ADB:Seebach, Camillo Freiherr von

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Artikel „Seebach, Richard Camillo von“ von Max Berbig in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 54 (1908), S. 295–297, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Seebach,_Camillo_Freiherr_von&oldid=- (Version vom 15. Oktober 2024, 15:59 Uhr UTC)
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Seebach: Richard Camillo von S., sachsen-coburg-gothaischer Staatsminister, war geboren am 9. Juli 1808 zu Donndorf in der Provinz Sachsen als älterer Sohn des Freiherrn Thilo v. S. und dessen Gattin Louise geb. v. S. aus dem Hause Cammerforst. Seine Jugend verlebte er in Langensalza, wo sein Vater als Officier in einem königlich sächsischen Husarenregimente in Garnison lag, und in Grimma, wohin dieses Regiment nach der Theilung Sachsens verlegt wurde. Hier besuchte er von 1820 bis 1826 die Fürstenschule und studirte dann in Leipzig und Göttingen die Rechte. 1829 wurde er in den sächsischen Staatsdienst aufgenommen, bereits 1837 zum Beisitzer beim Appellationsgerichte und 1842 zum Appellationsgerichtsrath in Dresden ernannt. Seine vielseitige Bildung und seine gründlichen Rechtskenntnisse waren die Veranlassung, daß er 1848 als Hülfsarbeiter zum Oberappellationshofe versetzt, daneben aber den zur Ausarbeitung einer neuen Strafproceßordnung für Sachsen und zur Organisation der Unterbehörden eingesetzten Commissionen zugetheilt wurde. Seine unermüdliche Thätigkeit, sein praktischer Blick und ein außergewöhnliches Organisationstalent kamen dabei zu ihrer vollen Geltung und deshalb wurde er bestimmt, an den Arbeiten im Justizministerium theilzunehmen. Ehe es jedoch dazu kam, berief ihn Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg-Gotha auf Vorschlag des früheren sächsischen Ministers v. Carlowitz zum Staatsminister seiner beiden Herzogthümer. Er trat am 1. December 1849 seine neue Stellung an; sie war schwierig, da er als alleiniger Minister für alle Zweige der Staatsverwaltung die Verantwortung zu tragen hatte und sich zunächst bis ins Einzelne mit ihnen vertraut machen mußte. Ueberdies mußte er, obwohl unbekannt mit den Persönlichkeiten, ein neues Ministerium bilden, da das vorige vollständig abgewirthschaftet hatte. Seine Wahl war durchweg glücklich, er hatte keinen Fehlgriff zu bereuen. Zudem genoß er das ungetheilte Vertrauen seines Herzogs und trotz unvermeidlicher Meinungsverschiedenheiten ehrendes Vertrauen des Landtags.

Die ersten Angelegenheiten, deren Abwickelung der Herzog von ihm forderte, waren die Regelung der Domänenfrage in Gotha und die Verschmelzung der Herzogthümer Coburg und Gotha, die bisher nur durch Personalunion vereinigt waren, zu einem einheitlichen Staatswesen. Durch Beschluß des gothaischen Landtages vom 27. März 1849 war alles Kammergut für Staatsgut erklärt und dem Herzog eine Civilliste ausgesetzt worden. Mit dieser Maßnahme war aber ebensowenig Ernst II. als die Agnaten seines Hauses einverstanden und letztere hatten unter Führung des Prinzgemahl Albert von England Protest dagegen eingelegt. S. gelang es, eine Abänderung jenes Beschlusses herbeizuführen. Aus dem Einkommen der Domänen sollte der Herzog zunächst 300 000 Mark voraus erhalten, der Rest sodann zwischen der herzoglichen und der Staatscasse getheilt werden. Schon damals erhoben sich verschiedene Stimmen gegen dieses Abkommen, allmählich aber ward die Unzufriedenheit des Volkes damit immer größer, bis endlich im Jahre 1905 eine grundsätzliche Theilung des Besitzes durchgeführt wurde. Eine Verschmelzung der beiden Herzogthümer wußte S. durch das Staatsgrundgesetz vom 3. Mai 1852 insofern zu bewirken, daß wenigstens ein gemeinsamer [296] Landtag ins Leben trat und die Beziehungen zum Bunde und nach Außen, das Staatsministerium, der Staatsgerichtshof, das Militärwesen und die Appellgerichte für gemeinsame Angelegenheiten erklärt wurden. Anfangs wählte jeder der Sonderlandtage die Mitglieder des gemeinsamen Landtages aus seiner Mitte. Dem Einfluß Seebach’s gelang es, den Beschluß herbeizuführen, daß beide Landtage vollzählig sich zum gemeinschaftlichen Landtage zusammenfanden. Endlich wurde 1874 auch noch ein Gesetz angenommen, das jede andere als die eben genannten Angelegenheiten zur gemeinsamen gemacht werden könne, sobald sich in jedem der Sonderlandtage eine Majorität dafür fände. Abgesehen von diesen beiden wichtigsten inneren Angelegenheiten ließ sich S. die Aufgaben der Staatsverwaltung angelegen sein. Er erhöhte die Erträgnisse der Coburger und Gothaer Domänen, erleichterte durch Beseitigung verschiedener Mittelbehörden, z. B. des Consistoriums, den Geschäftsgang, führte auf dem Gebiete der Rechtspflege und des Gefängnißwesens durch Vereinigung mit den Nachbarstaaten zweckmäßige Gestaltungen und Ersparnisse herbei und schuf praktische Gemeindegesetze. Besonders dem Schulwesen war er zugethan, und so entstand unter ihm 1863 in Gotha das erste deutsche Volksschulgesetz.

