ADB:Todleben, Franz Eduard Graf

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Artikel „Todleben, Graf Franz Eduard“ von Max von Oettingen in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 38 (1894), S. 403–408, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Todleben,_Franz_Eduard_Graf&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 19:16 Uhr UTC)
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Todleben: Graf Franz Eduard T., kaiserlich russischer Feldherr und Generaladjutant, geboren am 8./20. Mai 1818 zu Mitau, † am 19. Juni (1. Juli) 1884 in Bad Soden. Unter den zahlreichen Männern deutscher Herkunft, welche sich unsterbliche Verdienste um den russischen Staat erworben haben, gebührt T. ein besonders hervorragender Platz. Die bedeutendsten Erfolge der russischen Waffen in den beiden letzten mit den Türken, dem „Erbfeind“ russischer Nation geführten Kriege sind mit diesem deutschen Namen verknüpft. Sein Vater Johann Heinrich Todleben betrieb in Mitau ein kaufmännisches Geschäft. Bald nach der Geburt dieses, unter sieben Geschwistern fünften Kindes, verlegten die Eltern Geschäft und Wohnsitz nach Riga, wo die später von dem ältesten Sohne Karl Heinrich vertretene Firma „J. H. Todleben“ zu den geachtetsten zählte. Ihren Ursprung leiten die Todlebens von einem Adelsgeschlecht Thüringens her. Die Familienpapiere geben keine Auskunft darüber, was einzelne Sprößlinge dieses Geschlechtes im 18. Jahrhundert zur Auswanderung nach Rußland bewog, sondern lassen nur erkennen, daß sich der Großvater des nachmaligen Grafen in den Ostseeprovinzen niederließ.

Nach Beendigung des häuslichen Unterrichts besuchte T. in Riga die Privatschule des Dr. Hüttel, deren Schüler für die höheren Classen des Gymnasiums, wie für den Eintritt in das praktische Leben vorbereitet wurden. Doch er sollte nicht mit dem großen Strom in einer dieser beiden Lebensrichtungen ausmünden, sondern einen eigenen, seinen frühzeitig sich zeigenden Neigungen entsprechenden Weg wandeln. Es zeugt von feiner Beobachtungsgabe des Vaters, daß er aus den bei Knaben so allgemein üblichen Kriegsspielen, denen der Sohn Eduard sich mit großem Eifer hingab, zu erkennen vermochte, daß es sich hier um eine specifische Begabung, um ein technisch-militärisches Talent handele, welches auf des Knaben künftigen Lebensberuf hinweise. Mag es auch richtig sein, daß, wie berichtet wird, die von T. namentlich auf Collins-Höschen, wo die Familie den Sommer zu verbringen pflegte, erbauten Festungen mit ihren Brustwehren, Gräben und Zugbrücken nach den Regeln der Ingenieurkunst hergestellt waren, und daß er als Führer der Angreifer oder Vertheidiger in seinen Anordnungen einen ausgeprägten militärischen Sinn verrathen habe, so gebührt dem Vater doch Anerkennung dafür, daß er nicht allein des Sohnes Fähigkeiten richtig zu schätzen, sondern auch die Wege zu deren Ausbildung zu ebenen wußte, indem er ihn in die Ingenieurschule zu St. Petersburg eintreten ließ. Das war nicht ohne Schwierigkeiten zu ermöglichen. Vor allen Dingen galt es den bisher in deutscher Sprache unterrichteten Knaben tüchtig russisch lernen zu lassen, dann aber auch dessen Aufnahme in die Schule zu erwirken. Hierzu bedurfte es einer