ADB:Stolberg-Wernigerode, Anna Gräfin zu

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Stolberg-Wernigerode, Anna, Gräfin zu“ von Eduard Jacobs in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 373–376, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Stolberg-Wernigerode,_Anna_Gr%C3%A4fin_zu&oldid=- (Version vom 7. Dezember 2024, 18:37 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Band 36 (1893), S. 373–376 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Anna zu Stolberg-Wernigerode in der Wikipedia
Anna zu Stolberg-Wernigerode in Wikidata
GND-Nummer 138548579
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|36|373|376|Stolberg-Wernigerode, Anna, Gräfin zu|Eduard Jacobs|ADB:Stolberg-Wernigerode, Anna Gräfin zu}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=138548579}}    

Stolberg-Wernigerode: Anna, Gräfin zu St.-W., Oberin von Bethanien, geboren am 6. September 1819 zu Peterswaldau, † am 17. Februar 1868 in Berlin. Als das achte Kind des Grafen Anton zu St.-W. (s. u. S. 376) und seiner Gemahlin Luise, Freiin v. d. Recke, verlebte sie unter den Augen frommer Eltern in einem reichen Geschwisterkreise überaus glückliche Kinderjahre. Der Sinn für Wohlthätigkeit wurde durch das Beispiel von Eltern und Großeltern von frühester Jugend an geweckt. Der schlichten Einfachheit des Vaterhauses entsprach das Wesen der ersten Erzieherin Kleophea Schlatter, Tochter der in weiteren Kreisen bekannten Anna Schlatter aus St. Gallen. Als diese sich nach vier Jahren vermählte, folgte auf die deutsche Schweizerin die französische Mlle. Guyonet, die bei siebenjähriger erfolgreicher Lehr- und Erziehungsthätigkeit gleich ihrer Vorgängerin sich ein stets dankbares Gedenken in der Familie stiftete.

Während patriotischer Sinn durch des Vaters aufopfernden Antheil an den Geschicken des Vaterlands und den Verkehr mit den Edelsten des Volks in der Jungfrau geweckt wurde, erhielt sie auch Nahrung für Geist und Gemüth durch Pflege des Schönen, besonders der Tonkunst. Entscheidend aber wurde für ihren späteren Lebensberuf des Vaters Versetzung nach Düsseldorf im J. 1834. Es war dies die Zeit, in der die Fliedner’schen Wohlthätigkeitsanstalten in dem benachbarten Kaiserswerth gegründet wurden. Gar bald sehen wir den Grafen mit dem Pastor in der kleinen Landstadt zu gemeinsamer Thätigkeit verbunden; letzterer hilft 1835 dem Grafen bei Begründung der ersten Kleinkinderschule in Düsseldorf, im nächsten Jahre aber wird der erstere Mitbegründer und Vorsitzender des ersten rheinisch-westfälischen Diakonissenvereins. Mit dem Haupte des Hauses wurde auch die ganze Familie für das wichtige Diakonissenwerk gewonnen und trat mit Kaiserswerth und P. Fliedner in lebhaften Verkehr. Ebenso wurde das noch näher gelegene Düsselthal, die Stiftung des Grafen v. d. Recke für verwahrloste Mädchen, mit lebendiger Theilnahme aufgesucht. Weniger geeignet für die Entfaltung dieser Interessen war dann der Aufenthalt in Magdeburg von 1837–1840, aber sie wurden doch wach gehalten durch die daselbst eifrig verfolgten Kaiserswerther und Düsselthaler Berichte, sowie diejenigen der Amalie Sieveking über die Thätigkeit des Hamburger Frauenvereins. Als dann aber ihr Vater Ende 1840 als Wirklicher Geheimer Rath und zwei Jahre später als Hausminister dem König Friedrich Wilhelm IV. persönlich nahe trat, da fand jenes Streben nach Schöpfungen christlicher Liebesthätigkeit die reichste Nahrung. In Berlin hatte ziemlich gleichzeitig mit Fliedner, Joh. Goßner, der auch schon früh mit Gliedern des Hauses Stolberg-Wernigerode in naher Verbindung stand, durch seinen Frauenkrankenverein, das Elisabethkrankenhaus, Kleinkinderschule und seine Thätigkeit für äußere Mission in ähnlicher Weise gewirkt. Am königlichen Hofe hörte A. auch das zündende hinreißende Wort des 60jährigen englischen Gefängnißapostels, der Elisabeth Fry, die auch eine „Ansprache an die Frauen und Jungfrauen Deutschlands“ in Druck gab. Aber mit Fliedner selbst [374] stand der König in lebhafter Verbindung und suchte mit seiner Hülfe auch in Berlin ein dem seinigen gleiches Unternehmen zu begründen. Nachdem Fliedner am 15. Juni 1843 die ersten fünf Diakonissen in der Charité eingeführt hatte, ging der König nach