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Artikel „Schulz, Albert“ von Edward Schröder in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 55 (1910), S. 194–197, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schulz,_Albert&oldid=- (Version vom 6. Dezember 2024, 11:22 Uhr UTC)
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Schulz *): Albert Sch. (San-Marte), Germanist, entstammte einer alten brandenburgischen Familie, aus der seit der Reformation abwechselnd Pastoren und Landwirthe hervorgegangen waren, bis die unter Friedrich d. Gr. geborene Generation in die Beamtenlaufbahn eintrat. Als Sohn eines Rathes bei der Justizkammer zu Schwedt a. O. wurde Sch. am 18. Mai 1802 geboren, erhielt seinen ersten Unterricht am Wohnort der Eltern und war nach der Confirmation von Ostern 1816 bis Michaelis 1821 Schüler des Pädagogiums zu Züllichau. Schon hier entfaltete er die litterarischen Neigungen, die ihm das Leben geschmückt haben, und zeigte in Gelegenheitsgedichten, Prologen, Uebersetzungen aus Catull, lyrischen, lyrisch-epischen und dramatischen Versuchen ein bemerkenswerthes formelles Talent: er hat diese Gabe zu allen Zeiten gepflegt, aber nie überschätzt; erst nach seinem Tode ist eine Auswahl derartiger Erzeugnisse, zumeist aus dem Mannes- und Greisenalter, als Andenken für Freunde gedruckt worden. – Am 19. September 1821 wurde Sch. an der Universität Berlin als stud. jur. immatrikulirt, im October 1822 siedelte er nach Heidelberg über, dessen Rechtsfacultät damals in hoher Blüthe stand. Hier ist er bis zum Abschluß seines Studiums im November 1824 geblieben. In Berlin hat er u. a. die Institutionen bei Savigny und bei F. A. Wolf eine Vorlesung über Aristophanes gehört, in Heidelberg waren Thibaut, Zachariae und Mittermaier seine Lehrer. Die Exmatrikel bekundet, daß er „wegen eines vollzogenen Duells“ mit zehn Tagen Carcer bestraft wurde und bei seinem Abgang noch in Untersuchung stand, weil er „mit der sog. burschenschaftlichen Parthey Umgang gehabt hat“. Die Sache scheint aber ohne Bedeutung gewesen zu sein: schon vor Weihnachten 1824 wurde Sch. königlich preußischer Auscultator und am 9. Januar 1825 trat er seinen Dienst am kgl. Stadtgericht zu Brandenburg an. Vielleicht aus dieser (spätestens aus der Naumburger) Zeit stammt das räthselhafte Pseudonym San-Marte, über das Sch. in seinen alten Tagen gern die Freunde sich den Kopf zerbrechen ließ, während er eine Aufklärung lächelnd verweigerte: wahrscheinlich ist es nur ein scherzhaftes Anagramm ganz trivialen Ursprungs.

Ende 1826 kam Sch. als Referendar ans Oberlandesgericht in Naumburg, wo er zu der Familie des reichgebildeten Landraths K. G. Lepsius in nahe Beziehungen trat. (Später hat er dessen „Kleine Schriften“ [Beiträge zur thüring.-sächs. Geschichte] in 3 Bänden herausgegeben, Magdeburg 1854–55.) Nachdem er im Januar 1830 Kammergerichtsassessor geworden war, hat er sich bald darauf mit Clara Lepsius (der älteren Schwester des Aegyptologen Richard Lepsius, zu dem Sch. ein wahrhaft brüderliches Verhältniß gewann) verlobt. Die Briefe aus dem ersten Jahr des Brautstands haben mir vorgelegen: sie zeugen von einem überaus glücklichen Verhältniß und bekunden u. a., wie früh ihm Wolfram’s Parzival zum vertrauten Umgang geworden war. Am 30. Mai 1830 holt er „den seit Februar im Staube ruhenden altdeutschen Parcival heraus“: „und der Dichtergenius des Alten trug mich in seine lichten Zauberregionen. Das ist auch ein Buch für alle Launen, wie der Ariost und Tristram Shandy, und für alle Zeiten, wie die Bibel“. Und nachdem er auf Grund einer weiteren Prüfung in den Verwaltungsdienst [195] übernommen und an die Regierung in Magdeburg versetzt war, pflegte er dort in den Abendstunden 1–2 Stunden Parzival zu lesen, „oder einen Andern“: Goethe, Scott, Shakespeare, die griechischen Tragiker.