Standeserhöhung, der Vater mußte, was mit nicht geringen Mühen und Geldopfern verbunden war, den Titel eines erblichen Ehrenbürgers erwerben. Die [404] Hindernisse wurden überwunden, im J. 1831 brachte Johann Heinrich Todleben seinen noch nicht 14jährigen Sohn nach St. Petersburg und im Herbst 1832 fand derselbe, nachdem er vom Ingenieurcapitän Kirpitschow dazu vorbereitet worden war, in die dritte Classe der erwähnten Anstalt Aufnahme. Hier mag einer Begegnung Erwähnung geschehen, welche später von besonderer Bedeutung für T. sein sollte. Als sich Vater und Sohn von einander auf der Petersburger Poststation verabschiedeten, war der Banquier Hauff zufälliger Zeuge der Scene; gerührt von des Knaben Trennungsschmerz, bat er um die Erlaubniß, denselben an Feiertagen zu sich laden und ihm sonst behülflich sein zu dürfen. Die freundliche Aufnahme, die dem Ingenieurschüler in dem Hauff’schen Hause wurde, fand ihren schönen Ausdruck in der am 23. Februar 1853 erfolgten Vermählung des Garde-Ingenieurcapitäns Todleben mit des Hausherrn Tochter, der Baronesse Victorine Hauff. Die Ingenieurschule hat T. nicht beendet; auf Anrathen der Aerzte, die bei ihm das Entstehen eines Herzübels befürchteten, wurde er im J. 1836 als Fähnrich nach Riga commandirt. Hier erholte er sich zwar so weit, daß er nach einigen Monaten zur Fortsetzung seiner Studien in die Officiersclasse wieder eintreten konnte, doch bald zeigten sich die Krankheitszufälle abermals und brachten es mit sich, daß er an den Cursen der höheren Officiersclassen sich zu betheiligen verhindert, im J. 1838 mit dem Range eines Secondlieutenants aus der Anstalt entlassen und dem Rigaschen Ingenieurcommando als dejourirender Officier zugewiesen wurde. Diese Stellung, deren Aufgaben sich auf Remontearbeiten beschränkten, konnte den regen, nach umfassender militärischer Thätigkeit sich sehnenden Geist des jungen Officiers nicht befriedigen und veranlaßte ihn, wegen seiner Ueberführung zu den Gardesappeuren einzukommen. Dieser Wunsch fand allerdings keine Erfüllung, wohl aber wurde T. in das bei Dünaburg befindliche Sappeurbataillon des Grenadiercorps und bereits im J. 1840 in das Uebungs-Sappeurbataillon nach Zarskoje-Sselo versetzt, wo er bald die Aufmerksamkeit des Generalmajors Schilder auf sich zog, eines genialen Ingenieurs, der sowohl auf die weitere militärische Ausbildung des künftigen Vertheidigers von Sebastopol, als auch auf den äußeren Lebensgang des jugendlichen Freundes von großem Einfluß gewesen ist. In der Umgebung von Petersburg, wie später auch bei Kiew, wurden auf Befehl des Kaisers Nikolaus ausgedehnte Versuche mit dem von General Schilder erfundenen Röhrenminirsystem gemacht, die für T. als ein praktischer Vorbereitungscursus für die ihm von der Vorsehung zugewiesenen späteren Aufgaben bezeichnet werden können. Mit großem Eifer studirte er auf diese Weise den Minirkrieg, construirte einen verbesserten Erdbohrer und erwarb sich die Anerkennung seiner Vorgesetzten, welche in zwei Ordensauszeichnungen und in der Beförderung zum Stabscapitän (1847) ihren Ausdruck fand. Der Minenbohrer war offenbar dazu bestimmt, T. auf seiner militärischen Laufbahn zu geleiten. Mit ihm hat er sie begonnen, mit ihm sie beendet.

