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Artikel „Thorild, Thomas“ von Adolf Häckermann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 38 (1894), S. 118–119, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Thorild,_Thomas&oldid=- (Version vom 26. Dezember 2024, 06:33 Uhr UTC)
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Thorild: Thomas Th., ein geistvoller Denker, den man wegen seiner bahnbrechenden Bedeutung für die nationale Entwicklung der schwedischen Litteratur den Lessing Skandinaviens nennen darf, welcher jedoch seit seiner Uebersiedlung nach Schwedisch-Pommern im J. 1794 mit seinem Leben und Wirken Deutschland angehört, wurde geboren am 18. April 1759 auf dem Gute Blåsupp im Kirchspiel Svarteborg in Bohusland als Sohn eines Kronlehnsmannes und starb am 1. October 1808 als Bibliothekar und außerordentlicher Professor der Philosophie zu Greifswald. Seine akademischen Studien vollendete er auf der Universität zu Lund, begab sich sodann nach Stockholm und begann daselbst früh seine schriftstellerische Thätigkeit. Zwei Gedichte: „Die Leidenschaften“ und „Der Ackerbauer“ reichte er zur Preisbewerbung bei der Gesellschaft Utile dulci ein; doch ward ihm nach dem maßgebenden Urtheile Kellgren’s nicht der erste Preis zuerkannt, und persönliche Gereiztheit darüber mag bei dem später ausbrechenden Streit mit jenem Vorkämpfer des französischen Geschmacks über die Entwicklung der heimathlichen Litteratur mitgewirkt haben. Jedenfalls hat er in höherem Grade als irgend einer seiner Zeitgenossen eine neue Epoche in der Welt des Geistes für Skandinavien vorbereitet, als typischer Ausdruck jener gährenden, von reformatorischen, theils durch Rousseau, theils durch Ossian und Klopstock beeinflußten Zeitideen. Vereint traten Kellgren und Leopold gegen den jugendlichen Widersacher der französischen Geistesherrschaft auf; aber wie Lessing in Deutschland über Gottsched und dessen Anhänger, so triumphirte Th. in Schweden über den leeren Formalismus der Gegnerschaft. In seinen schriftstellerischen Leistungen trat jedoch, je entschiedener er sich den politischen und socialen Fragen zuwandte, der Dichter mehr und mehr hinter den Denker zurück. Zugleich erwarb er als Kritiker durch seine Streitschriften um so größere Bedeutung. Im J. 1784 begründete er die Zeitschrift „Der neue Kritiker“ und gab später die „Kritik über Kritiker nebst Entwurf zu einer Gesetzgebung im Reiche des Genies“ heraus. Er beschränkte sich jedoch nicht auf das litterarische Feld, vielmehr suchte sein für alles Edle und Gute schwärmender, gegen alles Niedrige und Gemeine von dem bittersten Haß erfüllter Geist auch in der Politik und im Staatsleben neue Bahnen zu eröffnen. Erklärte er doch selber, daß er nur den einen großen unveränderlichen Gedanken hier im Leben hege, die ganze Natur zu erklären und die ganze Welt zu reformiren. Da er nun verzweifelte, solches in der Heimath durchsetzen zu können, beschloß er 1788 nach England zu gehen. Zuvor wünschte er den Doctorgrad zu erwerben, indeß nach einer glänzenden, am 22. März 1788 vor dem Könige selbst abgehaltenen Disputation, überwarf er sich mit der Facultät und verließ Upsala, ohne sein Ziel erreicht zu haben. In Großbritannien angelangt, ging er an die Ausführung des abenteuerlichen Planes, eine Weltrepublik zu errichten, in welcher Gelehrte die legislative, Helden die executive Gewalt haben sollten. Obwohl er zu diesem [119] Zweck in der Landessprache, die er mit staunenswerther Schnelligkeit sich angeeignet hatte, mehrere Schriften und ein allgemein anerkanntes Gedicht auf Cromwell verfaßte, gelang es ihm jedoch