ADB:Strubberg, Friedrich August

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Artikel „Strubberg, Friedrich August“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 630–635, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Strubberg,_Friedrich_August&oldid=- (Version vom 24. November 2024, 14:00 Uhr UTC)
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Strubberg: Friedrich August (oder Armand) St., Schriftsteller unter dem Pseudonym Armand, wurde am 18. Mai 1808 als der Sohn eines reichen Großfabrikanten zu Kassel geboren. Obwohl der Vater, seit Jahren mit Glück in der Tabakindustrie thätig, in seinen kaufmännischen Plänen durch Napoleon’s Continentalsperre vielfach lahm gelegt und in der Führung des Geschäfts überhaupt beeinträchtigt ward, gewährte er St. die vorzüglichste Erziehung. Rastloses Schaffen, Ehren- und Gewissenhaftigkeit wurden außerdem ein wichtiges Erbtheil des Elternhauses. Zum Kaufmann bestimmt, trat St. 1822, frisch und hoffnungsfreudig einer rosigen Zukunft entgegensehend, als [631] Volontär in ein großes Handelshaus zu Bremen ein, dessen Geschäfte sich hauptsächlich auf Nordamerika bezogen. Da es St. glückte, sich binnen kurzem gerade in die seinen lebhaften Geist anregenden transatlantischen Angelegenheiten einzuarbeiten, so erhielt er bald einen Vertrauensposten im Contor seines Hauses. Von hoher schlanker Gestalt, blühendem Aussehen, feinen ausdrucksvollen Zügen, dabei von einnehmendem Auftreten in einer liebenswürdigen Art, so verstand St. es wohl damals wie hinsichtlich seines Wesens noch lange danach durch seinen Umgang zu fesseln und trotz eines gewissen ungeschminkten Selbstbewußtseins und seiner Jugend in der Gesellschaft eine gewisse Rolle zu spielen. Damit mag es zusammenhängen, daß er, etwa 1826, mit einem Mädchen aus hochachtbarer Familie zärtliche Beziehungen anknüpfte. Die Eifersucht eines Vetters seiner Geliebten, der auf deren Hand speculirte, provocirte einen öffentlichen Zusammenstoß mit St., und die Folge davon war ein Duell, in dem St. den neuen Tybalt lebensgefährlich verwundete. Rasch entschlossen schiffte er sich nach Amerika ein, wohin sein Dichten und Trachten schon seit geraumer Weile stand. Im Norden der Vereinigten Staaten lebte er nun drei Jahre, führte im Auftrage großer Handelshäuser weite Reisen aus und bereicherte so seine Lebens- und Sachkenntniß aufs mannigfaltigste. Aus diesen wohlbefriedigenden Verhältnissen riefen ihn im Spätherbst 1829 Familienangelegenheiten heim. Für den umfänglichen Absatz des väterlichen Exportbetriebs hatten nämlich die arg erschwerenden Zollschranken Beschränkung auf den Binnenverkauf im Kurfürstenthum Hessen erzwungen, und so nahte immer drohender der Zusammenbruch trotz der durch den Deutschen Zollverein geschaffenen Erleichterungen, weil die Bedrängniß der Napoleonischen Obherrschaft die Mittel des alten St. zu sehr mitgenommen hatte. So lange es zweckdienlich erschien, griff St. dem Vater unter die Arme; dann aber zog er, gegen Ende der dreißiger Jahre, zum andern Male über den Ocean, in dem gepriesenen Eden der Europamüden sein Glück zu gründen. In New-York, Baltimore, Richmond, sowie auch zu Havana vertrat er als Commissionär überseeische Handlungen der Alten Welt und erlangte bald durch Umsicht und gewinnendes Wesen eine angesehene kaufmännische und sociale Stellung. Infolge seines Verlöbnisses mit einer jungen Amerikanerin gerieth er wiederum mit einem vetterlichen Nebenbuhler aneinander, der St. forderte, aber in dem Zweikampfe fiel. Als Mr. Schubbert flüchtete St. zu Schiff nach den Südstaaten, um dort als Zwischenhändler nach den Indianerterritorien von neuem anzufangen. Der Dampfer sank vor Louisville an der virginischen Küste, Strubberg’s Habseligkeiten wurden zwar mitgerettet, aber ihr Zustand nöthigte St. doch zu längerem Aufenthalte in der Stadt. Ein Deutscher, Professor der dortigen Medicinschule, bewog ihn zum Studium seines Fachs, dem er sich auch sofort so eifrig unterzog, daß er nach zwei Jahren, als Dr. Schubbert promovirt, sich nach dem herrlichen West-Texas begab und da am Leone niederließ.

