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Artikel „Stieler, Adolf“ von Friedrich Ratzel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 185–187, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Stieler,_Adolf&oldid=- (Version vom 16. April 2024, 17:41 Uhr UTC)
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Stieler: Adolf St., Geograph und Kartograph, geboren am 26. Febr. 1775 zu Gotha. Sein Vater war Bürgermeister von Gotha. Hier empfing St. eine tüchtige Erziehung im Gymnasium, und besuchte darauf die Universitäten Jena und Göttingen, wo er sich dem Studium der Rechte widmete. 1797 trat er in die Reihe der Advocaten ein und wurde noch in demselben Jahre im gothaischen Ministerium angestellt, 1813 wurde er Legationsrath, 1829 Geh. Regierungsrath bei der gothaischen Landesregierung und 1835 trat er in den Ruhestand. Seit 1805 war er mit Friederike Madelung vermählt. Am 13. März 1836 starb er in Gotha. St. galt als ein tüchtiger Beamter, der Aufträge seiner Regierung auch im Auslande (1798 und 1806 in Holland, 1814 in Wien) mit Geschick besorgte und sich ein bleibendes Verdienst durch die Gründung der Dienerwittwensocietät erwarb. Auch an der Vorbereitung der Lebensversicherungsbank nahm er Theil. Fast alle Muße widmete er aber der Geographie, für die er eine angeborene Vorliebe besaß, die durch den Einfluß seines Lehrers Hennicke, eines Schülers von Gatterer, genährt worden war. In Göttingen hörte St. bei Gatterer und unterrichtete in den 90er Jahren in Gotha an einer Töchterschule und in kleineren Kreisen in Geographie. Zur Richtung dieser Vorliebe und eines ausgesprochenen Talentes für das Kartenzeichnen [186] auf ein höheres Ziel regte ihn v. Zach, der Leiter der Sternwarte in Seeberg an, für dessen „Ephemeriden“ und „Monatliche Correspondenz“ er eine Reihe von Kärtchen zeichnete. 1803 zeichnete er zu v. Hoff’s Werk über Deutschland eine Karte, die v. Hoff als ein Werk bezeichnet, das die Kritik des Geographen mit der Zierlichkeit des Zeichners vereinige. Die mit Streit herausgegebene „Sammlung aller bekannten geographischen Ortsbestimmungen“ trägt besonders den Stempel der Zach’schen Anregungen. Auch einige Karten des Weimarischen Instituts mit der Bezeichnung „revidirt auf der Sternwarte Seeberg“ wurden von St. entworfen, der endlich sich zu dem großen Unternehmen einer Militär-Karte von Deutschland in 204 Blättern aufschwang, von der er 25 Blätter herausgab. 1806 erschien bei Schneider und Weigel eine mit Beifall aufgenommene Karte von Ostindien. Dann ruhte in den folgenden stürmischen Jahren die Thätigkeit Stieler’s auf geographischem Gebiete. Aber 1817–23 erschien jener große „Atlas in 50 Blättern“, der den Namen St. höchst ehrenvoll bis auf unsere Tage gebracht hat und hoffentlich noch weit ins 20. Jahrhundert tragen wird. Er hatte von Anfang einen großen Erfolg. Gleich nach dem Abschluß schlossen sich Supplemente an, mit denen zusammen das Werk 1831 als Atlas von 75 Blättern vollendet war. Vor allen bisher in Deutschland erschienenen Atlanten hatte dieser den einheitlichen Plan, die wissenschaftliche Kritik und den Zusammenhang mit den Fortschritten der geographischen Entdeckungen. In den Anfängen war C. G. Reichard einflußreicher Mitarbeiter, besonders für die außereuropäischen Blätter. Später lag die Leitung ganz in Stieler’s Händen. St. erlebte noch die 2. Auflage, die in Form von Ergänzungs- und Ersatzblättern 1831 begann. Noch größer war der Erfolg des zuerst 1814 erschienenen „Schulatlas“. Gerechtes Lob erwarb sich auch der „Atlas von Deutschland in 25 Blättern“ (1829–36); er war das schönste Werk dieser Art, das bis dahin in Deutschland erschienen. Von kleineren Arbeiten nennen wir die „Geographische Uebersicht der ernestinischen Lande“, ein Commentar zur Karte von Thüringen (1827), einen ähnlichen Commentar zu Bär’s Karte von Gotha (1833), den geographischen Theil der Diez’schen Post- und Reisekarte von Deutschland (1825). Als St. mitten in einer beständig sich erweiternden und auch vertiefenden Thätigkeit am 13. März 1836 starb, hatte er drei Tage vorher noch den Bericht zur