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Artikel „Stieler, Karl“ von Franz Muncker in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 196–201, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Stieler,_Karl&oldid=- (Version vom 19. März 2024, 08:32 Uhr UTC)
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Stieler: Karl St., ältester Sohn des bairischen Hofmalers Joseph Karl St., wurde am 15. December 1842 zu München geboren, † ebenda am 12. April 1885. Hier und in Tegernsee, wo sein Vater ein Landhaus besaß, verlebte er seine erste Jugend und wurde so von Kind auf ganz und gar heimisch im oberbairischen Gebirgsland und innig vertraut mit der Anschauungsweise und dem [197] Empfinden seiner Bewohner, die, sonst verschlossen, vor dem „Stielerkarl“ kein Hehl aus ihrem Denken und Wesen machten. Lange trug er sich ernstlich mit dem Plane, nach dem Vorbilde des Vaters Maler zu werden; doch, nachdem er das Gymnasium durchgemacht hatte, bezog er im Herbst 1861 die Münchner Universität und entschied sich hier für das Studium der Rechte. Daneben versäumte er die allgemeineren philosophischen und geschichtlichen Wissenschaften nicht, fand auch in dem Dichterkreise, der sich um Geibel und Heyse schloß, freundliche Aufnahme. Nach Beendigung seiner Universitätsjahre arbeitete er als Praktikant am Landgericht zu Tegernsee. Im Sommer 1866 aber wurde er auf sein Ansuchen zum Lieutenant auf Kriegsdauer beim achten bairischen Infanterieregiment ernannt, das hauptsächlich aus Söhnen des bairischen Waldes gebildet war und, ohne ins Feld zu kommen, in Passau lag. 1868 bestand er den Staatsconcurs in München und trat nun als Concipient bei einem Anwalt in Thätigkeit. 1869 promovirte er in Heidelberg; staatsrechtliche Studien sollten ihn jetzt auf die akademische Laufbahn vorbereiten. Von diesem Plane eingenommen, lehnte er sogar einen Antrag, in ministerielle Dienste zu treten, ab, nahm dafür aber 1870 eine Stellung beim bairischen Reichsarchiv mit Freuden an, in der er 1882 zum Reichsarchivsassessor vorrückte. So mannichfach und oft nüchtern hier auch seine Berufsarbeit war, sie führte ihn doch auch wieder besser als jede andere amtliche Beschäftigung in die Geschichte seines geliebten bairischen Hochlandes ein und ließ ihm überdies persönliche Freiheit genug, daß er seinen litterarischen Neigungen emsig nachgehen konnte und der Reiselust, die ihn längst nicht nur in seine Berge, sondern wiederholt auch ins Ausland lockte, nicht zu entsagen brauchte. Schon 1867 hatte er Paris besucht; 1868 war er nach Wien und Pest und von da aus über Prag und Dresden nach Berlin, Hamburg und Helgoland gekommen; das Osterfest 1870 feierte er zu Rom mitten im Pomp des vaticanischen Concils. Nach dem Ausbruch des Krieges litt ihn seine flammende Begeisterung für die deutsche Sache nicht in Baiern; er begleitete eine Sanitätscolonne nach dem Kriegsschauplatz und machte namentlich im September die Belagerung von Straßburg mit. Auch nachdem er am 17. Mai 1871 durch seine Verheirathung mit Mary Bischoff aus Nürnberg sich ein eigenes Heim gegründet hatte, in dem er sich wahrhaft glücklich fühlte, trieb ihn eigne Lust und der Ruf auswärtiger Freunde immer wieder von Zeit zu Zeit in die Fremde. Im Auftrag verschiedener Verlagsbuchhändler bereiste er mehrfach das heimische und fremdes Land, um es in künstlerisch illustrirten Prachtwerken anschaulich und mit gewinnender Wärme zu schildern; wiederholt auch kam er nach größeren süd- oder norddeutschen Städten, um in populär-wissenschaftlichen Vorträgen das Leben und die Anschauungen des bairischen Alpenvolkes ebenso verständig eindringend wie liebevoll darzustellen. Zu Hause aber lebte er im freundschaftlichen Verkehr mit den besten Mitgliedern der Münchner Künstler-, Dichter- und Gelehrtenkreise, selbst unermüdlich schriftstellerisch thätig als Mitarbeiter an größeren Zeitungen – manchen culturgeschichtlich bedeutsamen Aufsatz aus seiner Feder brachte vor allem die Augsburger (später Münchner) „Allgemeine Zeitung“ und die „Kölnische Zeitung“ – sowie als Verfasser mehrerer selbständiger Werke in Prosa und Versen. Aus diesem reichen, glücklichen Wirken riß ihn am 12. April 1885 zu München ein früher Tod, die Folge einer Lungenentzündung, von der der Kranke sich zu bald genesen geglaubt hatte. Am 15. April wurde seine Leiche in Tegernsee beigesetzt; zwei Jahre später wurde ihm daselbst ein Denkmal errichtet. –

