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Artikel „Schnauß, Cyriacus“ von Gustav Roethe in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 32 (1891), S. 84–86, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schnau%C3%9F,_Cyriacus&oldid=- (Version vom 26. Dezember 2024, 04:31 Uhr UTC)
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Schnauß: Cyriacus S., lutherischer Pamphletist des 16. Jahrhunderts, wurde geboren am 8. August 1512 in oder bei Roda in Thüringen, lernte das Apothekergewerbe, in dem er noch 1544 als Gesell erscheint, ließ sich vor 1546 als Apotheker zum goldenen Strauß in Coburg nieder und scheint hier den Rest seines Lebens, das mindestens bis 1564 dauerte, zugebracht zu haben. In den Jahren 1546–55 hielt er in Coburg eine kleine Buchdruckerei von freilich sehr ärmlicher Ausrüstung, in der er namentlich seine eigenen Dichtungen und Flugschriften, aber auch einiges andere der Sache Luther’s Förderliche druckte, so z. B. Luther’s Lied „Nun kom der Heiden Heiland“. Diese Drucke Schnauß’ sind zu erkennen an einem immer wiederkehrenden Blattornament und an dem Wahlspruch „Will mich Gott ernähren, so kann ihm Niemand wehren“. S. scheint meistersingerische Schulung genossen zu haben; doch ist mir ein Ton von seiner eigenen Erfindung nicht bekannt. Er zählt in Strophen und Reimpaaren streng die Silben, erlaubt sich aber viertaktige Verse mit klingendem Reim sowol 8- wie 9-silbig zu bauen. In des Meienscheins langem Ton hat er den „erschröcklichen Fal des heiligen Loth“ in engem Anschluß an die Bibel, in dem berühmten späten Ton Frauenlob’s einen Schwank aus Pauli’s Schimpf und Ernst „von dreien schwatzenden Hähnen“ zu Meisterliedern verarbeitet. Aber in diesen Leistungen liegt nicht seine Bedeutung. Er machte sich bekannt und verdient durch poetisch werthlose, aber von sehr gesundem lutherischem Geiste zeugende Zeitgedichte, angeregt vielleicht durch den 1548 gestorbenen ausgezeichneten Coburger Superintendenten Mag. Joh. Langer v. Bolkenheyn, dem S. in seinem „Epitaphium von dem christlichen Testament und gottseligen Abschid des Ehrwürdigen Herrn M. Langer“ ein ehrendes Denkmal setzte. Er begann, so viel wir wissen, 1544 mit einem „Hertzog Ernst christlich verendert“, einem geistlichen Liede im Herzog-Ernst-Ton, das unter Aufgebot zahlloser gereimter Bibelcitate den Werth des Glaubens vor den guten Werken rühmt, aber auch diese nicht für überflüssig erklärt: die Gebote, Betrachtungen über Ehe, Predigtamt und Obrigkeit werden eingeflochten; das härene Kleid der Mönche ist dem eifrigen Lutheraner die Livree des Satans. Sein umfängliches Hauptwerk „Klag und Trostspruch von dem christlichen Abschied des allertheuersten Mannes Herrn Doctor M. Luth.“ schildert den Eindruck dieses Ereignisses ganz in der Weise des mehrfach citirten Hans Sachs unter der Einkleidung eines Traums. Freilich ist diese Einkleidung kindisch ungeschickt: im Februar will der Dichter unter einer Linde am Brunnen eingeschlafen sein und in einer Kirche [85] eine Leichenpredigt gehört haben, über die er sich mit einem alten blinden Manne dann auslegend unterhält. Die Dichtung hat einen doppelten Zweck: sie polemisirt mit lutherischer Grobheit gegen die Papisten, „des Teufels Mastschwein und Rinder“, die jetzt, da der Hauptmann der Protestanten todt sei, sich des Sieges sicher glauben und über Luther’s Tod abscheuliche Verläumdungen aussprengen: ihnen ruft er zu, daß ein lutherischer Säugling mehr göttliche Weisheit in sich habe, als ein Extract aus 1 200 000 Mönchen. Andererseits aber richtet