ADB:Scheibert, Karl Gottfried

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Artikel „Scheibert, Karl Gottfried“ von Gottfried von Bülow in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 53 (1907), S. 738–740, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Scheibert,_Karl_Gottfried&oldid=- (Version vom 23. April 2024, 10:38 Uhr UTC)
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Scheibert: Karl Gottfried Sch., Dr. phil., Provinzialschulrath, war geboren am 4. October 1803 als Sohn des Schneidermeisters, Küsters und Schulmeisters Scheibert in Schellin, eine Meile südlich von Stargard an dem Maduesee gelegen, eines frommen, fleißigen Mannes, der mit dem kargen Jahreseinkommen von 42 Thalern seine aus vier Kindern bestehende Familie zu ernähren und zu erziehen wußte. Der Sohn hat in der Schrift: „Martin’s, des Schneiders, Küsters und Schulmeisters Leben“, Eisleben 1877, dem Vater ein ehrendes Denkmal gesetzt. Mit 13 Jahren eingesegnet, wurde Sch. ein Jahr lang täglich zu Fuß nach Stargard geschickt, um die für den Schullehrerberuf nöthige Musik zu erlernen; beim Vater lernte er das dazu ebenso nothwendige Schneiderhandwerk, in dem er es bis zum Gesellen brachte. Durch Fürsprache erhielt er Aufnahme in das Gröningsche Gymnasium (s. A. D. B. IX, 720). Die Miethe für seine Wohnung aber mußte er sich durch Schneidern, Stundengeben und Abschreiben verdienen. Ostern 1821 ging er mit 90 Thalern in der Tasche zu Fuß nach Halle, um dort, wo bereits ein älterer Bruder studirte, das Abiturientenexamen zu machen und Theologie zu studiren. Infolge mangelhafter Ernährung – nur alle vier Tage ein warmes Mittagessen, sonst trockenes Brot und Fliederthee – erkrankte er hier, mußte Halle verlassen und konnte erst Ostern 1822 in Greifswald das Abiturientenexamen machen und seine Studien beginnen. Er betrieb dieselben mit höchstem Eifer, so daß er nach Beendigung derselben im April 1825 eine Stelle am akademischen Seminar zu Stettin mit 180 Thaler Gehalt und freier Wohnung erhielt. Zu Ostern 1826 machte er das erste theologische, Michaelis 1828 das Oberlehrerexamen und wurde 1829 als ordentlicher Lehrer am Marienstiftsgymnasium daselbst angestellt. Seine Wirksamkeit war eine ungemein segensreiche. Er unterrichtete in Religion, den alten Sprachen, Mathematik und Geschichte und wußte seinen Schülern nicht bloß das klare Verständniß der Lehrgegenstände beizubringen, sondern ergriff und begeisterte sie durch seine hervorragende Rednergabe der Art, daß alte Schüler noch jetzt versichern, nie einen Lehrer oder Pastor gehabt zu haben, der so mächtig auf sie eingewirkt habe. Auch als er 1830 der Freimaurerloge beitrat, in der er 1850 Meister vom Stuhl wurde, riß er durch seine Vorträge die Zuhörer mit sich fort. Als im J. 1840 die Stadt Stettin ein Realgymnasium, die Friedrich Wilhelm-Schule gründete, wurde Sch. zum Director gewählt; das Haus wurde nach seiner Angabe gebaut, die Lehrer nach seinen Vorschlägen gewählt, ihm selbst die Mittel zu einer Studienreise bewilligt. Hier konnte Sch. nun zeigen, was er zu leisten vermochte. Die Schule fand begeisterten Zulauf, neue Cöten wurden bald nöthig. Das Verhältniß zwischen Director und Lehrern war ein freundliches; [739] durch fleißiges Hospitiren wußte er die Lehrer für seine Lehr- und Erziehungsgrundsätze zu gewinnen, dem Einzelnen im übrigen möglichste Freiheit lassend, sofern nur die Schüler geistig gehoben und ihr Wissen und Können gefördert wurde. Die Fortschritte waren brillant, häusliche Arbeiten gab es wenig, Turnen und Spiele, die den Leib stählen, wurden eifrig gepflegt, Musik und Gesang nach ihrer erziehlichen Bedeutung gewürdigt und geübt.

