ADB:Stamm, Ferdinand
[431] geweckten Knaben einen großen Einfluß aus, zumal er frühzeitig Gelegenheit hatte, auf häufigen Fußtouren die Naturschönheiten der erwähnten Umgebung genau kennen zu lernen. Nach dem Tode seines Vaters kam der Knabe zur weiteren Ausbildung im J. 1826 an das Gymnasium nach Duppau und 1829 an das Gymnasium nach Saaz, wo er unter trefflichen Lehrern auch in die Lectüre der classischen deutschen Dichter eingeführt wurde, von denen ihn insbesondere Jean Paul fesselte und begeisterte. Auch die ersten eigenen poetischen Versuche Stamm’s fallen in diese Zeit. Frühzeitig betrieb St. aber auch das Studium exacter Wissenschaften, insbesondere jenes der Physik und Astronomie, welches den so vielseitig regen Geist besonders ansprach. Im J. 1832 bezog St. die Universität Prag, um rechtswissenschaftliche und philosophische Studien zu pflegen. Allerdings war er genöthigt, um sich die Mittel zu seinen Studien zu beschaffen, eine Erzieherstelle zu übernehmen, auch schriftstellerische Arbeiten begann er nun häufiger zu veröffentlichen. Von den Studien einzelner Wissenschaften war es insbesondere jenes der Botanik, das ihn anzog. Im J. 1838 vollendete er in Prag das juristische Studium und hatte nun die Absicht, sich dem Richterstande zu widmen; es wurde ihm jedoch fast gleichzeitig eine Erzieherstelle bei Baron Kaiserstein in Wien angeboten, welche er wegen der überaus günstigen Bedingungen und des erwünschten Aufenthaltes in der Residenz annahm und sich im October 1838 dahin begab. In Wien hatte St. Gelegenheit, nicht nur mit den besten Gesellschaftskreisen überhaupt, sondern insbesondere auch mit Künstlern, Gelehrten und Schriftstellern in anregenden Verkehr zu treten, zumal ihm sein Erzieheramt mehr Muße ließ, als er anfangs erwartet hatte. St., der hier auch mit Frankl, J. G. Seidl, Bauernfeld, Anast. Grün, Vogl, Castelli vielfach in Berührung kam und auch den trefflichen Redacteur Witthauer persönlich kennen lernte, veröffentlichte nun häufiger Novellen, Erzählungen, humoristische Aufsätze und Skizzen in verschiedenen Zeitschriften und Taschenbüchern, so in der „Wiener Zeitschrift“, in den „Sonntagsblättern“, in „Ost und West“ in den Jahren 1840–1847, wobei er gewöhnlich unter dem Pseudonym „Ferrand“ auftrat. Im J. 1844 wurde St. zum Doctor der Rechte promovirt, im nächsten Jahre erschien ein umfangreicherer humoristischer Roman „Leben und Lieben, Dichten und Trachten des Amtsschreibers Michael Häderlein“ (1845) aus seiner gewandten Feder. St. hatte auch einige Dramen verfaßt, die aber nicht zur Aufführung kamen. Im J. 1848 war St., der mit glühender Begeisterung an der Bewegung Theil nahm, zumeist in seiner Heimath im Erzgebirge, obwol er allerdings auch einige Zeit in dem sturmdurchtobten Wien zugebracht hatte. Der deutschen armen Bevölkerung der Gebirgsgegenden Böhmens wandte St. nun in Wort und Schrift seine besondere Aufmerksamkeit zu. Er erhielt den Antrag einer Reichstagescandidatur für den Wahlbezirk Leitmeritz, erschien gewählt und begab sich hierauf zu dem Reichstage nach Kremsier, nach dessen Auflösung St. Mitredacteur an der „Deutschen Zeitung aus Böhmen“ wurde, jedoch bald wieder nach Komotau zu seiner Mutter sich begab. Daselbst wurde er bald in den Gemeinderath gewählt und führte insbesondere das Referat über das Unterrichtswesen, jedoch übte er auch in anderer Beziehung seine öffentliche Thätigkeit zum Wohle der Stadt und der Bevölkerung aus, so war er hauptsächlich auf dem Gebiete des Bergbaues thätig, nachdem er die geologische Beschaffenheit Komotaus geprüft hatte. Am 2. Mai 1854 verheirathete sich St. und übersiedelte im J. 1856 nach Wien, woselbst er mehrere werthvolle Fachzeitschriften, zumeist nationalökonomischen Charakters, herausgab, er wurde 1860 zum Verwaltungsrath der Graz-Köflacher Eisenbahn und zum Leiter der Bergwerke dieser Gesellschaft, im J. 1861 zum Abgeordneten für den österreichischen Reichsrath gewählt, besuchte ein Jahr später als Mitglied des Centralcomités [432] die Londoner Weltausstellung und machte in den Folgejahren Reisen durch Deutschland, Italien, Frankreich und die Schweiz. Im J. 1864 wurde St. zum Curator des neuen österreichischen Museums für Kunst und Industrie in Wien und 1865 zum Censor der Generalversammlung der allgemeinen Bodencreditanstalt ernannt. Nachdem im J. 1866 St. infolge der Choleraepidemie selbst von der Krankheit ergriffen worden war, blieb er längere Zeit schwach und leidend. Später nahm er wieder die Feder zur Hand und beschäftigte sich mit der Ausführung einiger historischer Romane, nicht ohne jedoch auch einige wissenschaftlich-populäre Arbeiten herauszugeben, gar an die Abfassung einiger Dramen dachte er wieder. Daneben war er fortwsihrend mit der Durchführung wirthschaftlicher und praktischer Arbeiten, Pläne und Unternehmungen beschäftigt, die ihm und seiner Familie materielle Unabhängigkeit sichern sollten. Leider zerstörte die Krisis des Jahres 1873 das meiste des bereits Errungenen und schädigte den so arbeitsfreudigen Mann außerordentlich. Im J. 1874 verlor er mit dem Concurs des „erzgebirgischen Eisen- und Stahlwerks“ den größten Theil seines Vermögens. Er widmete sich nun mehr der publicistischen Thätigkeit, insbesondere in nationalökonomischer Richtung, später nahm er aber auch die praktische Thätigkeit als Finanzmann, Bergbauverständiger etc. wieder auf. In den letzten Jahren seines Lebens wurde St. noch von harten Schicksalsschlägtn betroffen, zu denen insbesondere der Tod seines Lieblingssohnes gehörte, St. stürzte sich infolgedessen in eine Fülle von litterarischen Arbeiten. Von 1877 an hatte er auch die Redaction des trefflichen „Oesterreichischen Jahrbuches“, das Freiherr v. Helfert begründete, übernommen. Zuletzt häufig leidend, erlag St. den heftigen Angriffen seiner Leiden am 29. Juli 1880 in seinem Landhause zu Pötzleinsdorf.