In einem Blockhause, das dreiseitig mit 14 Fuß hohen Pallisaden umzäunt war, brachte er hier einige kummerfreie Jahre zu, der Vielumgetriebene mit drei Landsleuten zusammen, drei scharfe Tagesritte von der nächsten menschlichen Behausung entfernt, stets in Fehde mit den waffengeübten Rothhäuten, die man sich bloß mit guten Gewehren vom Halse halten konnte. Strubberg’s spätere schriftstellerische Erstlinge widmen sich fast ausschließlich der Schilderung des Wanderer- und Einsiedlerdaseins, das er etwa ein Jahrzehnt hindurch geführt hat. Bringt uns sein litterarisches Debut „Bis in die Wildniß“ (4 Bände, Breslau 1858; 2. Auflage 1863), so lernen wir unmittelbar darauf „Amerikanische Jagd- und Reiseabenteuer aus meinem Leben in den westlichen Indianergebieten“ (Stuttgart 1858; 2. Auflage 1876) kennen, die St. der fern von ihm als Erzieherin gedrückte und unfreie Tage verlebenden heißgeliebten [632] einzigen Schwester zur Aufklärung über seine Umgebung und deren großartige Reize mit getreuer Anschaulichkeit und ungemeiner Frische erzählte. „Alte und neue Heimath“ (1859) und „An der Indianergrenze“ (4 Bände, 1859) zeigen dann seinen Blick durch die folgenden interessanten Erfahrungen stark vertieft, letzteres in rein ethnographischer Hinsicht wohl das gehalt- und lehrreichste unter Strubberg’s Werken. Als nämlich, gelockt durch die nach den Neuenglandstaaten gelieferten Nachrichten der Strubberg’schen Colonie, mehr und mehr „Grenzer“ und ähnliches gieriges Volk, das die nie betretenen Wälder urbar machen und die noch jungfräuliche Schöpfung ausschlachten wollte, nebst südstaatlichen Plantagen-Sclavenfürsten einrückten und so die Civilisation auch diese paradiesischen Triften beleckte, ward es St. in seinem Reiche zu eng und zu ungemüthlich. Da bot sich gerade eine willkommene Gelegenheit zu anderweitiger nützlicher Bethätigung dar. Der „Deutsche Fürsten- (oder sogenannte Mainzer-) Verein in Texas“ kam mit dem Ankaufe weiter Strecken und deren Besiedlung durch deutsche Einwanderer nicht recht vorwärts, hauptsächlich wegen des Mangels einer fachmännischen und landeskundigen Verwaltung. Für Unterkunft, Speise und Vorsichtsmaßregeln infolge des Klimawechsels sorgte niemand; die auf sich angewiesenen Ankömmlinge fielen der Pest und anderen Epidemien nach Tausenden zum Opfer. Da folgte St. dem Rufe, als Colonialdirector und ärztlicher Sachverständiger an die Spitze des Unternehmens zu treten. Er beseitigte rasch durch entschlossenes Eingreifen die Krankheiten völlig und legte die bald aufblühenden deutschen Städte Neubraunfels und ein Jahr darauf 170 km nordwärts im Indianergebiete am Perdinales Friedrichsburg an. Mehr als zwanzig Jahre danach hat St. in lebendigem Colorit „Friedrichsburg, die Colonie des deutschen Fürstenvereins in Texas“ (Leipzig 1867) der deutschen Lesewelt vorgestellt.

