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Artikel „Schinderhannes“ von Schüler. in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 31 (1890), S. 281–286, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schinderhannes&oldid=- (Version vom 23. Dezember 2024, 18:46 Uhr UTC)
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Band 31 (1890), S. 281–286 (Quelle).
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Schinderhannes. Es könnte fast anstößig erscheinen, auf diesen Blättern den Namen eines gemeinen Verbrechers zu finden, zumal da man ihn kaum als einen genialen Räuber bezeichnen kann. Er ist aber aus einer großen Anzahl von seinesgleichen der populärste geworden und das Räuberthum, dem er angehört, ist eine so eigenthümliche sociale Krankheitserscheinung jener Zeit, daß es auch hier berücksichtigt zu werden verdient. Fast durch vier Jahrzehnte hindurch bildete es eine Geißel der Lande auf beiden Seiten des Rheines von der Schweiz bis in die Niederlande hinab. Es handelt sich dabei nicht um eine geschlossene Bande, etwa nach Art von Schiller’s Räubern, die als eine Armee von Wegelagerern umhergestreift wäre, sondern um eine Anzahl verschiedener Banden, die neben- und nacheinander auftraten, allerdings nicht ohne zeitweilig Fühlung untereinander zu haben. Aber auch diese einzelnen Banden trieben sich nicht in geschlossenen Haufen umher, sondern ihre Mitglieder lebten zerstreut in Dörfern und Städten in den verschiedensten Stellungen bürgerlichen Lebens und Gewerbes. Sie sammelten sich nur behufs[WS 1] einzelner Unternehmungen zu kleineren oder größeren Haufen, um nach vollbrachten Diebs- oder Raubthaten [282] wieder in der Masse zu verschwinden. Die eigentlich thätigen Theilhaber bildeten darunter die Minderzahl. Hinter ihnen stand aber eine Masse von Hehlern und solchen, die ihnen und ihrer Beute Unterschlupf gewährten und neben diesen gab es eine noch weit zahlreichere Menge von Furchtsamen und Eingeschüchterten, die nicht nur durch Schweigen, sondern vielfach auch durch Contributionen, gegen die sie von den Gaunern Schutzbriefe bekamen, ihre Sicherheit erkauften, oft genug auch das wüste Leben der Räuber im schwelgerischen Verzehren der Beute theilten. Die Polizei blieb in den damals politisch so völlig zerrissenen Territorien lange Zeit hindurch so gut wie machtlos gegen dieses Unwesen, dem erst das Eingreifen der Franzosen vom linken Rheinufer aus einen wirksameren Damm entgegensetzte. (Vgl. Avé Lallemand, Das deutsche Gaunerthum, 1858 bis 1862). Dieses Treiben stand bereits in voller Blüthe, als S. geboren wurde und zwar in dem nassau-weilburgischen Flecken Miehlen, nach dem dortigen Kirchenbuche am 25. Mai 1783. Sein Vater war Johannes Bückler (im Kirchenbuche steht Bickler) von Märzweiler im heutigen Kreise St. Wendel; seine Mutter Anna Katharina Schmidt von Miehlen. Den ihm selbst verhaßten Namen „Schinderhannes“ hatte er dem Umstande zu verdanken, daß er wie sein Vater und Großvater das Gewerbe der Abdecker betrieben hatte. Als er kaum vier Jahre alt war, entschloß sich sein Vater, durch einen Proceß mit einem Juden in seinen häuslichen Verhältnissen zurückgekommen, zur Auswanderung nach Polen, ließ sich aber unterwegs für das in Olmütz liegende kaiserliche Regiment Hildburghausen anwerben. Nach fünf