Besprechung mit seinen vertrautesten Räthen, darunter Anna’s Vater, an die Begründung eines Diakonissen-Mutterhauses in großem Maaßstabe, das den Namen Bethanien erhielt und am 10. October 1847 mit neun Kaiserswerther Diakonissen eingerichtet wurde. Diese, der Leitung der ihr befreundeten Oberin Marianne v. Rantzau unterstellte Anstalt besuchte A. ebenso wie ihre Schwestern seit der Zeit ihrer Eröffnung, und bereitete sich so auf die Krankenpflege vor. Auch einige Ereignisse in und außerhalb des Vaterhauses dienten noch dazu, A. und ihre Schwestern dem Diakonissenberuf zuzuführen. Kurz vor dem Ausbruch der Revolution im J. 1848 unternahm ihr Vater, mit reichen Mitteln und den ausgedehntesten Vollmachten ausgerüstet, eine mehrwöchentliche Reise in die vom Typhus heimgesuchte Provinz Schlesien, wodurch er und die Seinigen einen genauen Einblick in die Nothlage der dortigen Bevölkerung gewannen. Um diese Zeit gründete Anna’s Vetter Graf Friedrich zu St.-W. ein Mädchenwaisenhaus zu Altdorf bei Pleß, der Vater aber nach dem am 27. März zu Wernigerode erfolgten Tode seiner Tochter Friederike ein kleines Diakonissenhaus zu Leppersdorf bei Kreppelhof, das nach einer 1844 verstorbenen Tochter den Namen Mariannenstift erhielt. Dieser Stiftung dienten nun die Schwestern Bertha, Anna und Charlotte wie Diakonissen, arbeiteten auch mit aller Anstrengung an einem Teppich zum Verkauf, sowie an Wäsche und Kleidern für die Ausstattung derselben. Im J. 1850 aber trat Charlotte. die jüngste der Schwestern, als dienende Schwester zu Bethanien ein, um sich als Diakonissin auszubilden. Schon war der 10. Mai 1851 zum Tage ihrer Einweihung in dieses Amt festgesetzt, als sie sich durch besondere Fügung sechs Tage vorher mit dem bekannten Oberpräsidenten v. Kleist-Retzow verlobte. Da nun nur noch zwei Töchter im Hause waren, so hielt diese die Rücksicht auf ihre Eltern noch einige Zeit zurück, ihren Wunsch, der ursprünglichen Absicht ihrer jüngsten Schwester zu folgen, zu offenbaren. Als sie das nach Jahr und Tag doch thaten, erhielten sie der Eltern freudige Zustimmung zu diesem Unternehmen, doch sollte eine zur Stütze des Hauses bei den Eltern zurückbleiben. Anna, die jüngere, wurde aber zum Diakonissenberuf bestimmt, und betrachtete den 18. October, an welchem sie die elterliche Erlaubniß erhielt, bis ans Ende als einen wichtigen Feiertag. Das ernste, früh beginnende Tagewerk der Diakonissen in ihrer einfachen Tracht und sehr beschränkten Wohnungsverhältnissen erforderte viel Entsagung, die aber A. mit Freude übte. Zuerst Probeschwester, wurde sie bei treuem Eifer und wegen der durch längere Bekanntschaft mit dem Diakonissenwesen erlangten Vorübung, schon am 18. April 1854 Diakonissin. Die schon seit längerer Zeit leidende und befreundete Oberin Marianne v. Rantzau ernannte sie zu ihrer Stellvertreterin. Als dieselbe aber am 5. Januar 1855 gestorben war, wurde A. vom Curatorium der Anstalt einstimmig zu ihrer Nachfolgerin erwählt. Am 2. Februar fand dann in Gegenwart des Königs und der Königin die feierliche Einweihung der neuen „hochwürdigen Oberin und Frau“ in ihr Amt durch den Hofprediger Snethlage statt. Dasselbe wurde mehr und mehr ein sehr arbeitsreiches und bedeutsames, da bald die Zahl der 50 Stellen auf das dreifache stieg. Außerordentliche Ereignisse stellten dann Anforderungen an die Leitung der Anstalt, die zu erfüllen immer schwerer wurde. Zunächst war die Oberin berufen, an 24 Tochterhäusern – auf diese Zahl stiegen dieselben in schneller Folge unter ihr von den vorherigen zweien an – 74 Schwestern einzuführen, die sie mit besonderem Geschick zu ihrem Werke anleitete. Die Zahl der Krankenbetten stieg auf 300. Trotz der dadurch bedingten Arbeitslast wußte [375] A. noch Zeit für eine reiche private Wohlthätigkeit außerhalb des Hauses zu finden, wobei die mit Liebe und Verehrung an ihr hangenden Schwestern sie mit Nähen und Stricken kräftig unterstützten. Im J. 1856 unternahm sie in Begleitung des Hausgeistlichen eine lehr- und erfolgreiche Besuchsreise zu verwandten Anstalten nach Dresden, Kaiserswerth, Straßburg, Riehen bei Basel, St. Loup im Waadtland, Boudry bei Neufchâtel und nach dem erst 1852 durch Pastor Löhe gegründeten Neuendettelsau. Die erste