er sich gegen die Lutheraner, die aus Luther eine Art Heiligen machen: Niemand würde das mehr entsetzen als den Reformator selbst; Luther war zwar – ein Bild, für Schnauß’ poetische Anschaulichkeit charakteristisch – „der erste Funck, der aufrecht ging und gar nicht hunk“, aber auch diesem Elias wird ein Elisa folgen. In dieser Auffassung lag keine Lauheit. Noch im selben Jahre (8. August 1546) publicirte S. eine „treuherzige christliche Warnung an den Haufen des rechten wahren evangelischen Bunds“ im Bruder-Veiten-Ton, und Niemand konnte grimmiger gegen die Halbheiten des Interims zu Felde ziehen, als S. das in einem oft aufgelegten Liede von 1548 thut: er vergleicht es den Katzen, die vorne lecken und hinten kratzen. Sein geistliches Ideal ist nach Luther’s Tode Matthias Flacius Illyricus. Die Freudenbotschaft, die lutherische Geistliche aus Ungarn über die Fortschritte evangelischer Lehre dort an Flacius senden, bringt er in einen gereimten Dialog zwischen einem türkischen Boten und einem Fürsten: „Merck du werdes Deutschlandt frey Gotts Wundergschicht recht inn Türckey“, der als illustrirter Einblattdruck verbreitet wurde (1550); und an Flacius dachte S. vornehmlich, als er in dem Pamphlet „Etwas Neues“ (1555) einige ungeheuerliche Predigtproben, die er am Palmsonntag 1555 in der St. Martinskirche zu Bamberg aufgefischt hatte, mit satirischen Glossen versehen tiefer hing: auch in diese sehr derbe Prosaschrift stehlen sich einige Reime ein. Die Befreiung seines Herrn, des Herzogs Johann Friedrich zu Sachsen, aus der Gefangenschaft (1552), begrüßt S. in seinem „Lobspruch oder gantz herzlicher Dancksagunge für die allergnedigste vnd gantz heilsamste Wolthaten der freudenreichen Erledigung Hocherleuchts Christlichen Ritters vnd allertheursten Helden“ mit einem triumphirenden Jubel, der uns kaum dem wirklichen Werth jenes Ereignisses angemessen erscheint: in jener bedrückten Zeit der protestantischen Sache greift der Gläubige nach jedem Strohhalm. Von 1555 an scheint Schnauß’ politische Dichtung verstummt, seine Druckerei eingegangen zu sein. Wir haben noch einen „Freudenspruch“ auf die Hochzeit Herzog Joh. Friedrich’s des Mittlern zu Weimar (20. Mai 1555), zu der der Dichter den alten Herzog und Mart. Luther noch aus dem Grabe heraus gratuliren läßt; wir haben eine spätere gereimte „Glückwünschung“ auf die zweite Hochzeit Hans Zicks v. Atzelberg (13. November 1564), eine Dichtung, in der sehr geschmacklos besonders ausführlich der Glanz seiner ersten Hochzeit geschildert wird: aber beides sind bloße tendenzlose Gelegenheitsgedichte, in der der alte Papistenhaß nur noch wenige unmotivirte Blasen wirft, wie z. B. wenn S. im letzten Gedicht gerade wie in dem ersten von 1544 die Ehe als den ersten von Gott gestifteten Stand preist und sich entrüstet, daß die Papisten das leugnen. – Das Vorbild des Hans Sachs ist unverkennbar. Von ihm lernt S. auch die Methode, seinen Namen in die Schlußreime zu bringen. Aber Sachsens Grazie und Humor ist ihm versagt. Zwischen kräftiger Derbheit und langweiliger Lehrhaftigkeit kennt er keine Vermittlung. Es fehlt ihm der gesunde künstlerische Blick, mit dem Hans Sachs ins umgebende Leben schaut; die Abstraction weiß er nur stellenweise durch gesuchte rohe Bilder zu unterbrechen; der Mangel an innerer Form stimmt ganz zu Luther’s Art, während ihm Luther’s geniale Ursprünglichkeit völlig gebricht.

[86] Gedichte von Schnauß sind neugedruckt in Wackernagel’s Deutschem Kirchenlied III, 936 ff. und in Liliencron’s Historischen Volksliedern der Deutschen IV, 549 ff.