ADB:Thünen, Johann Heinrich von

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Artikel „Thünen, Johann Heinrich von“ von Robert Zuckerkandl in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 38 (1894), S. 213–218, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Th%C3%BCnen,_Johann_Heinrich_von&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 22:43 Uhr UTC)
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Thünen: Johann Heinrich v. Th. wurde am 24. Juni 1783 auf dem väterlichen Gute Kanarienhausen im Jeverlande geboren. Nach dem Tode seines Vaters kam er 1789 nach Hooksiel in das Haus seines Stiefvaters von Buttel und erhielt hier den ersten Schulunterricht. Mit vollendetem 13. Jahre wurde er auf die sogenannte hohe Schule in Jever geschickt, wo er sich mit besonderem Eifer dem Studium der Mathematik widmete. Im J. 1799 ging er als Zögling auf das Gut Gerrietshausen bei Hooksiel, um die Landwirthschaft praktisch zu erlernen, drei Jahre später auf die landwirthschaftliche Lehranstalt zu Gr. Flottbeck, welche einige Jahre vorher von Lukas Andreas Staudinger begründet worden war; im Sommer 1803 hörte er Vorträge Thaer’s in Celle, und ließ sich im October 1803 als studiosus oeconomiae an der Universität Göttingen immatriculiren. Er blieb da durch zwei Semester, gab dann die Universitätsstudien mit Rücksicht auf seine Verlobung auf, und beschloß sich in Mecklenburg oder Pommern als Gutsbesitzer niederzulassen. Im Januar 1806 verheirathete er sich mit Helene Berlin und erwarb im J. 1810 das Gut Tellow, auf dem er bis an sein Lebensende seinen Wohnsitz hatte. Er widmete sich fortan der Pflege seiner Wirthschaft und ökonomischen Untersuchungen. Durch seine Arbeiten war Th. in weiten Kreisen bekannt geworden; namentlich galt er als erste Autorität auf dem Gebiete der Landwirthschaft. Von öffentlichen Stellungen hielt er sich fern, auch gebot ihm sein Gesundheitszustand einige Zurückhaltung. An akademischen Würden erlangte er das Ehrendoctorat der Philosophie von der Universität Rostock im J. 1830. An der Frankfurter Versammlung, zu deren Mitglied er gewählt worden war, wollte er theil nehmen, wurde jedoch durch Unwohlsein verhindert. Im Lande erfreute er sich großer Achtung und Beliebtheit, welche namentlich während der Unruhen des Jahres 1848 hervortrat. Er starb in Tellow am 22. September 1850 am Schlagflusse.

[214] Die wissenschaftlichen Arbeiten Thünen’s erschienen von 1814 angefangen meist in den Annalen der Mecklenburgischen Landwirthschaftsgesellschaft und betreffen vorwiegend landwirthschaftliche Fragen, einzelne behandeln indessen auch nationalökonomische Probleme. In Buchform veröffentlichte Th. bloß sein Hauptwerk. Im J. 1826 erschien der erste Band desselben. Eine zweite Auflage des ersten Bandes wurde im J. 1842 veranstaltet. Unter dem Titel: „Bestimmungsgründe für Arbeitslohn und Unternehmergewinn“ erschien im J. 1848 ein Bruchstück aus dem noch ungedruckten zweiten Theile des Hauptwerkes. Die erste Abtheilung dieses zweiten Bandes wurde im J. 1850 publicirt, die zweite Abtheilung und der dritte Theil sind erst nach Thünen’s Tode erschienen (1863). Eine dritte Auflage des gesammten Werkes erschien im J. 1875 in Berlin.