1846 entführte ihn beim Ausbruche der Feindseligkeiten zwischen den Vereinigten Staaten und Mexiko der Wunsch, letzteres Land bequem kennen zu lernen, seinem Friedenshandwerke. Unter General Scott machte er den ganzen Krieg mit, den er in „Scenen aus den Kämpfen der Mexikaner und Nordamerikaner“ (1859) als fein beobachtender Augenzeuge geschildert hat und dem auch das Buch „In Mexiko“ (4 Bände, 1865) entsprang, und schiffte sich bei der Landung in New-Orleans, Frühjahr 1848, sofort nach dem ärztearmen Arkansas ein, wo Cholera, Pocken und Sumpffieber grassirten. In Camden am oberen Washitaflusse verrichtete er Wunder der Heilkunst und gab dann dem Antriebe, sich daselbst seßhaft zu machen, nach. Ein neues anmuthiges Heim bezog er, practicirte und war daran, eine reiche Sclavenbesitzerin zu heirathen, als ihn auf einer Jagd nach Bären, die dort arg unter Pferden und Rindern wüsteten, ein giftiges Insect ins rechte Auge stach. Als er über ein Jahr lang dem Verluste des verletzten Gliedes entgegengearbeitet hatte, beschloß er 1854 eine einjährige Europareise, um zu retten, was noch zu retten war. Zwei Jahre lang consultirte er die namhaftesten Specialisten in Paris, Berlin, Göttingen, Heidelberg, Wiesbaden und Marburg ohne nachhaltigen Erfolg, bis er in Hofrath de Loew in Gräfrath bei Elberfeld den „liebenswürdigsten und tüchtigsten aller Augenärzte“ fand, der ihn nach wenigen Wochen, wenn auch mit verringerter Sehkraft, als geheilt entließ.

Inzwischen begann in Strubberg’s Adoptivvaterlande der Bürgerkrieg, der in den Südstaaten, wo sein Heimwesen stand, alle Verhältnisse umstürzte, indem die Sclaverei, auch für Arkansas der Nerv alles Wohlstandes, aufgehoben ward. Was St. besaß, flog in alle Winde; seine Braut starb. Der Roman „Sclaverei in Amerika oder Schwarzes Blut“ (3 Bände, Hannover 1862), noch vor der endgültigen Entscheidung zwischen Union und Conföderirten geschrieben, beweist [633] Strubberg’s humane Gesinnung in diesem Punkte, die trotzdem den richtigen Blick für das, was den seltsamen südstaatlichen socialen Zuständen Rechnung trägt, nicht verleugnet. Wie hätte auch ein Mann, der auf Pflanzungen, wo 500 Neger arbeiteten, die einst gezählten Halbgesunden zum Trinkwasser holen herauslesen mußte, gegen diese unglücklichen Geschöpfe nicht von dem gleichen brüderlichen Gefühle beseelt gewesen sein müssen wie gegen seine geistig ebenbürtigen Mitmenschen! Dieses Werk strömt übrigens am meisten wirklich dichterischen Hauch aus. St. blieb nun vorläufig in der Vaterstadt Kassel bei der theuren Schwester und begann, durch die unfreiwillige Muße veranlaßt, Bemerkenswerthes und Hervorstechendes aus dem Schatze seiner Erinnerungen aufzuzeichnen, anfänglich ohne weitergehende litterarische Zwecke. Unter Freunden gespendeter Beifall vermochte ihn, in der Kölnischen Zeitung (wo dann etliche seiner Romane ans Licht traten) eine Probe dem öffentlichen Urtheile zu unterbreiten. Die