Seit seinen Kinderjahren kannte St. die oberbairische Mundart und die Gedichte, die Franz v. Kobell ihr abgelauscht hatte. Unter ihrem unmittelbaren Einflusse begann auch er seine litterarische Thätigkeit mit Gedichten in dieser [198] Mundart, die er 1865 unter dem Titel „Bergbleamln“ sammelte. In der Mehrzahl schilderten sie kleine Scenen aus dem oberbairischen Bauernleben, getreu nach der Wirklichkeit gemalt, oft mit einem empfindsam-rührenden Anflug, nicht minder aber auch Scenen von drastischer Komik. Aber noch nicht durchweg war Stieler’s Humor so recht frisch und ungezwungen-behaglich, und selbst die Pointe des Witzes war mehrfach noch nicht epigrammatisch genug zugespitzt. Auch machte sich eine gewisse Neigung des Dichters, eine Moral oder Lehre in seinen Versen anzubringen, überhaupt ein parabolisches Element mitunter zu sehr geltend. Doch deutete gerade dieser Zug auf die echte volksthümliche Dichtung und noch mehr auf die didaktisch-moralische Poesie jener besseren Volksschriftsteller, denen der Verfasser der „Bergbleamln“ stofflich wie formell manches verdankte. Schlimmer war, daß St. mit seinen Kunstmitteln nicht immer wählerisch umging und so sich bisweilen dem Ton des Couplets in der niedrigen Posse näherte, während er andrerseits hie und da die Mundart noch recht äußerlich zum Ausdruck von Gedanken oder Empfindungen anwandte, die mehr dem gebildeten Städter als dem Alpenbewohner zukommen und deshalb die hochdeutsche Sprache erfordert hätten. Gleichwol gewannen die wirklichen Vorzüge dieser Versuche ihnen und ihrem Verfasser allerorten Freunde, die den reiferen Früchten seiner Dialektdichtung mit frohen Hoffnungen entgegensahen. Erst 1876 erfüllte St. ihre Erwartungen durch die neue Sammlung „Weil’s mi’ freut“, der in den zwei nächsten Jahren zwei fernere Bände „Habt’s a Schneid!?“ und „Um Sunnawend’“ folgten. Die Stoffe, die er hier besang, waren von denen der „Bergbleamln“ wenig verschieden; auch die Mischung ernster und lustiger Gedichte war dieselbe geblieben. Aber dichterisch war alles reifer und echter geworden. Nun legte St. keine Witze oder Empfindungsäußerungen mehr bloß in die Mundart hinein, sondern er las die vorhandenen aus ihr heraus. Er schilderte, was er in seinem Verkehr mit dem oberbairischen Volke selbst erlebt hatte, und nahm die poetische Phantasie nur insofern zu Hülfe, als es öfters galt, für den durch die eigene Erfahrung dargebotenen Kern oder Grundgedanken eines Gedichtes die beste künstlerische Fassung zu finden. Er besaß nun selbst, was er bewunderungsvoll an Kobell rühmte, die absolute Herrschaft über die Sprache und das feine Naturgefühl, das stets den poetischen Kern der Dinge trifft, jene Doppelnatur, die einerseits dem Volksthum so congenial ist, daß sie gewissermaßen im Volksgeist denkt und schafft, andrerseits ihm jedoch wieder so überlegen ist, daß sie mit klarer Sicherheit alles ausscheidet, was sich künstlerisch nicht ausprägen läßt. Durch unmittelbare Wahrheit ergreifend, dichtete er zugleich als Sprecher und Darsteller des bairischen Alpenvolkes, frei von jeder falschen Idealisirung, von beschönigender Verfeinerung der wirklichen Zustände; aber gleichwol wirkte er als Künstler ideal dadurch, daß er über den plumpen und derben Zügen auch die tiefen Herzenslaute nicht vergaß, deren der Alpenbauer fähig ist, daß er in seinen Gedichten die