Der erste Band des Thünen’schen Hauptwerkes hat den Titel: „Der isolirte Staat in Beziehung auf Landwirthschaft und National-Oekonomie oder Untersuchungen über den Einfluß, den die Getreidepreise, der Reichthum des Bodens und die Abgaben auf den Ackerbau ausüben.“ Th. construirte den isolirten Staat, d. h. eine von keinem schiffbaren Flusse durchzogene, fruchtbare Ebene, aus gleichem Bodenbestand, in deren Mitte sich die einzige Stadt befindet, und die in eine uncultivirte Wildniß endigt, welche den Staat von der übrigen Welt trennt, zum Behufe der Feststellung des Einflusses, den die Lage der Grundstücke zum Markte auf die Grundrente und die wirthschaftlichen Betriebsformen ausübt. Th. glaubte, daß sich dieser Einfluß nicht unmittelbar aus der Erfahrung entnehmen lasse, da in der Wirklichkeit der ungleiche Reichthum des Bodens, die Existenz schiffbarer Flüsse und die ungleichen Entfernungen von den Handelsstädten mitwirken; soll die Bedeutung der Entfernung vom Marktplatze allein dargestellt werden, so müsse man sie „von dem Konflikt mit der Wirksamkeit anderer Faktoren befreien“, und diesem Ziele dient eben die Fiction des isolirten Staates. Th. stellt nun fest, daß die Rente des Landes, d. h. jener Betrag, der nach Abzug der Zinsen vom Werth der Gebäude, des Holzbestandes, überhaupt aller Gegenstände, die vom Boden getrennt werden können, von den Gutseinkünften noch übrig bleibt, mit der Entfernung des Grundstückes vom Markte sinkt und endlich verschwindet, daß demnach die Bodencultur, welche für den Markt arbeitet, bei einem gegebenen Marktpreise in der Stadt, an einem bestimmten Punkte des isolirten Staates aufhören muß. Je höher dieser Preis, um so weiter erstreckt sich die cultivirte Zone. Die Landrente entspringt demnach nicht allein aus dem Vorzuge, den ein Gut vor einem andern durch die Beschaffenheit seines Bodens besitzt, sondern auch aus dem Vorzuge der Lage. Dieses Ergebniß kann nicht als neu bezeichnet werden, da Ricardo ausdrücklich auf den Vorzug der Lage hingewiesen hatte. Allein einerseits hat Th. das Gesetz unabhängig von Ricardo gefunden, andrerseits hat er es genau nachgewiesen, und durch höchst elegante Berechnungen, die sich wieder auf seine überaus gründliche Kenntniß der Landwirthschaft stützen, über jeden Zweifel hinweggehoben. Nicht in diesem Rentengesetze ist die Bedeutung des ersten Bandes des isolirten Staates zu suchen, sondern in zwei andern Entdeckungen. Th. hat zuerst nachgewiesen, daß ein Grundstück, das wegen seiner Entfernung vom Markte bei intensiver Bewirthschaftung keine Grundrente abwirft, bei einem minder intensiven Betriebe noch eine Rente bringen kann, daß im isolirten Staat in immer größerer Entfernung von der Stadt die Koppelwirthschaft die Fruchtwechselwirthschaft, und die Dreifelderwirthschaft die Koppelwirthschaft ablösen wird. Demnach kann von einem absolut richtigen System des landwirthschaftlichen Betriebes nicht die Rede sein, das richtige System hängt vielmehr ab vom Getreidepreise, d. h. je niedriger der Getreidepreis, umsomehr sinkt die Intensität des Anbaues und von der Fruchtbarkeit, da niedrige Kornpreise auf die Rente [215] so wirken wie geringe Fruchtbarkeit. Bei gegebenem Getreidepreis verlangt also der reiche Boden eine intensivere, der arme eine minder intensive Bewirthschaftung. Das ist die berühmt gewordene Thünen’sche Lehre von der relativen Richtigkeit der verschiedenen landwirthschaftlichen Betriebssysteme. Die zweite bedeutungsvolle Lehre betrifft die Standorte der verschiedenen landwirthschaftlichen Productionen. Abgesehen von jenen Beschäftigungen, welche sich in der Nähe der Stadt ansiedeln müssen, weil sie Güter erzeugen, die ihrer Beschaffenheit nach den Transport nicht vertragen, werden sich die Productionen so um die Stadt herum vertheilen, daß jene die nächstgelegenen sind, deren Erzeugnisse bei großem Volumen geringen Werth besitzen, jene die entferntesten, deren Erzeugnisse bei geringem Volumen hohen Werth haben, und zwar deshalb, weil jene den weiten Transport wirthschaftlich nicht so vertragen, wie diese. Nach dieser Lehre kann Th. in seinem isolirten Staate der Forstwirthschaft, der Getreideerzeugung und der Viehzucht ihre Standorte anweisen.

