ADB:Steinmüller, Johann Rudolf

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Steinmüller, Johann Rudolf“ von Otto Hunziker in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 19–21, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Steinm%C3%BCller,_Johann_Rudolf&oldid=- (Version vom 2. November 2024, 17:21 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Band 36 (1893), S. 19–21 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Kein Wikipedia-Artikel
(Stand September 2013, suchen)
Johann Rudolf Steinmüller in Wikidata
GND-Nummer 117263265
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|36|19|21|Steinmüller, Johann Rudolf|Otto Hunziker|ADB:Steinmüller, Johann Rudolf}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=117263265}}    

Steinmüller: Johann Rudolf St. ward am 11. März 1773 zu Glarus geboren. Er entstammte einem Geschlechte, das, ursprünglich aus der Pfalz eingewandert, eine Reihe Geistlicher und Lehrer unter seinen Gliedern zählte; auch der Vater unseres St. war Lehrer gewesen. Mit 14 Jahren kam der junge St. zur Vorbereitung auf die Studien zu seinem mütterlichen Oheim, Pfarrer Hosch in Gechingen (Württemberg); damals schon ward er aushülfsweise zum Predigen und zur Schulführung angehalten. Nach dem Besuch der Universitäten Tübingen und Basel wurde der noch nicht völlig Achtzehnjährige im Januar 1791 zum Geistlichen ordinirt, nahm aber zunächst eine Hauslehrerstelle in Glarus an. 1794 wählte ihn die Gemeinde Mühlehorn zum Pfarrer; 1796 vertauschte er diese Stelle mit der Pfarrstelle in Kerenzen; 1799 siedelte er als Pfarrer in das appenzellische Dorf Gais über, 1805 nach dem St. Gallischen Städtchen Rheineck, wo er bis zu seinem am 28. Febr. 1835 erfolgenden Tode als Geistlicher amtete; 1831 ward er als Antistes an die Spitze der St. Gallischen Geistlichkeit gestellt; nach Aufhebung dieser Würde 1834 blieb er Vorsteher der St. Gallischen Synode. Als Theologe huldigte er der rationalistischen Richtung; sein bei aller Schlichtheit imponirendes, dabei offenes Wesen und der praktisch religiöse Grundton seines Charakters, sowie die ihm eigene Welt- und Menschenkenntniß sicherten ihm das Vertrauen seiner Amtsbrüder; als Prediger leistete er Tüchtiges, als Seelsorger war ihm keine Mühe zu viel.

Was St. einen bleibenden Namen sichert, ist indessen nicht seine Thätigkeit als Geistlicher und Theologe; außer einigen Predigten und Grabreden ist von ihm nach dieser Richtung nichts veröffentlicht worden, und seine Natur war nicht für die dogmatische Speculation geschaffen. Aber St. war zugleich sehr geschätzter Naturforscher und einer der hervorragendsten Schulmänner seiner Zeit.

In ersterer Beziehung widmete er seine Thätigkeit vornehmlich dem Thierleben der Alpenwelt, insbesondere den Alpenvögeln. Auf diesem Gebiete erwies et sich als gründlichen und zuverlässigen Forscher, dessen werthvolle Beobachtungen und Leistungen bei den Fachmännern volle Anerkennung fanden. Seine diesfälligen Arbeiten legte er zumeist in die Zeitschrift „Alpina“ nieder, die er in Gemeinschaft mit C. Ulysses v. Salis-Marschlins 1806–1809 (Winterthur, 4 Bde.) redigirte und nach dessen Tode als „Neue Alpina“ in zwei Bänden (1819. [20] 1821) selbständig weiterführte. Er arbeitete ein vollständiges Werk aus über die in der Schweiz einheimischen Säugethiere und Vögel, das aber Manuscript blieb und wol mit dem übrigen Nachlaß Steinmüller’s im Brande von Glarus (1861) verloren gegangen ist. Seine Beobachtung der Natur erstreckte sich auch auf die Cultur derselben („Beschreibung der schweizerischen Alpen- und Landwirthschaft“, Bd. I (Glarus) u. Bd. II (Appenzell) Winterthur 1802 u. 1804); noch in seinen letzten Lebensjahren redigirte er die „Schweizerische Zeitung für Landwirthschaft und Gewerbe“ (St. Gallen 1831–35); seiner Thätigkeit verdankt auch die landwirthschaftliche Gesellschaft des Kantons St. Gallen ihre Entstehung (1819).