auch dort nicht, einen Kreis „wirklich freier Männer“ um sich zu sammeln. Nach zweijähriger Abwesenheit kehrte er 1790 in die Heimath zurück und nahm seine publicistische Thätigkeit für die angestrebten hohen Ziele wieder auf, indem er mehrere politische, im freimüthigsten Sinne gehaltene Schriften herausgab. Wegen einer derselben, „Die Ehrlichkeit“ betitelt, verwies ihn, als Apostel französischer Revolutionsideen, die Vormundschaftsregierung während der Minderjährigkeit Gustaf’s IV. Adolf auf vier Jahre aus dem Lande. In der Folge begab er sich mit einem Reisestipendium ausgerüstet, welches ihm die Gunst des einflußreichen Reuterholm verschafft hatte, über Kopenhagen nach Deutschland, hielt sich längere Zeit in Hamburg und Lübeck auf und wählte sodann Greifswald zum bleibenden Wohnort. Damit begann die zweite Epoche seines wechselvollen Lebens. Der politischen Schriftstellerei entsagend, gedachte er nunmehr die deutsche Philosophie zu reformiren. Nach zweijähriger Verbannung ward er begnadigt und 1794 als Bibliothekar an der Universität Greifswald angestellt, mit welchem Amt er bald eine akademische Lehrthätigkeit zu verbinden strebte. In Greifswald erfolgte auch die kirchliche Einsegnung seiner Ehe mit Gustava Koßky, welche ihm aus Schweden nach dem Continent gefolgt war. Im J. 1797 promovirte er nachträglich zum Doctor der Philosophie. Mit einer außerordentlichen Professur betraut, las er vornehmlich über schwedische Geschichte, Litteratur und Sprache, sowie über Einleitung in die Studien und erwarb sich auch in der neuen Heimath allgemeine Anerkennung. Kosegarten nennt ihn einen Philosophen von lebendigem und scharfsinnigem Denken. Mit hervorragenden Geistern Deutschlands knüpfte er ein näheres Verhältniß an und ward von Reinhold, Jacoby und Herder (vgl. dessen Nachlese hist. Schrift. 1820, VIII, 439 ff.) wegen seiner tiefsinnigen Speculation hoch geschätzt. Schriftstellerisch war er nach wie vor sehr productiv. In den Jahren 1797–1804 erschien eine Reihe lateinischer Promotionsschriften verschiedenen Inhalts. Sein Hauptwerk war: „Maximum seu Archimetria“ (Berlin 1799), eine Mathematik des Wissens, welche den wahren Werth aller Dinge in theoretischer und praktischer Hinsicht aufzuzeigen sucht. Das lateinisch geschriebene Werk begleitete ankündigend und erläuternd eine deutsche Flugschrift: „Die Gelehrtenwelt“ mit dem Motto: Sapere aude (Berlin, 2 Thle.). An den großen Zeitereignissen nahm er fort und fort lebhaften persönlichen Antheil. In freier oder gebundener Rede richtete er an Alexander I. von Rußland, Papst Pius VII. und die französische Akademie der Wissenschaften verschiedene Schriften, die zum Theil in das 1801 erschienene Werk „Orpheus sive Panharmonion, literae saeculares pro humanitate“ aufgenommen sind. Seine letzten Lebenstage wurden durch die französische Invasion verkümmert, welche die stille Werkstatt seiner Gedankenwelt mit Kriegslärm erfüllte. Bestattet liegt er in einer Familiengruft, welche außer ihm auch Frau und Tochter, sowie den Schwiegersohn Florello und die früh verstorbene Enkelin umschließt, auf dem Friedhofe des Pfarrdorfes Neuenkirchen unweit Greifswald. Seinen Grabstein schmückt die selbst gewählte Inschrift: O viva viva divinitas, meae animae anima, tibi fui tibi sum.

Thorild’s gesammelte Werke, Upsala 1819–1824, neue Ausgabe von P. Hanselli 1873. – Verlds literaturens historia af Arvid Ahnfelt II, 594 ff. Stockholm 1875. – Nektar och Gift af Arvid Ahnfelt, Stockholm, I, 1–46. – Greifswalder Sonntagsbl. 1883, Nr. 4–18: Thomas Thorild, der skandinavische Lessing, ein schwedisch-deutsches Lebens- und Charakterbild.