Diese Lehren, deren Bedeutung von den wissenschaftlichen Forschern auf dem Gebiete der Landwirthschaft sofort nach dem Erscheinen des ersten Bandes des Thünen’schen Hauptwerkes erkannt wurde, sichern Th. einen ersten Platz in der Wissenschaft. Wie immer er diese und auch die andern Ergebnisse seiner Studien gewonnen haben mag, sicher ist, daß er sie durch eine überaus sorgfältige Prüfung aller Einzelheiten des landwirthschaftlichen Betriebes erprobt hatte, ehe er sie der Oeffentlichkeit übergab. Es ist wichtig, hervorzuheben, daß Th. trotz seiner speculativen Kühnheit an dem Grundsatze festhielt, sich von der Wirklichkeit führen zu lassen, eine Thatsache, die man, nach seiner Construction des isolirten Staates zu schließen, vielleicht in Zweifel ziehen möchte. In Wahrheit sammelte er mit unglaublicher Geduld auf seinem Gute durch eine sehr detaillirte Rechnung das Material, und mit größter Skepsis maß er seine Entdeckungen an demselben, wie es ihm andererseits sicher zu neuen Einsichten verhalf. Aus seinen Briefen erhellt, daß er einzelne Probleme zehn und mehr Jahre bearbeitete, ehe er sie für gelöst ansah. Freilich genügte seine Erfahrung in der Landwirthschaft nicht immer, um die Probleme der modernen Großindustrie richtig zu beurtheilen.

Der zweite Band erschien, wie erwähnt, in zwei Abtheilungen; beide führen den Titel: „Der naturgemäße Arbeitslohn und dessen Verhältniß zum Zinsfuß und zur Landrente“. Diese Untersuchung ist nicht so fruchtbar an wissenschaftlichen Ergebnissen wie das frühere Werk. Th. war einer der ersten deutschen Nationalökonomen, der die Bedeutung der heute sog. socialen Frage erfaßte. Schon im J. 1830 schreibt er, daß er einen furchtbaren Kampf zwischen den Capitalisten und Handarbeitern kommen sehe, „der zu seiner Entscheidung vielleicht ein halbes Jahrtausend voller Zerstörung und Elend bedarf“. Es drängte ihn, festzustellen, ob die gedrückte Lage der Arbeiter eine in der Natur begründete Nothwendigkeit sei. Mit diesem Problem war er durch mehrere Jahrzehnte beschäftigt; so bemerkt er im J. 1843: „In unserer Gesellschaft ist ein ungeheurer Grundfehler, der durch kein Palliativmittel zu heben ist. Mich beschäftigt dieser Gegenstand nun schon seit einem Vierteljahrhundert“. In sichtlichem Gegensatz zu Ricardo’s natürlichem Lohn sucht er den naturgemäßen Lohn, und entwickelt ihn für den isolirten Staat in folgender Weise.