Jahren, die dem Knaben im ungebundensten Verkehr mit Soldatenkindern verflossen, entzog sich der alte Bückler der Fuchtel des Corporals durch Desertion und kehrte mit einem preußischen Passe versehen mit den Seinen nach dem Hunsrück zurück, wo er sich bald hier, bald dort sein Brod als Tagelöhner oder Feldschütze verdiente. Unter solchen Umständen konnte die Schulbildung des Sohnes nur eine sehr oberflächliche sein, als er im 14. Lebensjahre zu Cappel im Kreise Simmern in evangelischer Religion confirmirt wurde. Höchst anstellig und betriebsam, wußte sich der Bursche durch kleine Handdienste nützlich zu machen, bis er eines Tages dem Gastwirth von Veitsroth einen Louisdor veruntreute, um ihn mit einem jüngeren Knaben zu vernaschen. Er entfloh dem Elternhause, trieb sich umher, durch die Noth bereits zum Diebe gemacht, bis ihn der Scharfrichter (Schinder) Nagel zu Bärenbach in seinen Dienst nahm. Noch vor Ablauf eines halben Jahres stahl er diesem eine Anzahl Häute, entwich, ward aber von dem Maire von Kirn 1797 festgenommen und in öffentlicher Execution, welche sein Ehrgefühl erheblich minderte, durchgeprügelt. Sein früherer Brodherr zu Bärenbach nahm ihn wieder auf; bald schenkte er jedoch den Einflüsterungen eines gleichalterigen wüsten Burschen Gehör, der ihn zu überzeugen wußte, wie leicht das in lockerer Gesellschaft zu vergeudende Geld durch Diebstähle von Hammeln, für die man in Kirn einen Abnehmer fand, aufzubringen sei. Lange konnte dieses sein Treiben freilich nicht unbemerkt bleiben; er kam zum zweiten Male als Arrestant nach Kirn, entsprang aber schon in der ersten Nacht aus der Rathsstube. In Hennweiler, wohin er nunmehr seine Schritte lenkte, machte er die Bekanntschaft zweier berüchtigter Diebe, des Müller-Hannes und des Petronellen-Michel, deren Unterweisungen im Diebshandwerk einem gelehrigen Schüler zu theil wurden; gewissermaßen eine Probe seines Könnens legte er damit ab, daß er einem Gerber zu Meisenheim Leder zum Kauf anbot, welches er ihm Tags zuvor entwendet hatte. – So war es wohl weniger eine Regung des Gewissens, als das Grauen vor dem unstäten, heimathlosen Leben, das eines Tages den Entschluß bei ihm zur Reife kommen ließ, seine mütterlichen Verwandten auf der rechten Rheinseite aufzusuchen und hier ein neues Leben zu beginnen. Bei seiner Haltlosigkeit [283] bedurfte es indessen nur der Einkehr in eine verrufene Waldschenke, um ihn seine guten Vorsätze schnell vergessen zu lassen. In der an seinem Wege gelegenen Treberhanneshütte hatte er mit dem Rothen Fink, einem wiederholt aus Kerkern entsprungenen Diebe, Freundschaft geschlossen und durch diesen den entarteten Pfarrerssohn Mosebach, den Peter Käß aus Lauschied, Zigeunerhannes u. A. kennen gelernt, die sich vorzugsweise auf Pferdediebstahl verlegten, der Führung des Schwarzen Peter, eines Kohlenbrenners und Holzhackers von Hüttcheswasen, unterstellten und in den Orten Liebshausen, Lauschied, Schneppenbach und Seibersbach, auf abseits gelegenen Höfen und Mühlen, sowie in den Schenken und Hütten des Soon- und Hohwaldes Herbergen und Niederlagen fanden. Bald mit dem einen, bald mit dem anderen seiner neuen Gefährten gemeinsame Sache machend, war S. im Aufspüren ungenügend verwahrter Pferdeställe schnell genug der Findigste, in der Anwendung der Kunstgriffe des