Stamm: Ferdinand St., deutsch-österreichischer belletristischer und nationalökonomischer Schriftsteller und Reichsrathsabgeordneter, wurde am 11. Mai 1813 in dem Bergwerksorte Orpus in Böhmen als Sohn eines Bergwerkseigenthümers geboren, erhielt zunächst zu Hause eine treffliche Erziehung und in den Schulen zu Preßnitz und Dönsdorf seine erste Ausbildung. Das rege Industrieleben sowie die landschaftliche Umgebung seiner Heimath übten schon auf den Geist desDie litterarische Thätigkeit Stamm’s wandte sich, wie schon aus den obigen biographischen Andeutungen hervorgeht, in der früheren Zeit nur dem schöngeistigen Gebiete zu, auf dem er Erzählungen, Novellen, Skizzen u. dgl. in verschiedenen Zeitschriften veröffentlichte und darin eine gewandte fesselnde Darstellung, sowie erfrischenden Humor bekundete. Auch warmempfundene und formschöne Gedichte hat St. an verschiedenen Orten veröffentlicht, eine Sammlung derselben ist jedoch nicht erschienen. In seinem oben schon erwähnten humoristischen Roman hat St. die günstige Einwirkung Jean Paul’schen Humors auf seine Dichtweise dargelegt. Die dramatischen Arbeiten Stamm’s, welche sich in seinem Nachlasse fanden und die allerdings auch aus seinen letzten Lebensjahren herrühren, weisen eine edle, gedankenreiche und geistvolle Sprache, anmuthende Form und edle Tendenz auf, an dieser Stelle seien die Dramen „Libussa“, „Graf Starhemberg“ und „Rüdiger von Bechlarn“ genannt. – von den späteren wissenschaftlichen und populär-wissenschaftlichen Werken Stamm’s, deren eine reiche Zahl vorliegt, sind besonders erwähnenswerth: „Geschichte der Arbeit. Volkslesebuch“ (Wien 1870), eine vortreffliche, anziehend geschriebene Arbeit, die von umfassenden Studien zeugt; ferner: „Die Erde als Wohnort des Menschen“ (Wien 1868), ein nicht minder werthvolles, belehrendes Buch. Von dem fachlich gearbeiteten Werke „Die Stadt und ihre Gewerbe“ (2 Bde., 1857) erschien die 2. Auflage unter dem Titel „Die Gewerbskunde in ihrem ganzen Umfange“ 1865 und erfreute sich besonderer Aufmerksamkeit von Seite des Fachpublicums. Noch seien einige Werke über Gemeindeangelegenheiten aus Stamm’s Feder erwähnt, welche 1846–1850 erschienen, insbesondere „Die Geschäftsführung der Gemeindeverwaltung“ (Prag 1851), sowie die ökonomischen Werke: „Die monatlichen Verrichtungen auf den Aeckern und Wiesen etc.“ (Prag 1851), „Die Landwirthschaftskunst in allen Theilen“ (Prag 1852–53) und „Das Buch vom [433] Hopfen“ (Saaz 1854). Auch einige Werke über Bergbau liegen von dem auf so vielen Gebieten des Wissens bewanderten Manne vor, der in belletristischen und politischen Blättern bis zu seinem Lebensende zahlreiche, höchst beachtenswerthe Artikel veröffentlichte.
- Ferdinand Stamm. Ein Lebensbild von Ant. Aug. Naaff in den Mittheilungen d. Ver. f. Geschichte der Deutschen in Böhmen, XIX. u. XX. Jahrg. (1881 u. 1882). – Wurzbach, Biogr. Lex. XXXVII. – Kehrein, Biogr. litt. Lex. (Selbstbiographie F. Stamm’s). – F. Brümmer, Lex. d. deutsch. Dichter u. Prosaisten des 19. Jahrh.