An der Grenze der cultivirten Ebene ist Land, von gleicher Fruchtbarkeit wie das der cultivirten Ebene, umsonst zu haben. Hier ist es also in die Wahl des Arbeiters gestellt, ob er für Lohn arbeiten oder mit Hülfe seiner Ersparnisse ein Stück Land urbar machen und für eigene Rechnung auf demselben thätig sein soll. Man nehme an, daß sich eine Anzahl von Arbeitern zu einer Gesellschaft verbindet, um an der Grenze des cultivirten Landes ein neues Gut [216] anzulegen. Die zu diesem Zwecke verbundenen Arbeiter theilen sich in zwei Gruppen, die eine macht das Land urbar, errichtet Gebäude u. s. f. Die andere bleibt bei der früheren Lohnarbeit, und unterhält die erste aus jenem Ueberschuß, den ihr Lohn nach Abzug der zum Leben nothwendigen Beträge zurückläßt. Die Gesammtheit dieser Arbeiter nennt Th. „capitalerzeugende Arbeiter“. Beträgt der Lohn 120, jener Ueberschuß 20, so müssen fünf Arbeiter je ein Jahr arbeiten, um die 100 zu erübrigen, welche Ein Arbeiter haben muß, der das Land urbar macht. Sind zur Anlegung des Gutes 12 Arbeiter nöthig, so verzehren sie die Ueberschüsse von 60 Arbeitern, und am künftigen Gutsertrage participiren 72 Menschen. Je größer der erwähnte Ueberschuß, um so weniger Menschen werden sich zur Anlegung eines solchen Gutes zusammenthun. Angenommen, der Ueberschuß steige von 20 auf 50, so verzehren jene 12 Arbeiter die Ueberschüsse von bloß 24 Personen, und am künftigen Ertrage sind bloß 36 Menschen betheiligt. Allein andrerseits sinkt der künftige Gutsertrag mit dem steigenden Lohne. Wird das Arbeitsproduct aus der Bewirthschaftung des bereits vollständig angelegten Gutes auf 300 angesetzt, so stellt sich der Gutsertrag bei einem Lohne von 120 auf 180, bei einem Lohne von 150 auf 150, bei einem Lohne von 180 auf 120, bei einem Lohne von 210 auf 90. Da bei diesen Lohnsätzen die Anzahl der Gutseigenthümer 72, 36, 27 und 22,9 beträgt, so erhält jeder derselben als Antheil vom Gutsertrage 2,50, 4,16, 4,44 und 3,91. Diese Capitalsrente erreicht also bei einem Lohnsatze von 180 das Maximum. Es entsteht nun die Frage, wie viel Lohn muß man dem Arbeiter geben, um ihn abzuhalten die Lohnarbeit zu verlassen und selbständiger Landwirth zu werden? Th. antwortet: soviel, daß er für seinen Lohnüberschuß das Maximum an Capitalsrente erhält. Da auch der capitalerzeugende Arbeiter das Maximum der Rente erstrebt, so kommt man zu dem Ausdruck: „Der Lohn muß so hoch sein, daß der Ueberschuß des Arbeiters, auf Zinsen gelegt, gleich der Rente des capitalerzeugenden Arbeiters wird“. Der Arbeiter erhält aber die höchste Rente vom Lohuüberschusse, wie gezeigt, weder beim höchsten noch beim niedrigsten Lohne. Nennt man das Arbeitsproduct p, den Nothbedarf des Arbeiters a, den Lohnüberschuß y, und die Anzahl der Arbeiter, deren einjährige Arbeit erforderlich ist, um ein Landgut urbar zu machen, q, so beträgt die auf jeden einzelnen derselben entfallende Gutsrente

oder

Diese Function erreicht nun, wie die Differentialrechnung zeigt, das Maximum, wenn , das heißt, der naturgemäße Arbeitslohn ist, „die mittlere Proportionale zwischen dem Bedürfniß des Arbeiters und seinem Arbeitsproduct“. Bei diesem naturgemäßen Lohn haben Arbeiter und Capitalisten ein gemeinschaftliches Interesse an der Steigerung der Production; solange der Arbeitslohn gleich , ist der Arbeiter gegen Noth und Mangel geschützt.