Noch ehe Pestalozzi’s Stern am pädagogischen Himmel aufging, war St. für die Hebung des Volksschulwesens thätig. 1794 veröffentlichte er bereits ein „Lesebuch zur Bildung des Herzens und zur Uebung der Aufmerksamkeit, für Kinder an den mittleren Classen der Landschulen“, das vier Auflagen erlebte. 1799 zum Mitglied des Erziehungsrathes im Kanton Säntis ernannt, leitete er auf Grund seines „Planes zur Errichtung einer Erziehungsanstalt für angehende Landschullehrer im Kanton Säntis“ (1800) den ersten Lehrerbildungscurs in der Ostschweiz (1801/1802), der acht Monate dauerte, von 18 Jünglingen besucht war und ihm den Dank des Kleinen Rathes der helvetischen Republik eintrug. – An die Lehrpraxis schlossen sich neben der „Rechenschaft“ über diesen Kurs eine Reihe methodisch-pädagogischer Veröffentlichungen für Lehrer an, so die „Erste Anleitung für die sämmtlichen Schullehrer der Landschulen des Kanton Säntis“ und die Herausgabe der „Helvetischen Schulmeisterbibliothek“ (2 Bde. 1801).

1799 war St. mit Professor Fischer, der damals die Errichtung eines Lehrerseminars in Burgdorf betrieb, in nähere Beziehung getreten, indem er auf dessen Wunsch die Auswanderung armer Kinder aus dem Appenzellerland nach der Westschweiz organisirte. Es ist bekannt, daß mit der nach Burgdorf übersiedelnden Schar auch der junge Lehrer Hermann Krüsi von Gais ging, um durch Fischer zum tüchtigen Lehrer ausgebildet zu werden und daß nach Fischer’s zu Anfang Mai 1800 erfolgtem Tode Krüsi sich an Pestalozzi anschloß. St., der die Rückkehr Krüsi’s gewünscht und in dessen Anschluß an Pestalozzi Undank gegen Fischer und ihn selbst gesehen, wurde dadurch auch gegen Pestalozzi persönlich mißstimmt und lieh diesem Mißmuth offenen Ausdruck in seiner Schrift „Bemerkungen gegen Pestalozzi’s Unterrichtsmethode“ (Zürich 1803); der innere Grund des Gegensatzes lag freilich tiefer und beruhte auf der individuellen Verschiedenheit der beiden Männer: St. war ebenso sehr wesentlich Praktiker, allen Uebertreibungen abhold und ausschließlich auf das hinsteuernd, was er für die gegebenen Verhältnisse geeignet und durchführbar hielt, wie Pestalozzi und seine Jünger genial und für ideale Gesichtspunkte schwärmend; dazu kam, daß St. an der ausschließlichen Begünstigung Anstoß nahm, welche die helvetische Regierung Pestalozzi zuwende, während sie sich für das Landschulwesen unthätig zeige und auch für die Verbesserung des Schulmeisterstandes wenig thue. Je mehr ihm über die Experimente in Burgdorf die wirkliche Anschauung fehlte – er war nur wenige Stunden dort – desto mehr ließ er sich von der Selbstüberhebung, die ihm in Pestalozzi’s Schriften und Anhängern entgegentrat, in Verbindung mit übeln Erfahrungen an einzelnen Zöglingen des Instituts einnehmen, sodaß er – neben manchen sehr triftigen Einwendungen gegen wirkliche Mißgriffe – weder den Grundgedanken der Pestalozzi’schen Methode noch auch der Persönlichkeit Pestalozzi’s selbst gerecht wurde. Als dann aber seinen „Bemerkungen“ eine Erwiderung unter Pestalozzi’s Namen, thatsächlich aber von Niederer’s Leidenschaftlichkeit dictirt, folgte, überwand sich St. zu einer ruhigen [21] und höflichen Erklärung, die ihm die Gemüther wieder gewann und den Streit zwischen den beiden Pädagogen für immer zu Grabe trug. Um so unermüdlicher wandte sich nun St. der pädagogischen Arbeit in seinem eigenen Kreise zu, indem er die zu Gais als Erziehungsrath und Schulinspector betriebene Thätigkeit mit seiner Uebersiedelung nach Rheineck auf den neu begründeten Kanton St. Gallen übertrug und durch die Periode der Mediationszeit und der Restauration fortsetzte. Unter seinen späteren Veröffentlichungen verdienen hervorgehoben