Versuche, deren Namen oben angeführt wurden, gelangen glänzend, weit über alle Erwartung, und so legte sich nun St. mit der ihm eigenen eifervollen Hingabe auf die schriftstellerische Ausmünzung seiner interessanten Kreuz- und Querfahrten. Schier unversiegbar strömte der Quell seines Gedächtnisses, wozu sich eine immer wachsende Fabulirkunst gesellte; bis Ende 1868 waren an 50 Bände Romane und Jugendschriften gedruckt. Es gehören hierher die Romane „Ralph Norwood“ (5 Bände, Hannover 1860), „Der Sprung vom Niagarafalle“ (4 Bände, 1864), „Saat und Ernte“ (5 Bände, 1866), „Der Krösus von Philadelphia“ (4 Bände, 1870), „Die Fürstentochter“ (2 Bände, 1872), „Die alte spanische Urkunde“ (2 Bände, 1872), „Zwei Lebenswege“ (1875), die als „Erzählung“ bezeichneten „Der Methodisten-Geistliche“ (1873) und „Die geraubten Kinder“ (1875), endlich die mehr memoirenartig gehaltenen „In Süd-Carolina und auf dem Schlachtfelde von Langensalza“ (4 Bände, 1868) und „Aus Armand’s Frontierleben“ (3 Bände, 1868). Die beiden letztgenannten bekunden besonders deutlich den Umstand, daß eigentlich sämmtliche einschlägigen Erzeugnisse Strubberg’s einer Zwittergattung zwischen dem echten Roman und der völkerkundlichen Studie beizählen, die vor und außer ihm nur Charles Sealsfield (d. i. Karl Anton Postel, s. d.), ein Litterat sehr ähnlichen Entwicklungsganges und nahe verwandten Stoffgebietes, mit Erfolg gepflegt hat. Auch technisch halten sie in der Regel zwischen Erzählung und Schilderung die Mitte. Von Strubberg’s verschiedenen Jugendschriften, die das aufrichtige Bestreben zeigen, den pädagogisch wie ästhetisch verwerflichen sogenannten Indianer-, Räubergeschichten und anderen Ausgeburten colportirter Schauerromantik, den Boden abzugraben ist die beste Nummer „Karl Scharnhorst“ (Hannover 1863; 3. Auflage, ebenda 1887). Am Ende seines bewegten Lebens blieb es ihm dann noch versagt, Lorbeeren als Dramatiker zu pflücken: „Der Freigeist“ (Kassel 1883) und „Die Quadrone“ (ebenda 1885), zwei Schauspiele, besaßen ebensowenig bühnenmäßigen Zuschnitt als die ungedruckte Tragödie „Gustav Adolf“. Nur ganz zuletzt zeichnete St. als Litterat mit seinem Familiennamen. Bis dahin war alles unter dem Pseudonym Armand erschienen.

Nach 1860 kehrte St. von Hannover, wo er einige Jahre gelebt hatte, zur Schwester nach Kassel zurück. Da besuchte eines Tages den Unvorbereiteten seine Bremer Jugendgeliebte, die, unvermählt, ihm die alte Neigung entgegenbrachte. Diese führte die beiden Sechziger zur Ehe und einer späten, aber kurzgespannten Seligkeit. Als S. einmal vor seiner Wohnung in der Königsstraße ankam, hörte er aus einem Auflaufe, eine Frau sitze, vom Wahnsinn befallen, halb nackt auf der Treppe. Es war sein Weib, das ihn gar nicht erkannte und bald in einer Anstalt an Tobsucht zu Grunde ging. Da erst erfuhr St., daß sie ihm ihren langen Aufenthalt im Irrenhause vor der Trauung verheimlicht hatte.