Woher der erste Anstoß zu diesem Studium Wolfram’s von Eschenbach kam, dem der vielbeschäftigte Regierungsassessor und Regierungsrath während eines langen Lebens treu blieb, dem er den größten Theil seiner litterarischen Production, ein volles Dutzend Bände gewidmet hat, hab’ ich nicht ermitteln können: ich vermuthe, daß es die Anregungen waren, welche der junge Professor Koberstein von Schulpforta nach Kösen und Naumburg herübertrug. Das einzige Buch Schulz’, das (soviel ich sehe) ein Widmungsblatt trägt, Heft 2 der „Parcival-Studien“, ist Koberstein „in aufrichtiger Verehrung und Dankbarkeit“ zugeeignet (1861). In den ersten Jahren las Sch. den Parzival in dem gräulichen Abdruck der Myller’schen Sammlung, erst seit 1833 bot ihm die Ausgabe Lachmann’s eine feste Grundlage, und mit diesem Jahre setzt auch gleich seine Werbethätigkeit für den geliebten ritterlichen Poeten ein: „Parzival … im Auszug mitgetheilt von San-Marte“ (Magdeburg 1833), um erst nach vierzig Jahren mit einer vollständigen Bearbeitung des „Wilhelm von Orange“ (Halle 1873) ihren Abschluß zu finden.

Im April 1832 hatte sich Sch. verheirathet, im Sommer 1833 wurde er Regierungsrath bei der Magdeburger Regierung. Aber bald nachdem der erste Band vom „Leben und Dichten Wolfram’s von Eschenbach“ mit der Uebersetzung des ganzen Parzival (Magdeburg 1836) erschienen war, trat das Mißfallen des Oberpräsidenten an solchen Allotria deutlich zu Tage, und da eben dieser San-Marte ohnedies als Verfasser einer Schrift „Ueber den Werth von Provinzialgesetzen, mit besonderer Beziehung auf Preußen“ (Quedlinburg und Leipzig 1830) oben nicht gut angeschrieben war, erfolgte im Herbst 1837 „im Interesse des Dienstes“ seine Versetzung nach Bromberg. War Sch. anfangs geneigt, diese wie eine Verbannung anzusehen, so hat er sich doch unter angenehmen gesellschaftlichen und dienstlichen Verhältnissen (er hatte das Domänenfach zu bearbeiten) bald in Bromberg wohl und heimisch gefühlt. Seine litterarische Fruchtbarkeit ist in diesen und den folgenden Jahren wahrhaft staunenerregend – und dabei höchst vielseitig. Noch ehe das große Wolframwerk mit dem zweiten Bande abgeschlossen wurde, der die übrigen Werke des Dichters nebst Auszügen aus dem Jüngeren Titurel und Abhandlungen über das Leben Wolframs und die Gralsage enthält (1841), bearbeitete er die „Gudrun“ in 37 Abschnitten mit wechselnden Versmaßen und Strophenformen nach Art der Tegnér’schen Frithjofsage (Berlin, Posen und Bromberg 1839) und versenkte sich dann gleichzeitig in die polnische und in die keltische Sagenwelt: im selben Jahre 1842 traten ans Licht „Groß-Polens National-Sagen, Märchen, Legenden und Localsagen des Großherzogthums Posen“ und „Die Arthursage und die Märchen des rothen Buches von Hengest“, ein Werk, das vorher schon in Wales preisgekrönt und in London in englischer Sprache erschienen war. Die polnischen Sagenstudien, bei denen es ihn freute, Beziehungen zwischen Dlugosz und Nennius aufzufinden, fanden später ihre Fortsetzung in der Schrift über „Die polnische Königssage. Nach den Quellen dargestellt und kritisch erörtert“ (Berlin 1848); sie wurden wieder aufgefrischt in „Polens Vorzeit in Dichtung und Wahrheit“ (Bromberg 1859). Den Grund dafür hatte Sch. schon im J. 1830 gelegt, als er sich eifrig mit polnischer Geschichte beschäftigte und ein Drama „Roszinski“ plante.