zu werden die „Buchstabier- und Syllabierblätter“ (1807), der „Fortgesetzte Schullehrerunterricht in Rheineck“, ein „Handbuch für Schullehrer und Freunde des Schulwesens“ (1810); der „Entwurf zu einer Bürger- und Mittelschule in Verbindung mit einem Schullehrerinstitut für den evangelischen Theil des Kantons St. Gallen“ (1813); das „Sittenbüchlein für die Schulkinder“ (1816); die „Jugendbibel, ein religiöses Lesebuch für die Jugend, besonders für den Schulgebrauch bestimmt“ (1819); die „Jahrbücher für Religion und Sitte oder für schweizerisches Schul-, Kirchen- und Armenwesen“ (2 Bde., St. Gallen 1827). Noch tiefer gehende Einwirkung aber erreichte er durch die Fortsetzung seiner Lehrerbildungscurse, die er jeweilen während der Wintermonate in Rheineck abhielt und durch welche er die Lehrerbildung für den Kanton St. Gallen bis zu seinem Tode fast ausschließlich besorgte. „Sein diesfallsiger Unterricht zielte auf Einfachheit, Gründlichkeit und praktische Tüchtigkeit ab. Den damaligen Verhältnissen und Geldmitteln entsprechend stellte er nur sehr mäßige Anforderungen. Er glaubte, daß man mit übertriebenen Forderungen nichts Praktisches und Brauchbares erreiche. Die Curse dauerten in der Regel kurze Zeit (einige Monate), und darum war er auch gezwungen, dabei auf das Allernöthigste, im Berufsleben Anwendbare sich zu beschränken. Er hatte die Ansicht, daß nicht alles Lebensglück von viel Schulweisheit abhänge. Er fand es nöthig, daß der Lehrer in einfacher Sphäre bleibe und dem Volksleben nicht entfremdet werde. Unablässig wirkte er auf einen soliden, arbeitsamen, bescheidenen Ton der Lehrer hin. Gleichwol hat er auf diesem Felde für seine Zeit Bedeutsames geleistet. Seine Stärke lag darin, die Lehrerzöglinge kräftig anzuregen und den Trieb zur Weiterbildung zu wecken. Darum fand sich denn auch unter seinen ehemaligen Schülern eine große Zahl tüchtiger und strebsamer Lehrer, die dem Kanton große Dienste leisteten. Er hat über 800 Jünglinge für den segensvollen Lehrerberuf herangebildet.“ (Schlegel S. 70/71.) Zugleich war er der Begründer der ersten Lehrerconferenzen im Kanton St. Gallen (1808) und regte die erste Generalconferenz sämmtlicher evangelischer Lehrer dieses Kantons (1821) an, die sofort eine Lehrerunterstützungscasse schuf, deren Verwaltung in den ersten sechs Jahren St. zufiel. Daß das St. Gallische Schulwesen so rasch zu tüchtiger Entfaltung und[WS 1] verhältnißmäßig hoher Blüthe gelangte, verdankt es in erster Linie Steinmüller’s allseitig anregender Thätigkeit, die dem letztern in weitesten Kreisen den wohlbegründeten und auch trotz momentaner Mißstimmung in seinen letzten Lebensjahren bleibenden Ruhm eintrug, einer der trefflichsten und einflußreichsten Schulmänner und Förderer der schweizerischen Volksschule im ersten Drittel unseres Jahrhunderts gewesen zu sein.

Bernet, im Neuen Nekrolog der Deutschen I, 1835. – Ehrenzeller, Denkmal auf J. R. St. in der Schweizerischen Zeitung für Landwirthschaft und Gewerbe 1835. – J. J. Schlegel, Drei Schulmänner der Ostschweiz (Lebensbild von St. p. 7–212), Zürich, Schultheß 1879. – Schelling, Lebensabriß von St. in Hunziker’s Geschichte der schweiz. Volksschule (Zürich 1881) II, 206–215. – Vgl. auch J. Hottinger’s Biographie des St. nahe befreundeten Hans Konrad Escher v. d. Linth (Zürich 1852). – R. Wolf, Biographien zur Culturgeschichte der Schweiz IV (Zürich 1862), 299/300.[1]

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 21. Z. 1 v. u. hinzuzufügen: Dr. J. Dierauer, Briefwechsel zwischen J. R. Steinmüller und Hans Konr. Escher v. d. Linth, St. Gallen, 1889. [Bd. 45, S. 673]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: uud