[634] Mit diesem schweren Schicksalsschlage, der ihm unendlich tief in die Seele griff, paarte sich eine andere bittere Enttäuschung, die hier in Strubberg’s eigener Darstellung vorgetragen sei. „Meine schriftstellerische Thätigkeit wurde durch eine neue Aufgabe unterbrochen, welche seitens der Agnaten eines depossedirten Hauses an mich gestellt wurde. Ich hatte den Prinzen W. kennen gelernt, der mich flehentlich bat, ihm beizustehen, seine Rechte an dem Fideicommiß-Vermögen des –schen Hauses gegen den preußischen Fiscus zu vertheidigen, da Preußen zugleich mit dem Lande auch dieses Privatvermögen an sich genommen hatte. Ich erklärte dem Prinzen, daß ich ja nicht Jurist sei und mir daher die nöthigen Kenntnisse fehlten, um eine solche Aufgabe mit Erfolg durchführen zu können; dennoch beharrte er bei seinem Ansuchen und ich versprach ihm, für ihn zu thun, was in meinen Kräften stehe. Ich begann die Angelegenheit und die dahin einschlagenden Rechte und Gesetze zu studiren, und lieferte dem Anwalte des Prinzen die Entwürfe zu den Eingaben bei den Behörden und den Gerichten. Da starb der depossedirte Fürst und Preußen legte dem Abgeordnetenhause einen Gesetzentwurf zur Genehmigung vor, wonach mit dem Tode des Fürsten das Familien-Fideicommiß-Vermögen des –schen Hauses in das preußische Staatseigenthum übergegangen sei. Man schrieb mir von Berlin, daß die Gesetzvorlage, wenn ich nicht etwas Besonderes dagegen thue, ohne Zweifel durchgehen und dann alle Rechte der Agnaten an dem Vermögen durch das Gesetz beseitigt werden würden. Ich ließ schnell einen Protest gegen die Vorlage drucken und im Abgeordnetenhause vertheilen, und dasselbe erklärte darauf, daß das Haus keine Behörde sei, welche solche Rechtsfragen zu entscheiden habe; das sei Aufgabe der ordentlichen Gerichte. Ueber diesen Protest wurde ich wegen Beleidigung des Fiscus in zwei Instanzen vor Gericht gestellt, doch beide Mal kostenlos freigesprochen. Die Rechte der Agnaten standen wieder hoch; mit rastloser Thätigkeit schlug ich alle erneuerten Angriffe des Fiscus darauf ab; ich vernichtete alle die unzähligen Angriffe in der Presse dagegen, lieferte die Entwürfe zu sämmtlichen Proceßschriften und hatte die Revisionsschrift an das Reichsgericht bereit, als die Regierung Vergleichsunterhandlungen einleitete, welche bald zu einem endgültigen Vergleichsabschlusse zwischen ihr und den Agnaten führten und wodurch einem jeden derselben 25 000 Thaler Jahresrente und ein Schloß zugestanden wurde. Dem Prinzen W. war die Rente auf sieben Jahre im voraus ausgezahlt worden und er hatte das Schloß R. im Werthe von 300 000 Thalern in Besitz genommen. Von allem diesem würde er ohne meine rastlose Thätigkeit für ihn niemals von Rechtswegen einen Pfennig erhalten haben; allein als ich ihn um Erfüllung des Entschädigungsvertrages zwischen ihm und mir ersuchte, weigerte er sich, mir für meine Thätigkeit für ihn etwas zu vergüten, und berief sich, als ich gegen ihn klagte, darauf, daß ich sein Advocat gewesen sei und als solcher kein Recht gehabt habe, noch einen Extravertrag über eine Vergütung für meine Arbeiten mit ihm zu machen, und daß mir nichts weiter als die Advocatengebühren zukämen.