Hufumwickelns, Miststreuens auf gepflasterten Höfen etc. der Umsichtigste. Für seine gestohlenen Pferde wußte er immer schnellen Absatz zu finden und wollte ihm dieses einmal nicht glücken, so begab er sich zu dem Bestohlenen, gab diesem zu verstehen, daß er um den Verbleib seines Pferdes wisse und ihm zu dessen Wiedererlangung behülflich sein wolle. Für einige Karolin führte er dann den Vierfüßler wieder an seine Krippe zurück. Neben diesem „Pferdehandel“ verschmähte S. auch das Mitnehmen von Kleinvieh, von Effecten, Kleidern u. a. Objecten nicht; mit Fink trieb er einmal eine ganze Heerde Schweine aus Hungenroth bei Boppard weg, um sie theils zu Lettweiler und Hallgarten in Geld umzusetzen, theils bei einem Schlachtfeste im Hause des Schultheißen zu Liebshausen zu verwenden. Nicht einmal das Eigenthum der ihn gastlich aufnehmenden Höfe war vor ihm sicher, wie daraus erhellt, daß er, nachdem er eben mit dem Schäfer auf dem Hühnerhofe zu Abtweiler ein gestohlenes Schwein verzehrt, diesem einen Hammel mitnahm, um sich denselben auf dem Steinharter Hofe bei Sobernheim, einer Hauptniederlage und Spielhölle der Gauner zubereiten zu lassen. – Anderthalb Jahre waren ihm so seit der ersten Inhaftirung verflossen, tiefer und tiefer war er auf der betretenen schiefen Bahn hinabgeglitten und bereits Augenzeuge eines durch den Schwarzen Peter an einem Juden von Seibersbach im Soonwalde begangenen Mordes, sowie Mitschuldiger an dem um einer Dirne willen begangenen Todtschlage eines verkommenen Subjects Namens Placken-Klos geworden, als er 1798 patrouillirenden Chasseuren[WS 2] auf der Weidener Mühle in die Hände fiel. Nach Oberstein gebracht, gestand er dem Friedensrichter auf Zureden seiner Mutter eine ganze Reihe von Pferdediebstählen, was jenen veranlaßte, ihn dem Director der Geschworenen zu Saarbrücken auszuliefern. Am 16. Juli kam er im dortigen Arresthause an und schon am nächsten Tage meldeten Rundschreiben seine Entweichung. Wie er später erzählte, war er zu zwei Arrestanten gesteckt worden, in denen er zu seiner Freude den Rothen Fink und Peter Käß erkannte; diese hatten schon vor seiner Ankunft das Eisengitter des Kerkerfensters gelockert, so daß er bei Anbruch der Dunkelheit unbehelligt das Weite suchen konnte. Nachdem er sich kurze Zeit bei den Holzbrennern in den Waldungen jener Gegend verborgen gehalten hatte, kehrte er geraden Weges nach dem Hunsrücken zurück und trieb sein Diebshandwerk ärger als zuvor. Endlich in der Nacht vom 25. zum 26. Februar 1799 gelang es französischen Gensdarmen, ihn bei einer Zuhälterin im Schlaf zu überrumpeln und nach Simmern einzubringen. Um ihm jede Möglichkeit der Flucht zu nehmen, ließ man ihn mit Ketten belastet an einem Seile in das fensterlose Verließ eines alten Thurmes hinab. Nur auf einige Stunden ward er Tags heraufgeholt, um Luft zu schöpfen. Nichtsdestoweniger gelang ihm die Flucht. Beim Sprung aus dem Thurm zerschmetterte ein nachstürzender Stein ihm fast ein Bein, gleichwohl vermochte er sich [284] fortzuschleppen bis zu einem Spießgesellen, der ihm dann weiter half. Auf seinem wochenlangen Schmerzenslager faßte er den Beschluß, den bei der großen Concurrenz nicht mehr einträglichen Pferdediebstahl aufzugeben und es dafür mit dem Straßenraub zu versuchen. Damit betrat er den Theil seiner