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Artikel „Tucher, Sixt“ von Ernst Mummenhoff in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 39 (1895), S. 111–114, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Tucher,_Sixtus&oldid=- (Version vom 2. November 2024, 16:26 Uhr UTC)
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Tucher *): Sixt T., geboren 1459 zu Nürnberg, Sohn des ersten Losungers Anton Tucher’s I und seiner Frau Barbara, einer geb. Stromer von Reichenbach, studirte mit seinem Vetter Heinrich T. die Rechte an der Universität Heidelberg, die er 1473 bezog, wendete sich dann zur Fortsetzung seiner Studien nach Italien, wo er die Universitäten Pavia und Bologna besuchte. In Bologna wurde er 1485 in der alten Sacristei der Cathedrale z. h. Petrus zum Doctor beider Rechte promovirt. Schon als junger Student erlangte er ein Kanonikat des Collegiatstiftes zu Aschaffenburg, das er 1479 mit Bewilligung Erzbischof Dietrich’s von Mainz gegen die Nicolaipräbende im Schloß zu Aschaffenburg mit seinem Vetter Hieronymus T. vertauschte. Am 18. Mai 1487 wurde er zum ordentlichen Professor der Rechte an der Universität Ingolstadt ernannt, wo er neben seinem Landsmann Gabriel Baumgartner öffentliche Vorlesungen hielt, ward 1488 Rector und blieb auf Anordnung Herzog Albrecht’s nach Ablauf seines Rectorats noch ein halbes Jahr in dieser Würde. Nach Christoph Scheurl’s Bericht hielt er damals „zwei reisige Pferd und einen dapfern Stand“ und erwarb sich allenthalben großen Ruhm und Ehre, weshalb ihn der Nürnberger Rath an Stelle seines resignirenden Vetters Laurentius T. 1496 auf die Propstei von St. Lorenz berief. Die Studenten zu Ingolstadt vermißten nach seinem Abgang schwer die Vortrefflichkeit seiner Vorlesungen. Im Zusammenhang mit seiner Berufung auf die Propstei bei St. Lorenz zu Nürnberg stand es, daß ihm Papst Alexander VI. am 9. Juli 1496 die Licenz ertheilte, alle priesterlichen Weihen von jedwedem Bischof zu empfangen. In der gleichen Zeit wurde ihm die Würde eines Domherrn zu Regensburg verliehen und nach Laurentius Tucher’s Tode im J. 1503 rückte er dort zum Domcustos vor. Noch im selben Jahre trat er als Propst von St. Lorenz zurück und, wie sehr auch der Rath in ihn drang, so war er doch nicht zu bewegen, in dieser Stellung noch länger zu verharren. Er wollte aber die hohe Würde, in der er neben dem Abt von St. Egidien und dem Propst von St. Sebald die höchste Stelle in der Stadt einnahm und einem Bischof nur wenig nachgab, nicht auf einen Andern, etwa auf Christoph Scheurl, wie er diesem nach Bologna schrieb, übertragen, sondern legte sie frei in die Hände des Raths nieder. Er nahm dann ein Altarlehen im St. Clarakloster an, infolge dessen er von allen bürgerlichen Lasten verschont blieb, und zog sich zu Ostern 1504, als der junge Doctor beider Rechte Anthoni Kreß [WS 1] die Propstei übernahm, in sein in einem Garten gelegenes Lusthaus bei den Karthäusern – in der heutigen Grasersgasse – zurück. Dieses Haus hatte er ganz nach seiner Bequemlichkeit erbauen und es durch einen Gang mit dem Karthäuserkloster verbinden lassen. Hier lebte er den Rest seiner Tage dem Studium der h. Schrift und der Kirchenväter, insbesondere des h. Hieronymus und Augustinus, und heiligen Betrachtungen. Er stand in einem freundschaftlichen Verhältniß zu der edlen Aebtissin von St. Clara Charitas Pirckheimer, zu seiner Muhme Apollonia T. und dem Convente von St. Clara. Geistliche Betrachtungen in Briefform, die T. für die genannten Klosterfrauen verfaßte, hat Christoph Scheurl ins Deutsche übertragen und, mit Anmerkungen und Nachweisen versehen, 1515 bei Friedrich Peypus in Nürnberg erscheinen lassen. Das jetzt äußerst seltene und anmuthige Buch, das unter dem Titel: „Viertzig sendbtiefe aus dem Latein in das Teutsch gezogen, durch etlich gelert gotsforchtig vnd gaistlich personen zu einander geschrieben vnd mit vil hailsamen Christenlichen leren vermengt: den lesenden zu sonder frucht vnnd rayzung inprünstiger andacht dienlich“ ganz vorwiegend Betrachtungen des T., aber auch solche der Charitas Pirckheimer, der Apollonia T. [112] u. a. enthält, bildet ein nicht unwichtiges litterarisches Denkmal auf dem Gebiet der religiösen Betrachtung und spiegelt zugleich das fromme contemplative Gemüth des Verfassers, der sich durch tiefe Kenntniß der h. Schrift und der Väter auszeichnete, getreu wieder. Seine Tüchtigkeit als rechtlicher Beistand des Raths bewährte er schon als Professor in Ingolstadt, ebenso wie sein College Gabriel Paumgartner, wie er ja auch noch späterhin in seiner Stellung als Propst, in welcher er zugleich die Function eines städtischen Consulenten auszuüben hatte, dem Rath seine rechtliche Hülfe lieh. Er erscheint als der Commissar des Raths in dessen Proceß gegen Hans Schütz und Anthoni Derrer, welche ohne Erlaubniß des Raths und unter angeblicher Kränkung dessen Gerechtsame, der erstere in Zerzabelshof, der andere in Bürgles (Unterbürg) Capellen hatten errichten lassen. Die Angelegenheit ging an die Curie und durch Bulle Papst Alexander’s VI. vom 20. Februar 1501 wurde der Abbruch der beiden Capellen verfügt.

