ADB:Schertlin, Leonhard
Cammerlander in Straßburg 1538, ist ausdrücklich ebenso zum Lesen wie zur Aufführung bestimmt und eine Art lehrhaften Spiels, wie Hans Sachs so manche verfaßt hat. Den Kern des Ganzen bildet ein langer, wenig anziehender Disput des weisen Pittakus mit dem Bacchusknechte Mystes; es ist ein überraschend ironischer Schluß, wenn nach vielem Hin- und Herreden und ohne ersichtlichen Grund schließlich der Weise nicht nur die Waffen streckt, sondern sich sogar vom Gotte Bacchus selbst mit dem Amte des vom vielen Trinken erkrankten Silenus belehnen läßt. Bacchusdienst aber ist für S. identisch mit säuischer Unflätherei; so weist der Sieg des Bacchus das Büchlein herein in die Grobianuslitteratur, deren erster selbständiger Vertreter, Salzmann’s Grobianus-Tischzucht, im selben Jahre erschien. Die äußere Einkleidung mag S. erfunden haben; von dem Inhalt, den Ideen und der Citatengelehrsamkeit des Dialogs ist verzweifelt wenig oder nichts sein Eigenthum. Schon der Gedanke, die Vorzüge und Schäden der Trunkenheit an einander zu messen, war ihm gegeben durch die beiden Prosaschriftchen Christ. Hegendorfer’s „Encomium [132] ebrietatis“ (1519) und „Encomium sobrietatis“. Wirklich liegt der erstgenannte kleine lateinische Tractat, das Lob der Trunkenheit, den sämmtlichen Reden des Mystes so genau zu Grunde, daß sie lediglich als freie Uebersetzung gelten dürfen, die nicht einmal in der Reihenfolge der Motive abweicht, ja daß selbst das eine und andere lateinische Wort sich in die deutschen Verse verirrt hat. Dagegen ist mir für die Gegenrede des Temperenzlers Pittakus eine so einheitliche Quelle nicht bekannt; Hegendorfer’s Encomium sobrietatis ist diese Quelle nicht gewesen; daß S. des Obsopoeus Verse „de arte bibendi“ benutzte, wie behauptet wurde, scheint unrichtig; es finden sich Anklänge an das berühmte 16. Cap. von Brant’s Narrenschiff, an Seb. Franck’s Tractat über „das greuliche Laster der Trunckenheit“ (1531), vor allem an ein von Joh. v. Schwarzenberg verfaßtes Büchlein „Wider das Zutrinken“ (1516); mit ihm hat S. eine Holzschnittallegorie gemein, die er in einer Kleinigkeit änderte, im übrigen aber merkwürdigerweise so viel erschöpfender und deutlicher erklärte, als Schwarzenberg selbst, daß Math. Friedrich, als er 1556 in seinem „Saufteufel“ Schwarzenberg’s Schriftchen mit abdruckte, die entsprechenden Verse Schwarzenberg’s durch Schertlin’s Reime ersetzte, obgleich diese dank jener Aenderung zu Schwarzenberg’s Holzschnitt, wie auch Friedrich ihn beschreibt, nicht einmal genau paßten. Ueberhaupt hat Schertlin’s humorloser langweiliger Dialog auffallend viel Beachtung gefunden: 1543 wurde er als „die vol Bruderschafft“ neu aufgelegt; die Wormser Freidankausgabe von 1538 bestreitet ihre Zusätze über die Trunkenheit aus Schertlin’s Reimen; Wickram hat Verse Schertlin’s in seine „Sieben Hauptlaster“ aufgenommen (1556), und auch des Hieron. Bock Dichtung „Der vollen Brüder orden“ ist durch Schertlin’s 2. Aufl. angeregt.
Schertlin: Leonhard S., Dichter des 16. Jahrhunderts; von seinem Leben ist weiter nichts bekannt, als daß er am 10. Februar 1538, als er die Widmung seines Dialogs über die Trunkenheit schrieb, zu Klingenmünster in der Pfalz wohnte; es darf aber als sicher gelten, daß er leidliche Vorbildung genossen hatte und namentlich des Lateinischen mächtig war. Jener Dialog in Reimpaaren „Künstlich trincken Eyn Dialogus von Künstlichem vnd höflichem, Auch vihischem vnd vnzuchtigem trincken“ u. s. w., mit Originalholzschnitten gedruckt bei- Vierteljahrschrift für Literaturgesch. I, 86 fg.; II, 497.