Gesammtheit des ländlichen Denkens und Empfindens wiedergab. Er wußte in naiv-einfacher Darstellung innig rührende und tragisch-düstere Bilder aus dem Volksleben zu entrollen, nicht minder aber auch der urwüchsig-munteren Laune und dem schlagfertigen Witz der Aelpler den treffendsten und lustigsten Ausdruck zu verleihen. Noch fand sich der eine oder der andere Zug, der an die Fabelpoesie erinnern kann; hauptsächlich aber waltete eine harmlos-heitere Satire, die keinen Stand und kein Verhältniß des bäuerlichen Lebens verschonte. Namentlich traf sein gutmüthiger Spott nun auch die politischen und kirchlichen Anschauungen der Bauern, wie sie sich seit 1870 neu gestaltet hatten. Stieler’s Meisterschaft in der Kunst, durch starke Contraste komisch zu wirken, beförderte zwar mehr das epigrammatische als das rein lyrische Element in seinen Gedichten; aber [199] gerade dadurch wurde auch der Charakter ihrer Echtheit verstärkt. Den größeren Sammlungen ließ St. noch vier kleinere Bändchen mundartlicher Versuche folgen, poetische Erklärungen zu Bildern von Hugo Kauffmann („Hochzeit im Gebirg“ und „In der Sommerfrisch’“) und von Franz Defregger („Von Dahoam“ und „Aus der Hütten“), besonders die beiden letztern ganz ausgezeichnet, da St. die Bilder seines Freundes nie ruhig beschrieb, sondern ihren Inhalt stets in bewegte, äußere oder innere Handlung umsetzte und (statt noch einmal zu schildern, was der Maler bereits erschöpft hatte, das Körperliche) vielmehr das aussprach, was jener nur leise andeuten konnte, die seelischen Vorgänge in seinen Figuren.

Neben der Dialektdichtung, ja wol früher schon als sie, pflegte St. aber auch die hochdeutsche Poesie, in seinen ersten bekannten Versuchen (aus den Jahren 1859–1861) als Schüler Rückert’s, Geibel’s und anderer, vorwiegend zahmer und frommer Sänger, in die sich der Jüngling eingelesen hatte, später unter dem Einflusse Geibel’s, Scheffel’s, Uhland’s, Heyse’s und seiner Münchner Genossen, aber gelegentlich auch Heine’s und vor allem des deutschen Volkslieds und der mittelalterlichen Minnesänger, denen er einzelne Lieder unmittelbar nachbildete. Auch zu diesen Gedichten regte ihn hauptsächlich die Liebe zum bairischen Hochland an, dessen landschaftliche Natur, Geschichte und Sage in ihnen sich trotz aller Freiheit der Phantasie getreulich abspiegelte. „Hochlandslieder“ nannte er deshalb die zwei ersten Sammlungen dieser Lyrik (1879 und 1881), denen sich 1882 das von einer glühenden, wie es scheint, verbotenen, aber nur mühsam bezwungenen Liebesleidenschaft zeugende Liederbuch „Wanderzeit“ und 1885 das warme, tiesinnige „Winter-Idyll“ anschloß, das liebenswürdige Vermächtniß des Dichters, dessen echte Herzensgüte sich nicht schöner und edler als in diesen Gesängen auf sein zärtlich gehegtes Familienglück hätte aussprechen können. In den älteren „Hochlandsliedern“ verhüllte St. das eigne Denken und Empfinden gern unter die Maske mittelalterlicher oder späterer geschichtlicher Personen. Aber nicht immer gelang ihm hier jene höchste künstlerische Vollendung wie im „Winter-Idyll“. Hie und da, besonders in mehreren der zusammenhängenden Liedercyklen, schien die Unmittelbarkeit der dichterischen Eingebung durch fleißiges Suchen und künstlerische Arbeit ersetzt. In seinen Stoffen und sittlichen Tendenzen verdiente St. stets vollen Beifall: freier Lebensgenuß in den Bergen, Liebesglück und vaterländische Begeisterung waren die immer wiederkehrenden Motive seiner Poesie. Die Form pflegte er sauber, doch ohne ängstliche Correctheit; in der Strophenbildung war er meist volksthümlich, im Metrischen manchmal etwas frei, dagegen unfehlbar sicher im Rhythmus. Bisweilen erlaubte er sich selbst ältere, durch das jeweilige künstlerische Bedürfniß nicht unbedingt geforderte Sprachformen; aber niemals trat die äußere Form in seiner Dichtung aufdringlich hervor, den Genuß erschwerend oder gar störend.