Im J. 1848 wurde er in den Kaukasus beordert, um seine Minirkunst in Daghestan an den Bergfesten Schamyl’s zu erproben. Zwei Jahre währte der kaukasische Aufenthalt, während dessen er, dem Fürsten Argutinski-Dolgorukow zucommandirt, sich mehrfach auszuzeichnen Gelegenheit fand, so daß er zum Capitän befördert, mit dem goldenen Säbel für Tapferkeit und dem St. Wladimirorden 4. Classe belohnt, heimkehrte. Nach Wiederherstellung seiner durch den Feldzug angegriffenen Gesundheit wurde er von dem inzwischen nach Warschau versetzten Schilder dahin berufen und zum Adjutanten ernannt. Indessen bereits im folgenden Jahre (1852) erfolgte seine Versetzung zu den Gardeingenieuren nach Petersburg, wo er sich theoretischen Studien hingab und zugleich die Arbeiten der Gardesappeure im Lager zu Peterhof leitete. Als zwei Jahre [405] später der russisch-türkische Krieg ausbrach und Fürst Gortschakow den Generaladjutanten Schilder mit der Leitung der Geniearbeiten betraute, verwandte dieser sich abermals dafür, daß ihm T. als Adjutant beigegeben werde. Das geschah bei seiner gleichzeitigen Beförderung zum Oberstlieutenant. Am 26. Januar verließ er St. Petersburg in der festen Ueberzeugung, aus dem Feldzuge wohlbehalten heimzukehren: „die türkischen Kugeln sind nicht für mich gegossen“, heißt es wiederholt in den Briefen des Vertheidigers von Sebastopol. Nachdem er bei der Brückenlegung über die Donau thätig gewesen und vor Kalafat wichtige Recognoscirungen vorgenommen, leitete er unter Schilder und dann als dessen Stellvertreter vor Silistria die Belagerungsarbeiten der linken Flanke. Mit unermüdlichem Eifer 35 Tage in den Trancheen arbeitend, sprengte er das Fort Arab-Tabia in die Luft und bereitete dadurch die Einnahme der Festung vor. Doch als in der Nacht vom 8./20. Juni 1854 der Sturm auf dieselbe ausgeführt werden sollte, traf ein Befehl des Feldmarschalls Paskewitsch ein, der die Aufhebung der Belagerung und die Zurückziehung der russischen Truppen auf das linke Donauufer anordnete. Was T., der an dem Erfolge eines Sturmes nicht zweifelte, bei diesem unerwarteten Rückzuge empfand, drückte er in folgenden Zeilen eines Briefes aus: „Die ersten Trancheen vor Silistria habe ich errichtet und als letzter verließ ich dieselben, mit dem Gefühl, es habe mich jemand schwer beleidigt, ohne daß ich die Möglichkeit hätte, für die erlittenen schweren Verluste Genugthuung zu nehmen.“ Zu den schweren, auch persönlichen Verlusten vor Silistria hatte der für Tapferkeit mit dem Georgsorden und der Ernennung zum Oberst belohnte T. in erster Reihe seines väterlichen Freundes und Gönners Schilder Tod zu rechnen. Er schreibt über ihn: „Der Alte hat uns durch seine sonderbaren Ideen oft in Verzweiflung gebracht. Doch er war ein Mensch von Herz und Gemüth, und darum werde ich ihm stets ein gutes Andenken bewahren.“ Während die Armee nunmehr sich aus den Donaufürstenthümern zurückzog, wurde das Hauptquartier davon benachrichtigt, daß die Alliirten in der Krim zu landen beabsichtigten. Das veranlaßte den Fürsten Gortschakow, der wußte, daß es dem Fürsten Menschikow an einem erfahrenen Genieofficier fehle und daß Sebastopol nur von der Seeseite befestigt sei, ihm T. zur Verfügung zu stellen. Indessen war Menschikow von diesem Act feldherrlicher Collegialität offenbar nicht sehr erbaut, denn er empfing, wie der „Russische Invalide“ berichtet, den zukünftigen Vertheidiger Sebastopols höchst kühl und mit folgenden Worten: „Der Fürst Gortschakow hat in seiner Zerstreutheit gewiß vergessen, daß ich in Sebastopol ein Bataillon Sappeure besitze. Erholen Sie sich und kehren Sie dann zur Armee zurück.