Räuberlaufbahn, welcher zu so viel romanhaften Erzählungen den Stoff liefern mußte, die jedoch mit den actenmäßigen Aufzeichnungen nicht in Einklang zu bringen sind. Es war dem leichtfertigen Burschen weniger um große Räuberthaten, als um mühelosen Erwerb der Mittel zu einem wüsten schwelgerischen Leben zu thun. Mit der Zeit freilich, als er sich nach dem Verschwinden des Schwarzen Peter aus der Gegend von seinesgleichen als den Helden des Tages betrachtet sah, wuchs seine Selbstschätzung und damit auch seine Dreistigkeit. Wenn er sein Raubsystem ganz besonders gegen die Juden richtete, so liebte er es, das mit[WS 3] dem Haß zu erklären, den er wegen der Verarmung seines Vaters durch einen Juden gegen sie gefaßt habe. Mehr als das trieb ihn aber wohl dazu die Aengstlichkeit der Juden an und der Umstand, daß er sich dadurch die Sympathieen und oft auch die stille Beihülfe der von ihnen ausgesogenen Landbevölkerung sicherte. Hatte doch auch sein hübsches, von braunen Haaren umrahmtes Gesicht, wie sein stattliches Aeußere so wenig des Erschreckenden, daß die Leute eher den Vergelter vermeintlicher Bedrückungen, als den Räuber in ihm erblickten. Ja man suchte ihn auf, um ihm solche zu bezeichnen, denen man eine kleine Anzapfung gönnte. So zählten seine Anhänger zwar nach hunderten, es ist aber eine falsche Sage, daß er an der Spitze einer zahlreichen Bande einhergezogen sei. Je nach Bedürfniß sammelte er nur für die einzelnen Raubanfälle eine Handvoll seiner Getreuen um sich, oder verband sich auch mit einer der benachbarten, z. B. der sogen. Niederländer Bande. Die am meisten hervortretenden dieser Spießgesellen, wie wir sie aus den Gerichtsverhandlungen kennen lernen, sind Leiendecker, Benzel, Dalheimer, Prick, Blum, Schmitt, Gilchert, der junge Petri, dann besonders der Chef der Niederländer Bande Picard und dessen rechte Hand der Daumen-Müller, Christian Reinhard oder schwarzer John, Peter Henrichs-Hannadam, Johann Adam Rinkert. Als geistiger Berather diente dem S. ganz besonders der schon genannte Leiendecker, ein höchst findiger und geriebener Geselle. Bei einer Tanzlustbarkeit bei Kirn lernte S. die damals 16jährige schöne und gewandte Juliane Bläsius kennen, die mit ihrer Familie dort musicirte. Zu Ostern 1800 wußte er sie zu bereden, ihm zu folgen. Sie hat später wohl behauptet, sie habe damals nicht gewußt, daß er der berüchtigte Räuber sei, jedenfalls folgte sie ihm seitdem und zwar bis ins Gefängniß mit unerschütterlicher Treue, wie auch er sie bis zum letzten Augenblick zärtlich liebte. Mitunter soll sie in Mannskleidern an seinen Einbrüchen theilgenommen haben. Zeitweilig trieb sie einen kleinen Handel mit den geraubten Sachen. Ein erstes Kind, das bald gestorben zu sein scheint, gebar sie ihm im Umherstreifen im Wald bei Schwalbach. Der junge Schwalbacher Badearzt Dr. Fenner ward als Accoucheur hinausgeholt und aufs beste behandelt. Einen Sohn gebar sie am 1. October 1802 im Gefängniß zu Mainz. So verübte nun S. von 1800 bis in den Juni 1802 eine lange Reihe sich zum Theil rasch folgender kecker Einbrüche; ward ihm auf dem linken Rheinufer der Boden unter den Füßen zu heiß, so begab er sich aufs rechte. Dazwischen zog er entweder als Krämer umher unter dem Namen Krämerjakob oder ließ sich auf längere Zeit fast häuslich nieder und