Dieselbe Leichtigkeit und gleichsam selbstverständliche Gewandtheit der stilistischen Darstellung zeichnete den Prosaiker St. aus. Nur ein kleiner Theil dessen, was er so mit eilender Feder niederschrieb, erschien übrigens schon zu seinen Lebzeiten in selbständigen Werken; das meiste wurde in Zeitungen veröffentlicht, für den Tag verfaßt und mit dem Tage vergessen. St. selbst gab – gewöhnlich im Verein mit andern Schriftstellern – umfangreiche, mit allerlei Illustrationen geschmückte Schilderungen deutscher und fremder Gegenden heraus, die er von Jugend auf kannte oder auf wiederholten Reisen studirt hatte, so 1873 zusammen mit Hermann Schmid das „Aus deutschen Bergen“ überschriebene Gedenkbuch vom bairischen Gebirg und vom Salzkammergut, zum weitaus größten Theile von ihm verfaßt und von einem seltenen buchhändlerischen Erfolge [200] gekrönt, 1875 zusammen mit H. Wachenhusen und F. W. Hackländer das Prachtwerk „Rheinfahrt von den Quellen des Rheins bis zum Meer“, in welchem er die „Jugend“ des deutschen Stromes (bis gegen Mainz) beschrieb, 1876 mit E. Paulus und W. Kaden das Prachtwerk „Italien“, in welchem ihm das weniger den Kunstsinn als den Natursinn des Darstellers herausfordernde Oberitalien zufiel, und 1877 „Bilder aus Elsaß-Lothringen“, deren Zeichnung unter anderm auch den Griffel eines national-patriotisch gesinnten Autors erforderte. St. ging in all diesen Schilderungen vom Landschaftlichen aus, suchte jedoch nicht minder der culturgeschichtlichen Bedeutung von Land und Leuten gerecht zu werden und zog daher – und zwar von Jahr zu Jahr in größerem Maße – die frühere Geschichte der von ihm beschriebenen Orte und die Sagen, die sich an sie knüpften, fleißig in seine Darstellung herein. Von seinen in Zeitungen zerstreuten Aufsätzen wurden die besten erst nach seinem Tode zu verschiedenen Sammlungen zusammengestellt: „Durch Krieg zum Frieden“ (Stimmungsbilder aus den Jahren 1870–1871), von Frd. Ratzel 1886 herausgegeben; „Aus Fremde und Heimath“ (1886); „Reisebilder aus vergangener Zeit“ (1890); „Natur- und Lebensbilder aus den Alpen“, von M. Haushofer 1890 gesammelt. Außerdem gab K. Th. Heigel 1885 eine Auslese von Vorträgen Stieler’s als „Culturbilder aus Baiern“ heraus. In den meisten und wol auch besten dieser Aufsätze und Vorträge spricht der warme Freund und zugleich der vortreffliche Kenner der bairischen Bergwelt und ihrer Bewohner, dessen Liebe zur engeren Heimath aber durchweg Hand in Hand mit seiner treuen Begeisterung für die große deutsche Sache geht. Selbst ein Bürger der neuen Zeit und des neuen Reiches, ein entschiedener Anhänger alles echten geistigen Fortschritts, dringt er doch überall auf genaue Erkenntniß der früheren Zeiten und erklärt gerade die schroffen Widersprüche in den jetzigen Zuständen und Anschauungen des bairischen Alpenvolks theils aus dessen wechselnder geschichtlicher Entwicklung, theils aus dem steten Verhältniß der Aelpler zur ewig gleich bleibenden, Kraft lehrenden und Muth fordernden Natur. Den wärmsten Antheil nimmt er an der künftigen Entwicklung dieses Alpenvolkes, an dem Reifen seiner politischen Einsicht, aber auch an seinem materiellen Gedeihen, wie an allem, was zur