“ Doch T., zum Glück für Rußlands Waffen, auf die Möglichkeit eines solchen Empfanges vorbereitet, folgte dem Rathe Menschikow’s nicht, sondern machte sich daran, die vorhandenen Befestigungen in Augenschein zu nehmen und einen Plan zu deren Erweiterung auszuarbeiten. Durch seinen Eifer und beispiellose Energie in der Arbeit erwarb er sich bald die Freundschaft und Unterstützung der Admiräle Kornilow, Nachimow und Istomin, endlich auch das Vertrauen des Fürsten. Zwar wollte dieser an die Möglichkeit einer Landung nicht glauben, aber nach der Schlacht an der Alma erkannte auch er den verzweifelten Ernst der Lage und ließ T. gewähren. Auf dessen Anregung erfolgte die Sperrung des Hafens durch Versenkung von 10 Kriegsschiffen und die Befestigung der Stadt von der Landseite in einer Ausdehnung von nicht weniger als 7500 Meter. Woran man zuerst nicht gedacht, was hernach für unausführbar gehalten ward, das erzwang der feste Wille eines Mannes, er schuf eine Festung aus nichts und hat den an Zahl und Ausrüstung überlegenen Feinden einen Widerstand entgegengesetzt, dem Rußland allein es zu danken hat, daß ihm ein glimpflicher [406] Friedensschluß gewährt wurde. Am 31. August (12. September) 1855 äußerte sich der Fürst Gortschakow in einem Tagesbefehl wie folgt: „Es ist ein Ereigniß ohne Beispiel in den militärischen Annalen, daß eine in der Eile, im Angesicht des Feindes befestigte Stadt sich so lange (349 Tage) gegenüber einem Angreifer zu halten vermochte, dessen Angriffsmittel das Maaß aller üblichen Berechnungen weit überschritten.“ Unter den zum Schluß dieses Tagesbefehls aufgeführten Personen befindet sich ziemlich an letzter Stelle auch Todleben’s Name. – Die Geschichte weist ihm den ersten Platz zu. Uebrigens hat der Fürst jenen auffälligen Fehler wieder gut gemacht, indem er in seinem an den Kaiser gerichteten Rapport über den Verlauf der Vertheidigung Sebastopols, die Verdienste Todleben’s, „der trotz seiner Leiden bis ans Ende die Vertheidigungsarbeiten leitete“, besonders hervorhebt. Diese Leiden rührten von einer türkischen Gewehrkugel her, die den bereits zum General Beförderten, als er im Feuer die Vertheidigungsarbeiten besichtigte, in die Wade des rechten Beines traf. Die Wunde nahm bald einen bedenklichen Charakter an und gab wegen der um Sebastopol herrschenden Krankheiten zu den schlimmsten Befürchtungen Anlaß. Aus diesem Grunde bewirkte es der ihn behandelnde Arzt und Landsmann, Professor Dr. v. Hübbenet aus Kiew, daß der General in das Thal Balbek gebracht wurde, wo reine Luft und die sorgsamste Pflege einem bösen Ausgang der Krankheit entgegenwirkten. Und so bewahrheitete sich das Wort, daß für T. eine türkische Kugel nicht gegossen sei. Doch auch auf dem Krankenbett gab sich der pflichtbewußte Soldat nicht der Unthätigkeit hin, sondern ertheilte Befehle und Weisungen, führte die Vertheidigung bis zu Ende. Es hat nicht an Neidern und Mißgünstigen gefehlt, die T. seine Lorbeeren von Sebastopol streitig machten, namentlich einem Nationalrussen, dem Oberst Melnikow zuerkennen wollten. Die Wahrheit ist aber doch durchgedrungen und hat alle diese kleinlichen Intriguen zu Schanden gemacht. Zum Generaladjutanten des Kaisers Alexander II. ernannt und auf das reichste decorirt verließ T., nachdem er noch Pläne zur Vertheidigung der Stadt Nikolajew und der Mündung des Dniepr ausgearbeitet hatte, im November 1855 den südlichen Kriegsschauplatz, um die Befestigung Kronstadts ins Werk zu setzen. Von den zahlreichen, dem Helden von Sebastopol erwiesenen Ehrenbezeigungen, seien die von seiner engeren Heimath ihm entgegengebrachten – die Aufnahme in die Verbände der baltischen Ritterschaften und die Ertheilung des Ehrenbürgerrechts der Städte Riga und Reval hervorgehoben.

