ADB:Schömann, Georg Friedrich
Ahlwardt’s Empfehlung das Conrectorat in Anklam, welches er vom 15. Juni 1813 bis 30. Juni 1814 bekleidete, um es dann mit dem Greifswalder zu vertauschen. Am 15. März 1815 vermählte er sich mit Minna Peters, Tochter eines Arztes in Anklam, und gleich darauf am 10. Mai 1815 erwarb er sich bei der Greifswalder Universität die philosophische Doctorwürde. Am 23. Februar 1818 aber ward er zum Prorector am Gymnasium befördert.“ – S. hat zu seinen Specialstudien über das griechische Alterthum die Anregung nicht von seinen akademischen Lehrern erhalten; er war wesentlich Autodidakt, als er die Schrift „De comitiis Atheniensium libri tres“ (Greifswald 1819) erscheinen ließ und sie A. Boeckh widmete, dessen epochemachende Staatshaushaltung der Athener 1817 herausgekommen war. Schoemann’s Arbeit war seit Jahrhunderten die erste selbstständige Darstellung der Formen, in denen das politische Leben der Athener sich bewegte, hervorgegangen aus einer nüchternen und besonnenen Verwerthung der sorgsam durchforschten Litteratur, insbesondere der attischen Redner. Mit der Abhandlung „De sortitione iudicum apud Athenienses“ habilitirte er sich 1820 an der Greifswalder Universität, wo er 1821 auch Unterbibliothekar und im März 1823 schon zum außerordentlichen Professor (ohne Gehalt) ernannt wurde. Durch ein eigenthümliches Zusammentreffen war der in demselben Studienkreise sich bewegende Mor. Hartm. Ed. Meier (vorher Privatdocent in Halle) 1820 ebenfalls als außerordentlicher Professor nach Greifswald berufen worden; mit ihm trat S. in die innigste Gemeinschaft der Studien, und Beide bearbeiteten zusammen das von der Berliner Akademie der Wissenschaften gestellte Thema über Proceß und Klagen bei den Attikern. „Die preisgekrönte Arbeit: „Der Attische Proceß; vier Bücher von M. H. E. Meier und G. F. Schoemann“ (Halle 1824) handelt nach einer von S. verfaßten historischen Einleitung im ersten Buch von den Vorständen des Gerichts (von Meier), im zweiten von den Gerichtshöfen (S.), in dem umfangreichen dritten (Meier) von den beiden Hauptkategorien der öffentlichen und der Privatklagen, endlich im vierten (S.), vom [236] Proceßgange.“ Obgleich heutzutage in vielen Beziehungen veraltet, ist das Buch noch durch kein anderes ersetzt, sondern von J. H. Lipsius unter Verwerthung der neueren Forschungen Berlin 1883 überarbeitet wieder herausgegeben. Das Buch trug außer dem steigenden Ansehen S. auch von der juristischen Facultät den Doctorhut ein; als er einen Ruf nach Dorpat ablehnte, wurden ihm 100 Thaler Gehalt bewilligt, und als gleich darauf Meier als Ordinarius nach Halle ging, erhielt er dessen Einkünfte. Infolge davon konnte er 1826 das bisher geführte Schulamt niederlegen; 1827 wurde er ordentlicher Professor, 1844 erster Bibliothekar. Inzwischen hatte er auch nach dem Tode seiner ersten Frau (1821), die ihm drei Kinder geschenkt, 1824 eine zweite Ehe geschlossen mit Karoline Schildener, Tochter eines juristischen Collegen. In den Studien bebaute er zunächst dasselbe Feld wie früher: den für das attische Privatrecht wichtigsten Redner Isaios übersetzte er (Stuttg. 1830) und gab den griechischen Text mit lateinischem Commentar heraus (Greifswald 1831); ebenso bearbeitete er mit Rücksicht auf die spartanische Verfassungsgeschichte Plutarch’s Biographien des Agis und Kleomenes (lateinisch, Greifswald 1839). Eine systematische Darstellung der griechischen Staatsalterthümer gab er in den „Antiquitates iuris publici Graecorum“ (Greifsw. 1838) „einem seiner in inhaltlicher wie in formaler Beziehung gereiftesten Werke“, worin er das staatliche Leben der verschiedenen Stämme und politischen Gemeinschaften scharf und klar darzulegen sich bemühte. Das umfangreiche Geschichtswerk des Engländers Georg Grote gab ihm später Veranlassung zu einer polemischen Schrift: „Die Verfassungsgeschichte Athens nach G. Grote’s History of Greece kritisch geprüft“, Leipzig 1854, worin er seine conservative Richtung hervortreten ließ und des Engländers Lob der Demokratie bekämpfte; und gleich darauf steuerte er zu der Weidmannschen Sammlung von Handbüchern das diese Studien abschließende Werk: „Griechische Alterthümer“ bei (2 Bde., Berlin 1855, 1859. 2. Aufl. 1861. 