Schlußlieferung der über Erwarten verzögerten Karte von Deutschland niedergeschrieben. So schied er im Ruhepunkte einer Thätigkeit, die einst der Geschichtschreiber der Erdkunde des neunzehnten Jahrhunderts mit der Entwicklung der Kartographie in Deutschland eng verknüpft sehen wird. Wesentlich durch Stieler’s Thätigkeit wurde das Perthes’sche Geographische Institut an die Spitze der geographischen Privatanstalten nicht bloß Deutschlands gebracht. Die innigen Beziehungen zu dem zweiten Träger der Firma, Wilhelm Perthes, erleichterten dem im Verkehre liebenswürdigen, mittheilsamen, an Anregungen reichen St. die Arbeit, deren Charakter und Ziel er in den ersten Sätzen seines Entwurfes zum großen Atlas selbst am deutlichsten bezeichnet: „Meine Idee ist, etwas dem Plane nach Beschränktes, aber in der Ausführung Ausgezeichnetes zu liefern. Bequemes Format, Begleit-Text zu jedem Blatt, möglichste Genauigkeit, Deutlichkeit und Vollständigkeit, dabei doch zweckmäßige Auswahl, Gleichförmigkeit der Projektion und des Maaßstabes“ … Nicht bloß diese Grundsätze haben seit St. in dem Gothaischen geographischen Institut Wurzel gefaßt, sondern die Tradition der rastlosen Verbesserung führt auf ihn zurück. Und gerade darin liegt der Hauptgrund des Großen, das zu seiner Zeit und nach ihm erreicht wurde. In dem Begleitworte einer Supplement-Lieferung sagt St. selbst: „Was in technischer Beziehung bei der ersten und zweiten Lieferung noch Lob verdiente, würde jetzt [187] als untauglich verworfen werden.“ Und im V. Supplement lesen wir: „Fortwährend sind Verbesserungen und Berichtigungen am Pult und unter dem Grabstichel.“ Die politische und statistische Reichhaltigkeit war leichter zu erreichen als die geographische Wahrheit und die topographisch richtige Zeichnung. Jene war auch in anderen Atlanten erreicht worden, diese setzte wissenschaftliche Vertiefung und technische Vervollkommnung voraus. Nicht in einzelnen Persönlichkeiten waren diese Vorzüge und Entwicklungen zu vereinigen. St. und Perthes haben beide die Fähigkeit besessen, die passenden Kräfte an die Stelle zu bringen, wo sie am meisten nützen konnten und sie haben damit auch die Zukunft ihres Werkes gesichert. Christoph Bär, die rechte Hand Stieler’s, ein geographisches Talent, Friedrich v. Stülpnagel, Heinrich Berghaus sind unter St. mit dem geographischen Institut in Verbindung getreten. St. hat mit Bär zusammen in Thüringen und Nordfranken Messungen ausgeführt, die Abschnitten der betreffenden Blätter der Karte von Deutschland den Werth von Originalkarten ertheilten. Nur in jener Zeit war es denkbar, daß Bär, ein thüringischer Bauernsohn, Stieler’s Diener war, von diesem aber zugleich als der treue Gehülfe bezeichnet wird, „ohne dessen prüfenden Blick fast keine Zeichnung den Grabstichel, keine Platte der Presse übergeben wurde“. Von Stülpnagel sagt St.: „Ein meisterhafter Zeichner, mit gesundem Blick Spreu vom Weizen zu unterscheiden befähigt.“ Dazu kamen Stecher, die damals die Eigenthümlichkeiten der Atlaskarten erst lernen mußten. Aber gerade im Technischen sind die Fortschritte im Stieler’schen Atlas ganz auffallend. Daß St. es auch war, der den Grund zum „Kleinen Schul-Atlas“ legte, der 1821 „nach Stieler’s Hand-Atlas in 20 Blättern verkleinert“ erschien, daß er den ersten „Schul-Atlas der Alten Welt“ (1823) und den „Kleinen Atlas der deutschen Bundesstaaten“ herausgab, beweist die Vielseitigkeit seines Unternehmungsgeistes; daß beide in immer neuen Verjüngungen fortleben, die Tüchtigkeit ihrer ersten Anlage. In der Entwicklung der deutschen Kartographie bezeichnet die Arbeit Stieler’s und ganz besonders die am Hand-Atlas, einen neuen Aufschwung, den ersten seit dem jüngeren Homann und Hasius, und zugleich die engere, seitdem nicht mehr gelöste Verbindung zwischen der Kartographie und der zur selben Zeit in eine neue Blüthezeit eintretenden wissenschaftlichen Geographie. Aber auch die ästhetische und praktische Seite der Karte, und besonders der Atlaskarte hat St. zu fördern verstanden.

Neuer Nekrolog der Deutschen XIV, 1. - Justus Perthes in Gotha 1785-1885. (Gotha 1885.)