führte dabei mit seinen Gesellen in der übermüthigsten Weise ein lustiges Leben unter Spiel und Tanz. Die Landbevölkerung wußte er durch seine Brandbriefe, in denen er sich „Johannes durch den Wald“ zu zeichnen liebte, manchmal auch durch seine Freigebigkeit und Jovialität gefesselt zu halten. Die Polizei ward stets auf fast fabelhafte [285] Weise hinters Licht geführt. Auf der Hasenmühle bei Schloßborn im kurmainzischen Amt Königstein hauste er in solcher Weise im Winter 1800 auf 1801 elf Wochen. In einer von einem Beamten an die nassau-usingensche Regierung gerichteten Beschwerde aus dieser Zeit heißt es: die Räuber hätten bei Helstrich Schlachtfeste und Hochzeiten gefeiert, zu Bechtheim und Beuerbach mehrere Nächte hindurch Musik gehalten und getanzt, ohne daß Jemand dagegen eingeschritten sei. Wohl beseitigte endlich eine zu Wetzlar am 28. Januar 1801 geschlossene Convention auf dem rechten Rheinufer das ärgste Unwesen. Dem S. ward das Handwerk jedoch erst gelegt, als von Mainz aus der neu ernannte französische Generalregierungscommissar Jeanbon St. André energisch eingriff. S. suchte einen Augenblick eine Anknüpfung zu finden, um in die bürgerliche Gesellschaft zurückzukehren. Dieser Versuch mißglückte. Bald darauf wurde er, indem er mit seiner Krambude auf dem rechten Ufer umherzog, in Wolfenhausen bei Runkel als verdächtig angehalten. Er ließ sich, um auf diesem Wege zu entschlüpfen, für die kaiserliche Armee anwerben, wurde aber alsbald erkannt und nach Frankfurt geschafft. Hier gestand er am 12. Juni 1802 dem Criminalrath Dr. Siedler, daß er der berufene S. sei, wie er sich denn von diesem Augenblick an überhaupt der größten Offenherzigkeit befleißigte. Am 16. Juni ward er den französischen Behörden zu Mainz ausgeliefert. Die Bläsius folgte ihm ins Gefängniß. Ein Heirathsconsens fand sich nebst einem Gebetbuch unter seinen Habseligkeiten. Am 19. Juni begann der Untersuchungsrichter Wilhelm Wernher das Verhör mit ihm und erlangte dadurch, daß er ihm die Gnade des ersten Consuls für seine Aufrichtigkeit in Aussicht stellte, auf 565 Fragen die umfassendsten Geständnisse, welche dann auch zur Festnahme einer Unzahl anderer Verbrecher führten. Das zur Aburtheilung eingesetzte Specialgericht unter dem Präsidenten Rebmann constituirte sich am 5. August; doch zog sich der Abschluß der Voruntersuchug bis zum 18. März 1803 hinaus. Die öffentlichen Schlußverhandlungen konnten erst am 24. October beginnen. Die Anklageacte richtete sich gegen S., dem 53 Verbrechen zur Last gelegt wurden und 67 seiner Mitschuldigen. Vom Gericht waren 137 Zeugen geladen, von den neun Vertheidigern die doppelte Zahl. Während der Verhandlungen, die fast einen Monat dauerten, faßte das sich auf den Galerien drängende Publicum für S. ein immer lebhafteres Interesse, ebenso sehr wegen der reumüthigen Aufrichtigkeit, mit der er seine Missethaten bekannte und zu der er auch seine Mitverbrecher antrieb, als wegen seiner stets guten Laune und noch mehr wegen der kindlichen Theilnahme an dem Loos seines Vaters und der Zärtlichkeit zu seiner Geliebten. Nicht für sich, sondern nur für Vater und Weib erbat er die Gnade der Richter. An Mordthaten hatte er übrigens niemals einen selbstthätigen Antheil genommen. Das Urtheil ward am 20. November 1803 verkündet. Von den 68 Angeklagten, von denen mittlerweile einer den Verstand verloren hatte und vier im Gefängniß gestorben waren, wurde S. mit 19 Complicen zum Tode verurtheilt. 