Gelegenheit, das christliche Liebeswerk der Anstalt in einem außerordentlichen Falle zu bewähren, bot der deutsch-dänische Krieg im J. 1864, bei welchem die großen Verdienste ihres Bruders Eberhard, Kanzlers des Johanniterordens, ihr die Wege bahnten. Mit diesem, der Gräfin Eberhard, gebornen Prinzessin Reuß, die ihren Gemahl kräftigst unterstützte, dem Grafen Ernst zur Lippe-Weißenfeld und zwei Brüdern des Rauhen Hauses in Hamburg eröffnete sie nebst zwei Diakonissen von Bethanien das erste Kriegslazareth zu Altona. Weitere Diakonissen von Bethanien, Kaiserswerth, dann auch römisch-katholische Schwestern, folgten. Die schwere Arbeit begann am 6. Februar 1864 mit acht verwundeten österreichischen Soldaten. Natürlich wurde kein Unterschied zwischen Freund und Feind, Preußen, Oesterreichern und Dänen gemacht. Diakonissen, Johanniter und freiwillige Krankenpfleger trugen das rothe Kreuz als Zeichen der Unverletzlichkeit am Arme. Bald füllte sich das Lazareth in Altona, und mit dem Vorrücken des Kriegsschauplatzes wurde ein neues mit 50 Betten zu Flensburg gegründet. Nach Flensburg begab sich die Oberin mit neun Diakonissen. Zuletzt war sie mit 20 derselben und sechs freiwilligen Kriegsschwestern in den Lazarethen auf dem Kriegsschauplatze, kehrte aber nach der Erstürmung der Düppeler Schanzen nach Bethanien zurück, weil dieses Haus, das auch zum Kriegslazareth geworden war, ihrer Anwesenheit dringend bedurfte. Beim böhmischen Feldzuge 1866 brachte sie ihre Diakonissen nach Görlitz, kehrte aber bald nach Berlin zurück, wo wieder große Anforderungen an sie gestellt wurden. Die gnädige Absicht König Wilhelm’s, die aufopfernden Diakonissen durch eine Kriegsdenkmünze auszuzeichnen, lehnte sie dankbar ab. Auf das Kriegsjahr 1866 folgte im nächsten eine große Hungersnoth in Ostpreußen, besonders Masuren, wo gegen Ende 1867 der Hungertyphus ausbrach. Als nun hier unter ihrem Bruder Eberhard die Johanniter ihr Liebeswerk begannen, und außer ihren Krankenhäusern zu Bartenstein und Gerdauen auch an dem Hauptherde der mörderischen Seuche, dem Städtchen Rhein, ein Lazareth einrichteten, machte sich, trotz der Ueberfüllung ihrer Anstalt mit Kranken, die Oberin am 17. Januar 1868 selbst mit zwei Schwestern nach Rhein auf, während sie zwei andere nach Gerdauen und Bartenstein sandte. Das Elend, die Noth und der Schmutz, den sie hier vorfand, spotteten jeder Beschreibung: „das Herz stand mir still, als ich zuerst in diese Pesthöhle trat“, äußerte sie selbst, „solch menschliches Elend habe ich noch nie gesehen.“ Trotzdem blieb sie stark und rüstig, und leistete in den nur kurzen Tagen ihres Aufenthalts in Rhein außerordentliches. Ein Lazareth für 40 Typhuskranke wurde in einem geeigneten zu diesem Zweck erworbenen Hause eingerichtet. Am 25. Januar verließ sie Rhein, am 28. war sie wieder in Bethanien und erstattete alsbald der Königin in Charlottenburg Bericht. Aber sie hatte den Keim des Todes von ihrer Reise mitgebracht. Noch hatte sie die Freude, 100 Thlr., welche ihr Bruder Eberhard für ihre Pfleglinge in Ostpreußen geschenkt hatte, durch sorgfältig gemachte Ankäufe zu verwenden, am 3. Februar einer Sitzung des Raths über die Absendung einer Schwester nach Rhein und der Aufnahme von zwei Probeschwestern beizuwohnen, dann mußte sie sich legen. Am 8. traten die ersten äußeren Zeichen des Fleckentyphus hervor, dem sie in der ersten Stunde des 17. Februar erlag. – So schlicht auch das Begräbniß an sich eingerichtet [376] wurde, so großartig gestaltete sich dasselbe durch die Huldigungen, welche zu Ehren der edlen Entschlafenen freiwillig dargebracht wurden, die freiwillig und frohgemuth ihr Leben dem Wohl der ärmsten unter ihren Mitbrüdern geweiht hatte. Der König legte selbst einen prächtigen Lorbeerkranz mit schwarz-weißen Bändern auf den einfachen schwarzen Sarg, wozu die Königinnen Augusta und Elisabeth weiße Rosen und Camelien fügten. Ihr väterliches Erbe vermachte die Oberin halb dem Mariannenstift zu Leppersdorf, halb dem Hause Bethanien.

Arnold Wellmer, Anna, Gräfin zu Stolb.-Wern. 2. Aufl. Bielefeld 1870. Beide Auflagen schmückt ein Bild der Oberin, von denen das eine sie in der letzten, das andere in einer etwas früheren Zeit der Verwaltung dieses Amtes darstellt.