Bergwelt gehört. So erhebt er z. B. laut die Stimme für den Schutz der bairischen Wälder. Es ist ein ziemlich enger Kreis, in dem sich diese Schriftstellerei Stieler’s bewegt, so daß Wiederholungen und Aehnlichkeiten unvermeidlich sind. Aber der Autor ist völlig daheim in dieser engen Welt und erblickt in ihr Tausenderlei, was andern Augen entgeht, und findet überdies immer neue Gelegenheit, sie geistig zu erweitern, indem er mannichfache Beziehungen zwischen ihr und dem, was außer ihr liegt, herstellt. Und vor allem weiß auch der Prosaiker St. diese Welt künstlerisch-lebendig zu schildern. Statt allgemeiner, theoretisch-abstracter Beschreibung bietet er einzelne Beispiele, kleine Genrebilder voll Witz und Humor, deren Inhalt sich oft mit dem seiner altbairischen Gedichte unmittelbar deckt. Mit demselben Eifer aber wendet er sich in andern Aufsätzen den Ereignissen in der künstlerisch-wissenschaftlichen oder in der politischen Geschichte Münchens, Baierns, Alldeutschlands zu. Von echtester, aus tiefster Brust kommender Begeisterung zeugen namentlich die Stimmungsbilder aus dem deutsch-französischen Kriege, von weihevollem Patriotismus durchflammt, aber ohne chauvinistische Einseitigkeit, zum Theil lyrisch-rhetorisch im Stil geartet und doch zugleich überaus anschaulich ausgemalt, spannend und durch intimen, persönlichen Reiz belebt. In diesen Aufsätzen erscheint auch St. zum ersten mal völlig frei von dem Einfluß Heine’s, der seine frühere Prosa und sogar noch die meisten Abschnitte des Gedenkbuchs „Aus deutschen Bergen“ vollständig beherrschte. Haschte er früher nach äußerlichen Effecten und häufte [201] deshalb wohlfeile Scherze und Witze, Wortspiele und Antithesen, Ironie und leichten Spott, allenfalls auch in wirksam contrastirender Verbindung mit sentimentalen Gefühlen, zwar niemals frivol, doch oft ohne höheren Ernst und künstlerisches Stilgefühl, so waltete von nun an in seiner Prosa ein sittliches Pathos, das bisweilen leicht zur Rhetorik neigte, aber gesundem Humor keineswegs abhold war. Das kalte Feuerwerk des Witzes wurde durch die innere Wärme der phantasievollen und an echter Empfindung reichen Darstellung ersetzt. Nun nahm Stieler’s Prosa auch an Wahrheit, Kraft und plastischer Fülle beständig zu; am selbständigsten und vollendetsten zeigte sie sich vielleicht in einigen Vorträgen aus seinen letzten Jahren, die gleichmäßig das Werk des mundartlichen Dichters wie des culturgeschichtlichen Forschers sind und in beiden Beziehungen bleibendes Verdienst besitzen. –

Wolfgang Kirchbach, K. Stieler (Westermann’s illustrirte deutsche Monatshefte. 1883, Bd. 53, S. 753 ff.). – Nekrologe von G. Chr. Petzet (Magazin für die Litteratur des In- und Auslandes, 1885, Nr. 30) und Max Haushofer (Gartenlaube, 1885, Heft 5 und Deutsche Dichtung von K. E. Franzos, 1887, Bd. 1, S. 258 ff.; ebenda ungedruckte Gedichte Stieler’s). – S. M. Prem, K. Stieler, der bairische Hochlandsdichter (Sonderabdruck aus dem Tiroler Boten 1889). – Karl v. Heigel, K. Stieler, ein Beitrag zu seiner Lebensgeschichte, nebst zwölf bisher ungedruckten Jugendgedichten und fünfzehn Briefen Stieler’s an seine Mutter. Bamberg 1890. (Baierische Bibliothek, Bd. 23.)