3. Aufl. 1871–73), welches im ersten Bande das Staatswesen der Griechen zunächst im allgemeinen nach seiner historischen Entwickelung, sodann in eingehender Darstellung die Verfassung der Hauptstaaten Sparta (nebst Kreta) und Athen, im zweiten Bande die internationalen Verhältnisse der griechischen Stämme und das Religionswesen behandelt. Denn in den Cultuseinrichtungen der Griechen erblickte S. mit Recht einen wesentlichen Theil des öffentlichen Lebens und hatte deshalb schon früh auch der Erforschung ihrer religiösen Anschauungen gründliche Studien gewidmet. In den von ihm verfaßten Universitätsprogrammen, die er von 1827–1868 zu schreiben hatte (gesammelt in „Opuscula academica“, 3 Bde. Berlin 1856–58) behandelte er die hesiodische Theogonie in zahlreichen Einzelforschungen, deren Ergebnisse er in der Schrift: „Die hesiodische Theogonie, erläutert und beurtheilt“, Berlin 1868 zusammenfaßte. Eine lebendige Einsicht in die religiösen Kräfte war für ihn der Mittelpunkt des Verständnisses des geläuterten Griechenthums; „alles wahrhaft Religiöse schien ihm dem Christenthume verwandt“, und die größten Geister der Griechen producirten nach seiner Ansicht intuitiv christlich-dogmatische Ideen. In diesem Sinne unternahm er neben einer Uebersetzung von Aeschylus’ Gefesseltem Prometheus eine „Nachdichtung“ des verlorenen daran sich schließenden Erlösten Prometheus (Greifswald 1844), worin er die schwierige und vielumstrittene Frage von dem Grundgedanken dieses Stückes behandelt und gegen F. G. Welcker u. A. den Knoten der dramatischen Verwicklung nach Analogie der christlichen Kirchenlehre so löst, daß er den Empörer Prometheus zur Einsicht seines Unrechts gelangen und von dem unfehlbaren Weltregenten Zeus begnadigen läßt. Die Schrift rief mannigfache Polemik und Erörterungen hervor; ihr Standpunkt wurde aber vom Verfasser beharrlich, noch in der Gratulationsschrift an Welcker [237] 1859 (Ein Wort über A. Pr. –) festgehalten. Zu demselben Studienkreise gehört auch seine Schulausgabe von Cicero’s Schrift de natura deorum (Berlin, Weidmann 1862, dann öfter), über welche er Einzelstudien in Programmen veröffentlicht hatte. Eindringende Forschungen über die Geschichte der Grammatik bei den Alten trugen als Frucht seine „Lehre von den Redetheilen bei den Alten“ 1861, ein Büchlein, worin er den Studirenden auf die zweckmäßigste Art in die Anfänge der grammatischen Wissenschaft einführt und durch sorgfältige Quellennachweise den Einblick in die allmähliche Entstehung, sowie auch in die Schwächen des Systems vermittelt. – Der Stil Schoemann’s in allen Schriften ist präcis, dabei lebendig und anschaulich, im lateinischen Ausdrucke ebenso wie im deutschen; seine Polemik ist fein und auch derb, je nach der Art des Gegners, doch im Tone stets würdig und maßhaltend. Er war eine echt lehrhafte Natur, auch darin, daß er dem einzelnen Schüler, der Interesse zeigte, gerne näher trat, weshalb ihm eine kleine, aber andächtige Zuhörerschaft lieber war, als ein gefülltes Collegium. Sein früheres Amt als Gymnasiallehrer befähigte ihn besonders zur Wirksamkeit in der wissenschaftlichen Prüfungscommission für Lehrer, welcher er als Mitglied seit 1838, als Director seit 1852 angehörte. An Anerkennung und Auszeichnung fehlte es ihm nicht; er war schon drei Mal Rector der Universität gewesen, als man ihn auch 1856 zur 400jährigen Jubelfeier wieder dazu wählte, wo er Gelegenheit fand, durch Feinheit und Gewandtheit der Rede Bewunderung zu ernten. 1864 erhielt er den Orden pour le mérite. Das Bedürfniß eines Ortswechsels empfand er nie: „er war festgewurzelt mit jeder Faser seines Wesens in dem heimischen Boden Pommerns“, während er im Laufe der Zeiten zahlreiche Fachcollegen scheiden sah. Seine körperliche Constitution war kräftig und gesund; erst in den 70er Jahren trat er allmählich von den Vorlesungen zurück. Als seit 1875 Schwäche des Augenlichts eintrat, besorgte er seine letzten schriftstellerischen Arbeiten mit Hülfe eines treuen Enkels. Im Sommer 1878 ward er bettlägerig, und wie er selbst schrieb, ein „lebensmüder Greis“, bis ihn am 25. März 1879 ein sanfter Tod hinwegführte. – Schoemann’s persönliches Wesen war fest und „nicht ohne Herbigkeit“; aber er besaß ernsten Gerechtigkeitssinn und herzliches Wohlwollen. Heiter und gänzlich ungezwungen war er nur im engsten Kreise. Seine religiösen und politischen Anschauungen waren tief, der Kern der ersteren ist aber (nach Versicherung Nahestehender) aus seinen Schriften nicht sicher zu erschließen. Große Pflichttreue und peinliche Gewissenhaftigkeit in allen Obliegenheiten zeichnete ihn aus.
Schoemann: Georg Friedrich S., bedeutender Philologe, geboren am 28. Juni 1793, † am 25. März 1879. „Er stammte aus einem schwedischen Geschlecht und ward als der älteste von drei Söhnen in Stralsund geboren, wo sein Vater kaiserlicher Advocat und Notarius war. Nachdem seine Eltern sich getrennt hatten, wurde der Knabe im Hause seines Großvaters, des Rathsverwandten G. E. Schoemann in Anklam erzogen und besuchte das dortige Gymnasium, bis er Michaelis 1809 als 16jähriger Jüngling die Greifswalder Universität bezog. Zwei Semester, das erste und letzte, brachte S. dort und drei in Jena zu, wirkte dann ungefähr ein Jahr als Hauslehrer bei einem Stralsunder Kaufmann Namens Israel, und erhielt schon 1813 durch- Vgl. den Nekrolog von F. S(usemihl) in Bursian’s Biograph. Jahrbuch für Altertumskunde 1879, S. 7–15.