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Artikel „Rudolff, Christoff“ von Moritz Cantor in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 29 (1889), S. 571–572, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Rudolff,_Christoph&oldid=- (Version vom 14. November 2024, 06:17 Uhr UTC)
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Rudolff (auf dem Titelblatt eines Werkes auch Ludolff genannt, während im Werke selbst überall die Lesart mit R sich findet): Christoff R., geboren in Jauer, war Rechenmeister in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, Schüler des Grammateus (s. A. D. B. IX, 578), dem er rühmlich nacheiferte, wie seine Schriften beweisen. Rudolff’s Aufenthaltsort scheint ausschließlich Wien gewesen zu sein. Von dort sind wenigstens seine Schriften datirt, wenn auch dort nicht gedruckt. Die „Coß“ Rudolff’s ist 1525 in Straßburg gedruckt. Von einem 1526 gedruckten Rechenbuche, dessen erste Ausgabe wir nicht kennen, ist ein wiederholter Abdruck 1540 in Nürnberg zu Stande gekommen. Endlich eine Beispielsammlung Rudolff’s „seynē schülern zu sonderer übūg auch allen handthierungen personen zu nutz und gutem verfertigt“ wurde 1530 in Augsburg gedruckt. Die Coß ist in Abhängigkeit von in lateinischer und deutscher Sprache vorhandenen Schriften verfaßt, ohne auf eigenes zu verzichten. R. selbst äußert sich darüber: „Ich hab von meister Heinrichen, so grammateus genennt, der Coß anfengklichen bericht empfangen. Sag im darūb danck. Was ich weyters, über entpfangnen bericht, durch embsigen vleiß zū gemeynē nutz, geschaffen, wil ich im (als meinem preceptor) zu judiciren heimgesetzt haben. Brauch sich ein andrer als ich than habe, so wirt die sach gemeert.“ Die Aufnahme, welche dieses Werk fand, war eine ungemein warme. Schon 1554 war der Druck einer neuen Auflage, welche Michael Stifel (s. diesen), der selbst aus dem ersten Abdruck den Grund zu seiner eignen Wissenschaft gelegt hatte, besorgte, dringend geboten, denn schon damals war kein Exemplar des Werkes mehr aufzutreiben, wenn man auch den drei- und vierfachen Preis dafür zu zahlen sich erbot. Mit dieser Werthschätzung des Werkes gingen aber Verunglimpfungen [572] desselben Hand in Hand. „Ich höret (sagt Stifel in der Vorrede zur zweiten Auflage der Coß) auff ein zeit jm grewlich und unchristlich fluchen, das er die Coß hatte geschriben und das beste, wie der flucher sagt, hette verschwigen, nemlich die Demonstrationes seyner Regeln. Un hette seine Exempla, wie er saget, auß der Librey zu Wien gestolen“. Beide Anklagen sind gewiß der Hauptsache nach richtig, verdienten aber keineswegs in so harter Form gestellt zu werden. Seiner Benutzung früherer Schriften hat R., wie schon bemerkt, kein Hehl, und Regeln zu beweisen war in deutsch geschriebenen Büchern damaliger Zeit nicht üblich; höchstens in Büchern, welche in der lateinischen Gelehrtensprache abgefaßt waren, gestattete man sich solchen Luxus. In Rudolff’s Coß sind die Gleichungen des ersten und zweiten Grades mit einer Unbekannten in ihren verschiedenen Fällen, dadurch entstanden, daß ausschließlich positive Glieder auf beiden Seiten des Gleichheitszeichens stehen durften, gelöst. Auch zwei Gleichungen dritten Grades (x3 + 63 = 10 x2 wenn x = 3, 1/2x3 = 1/2x2 + 605 wenn x = 11) kommen vor, aber ohne Angabe, wie die Lösung gefunden sei. Jedenfalls ist das Vorkommen an sich dafür bezeichnend, daß das Interesse an solchen cubischen Gleichungen, welches seit Regiomontan in Deutschland nachzuweisen ist, und welches in Italien 20 Jahre vor der Zeit, in welcher Rudolff’s Coß erschien, zu der Regel des Scipio Ferreus führte, nicht geschwunden war. Bei R. ist das erste Vorkommen des heute noch üblichen Zeichens für Quadratwurzel bemerkt worden. Das Rechenbuch von 1526 zerfiel in zwei Theile, deren erster die „Species in gantzen und in brochnen zalen“, der zweite unter dem Namen des Regelbüchleins „die guldē regel de Tri, wie dieselbe vorteilig zu brauchen, mit nachvolgung vil schöner exempel, durch besondere Titel ordenlich von einander gesundert“ lehrte. Beim Ansprechen der Zahlen ist einmal in der zweiten, nicht aber in der ersten Ausgabe von dem Worte Million Gebrauch gemacht, dessen Pacinoli sich schon am Ende des 15. Jahrhunderts in Italien bediente. In Deutschland fand das Wort keinen Anklang, wie es scheint. Wenigstens fehlt es in vielen Rechenbüchern, die nach dem Rudolff’s gedruckt sind. Sehr merkwürdig ist die Vorschrift Rudolff’s, die Division durch 10, 100, 1000 u. s. w. also zu vollziehen, daß man so viel Ziffern, als der Divisor Nullen enthalte, im Dividendus „mit einer virgel“ abschneiden solle! Das war die Einführung der Decimalbrüche in ihrer heutigen Gestalt, wenn es in Uebung kam; aber auch dieser Fortschritt sollte sich erst langsam Bahn brechen. Und endlich ging R. noch in einer Beziehung über seine Zeit hinaus. Nachdem er gewohnter Weise die Neunerprobe der Rechnungen zeigt, fügt er hinzu, es könne durch jede andere Zahl die Probe geschehen, aber „die gewissest prob so man gehaben mag, ist, wan ein species die ander probirt“. Man hat nach alle diesem gewiß mit Recht R. immer als den hervorragendsten mathematischen Schriftsteller seiner Zeit in Deutschland betrachtet.

Vgl. C. I. Gerhardt, Geschichte der Mathematik in Deutschland. München 1877 S. 38 flg. und 54 flg. – P. Treutlein, Die Deutsche Coß. Supplementheft zur Zeitschr. Math. Phys. Bd. XXIV. 1879. – A. Pringsheim in der Bibliotheca mathematica von Eneström. 1886. S. 239–244.