Im Herbst 1843 kehrte er nach Magdeburg zurück, wo er am 1. October als Regierungsrath beim Provinzial-Schulcollegium eintrat: in dieser Stellung, [196] wo man ihm die „Allotria“ jetzt zugestand, ist er bis zu seinem Ausscheiden aus dem Dienst geblieben und hat er sich um die äußere Entwicklung des höheren Schulwesens der Provinz Sachsen wie um die Verwaltung des Klosters U. L. Frauen zu Magdeburg anerkannte Verdienste erworben; 1865 erhielt er den Titel Geheimer Regierungsrath, am 9. Januar 1875 feierte er sein 50jähriges Dienstjubiläum, blieb aber dann noch sechs volle Jahre im Amt und trat erst mit dem 1. Januar 1881 in den Ruhestand. Es war ihm noch ein langer Lebensabend in Gesundheit und geistiger Frische beschieden; er war längst der Senior der deutschen Germanisten, als er am 3. Juni 1893 fast ohne Krankheit verschied.

Im J. 1846 hatte er sich ein Haus gekauft und das Bürgerrecht erworben, am 18. März 1850 wählte man ihn als Abgeordneten in das Erfurter Parlament. Im Juni des gleichen Jahres erlebte er auch die Aufführung eines seiner Dramen „Boleslav II.“, das ungedruckt blieb. Zwei andere, „Der Liebe Streit und Widerstreit“ (o. J.) und „Des Kreuzes Prüfung“ (1845), sind zwar zum Druck gelangt, aber schwerlich aufgeführt worden. – Er gehörte kirchlich und politisch der gemäßigt liberalen Richtung an und erfreute sich als tüchtiger Verwaltungsbeamter, Bürger und Patriot, als sittlicher Charakter und edler Menschenfreund allgemeiner Achtung. Seine ehrwürdige Erscheinung beherrschte wie die Familie (von der die Gattin und Mutter schon 1863 geschieden war), so die litterarisch angeregte Geselligkeit, die er bis ins hohe Alter um sich zu versammeln liebte, und der er bis in die letzten Lebensjahre von seinen mittelalterlichen Studien Kunde gab.

Diese Studien hatten in den Jahren, die auf die Rückkehr nach Magdeburg folgten, anfangs noch ganz der keltischen Heldensage, wie er sie verstand und umfaßte, gegolten. Es erschienen zunächst die Ausgabe von „Nennius und Gildas“ (Berlin 1844), die noch in Bromberg zugerüstet war, dann „Beiträge zur bretonischen und celtisch-germanischen Heldensage“ (Quedlinburg-Leipzig 1847): Arthur – Lancelot – Finn und Hengest. Nach einer Abschweifung zu „Walther von Aquitanien“ (Magdeburg 1853) folgte die Quellen-Compilation „Die Sagen von Merlin“ (Halle 1853) und die mit reichen Beigaben ausgestattete Ausgabe von „Gottfrieds von Monmouth Historia regum Britanniae“ (1854). Dann hatte Sch. die Freude, für den Brockhaus’schen Verlag (Leipzig 1858) eine zweite, verbesserte Auflage seiner Parzival-Uebersetzung herzurichten (der noch eine dritte gefolgt ist, Halle 1887), und nun kehrte er ganz zu Wolfram zurück: diesem gelten nicht nur die drei Theile der „Parcival-Studien“ (Halle 1861–62 – zusammen fast 1000 Seiten!), die ihm den Ehrendoctor der philosophischen Facultät zu Königsberg eintrugen, und die durch einige populäre Vorträge in den „Rückblicken auf Dichtungen und Sagen des deutschen Mittelalters“ (Quedlinburg und Leipzig 1872) ergänzt werden, sondern auch das stoffreiche, viel zu wenig benutzte Werk „Zur Waffenkunde des älteren deutschen Mittelalters“ (ebenda 1867), dann das „Reimregister zu den Werken Wolframs von Eschenbach“ (ebenda 1867) und schließlich die beiden Bücher, durch welche Sch. auch dem Willehalm Freunde und Leser in Laienkreisen zu gewinnen suchte: „Ueber Wolframs von Eschenbach Rittergedicht Wilhelm von Orange und sein Verhältniß zu den altfranzösischen Dichtungen gleichen Inhalts“ (Quedlinburg und Leipzig 1871) und zuletzt die Uebersetzung von 1873 (s. o.).