7 erhielten eine 24jährige, 3 (darunter der Vater Johann Bückler) eine 22jährige, 1 eine 14jährige, 2 eine 10jährige, 1 eine 8jährige, 1 eine 6jährige Kettenstrafe; 3 (darunter die Bläsius) eine 2jährige, 1 eine 5monatliche Zuchthausstrafe; 2 wurden verbannt und 20 freigesprochen; 1 dem Specialgericht des Saardepartements überwiesen. Die Hinrichtung fand am folgenden Tage Mittags 1 Uhr statt; die herbeigeströmte Menge schätzte man auf mehr als 40 000 Köpfe. S., der bis zum letzten Augenblick mit seinem Kind getändelt, dann das Abendmahl genommen hatte, unterhielt sich auf der Fahrt „mit staunenswürdiger Ruhe“ mit dem ihn begleitenden Geistlichen, sprang an der Richtstätte angelangt ohne Zaudern vom Wagen, küßte den Scharfrichter und betrat die Guillotine mit den Worten: „Ich sterbe gerecht, doch zehn von meinen Cameraden [286] verlieren das Leben unschuldig.“ In 26 Minuten war das grausige Schauspiel der 20 Hinrichtungen beendet. Die Sensationslitteratur brachte damals eine Anzahl Schinderhannes-Biographien auf den Markt, die aber ohne allen geschichtlichen Werth sind. Des im Gefängniß geborenen Sohnes der Bläsius, Franz Wilhelms, nahmen sich gute Menschen an; er trat später in österreichische Militärdienste und starb als Unterofficier. Die Bläsius fand nach Verbüßung ihrer Strafe in Mainz eine Stelle als Magd, kehrte nachher in ihren Geburtsort Weierbach zurück und verheirathete sich mit einem Manne Namens Uebel. Ein Sohn dieser Ehe lebt noch jetzt als braver Schuhmacher. Als Uebel in den folgenden Kriegszügen seinen Tod fand, heirathete die Wittwe ihren Vetter Peter Bläsius. Von den sieben Töchtern dieser Ehe leben noch zwei. Sie selbst starb nach Ausweis der Civilstandsregister am 3. Juli 1851.

Als Quellen sind neben den einschlägigen Acten des Staatsarchivs zu Wiesbaden zu nennen: Die auf der Mainzer Stadtbibliothek aufbewahrten, in vier Foliobänden (französisch und deutsch) abgedruckten Untersuchungsprotokolle und die Anklageacte unter dem Titel: „Procédure instruite par le Tribunal criminel spécial établi à Mayence etc. contre Jean Bückler dit Schinderhannes et soixante sept complices“ etc. – Frankfurter Staats-Ristretto,[WS 4] Jahrg. 1802 u. 1803. Leben und Thaten, bezw. Leben, Thaten und Ende des berüchtigten Räubers Johannes Bückler gen. Schinderhannes, 2 Theile, Basel u. Aarau 1804. – Becker, Actenmäßige Geschichte der Räuberbanden an den beiden Ufern des Rheins, 1. Theil, Köln 1804. Auf letztere stützen sich, obschon sich deren Angaben nicht überall mit denen der obigen Protokolle decken, die weiteren Darstellungen im Rheinischen Antiquar II, 6. S. 446 ff., im Neuen Pitaval, Neue Serie 6. Bd., S. 375 ff. und in der Tagespresse, die zu Anfang des Jahres 1887 die Erinnerung an jene traurige Zeit auffrischte, als man zu Mainz unter altem Gerümpel die Oelbilder des S. und der Bläsius mit ihrem Kinde fand, sie renovirte und in der Stadtbibliothek aufstellte.
Schüler.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. behufs – zwecks, zu dem Zweck
  2. Chasseur – französisch für „Jäger“
  3. mit in der Vorlage doppelt
  4. Staatsristretto – kurze Darstellung der Staatsbegebenheiten