Th. kommt also zu einer Harmonie der Interessen der Arbeiter und Capitalisten dadurch, daß er die Capitalisten und die Arbeiter als am Arbeitslohn und Capitalzins gleich interessirt hinstellt. Man hat diese sehr künstliche Construction auch für den isolirten Staat als unmöglich bezeichnet und die Richtigkeit des Ergebnisses in Frage gestellt. Darauf ist hier nicht einzugehen, weil Th. selbst ausdrücklich anerkennt, „daß in unsern europäischen Verhältnissen, wo kein herrenloses Land mehr zu finden und dem Arbeiter die Möglichkeit genommen ist, sich dem niedrigen Lohngebot seines Lohngebers durch den Anbau [217] eines bisher uncultivirten Stück Landes zu entziehen“ die Concurrenz über die Höhe des Lohnes entscheidet. Demnach wäre der naturgemäße Arbeitslohn Thünen’s selbst für den Fall seiner richtigen Berechnung doch ohne Bezug auf die wirkliche Lohnfrage und nur eine Construction für Verhältnisse, die in den civilisirten Staaten nicht vorkommen. Th. hat sich demnach auch keineswegs darauf beschränkt, den naturgemäßen Arbeitslohn für den isolirten Staat zu entwickeln, sondern er hat weitergehend auch noch angedeutet, wie die Arbeiterfrage in ihrer heutigen Gestaltung zu lösen wäre. Wie die Zustände jetzt beschaffen sind, liegt es nach seiner Ansicht im Interesse der Unternehmer und Capitalisten, den Lohn immer tiefer herabzudrücken; der Arbeiter wird auch durch Entdeckungen im Fabrikwesen nicht berührt, denn der ganze Zuwachs an Einkommen fällt den Unternehmern, Capitalisten und Grundbesitzern anheim. Ein Uebergang der Arbeiter zum Stande der Besitzenden sei wegen des bestehenden niedrigen Lohnsatzes nicht möglich, sie können kein Capital sammeln und ihren Kindern keinen Unterricht geben lassen, der diese zu einer höheren Stellung in der Gesellschaft befähigen würde. Wie ist aus diesem Zustande heraus zu kommen? Th. gibt folgende Antwort: In Wirklichkeit wird der Arbeitslohn durch die Concurrenz der Arbeiter regulirt; die Vermehrung der Arbeiter findet ihre Schranken im Mangel an Subsistenzmitteln; die Größe der Concurrenz ist also abhängig von den Kosten die es verursacht einen Arbeiter von seiner ersten Kindheit an bis zu dem Alter, wo er sich selbst ernähren kann, zu erziehen. Der Arbeitslohn ist also gleich dem Nothbedarf und den Zinsen von dem auf die Erziehung des Arbeiters verwendeten Capital. Untersucht man nun, welchen Einfluß die Erziehungskosten des Arbeiters auf den Arbeitslohn und auf die Rente ausüben, welche der Arbeiter für seinen Ueberschuß sich erwerben kann, so ergiebt sich, daß diese Rente ein Maximum ist, wenn der Arbeitslohn . In Worten ausgedrückt, die Höhe der Erziehungskosten erhöht den Lohn, und wenn die Arbeiter diese Kosten bis zu jenem Punkte steigern, wo ihre Arbeit das Maximum der Belohnung findet, so ist der Arbeitslohn gleich dem im isolirten Staate naturgemäßen Lohn. Die Arbeiter mögen also statt der größeren Zahl der Kinder der Welt besser unterrichtete und besser erzogene Kinder überliefern. Die Menschen müssen sich zur Beherrschung ihrer Leidenschaften erheben, dadurch gelangen sie zur Freiheit, zum Wohlstande, zum Glücke Aller. Th. erwartet also die Lösung der Arbeiterfrage durch die Beschränkung des Angebots von Arbeitskräften, und diese wieder von der Einsicht der Arbeiterschaft, die ihre Leidenschaften im eigenen Interesse beschränken soll.