Wir unterscheiden in Schulz’ Wolfram-Studien zwei Perioden: in der ersten überwiegt die romantische Neigung, die der Jüngling der phantastischen Sagenwelt Wolfram’s entgegengebracht hat; so gelangt der gereifte Mann zu Sagenforschungen, die ihn theilweise weit von dem deutschen Dichter abführen. [197] In dieser Periode könnte ich mir die Begeisterung, mit der sich Sch. für Guiot de Provins im 1. Heft der Parcival-Studien einsetzt, gar nicht vorstellen, ja kaum ein Interesse für diesen von der Sagenwelt des Grals weit abstehenden Didaktiker. – Mit der neuen Auflage der Parzival-Uebersetzung beginnt die zweite Periode: das Interesse am Stofflichen scheidet fast aus: Wolfram, „der evangelische Ritter“, seine aus dem Mittelalter erwachsene und über das Mittelalter hinausweisende Weltanschauung und der starke, ewiggültige sittliche Gehalt seiner Dichtung treten in den Vordergrund. Es steht manches Beherzigenswerthe im 2. und 3. Hefte der „Parcival-Studien“, und auch anderwärts finden sich Hinweise und Aufstellungen, die bisher nicht genügend geprüft und discutirt worden sind – ganz abgesehen von dem, was man einfach wiederholt hat, ohne sich um Schulz’ Vortritt und Vorrecht zu kümmern. Aber der laienhafte Charakter dieser Bücher, den ihr Verfasser nur vertheidigt, nirgends ableugnet, drängt sich allzusehr auf, um den Leser nicht zu ermüden. Der Verfasser bleibt immer eine sympathische Erscheinung: die ausharrende Treue dieses Autodidakten, der zuweilen vergißt, daß ihm das Rüstzeug des Philologen fehlt, aber sich das doch immer wieder ins Gedächtniß ruft, die Ehrlichkeit, mit der er überall die Quellen und die Grenzen seines Wissens aufdeckt, und das nicht von Selbstgefühl, wohl aber von Eitelkeit freie Streben, einen herrlichen Schatz des Mittelalters allen Gebildeten der Nation zu erschließen und einen großen und liebenswerthen Menschen der Stauferzeit den unruhig hastenden Menschen unserer Tage nahe zu bringen, das alles fordert unsere Anerkennung heraus und verlangt unsern Dank. Und es stimmt fast wehmüthig, daß Sch. selbst gerade den Phantasiereichthum und die schöpferische Größe Wolfram’s so wenig erkannt und gewürdigt hast.

Zwei Nachrufe in der Magdeburger Zeitung 1893, Nr. 279 (5. Juni, Abendausgabe). Briefe und Jugenddichtungen, sowie reiche Auszüge aus den Personalacten hat mir der einzige Sohn von Schulz, Herr Otto Schulz in Wiesbaden mitgetheilt, einige persönliche Erinnerungen Herr Geh. Rath Professor Dr. Urban, Propst von U. L. Frauen in Magdeburg.

[194] *) Zu Bd. LIV, S. 257.