Nach dem Abschluß des Pariser Friedens (1856) wurde der Generaladjutant v. T. mit einer Besichtigung der Befestigungen von Sweaborg, Reval, Baltisch-Port und Riga betraut, und nachdem er in Moskau der Krönung Alexander’s II. beigewohnt hatte, von diesem ins Ausland gesandt, um einerseits sich zu erholen, andererseits mit dem Auftrage, die Festungen Deutschlands, Frankreichs, Belgiens und Italiens zu studiren. Ueberall in zuvorkommendster Weise empfangen, kehrte er im October 1858 nach St. Petersburg zurück, um die Leitung des gesammten russischen Geniewesens zu übernehmen. – Für Rußland trat jetzt eine langjährige Friedenszeit ein, während der es galt, die aus dem Krimkriege gezogenen Lehren praktisch zu verwerthen. Ob das auf allen Gebieten des russischen Militärwesens geschehen, mag dahingestellt bleiben, daß T. diesen Zeitraum nicht müßig gewesen, sondern auf die tüchtige Ausbildung von russischen Ingenieuren hingewirkt und beständig an der militärischen Stärkung aller strategisch wichtigen Grenzpunkte gearbeitet hat, ist zweifellos. In diese Jahre fällt auch die Abfassung seines in drei Sprachen erschienenen Werkes: „Die Vertheidigung von Sebastopol“. Mit größtem Interesse folgte er den Kriegsereignissen von 1866 und 1870. Seine persönlichen und militärischen [407] Sympathien waren auf Seite Preußens, beziehentlich Deutschlands. In dieser Hinsicht ist der folgende Ausspruch Kaiser Alexander’s II. von Interesse: „Was mir Todleben mittheilt, geht genau in Erfüllung, was andere mir berichten, wird durch die Thatsachen nicht bekräftigt.“ Als im J. 1876 am politischen Horizont Rußlands sich Kriegswolken zu zeigen begannen, wurde T. plötzlich nach Livadia berufen und erhielt dort den Auftrag, Odessa, Sebastopol, Kertsch in Vertheidigungszustand zu setzen. Die in dem bewährten Feldherrn hierdurch erregte und gewiß berechtigte Erwartung, falls es zum Kriege komme, in ihm mitwirken zu können, erwies sich als Täuschung. Ihm ward der Auftrag, für die Armirung der Festungen und Häfen in der Ostsee Sorge zu tragen! „Ich glaubte“, so schreibt er mit feiner Ironie, „man werde mich rufen. Man hat mich in Petersburg belassen, mich mit der Befestigung der Ostseehäfen betraut. Offenbar mißt der Kriegsminister denselben, in der Befürchtung eines Zerwürfnisses mit England, eine besondere Bedeutung bei.“ Die kränkende Zurücksetzung verdankte der russische General deutscher Herkunft der Thatsache, daß er der panslavistischen Strömung, die tongebend geworden und Rußland frivoler Weise in diesen Krieg getrieben hatte, keinen Geschmack abzugewinnen verstand und in der ihm eigenen offenen und furchtlosen Weise seiner Meinung Ausdruck zu geben keinen Anstand genommen hatte. Nur slavisch empfindende Herzen sollten bei der Befreiung der Slavenbrüder mitwirken! Als aber Osman Pascha in Plewna den Russen durch eine improvisirte Festung, die, wie im Krimkriege Sebastopol, angesichts des Feindes errichtet wurde, einen Widerstand entgegensetzte, den dreimaliges Stürmen zu brechen nicht vermochte, da endlich gelangte der vom Kaiser Alexander II. präsidirte Kriegsrath zu der Ueberzeugung, daß hier nur überlegene Kriegskunst, nicht aber das nationale Empfinden, wenn auch mit Tapferkeit verbunden, zum Ziele führen könne. So wurde denn durch die Macht der Verhältnisse dem Gekränkten die glänzendste Genugthuung. Der Kaiser berief T. nach Plewna. Am 18./30. September besichtigte T. zum ersten Mal die Positionen vor der Festung und am 28. November (10. December) erfolgte Osman Paschas Capitulation auf Gnade und Ungnade. Als nach Abschluß des Präliminarfriedens von St. Stefano das Erscheinen der englischen Flotte vor Constantinopel die Befürchtung