Segensreich wirkte S. auch nach außen für das Wohl des Landes. Herzog Ernst, von dem Wunsche beseelt, „selbst einen praktischen Schritt zu thun, um innerhalb seiner wenn auch geringen Machtsphäre die schwierige Frage betreffs der Reorganisation der deutschen Kriegsmacht ihrer Lösung etwas näher zu bringen“, hatte beschlossen, „sein Militärcontingent der preußischen Armee so weit wie irgend möglich einzuverleiben“ und beauftragte S. 1860, in Berlin die nöthigen Verhandlungen einzuleiten. Dieselben zogen sich ziemlich lange hin, aber Seebach’s diplomatischem Geschick gelang es doch, am 1. Juni 1861 die Militärconvention zum Abschluß zu bringen. Als jedoch Ernst II. auch das Begnadigungsrecht der Krone Preußen abtreten wollte, rieth ihm S. so ernstlich davon ab, daß er den Plan aufgab. Sonst fanden alle Bestrebungen, welche auf Deutschlands Einheit und Größe abzielten, in S. den wärmsten Fürsprecher. Dies zeigte er besonders im J. 1866. In der Sitzung des gemeinsamen Landtages der Herzogthümer vom 20. Juni jenes Jahres vertheidigte er mit beredten Worten die von seinem Herrn eingeschlagene Politik des engen Zusammengehens mit Preußen. Eifrig nahm er dann Theil an den Verhandlungen des Herzogs mit den Hannoveranern vor der Schlacht bei Langensalza, und als später Onno Klopp die Lauterkeit des Herzogs in seiner Schrift: „Rückblick auf die preußische Annexion des Königreichs Hannover“ anzweifelte, nahm S. mit der Gegenschrift: „Offenes Sendschreiben an den Archivrath Onno Klopp über die Ereignisse vor der Schlacht bei Langensalza“ seine Vertheidigung auf.

Seebach’s Thätigkeit blieb in Berlin nicht unbemerkt. Selbst Bismarck erkannte an, wie er berechtigten Interessen gegenüber eine weise Schonung übte, durch Beharrlichkeit, gepaart mit Geduld und freundlichem Entgegenkommen große Hindernisse überwand und hohe Ziele zu erreichen wußte. Als S. einst als Bundesrathsmitglied zu einem der parlamentarischen Abende des Reichskanzlers eingeladen war, verglich dieser scherzweise Romanen und Slaven in der europäischen Völkerfamilie mit der Frau, die Germanen mit dem Mann. Beide müßten sich amalgamiren. Im Verlauf des Gesprächs dann auf die frühere Geschichte Rußlands eingehend und nach einem Vergleich suchend, sagte er zu S. gewendet: „Sowie Herr v. Seebach der Rurik von Gotha geworden ist.“ Nicht minder wurde S. von seinem Landesherrn geschätzt. Schon kurz nach seinem Eintritt in seinen Dienst, im Winter 1849/50, schrieb dieser an seinen Bruder: „Endlich habe ich nun an Herrn v. S. einen talentvollen noch jüngeren Mann [297] gefunden, der durch seinen geraden, aber versöhnlichen Charakter überall geachtet war und hier den besten Eindruck gemacht hat. Er gehört der conservativ-liberalen Partei an, also ganz die Politik, die wir hier einschlagen, und der du ja auch ergeben bist.“ In seinen Memoiren aber sagt der Herzog am Abend seines Leben: „v. S. war aus innerster Ueberzeugung Anhänger der bundesstaatlichen Richtung unter preußischer Führung und griff überall mit vielem Glücke ein“; er schätzt sich glücklich, diesen Mann als Minister gehabt zu haben und rühmt seine unwandelbare Treue gegen ihn. Aber auch im ganzen Herzogthume erfreute sich S. einer Beliebtheit, wie selten ein Staatsminister. Strenge Rechtlichkeit, Selbstlosigkeit, bei aller Vornehmheit schlichtes Wesen, Menschenfreundlichkeit, Milde und Herzensgüte, Hülfsbereitschaft gegenüber Bedrängten und Schwachen verschafften ihm die Achtung und Liebe aller, die mit ihm in Berührung kamen.

