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Artikel „Stuber, Johann Georg“ von Wilhelm Wiegand in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 711–712, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Stuber,_Johann_Georg&oldid=- (Version vom 19. Dezember 2024, 22:36 Uhr UTC)
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Stuber: Johann Georg St., geboren am 23. April 1722 in Straßburg, † ebendas. am 31. Jan. 1797, hat als Vorläufer Oberlin’s, des bekannten Wohlthäters des Steinthals, segensreich in jenem armen Vogesenthale gewirkt. Nachdem er das Gymnasium seiner Vaterstadt absolvirt hatte, bezog er 1736 die heimathliche Universität, um Theologie zu studiren. Hier hatte Professor Reuchlin vor allem Einfluß auf ihn, er trieb eifrig Griechisch und vertiefte sich in das Neue Testament, bei einem längeren Aufenthalt in Mümpelgard erwarb er sich die fertige Beherrschung des Französischen. Nachdem er 1746 die Magisterwürde erlangt und 1748 als Prediger ordinirt worden war, nahm er 1750 eine Berufung auf die Pfarrei Waldersbach im Steinthale an. Er fand eine materiell wie geistig äußerst armselige Bevölkerung vor, seine Gemeinde konnte weder lesen noch singen. Er richtete zunächst Singschulen ein, seine Predigt war ein möglichst eindringliches Lesen und Erklären des Bibeltextes, dabei war er unablässig für Reparatur und Neubau von Kirchen und Schulen thätig. Gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin, einer Tochter Reuchlin’s, griff er die überall sich thürmenden Schwierigkeiten an, bis ein früher Tod sie nach kurzem Glück von seiner Seite riß. Dieser schwere Unglücksschlag veranlaßte ihn, die Stellung des Diakonus in Barr, in fruchtbarerer und milderer Gegend anzunehmen, wo er sich jedoch so wenig behaglich fühlte, daß er 1760 zum zweiten Male ins Steinthal ging. Die folgenden sieben Jahre waren die segensreichsten und arbeitsvollsten seines Lebens. Mit neuem Eifer nahm er sich der geistigen, sittlichen und materiellen Hebung der Steinthäler an. Er richtete Winterschulen für Erwachsene in den fünf Dörfern seiner Gemeinde ein, er schuf selbst ein methodisches Lesebüchlein der französischen Sprache, – die Steinthäler sprachen ein eigenes Patois, – seine Seelsorge erstreckte sich auf alle seine Pfarrkinder, er gab ihnen kleine französische Handbibeln ins Haus. Für die Mädchen führte er den Unterricht im Stricken und Flachsspinnen ein, mit der Anpflanzung von Esparsette auf dem armen Boden machte er Versuche, fast Alles mußte er selbst bezahlen, bis es ihm gelang in Straßburg Interesse und thatkräftige Unterstützung zu finden. Als er 1767 als Pfarrer an die St. Thomaskirche in Straßburg ging, sorgte er für sein Werk vor allem dadurch, daß er einen würdigen, in seinem Sinne arbeitenden Nachfolger gewann, eben jenen Oberlin. Mit unablässiger Theilnahme hat er später dessen Wirken begleitet, oft mahnend und warnend, wenn jener Feuergeist ihm die Grenzen zu überschreiten schien.

In Straßburg fand St. die verdiente Ruhe nicht. In dem engherzigen, theologischen Kreise daselbst stieß er überall an durch sein parteiloses Wesen, durch die einfache Natürlichkeit und praktische Gemüthlichkeit seiner religiösen Ansichten, durch sein Interesse für naturwissenschaftliche Dinge, dem er unbefangen auch in seinen vielbesuchten Predigten Ausdruck gab. Wiederholt citirte ihn der Straßburger Kirchenconvent zur Verantwortung und Vermahnung und beschloß endlich sogar seine Remotion, bis die Oberkirchenbehörde und an ihrer Spitze der Ammeister von Türckheim sehr energisch für ihn eintrat. Seine litterarische Arbeit erstreckte sich außer der Besorgung neuer Auflagen seiner kleinen Schul- und Erbauungsschriften vorzugsweise auf eine freiere und deutlichere Uebersetzung des Neuen Testamentes. So übertrug er den Römerbrief ins Französische und Deutsche, ebenso die Briefe an die Epheser und an Titus. Die Revolution begrüßte er zunächst mit Sympathie, doch suchte er von Anfang an beruhigend und belehrend auf die Massen einzuwirken. Er richtete feierliche Betstunden ein und für die Nationalgarde hielt er unter gewaltigem Zulauf alle vierzehn Tage in der Thomaskirche ergreifende, von patriotischem Schwung getragene „Nationalpredigten“. Es war das letzte Aufflammen seiner Kraft, völlig abgearbeitet und durch die furchtbaren Ereignisse des Jahres 1793 verdüstert [712] zog er sich von seiner Amtsthätigkeit zurück. Mit Mühe entging der Greis der Verhaftung, von den Seinigen liebevoll gepflegt suchte und fand er Trost in der Bibel; die Wiedereröffnung der Kirchen erlebte er noch, aber den Neuaufbau der protestantischen Kirche des Elsaß mußte er jüngeren Kräften wie Blessig und Haffner überlassen. Ein unermüdliches, beinahe leidenschaftliches Forschen nach Wahrheit, unwandelbare Pflichttreue, eine selbst ängstliche Bescheidenheit, das waren nach den Worten seines Biographen Grundzüge seines Wesens.

J. W. Baum, Johann Georg Stuber, der Vorgänger Oberlin’s im Steinthal und Vorkämpfer einer neuen Zeit in Straßburg. Straßburg 1846.