Die Stürme des Jahres 1848 mit ihren aus Frankreich übertragenen unreifen Freiheitsideen hatten auch in Stettin manche Köpfe verdreht und zu politischen Putschen geführt. An den Bestrebungen der ruhigeren Bürger, die hochgehenden Wogen zu dämmen, betheiligte sich Sch. eifrig, trat vielfach in öffentlichen Versammlungen als Redner auf, erzielte mit seiner volksthümlichen Beredsamkeit reiche Erfolge und gewann großen Einfluß, so daß er nicht nur zum Vorsitzenden des conservativen Vereins, sondern 1850 auch in das Erfurter Parlament gewählt wurde.

Im J. 1855 wurde Sch. als Provinzialschulrath nach Breslau berufen und war als solcher bestrebt, seine Grundsätze des Unterrichts und der Erziehung auf den dortigen Gymnasien zur Geltung zu bringen. Der Schwierigkeiten, die sich ihm dabei entgegenstellen würden, war er sich bewußt; hatte er doch selber dem Minister v. Raumer seine Verwunderung ausgesprochen, daß derselbe ihn, dessen Hauptstärke die Mathematik sei, zum Provinzialschulrath berufen wolle. In Schlesien wollten weder Gymnasial-Directoren noch -Lehrer ihn für voll anerkennen, doch gelang es Sch. bald, dieselben umzustimmen, umsomehr da er ihre Rechte nach Außen kräftig zu schützen verstand, wovon drastische Beispiele noch heute erzählt werden. Sein Wirken für die Schule auf religiösem Gebiet blieb dagegen länger unverstanden. Die erhebenden Andachten, mit denen schon an der Friedrich Wilhelm-Schule in Stettin die Schulwoche begonnen und beschlossen wurde, und die Sch. auch auf den schlesischen Gymnasien einführte, wurden als Uebungen für die Lehrer im freien Vortrag angesehen, bis der neue Provinzialschulrath dieselben an diesem und jenem Breslauer Gymnasium längere Zeit selbst hielt.

Seit dem Frühjahr 1830 war Sch. mit Adelheid Graßmann, Tochter des Professors der Mathematik am Marienstiftsgymnasium in Stettin, verheirathet, einer Dame von hohen Gaben des Geistes und des Herzens; sie starb am 25. April 1861 in Breslau. Der Ehe entsprangen mehrere Kinder, von denen vier in Stettin den Eltern durch den Tod an Vergiftung entrissen wurden, ein Sohn war später Pastor in Altwasser in Schlesien, ein andrer, Justus Scheibert, wurde Militär und hat sich durch fachwissenschaftliche Werke bekannt gemacht. – Nach vollendetem 70. Lebensjahre bat Sch. um seinen Abschied und zog sich 1873 nach einem kleinen, von ihm gekauften Landgut in Jannowitz, Kreis Schönau, am Fuß des Riesengebirges zurück, wo er von treuer Hand gepflegt, noch bis an sein Ende segensreich gewirkt hat, bis den Vierundneunzigjährigen am 19. Februar 1878 der Tod abrief. Im schlichten Bibelglauben erzogen, hat er sein Herz Gott hingegeben und es nicht zu gering geachtet, den einfachen Leuten in Jannowitz in gelegentlichen Gesprächen oder in geschlossenen Vereinen aus dem reichen Schatz seines Wissens und seiner Erfahrung mitzutheilen. Als in den letzten Jahren nur noch wenige näher Stehende mit ihm verkehren konnten, hat er auch dann noch durch sein klares Urtheil und seine christlich gereifte Persönlichkeit fördernd und anregend gewirkt und bis an sein Ende Gott die Treue bewahrt.

Nach schriftlichen und mündlichen Nachrichten seines Schülers, Collegen und Schwagers Robert Graßmann in Stettin und andrer Freunde. – [740] Vgl. Pädagogische Revue von Scheibert, Langbein und Kuhn, Zürich bei Schultheß, 1851 ff.