Man kann auch diese Lösung nicht als richtig bezeichnen. Es zeigt sich jedoch, welche angestrengte Arbeit Th. an die Lösung der Lohnfrage wendete. Die Sympathien, welche er selbst der Arbeiterschaft entgegenbrachte, bewies er, indem er den Arbeitern in Tellow einen Antheil am Reinertrage dieses Gutes zuwendete. Uebrigens wäre es verfehlt, den zweiten Band des Thünen’schen Hauptwerkes allein nach dem Werthe der Formel des naturgemäßen Arbeitslohnes zu beurtheilen. Es finden sich vielmehr auch in diesem Bande einzelne sehr wichtige Entdeckungen. So hat Th. erfahrungsgemäß festgestellt, daß das Product des in einem großen Betriebe zuletzt angestellten Arbeiters geringer ist, als das der früher angestellten Arbeiter, und daß ebenso das Product des zuletzt angelegten Capitaltheilchens das geringste ist. Diese Lehre erklärt in allein befriedigender Weise, warum der Arbeitslohn und der Capitalzins sinken, wenn das Angebot an Arbeit und Capital steigt. Th. schließt daraus, daß in unserer Zeit eine Steigerung des Arbeitslohnes bei gleichbleibendem Werth der Producte eine Verminderung der anzustellenden Arbeiter bewirkt, und eine Steigerung des Werthes der Producte [218] bei gleichbleibendem Arbeitslohn die entgegengesetzte Wirkung hat. Da es im Interesse der Unternehmer liegt, die Zahl ihrer Arbeiter so weit zu steigern als aus der Vermehrung noch ein Vortheil für sie erwächst, so ist die Grenze dieser Steigerung da, wo das Mehrerzeugniß des letzten Arbeiters durch den Lohn, den derselbe erhält, absorbirt wird. Nicht minder wird das Capital insolange vermehrt, bis aus der Capitalvermehrung mehr keine erhöhte Rente hervorgeht. Da es für alle Arbeiter Einer Kategorie bloß Einen Lohn, und für alle Capitalien bloß Eine Rente geben kann, so gelangt Th. zu den beiden Sätzen „Die Nutzung des zuletzt angelegten Capitaltheilchens bestimmt die Höhe des Zinsfußes“ und „der Arbeitslohn ist gleich dem Mehrerzeugniß, was durch den in einem großen Betriebe zuletzt angestellten Arbeiter hervorgebracht wird“ oder „der Werth der Arbeit des zuletzt angestellten Arbeiters ist auch der Lohn derselben“. Ferner hat Th. darauf hingewiesen, daß der Unternehmer, je nachdem ihm das vortheilhaft erscheint, Arbeit durch Capital und Capital durch Arbeit ersetzt, und daß „auf der Grenze, bis zu welcher Capital und Arbeit mit Nutzen zu verwenden sind, die Kosten der Arbeit durch die Menschen im Gleichgewichte sind mit den Kosten der Arbeit durch das Capital“. Diese Lehren sind sehr werthvoll und wurden auch in den letzten Zeiten als solche anerkannt.

Es wäre möglich, auch noch andere Anregungen zu erwähnen, die Th. der Nationalökonomie gegeben, so sind z. B. seine handelspolitischen Ausführungen sehr interessant; ich verweise ferner auf seine Bemerkungen über den Einfluß der Erziehung auf das Arbeitsproduct, endlich auf die geistreiche Darlegung über den Menschen als Capital. Allein schon die vorstehende Wiedergabe der wichtigsten Lehren Thünen’s zeigt, daß wir es mit einem der originellsten, vorurtheilslosesten und hervorragendsten Forscher auf dem Gebiete der Nationalökonomie zu thun haben, dem bezüglich der Bereicherung der Wissenschaft unter seinen Zeitgenossen bloß Ricardo an die Seite zu stellen ist. Wenn Th. die Wissenschaft nicht in dem Grade beeinflußt hat, wie es der Bedeutung seiner Leistungen entspricht, so ist daran vielleicht zum Theile die Schwierigkeit seiner Schriften schuld. Hätte er eine andere Form der Darstellung gewählt, so würde er in viel weiteren Kreisen bekannt und anerkannt sein als es wirklich der Fall ist.

Auf die land- und forstwirthschaftlichen Detailarbeiten Thünen’s kann ich nicht eingehen. Ich mußte deshalb auch den dritten Theil des „isolirten Staates“, „Grundsätze zur Bestimmung der Bodenrente, der vortheilhaftesten Umtriebszeit und des Werthes der Holzbestände von verschiedenem Alter für Kieferwaldungen“ außer Betracht lassen.

Ein vollständiges Verzeichniß der Schriften Thünen’s befindet sich im Isolirten Staat, 3. Auflage, 2. Theil, 2. Abth., S. 440 ff.

Die wichtigste Quelle für das Leben Thünen’s ist: J. H. Thünen. Ein Forscherleben von H. Schumacher. Rostock 1868. 2. Aufl. ebd. 1883.