Aber auch sonst war T. ein Mann von Einfluß, der von König Maximilian I. in wichtigen Staatsgeschäften als Rath und Unterhändler beigezogen wurde und sich der besonderen Gunst König Ludwig’s XII. von Frankreich erfreute. Er war mit dazu ausersehen, eine Versöhnung zwischen König Maximilian und König Ludwig nach dem Mailändischen Kriege anzubahnen und hat damals aller Wahrscheinlichkeit nach auch am Hofe des französischen Königs geweilt. Am 31. Juli 1502 schreibt König Ludwig an ihn in den schmeichelhaftesten Ausdrücken. Bei ihm, seinem liebsten und theuersten Freunde, habe er schon öfter wahrgenommen, mit welchem Eifer und Verlangen er seine und der ganzen Christenheit Geschäfte fördere. Jetzt aber habe er dies noch besser und genauer aus dem Berichte seines lieben und getreuen Raths und Orators Karl de alto Bosto in Erfahrung gebracht. Dafür erstatte er ihm seinen unauslöschlichen Dank und bitte ihn inständig, daß er das so heilsame, der ganzen Christenheit so förderliche und äußerst nothwendige Werk krönen möge, je schneller, um so erfreulicher und förderlicher für seinen theuersten Bruder, den römischen König, das heilige Reich und die ganze Christenheit, da ja dieses Werk auf die Erhöhung des christlichen Namens, die Erhaltung und Stärkung beider Ordnungen und das Verderben des grausamen Türken in der That und augenscheinlich abziele. Deshalb schickt er wieder an seinen theuersten Bruder, den Römischen König, an die Kurfürsten und die sonstigen Fürsten und Regenten den vorgenannten Orator, damit der Vertrag am kommenden St. Jakobstag abgeschlossen werden könne. Da er aber seinem Gesandten für seinen Theil Einiges, ihm zu sagen und auseinanderzusetzen, anvertraut, so bittet er, volles Vertrauen in dessen Glaubwürdigkeit setzen zu wollen. Noch 1504 steht er mit dem König von Frankreich in Briefwechsel, der ihn wieder in diplomatischen Angelegenheiten verwenden möchte. Aber T. erwidert unterm 18. April, wenn er auch bereit sei, dem Befehl des Königs in dieser wie in andern Angelegenheiten nachzukommen, so sei er doch mit Schwachheit des Leibes beladen und vermöge ohne merkliche Fährlichkeit nicht über Land zu reiten oder zu fahren. Er bitte deshalb, kgl. Majestät wolle ihn entschuldigt halten und sein Ausbleiben in Ungnaden nicht vermerken.

Um diese Zeit lebte T. schon zurückgezogen von der Welt und fand seine Befriedigung in frommen Werken und Stiftungen. Schon im J. 1501 hatte er in der St. Lorenzkirche eine Stiftung zur Begehung des Festes der von ihm so hochverehrten h. Monica, der Mutter des h. Augustinus, am Tage nach St. Gotthard und Florian, dem 5. Mai, auf der vier Lehrer Altar mit Frühpredigt, Legende, Glockengeläut und Orgelspiel, Hochamt, stillen Messen und Vesper, in Chorröcken und bei Ausstellung der Monstranz, wie an einem hohen [113] Feiertag, errichtet. Er bestimmte zu diesem Zweck eine Rente von 3 Gulden von einem auf der Losungstube angelegten Capital für die 16 Vicarier bei St. Lorenz und die 4 bei St. Martha, St. Leonhard, St. Rochus und St. Peter im Siechgraben, die während des Hochamts Messe zu lesen hatten mit drei Collecten von St. Monica pro sacerdote defuncto. 1503 stiftete er mit seiner Schwester Magdalena Reich noch eine Pfründe zu einem Diakonat, um täglich eine Messe auf St. Johannisaltar zu singen mit einer Collecte für den Stifter. 1504 vermachte er ein Capital, von dessen Ertrag die beiden ältesten Tucher alljährlich 20 hausarme Menschen, 10 Männer in graues und 10 Frauen in blaues Tuch, kleiden sollten. Für die Kranken im h. Geistspital stiftete er 1507 eine Pfründe für einen Caplan oder Movendelpriester. In seinem im gleichen Jahre errichteten Testament theilte er seine Bibliothek an die Propstei von St. Lorenz und an verschiedene Klöster aus und bedachte Kirchen und Klöster mit Legaten. Haus und Garten hinter den Karthäusern mit allen dazu gehörigen Häusern und Zinsen verordnete er als Majorat seiner Geschlechtslinie. „In Summa“, berichtet uns Christoph Scheurl, „er gedacht auf das künftig Leben und sein Seel selig zu machen, was ein gottfürchtig, redlich, frum Mann, wohl beredt, vast (sehr) gelehrt und zum Studirn genaturt und geporn, hatt die Geistlichen lieb, viel Hoffnung in ihr Fürbitt …“