Wie sehr Seebach’s Verdienste gewürdigt wurden, zeigte sein 25jähriges Ministerjubiläum am 1. December 1874. Herzog Ernst schenkte ihm einen herrlich gelegenen Platz bei Friedrichroda zu einer Villa, die das Land erbauen und einrichten ließ. Die Universität Jena ernannte ihn zum Ehrendoctor der Philosophie und eine ganze Fluth von Anerkennungen wurde ihm zu Theil. Besonders hervorzuheben sind die Handschreiben, die Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen und der Großherzog Karl Alexander von Weimar an ihn richteten und die Beide anerkennen, was S. zur Verwirklichung des nationalen Gedankens gethan hatte. Fünf Jahre später, am 4. November 1879, war es S. auch vergönnt, sein goldenes Beamtenjubiläum zu feiern, aber erst 1888, nachdem er 38 Jahre Minister gewesen war, bat er, gedrängt von den Beschwerden des Alters, um Versetzung in den Ruhestand. Unter dankbarer Anerkennung seiner langjährigen treuen und ausgezeichneten Dienste, sowie seiner unwandelbaren Gewissenhaftigkeit in Ausübung seiner vielseitigen Wirksamkeit wurde ihm diese Bitte am 27. März 1888 gewährt.

S. war vermählt mit Eufemia Gräfin v. Kalkreuth, die ihn mit 16 Kindern beschenkte, von denen aber nur 8 den Vater überlebten. Seine Gattin starb bereits 1862, allein seine Töchter waren bemüht, ihn die Sorgen und Mühen des Amtes in einer trauten Häuslichkeit vergessen zu lassen. Besonders nahe stand ihm seine drittälteste Tochter Wanda, Gattin des Oberhausmarschalls v. Koethe in Altenburg, mit der er einen interessanten Briefwechsel unterhielt. H. v. Poschinger hat Auszüge aus demselben im Juni-Heft der „Deutschen Revue“ 1896 veröffentlicht. Leider trübte häufig Krankheit seinen Lebensabend und nach langem, schwerem Leiden verschied er am 3. März 1894, nachdem ihm der Landesherr, dem er so lange und treu gedient hatte, wenige Monate vorher im Tode vorausgegangen war. Bei Seebach’s Beerdigung zeigte sich noch einmal die allgemeine Liebe und Verehrung, die er sich zu erwerben gewußt hatte. Seinem Sarge folgte Herzog Alfred, der Nachfolger Ernst’s II., und eine zahllose Menge Leidtragender schloß sich ihm an. Er wurde neben seiner Gattin auf Friedhof IV in Gotha zur letzten Ruhe gebettet.

Vgl. Dr. H. Wunder: Ecce der Fürsten- und Landesschule Grimma in den Jahren 1894 und 1895. – Dresdner Journal 1849, Nr. 317. – Allg. Zeitung Nr. vom 1. December 1874. – Thüringer Tageblatt 1888, Nr. 72. – Gothaische Zeitung 1874, 1888 u. 1894. – Magdeburger Zeitung 1894, Nr. 119. – Coburger Zeitung 1888 u. 1894. – Ernst II., Aus meinem Leben und aus meiner Zeit. Berlin 1888. – Gothaischer Historienkalender 1895. – Der 1. December 1874. Ein Gedenkblatt als Manuscript gedruckt.