. gebettet ruht, der doch unzählige Mal seinen Freunden und Bekannten den letzten Abschiedsgruß ertönen ließ.

Eine Schwester des Componisten, Thekla Louise U., heirathete den Redacteur des „Nürnberger Correspondent“ Dr. Friedrich Mayer; sie überlebte ihren Gatten und starb, 73 Jahre alt, am 5. November 1890 zu Nürnberg. Sie hatte sich mit charitativen Bestrebungen für die Verwundeten des deutsch-französischen Krieges namhaft hervorgethan und wurde darob mit dem königlich bairischen Verdienstkreuz für die Jahre 1870–71 und dem königlich preußischen Verdienstkreuz für Frauen und Jungfrauen ausgezeichnet.

Vgl. Beil. 354 „Allg. Ztg.“ vom 20. December 1879.