Um Alles zusammenzufassen, er war ein frommer Geistlicher der alten Kirche, wie sie dazumal nicht allzuhäufig begegneten, ein Jurist und Theologe von tiefem und ausgebreitetem Wissen, der sich indeß dem damals vordringenden Humanismus keineswegs verschloß. Wenn auch seine Hinneigung und sein durch einen regen Briefwechsel bekundetes freundschaftliches Verhältniß zu dem jungen Christoph Scheurl, der durch ihn dem Studium erhalten blieb und auf seine Veranlassung die Universität Bologna bezog, in der nahen Verwandtschaft ihre Erklärung finden, so ist doch der überaus freundschaftliche Verkehr, den er mit Konrad Celtis pflegte, auf die Interessengemeinschaft beider auf dem Gebiete der classischen Studien zurückzuführen. Aus Celtis’ Briefen leuchtet überall die tiefe Verehrung und Hochschätzung hervor, die er dem T. zollte. Ihm sandte er seine Arbeiten und Gedichte zur Beurtheilung, er hält ihn hoch als seinen Richter und Censor, von ihm hat er eine so hohe Meinung, daß er die Veröffentlichung seiner Schriften nicht mehr für leichtsinnig und unbedacht hält, wenn sie vor Tucher’s Urtheil bestanden haben. Er bittet ihn wiederholt um Zusendung alter Autoren, auch des Bocaccio, gelegentlich auch um Geld. Wenn auch die Annahme nicht ganz abzuweisen sein dürfte, daß manches Schmeichelwort, das Celtis seinem mit zeitlichen Gütern gesegneten und einflußreichen Gönner spendet, wohl einigermaßen durch die mißliche Lage des bedürftigen Humanisten hervorgerufen war, so besteht doch andererseits kein Grund, die Aufrichtigkeit der Gefühle, die Celtis zum Ausdruck bringt, in Zweifel zu ziehen. In einer Ode preist er ihn als den Sprossen eines alten Geschlechts, welches dem Rath schon so viel würdige Glieder gegeben, als den Beschützer der Musen, dessen Ruhm sich auf die Nachwelt vererben soll. T. andererseits tritt für Celtis ein. Er möchte ihn an die Stelle „des Alten“, eines dem Scholasticismus anhangenden Mitglieds der Artistenfacultät an die Universität Ingolstadt bringen. An eifriger Verwendung beim Herzog will er es nicht fehlen lassen. Und es gelingt ihm auch in der That, seine Anstellung als ordentlicher Professor auf ein Jahr zu bewirken, er vermochte ihn aber trotz aller Anstrengungen nicht länger zu halten. Von einem späteren Verkehr Tucher’s mit Celtis in der Zeit, als jener Propst in Nürnberg war und dann mehr in der Verborgenheit ein frommes Leben führte, vernehmen wir nichts. Sixt T. ward 48 Jahre [114] alt und starb, nach Scheurl’s Bericht, „schwindsüchtig, ganz christenlich Suntag vor Simonis und Juda, 24 Octobris, 3 Stund auf den Tag 1507, ward bei seinen Eltern zu St. Sebolt ehrlich begraben, besungen und begangen“.

Geschlechtsbuch der Tucher’schen Familie von Christoph Scheurl. – Urkunden im freih. v. Tucher’schen Archiv. – Rathsbuch der Stadt Nürnberg. – Briefe des Konrad Celtis an S. Tucher, in der Universitätsbibliothek zu München. – Briefe des Dr. Sixt Tucher, Probsts bei St. Lorenz zu Nürnberg, an seinen Nachfolger Anton Kreß 1502–1504. Herausg. von Georg Freiherrn v. Kreß. Nürnberg. – Summarische Deduction etc. – Will, Gelehrtenlexikon. – Derselbe, Museum Noricum. – v. Soden und Knaake, Christoph Scheurl’s Briefbuch. – Prantl, Geschichte d. Ludwig-Maximilians-Universität. – B. Hartmann, Konrad Celtis in Nürnberg im 8. Hefte der Mittheilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg.

[111] *) Zu Bd. XXXVIII, S. 772.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Kreß, Anton (Propst zu St. Lorenz in Nürnberg; Jurist; Schulreformer; Förderer von Kunst und Wissenschaft; 1478–1513)