Ich hatte zwölf Jahre Tag und Nacht für ihn gearbeitet, hatte meine schriftstellerische Thätigkeit dabei aufgeben müssen, welche mir etwa 3000 Thaler jährlich einbrachte, und hatte nur während der letzten vier Jahre monatlich 100 Thaler von ihm bezogen, weil ich etwa 3000 Thaler erspartes Geld auch ausgegeben hatte und nicht mehr aus eigenen Mitteln existiren konnte. Ich mußte den Prinzen verklagen und er wurde vom Gericht verurtheilt, den Vertrag mit mir zu erfüllen. Diese Behandlung war eine der unerhörtesten Erfahrungen meines 75jährigen Lebens, zumal da ich dem Prinzen nicht allein zu seinem jetzigen Vermögen verholfen, sondern ihm auch in andern wichtigen Lebensfragen mit gleicher Treue und Anhänglichkeit beigestanden hatte. Ich hatte ihn von [635] einer ihm unfehlbaren Untergang drohenden Krankheit befreit, gegen welche er in Deutschland und im Ausland vergebens Hülfe gesucht, hatte seinen Scheidungsproceß gegen seine erste Gemahlin geführt, hatte in seinem und seines spätern Schwiegervaters Auftrag eine Klage wegen vermutheter Vergiftung seiner Mutter bei der Staatsanwaltschaft eingeleitet, war im Interesse seiner Söhne aus erster Ehe thätig gewesen, hatte fortwährend seine Dienerschaft ergänzt, kurz, ich hatte alle seine häuslichen und geschäftlichen Angelegenheiten besorgt und war in seinem Interesse fast immer unterwegs gewesen, und nun hatte er mich in meinen alten Tagen zum Bettler machen wollen! Die Entrüstung über die mir angethane schmähliche Behandlung für alle meine treuen Dienste und Aufopferungen während so vieler Jahre warf mich auf das Krankenlager, von dem ich mich in meinen hohen Jahren nur langsam erholen konnte und wobei ich meine sonst so unverwüstliche Arbeitskraft fast eingebüßt habe, und so werde ich den noch sehr großen Schatz meiner Lebenserinnerungen wohl unbenutzt mit mir ins Jenseits hinübernehmen müssen.“

Nach all den traurigen Erfahrungen, die St. gesammelt hatte, ist ein Sinken seiner Lebensfreude, ein Erlahmen seiner anscheinend allen Anstürmen trotzenden Kraft nicht zu verwundern. In seinen dramatischen Spätlingen gelangt seine greisenhafte Stimmung stellenweise greifbar zum Durchbruch. Als auch seine Schwester, an der er über alles hing, todt war, übersiedelte er von Kassel, wo ihn nun nur schmerzliche Zeugnisse einer lieben Vergangenheit umgaben, nach dem ruhigen hessischen Landstädtchen Gelnhausen. Hier verbrachte er den Rest seiner Tage – er starb am 3. April 1889 – in Mäßigkeit und Einfachheit, wie er gewohnt war, in Beschaulichkeit und Zurückgezogenheit. Zunehmende Altersschwäche verhinderte den einst so überaus rüstigen Mann seinen Lieblingsplan einer genau durchgesehenen und nach den richtigen Gesichtspunkten verkürzten Gesammtausgabe seiner epischen Arbeiten zu verwirklichen. Aber auch ohne diese gewinnen wir aus kritischer Betrachtung seiner Leistungen den Eindruck eines weltklugen, grundgescheuten Mannes von gemäßigt modernen Anschauungen, eines anziehenden Erzählers und gewandten Stilisten, einer starken in sich gefestigten Persönlichkeit.

Weil er eben unter dem Decknamen Armand schrieb, wußte man lange genug fast nichts von ihm und seinem denkwürdigen Geschick – zumal er jede Auskunft beharrlich verweigert zu haben scheint – und so ist er auch in den meisten Handbüchern der Litteraturgeschichte nicht einmal genannt, neuerdings wohl nur in der Geschichte der deutschen Litteratur von Otto v. Leixner (2. Aufl., 1893, S. 1021 f.), übrigens ganz kurz. Nähere Mittheilungen brachte der etwas redselige Nekrolog von Otfrid Mylius (d. i. Karl Müller in Stuttgart), der persönliche Berührung mit St. gehabt zu haben scheint, in der Kölnischen Zeitung vom 18. August 1889, 2. Blatt. Dieser ausführliche Nachruf ist deshalb sehr verdienstlich, weil er vielerlei bisher ganz unbekannte Einzelheiten mittheilt, und für sie haben wir uns auch dankbar an diese einzige Quelle gehalten. Auch die Conversations- und die litterarisch-biographischen Fachlexika bieten nichts oder wenig Detaillirtes über Strubberg’s interessante Gestalt. In das Brockhaus’sche Conv.-Lex. hat ihn erst der Unterzeichnete für die jetzt erscheinende 14. Auflage hineingebracht, während „Brockhaus’ Kleines Conversationslexikon“ in der (neuesten) 4. Ausgabe von 1888 schon eine Notiz enthält, Meyer’s Conv.-Lexikon aber einen längeren Artikel.