neuer kriegerischer Unternehmungen wach rief, erhielt der inzwischen nach Petersburg heimgekehrte General, an Stelle des zum Feldmarschall ernannten Großfürsten Nikolaus, den Oberbefehl über die gesammte russische Streitmacht. Es sei hier noch erwähnt, daß ihm die nationalen Heißsporne vor Plewna nicht wenig zu schaffen machten. Sie wollten durchaus noch einen vierten Sturm versuchen, die Einschließung der Festung erschien ihnen, nach einer Aeußerung von Skobelew, „unrühmlich“. Ja, dieser ließ sich vom Großfürsten mündlich, unter Uebergehung Todleben’s, die Genehmigung zum Sturm ertheilen. Als dieser hiervon noch rechtzeitig Kenntniß erhielt, untersagte er den Sturm und nahm auch keinen Anstand, den Großfürsten selbst auf das Unzulässige solchen Verfahrens aufmerksam zu machen. Nach Schluß des definitiven Friedens kehrte der Feldherr, geschmückt mit dem St. Georgsorden 2. Classe und dem St. Andreasorden, im März 1879 heim. Am 5./17. October 1879, dem 25. Jahrestage des ersten Bombardements von Sebastopol, wurde T. mit seiner Descendenz in den Reichsgrafenstand erhoben. Inzwischen hatte der Nihilismus im Reich sein Haupt erhoben, die Ermordung des Gouverneurs von Charkow, Krapotkin, die Mordversuche auf das Leben des General Drentelen und am 2./14. April auf die Person des Kaisers selbst, verlangten ein energisches Eingreifen und führten zur Ernennung von mit besonderen Vollmachten ausgestatteten Generalgouverneuren in Petersburg, Charkow und Odessa. An letzteren Ort wurde T. gesandt, um dort den Kampf gegen [408] den inneren Feind zu führen. Bis zum Mai 1880 hat er diese Stellung bekleidet, um darauf das Generalgouvernement und das Commando der Truppen von Wilna, Kowno und Grodno zu übernehmen. Man hat ihm in einem Theil der russischen Presse den Vorwurf großer Härte, die er in Odessa bewiesen hätte, gemacht, namentlich in der Anwendung administrativer Beahndungen und Verbannungen. Es ist hier nicht der Ort die Berechtigung derselben zu erörtern, doch möge hervorgehoben werden, daß diese Presse weder das System der administrativen Maßregelung, noch dessen Handhabung durch national russische Beamte gerügt hat, wenn es sich keineswegs um Staatsverbrecher handelte, sondern um die Beseitigung aus irgend einem Grunde unbequemer Personen, wie etwa der Stundisten, lutherischer oder katholischer Geistlicher. Diese Thatsache gibt einen Maaßstab zur Beurtheilung jenes Vorwurfes gegen den General deutscher Herkunft. In seiner letzten amtlichen Stellung hat T. unausgesetzt sich den Arbeiten zur militärischen Sicherung der Grenzen hingegeben. Seit dem Jahre 1882 begann es mit seiner Gesundheit zur Neige zu gehen. Zur Wiederherstellung derselben begab er sich nach Deutschland, und beendete am 19. Juni (1. Juli) 1884, nach schwerem Leiden, in Bad Soden sein ruhmreiches Leben. Die Leiche wurde nach Riga gebracht, wo sie in der Familiengruft bestattet werden sollte. Doch auch dem Todten gegenüber machte der Staat, dem er gedient, seine Rechte geltend. Der regierende Zar wünschte, um des Verstorbenen außerordentliche Verdienste auch außerordentlich zu ehren, daß er in Sebastopol neben dem Fürsten Gortschakow die letzte Ruhestätte finde. Die Wittwe gab ihre Zustimmung, eingedenk des das gräflich Todleben’sche Wappen zierenden schönen Wahlspruches: „Treu auf Tod und Leben“.

Rigascher Almanach für 1858. – N. Schilder, Graf Eduard Iwanowitsch Todleben. Sein Leben und seine Thätigkeit. 2 Bde. St. Petersburg 1885 (in russischer Sprache). – A. Brialmont, Le General Comte Todleben, sa vie et ses travaux. Bruxelles 1884. – Russkaja Starina 1884, Bd. XLIII u. 1885, Bd. XLV. – O. Heyfelder, General Graf Todleben vor Plewna 1877.