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Artikel „Rothschild, Familie“ von Wilhelm Stricker in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 29 (1889), S. 373–375, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Rothschild&oldid=- (Version vom 2. November 2024, 22:55 Uhr UTC)
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Rothschild: Familie. In einer „Allg. Deutschen Biographie“ kann die international gewordene Familie R. natürlich nur in ihren Anfängen und in ihren im Vaterland verbliebenen Gliedern betrachtet werden. Das Stammhaus der Familie in der ehemaligen Frankfurter Judengasse ist das einzige erhaltene Muster des Typus der Häuser in derselben; es ist 1886 neu hergestellt und enthält gegenwärtig die Räume für die Verwaltung der Rothschild’schen Stiftungen. Es trug Nr. 148. Schon in der „Judenstättigkeit“ von 1616 kommt das Haus „zum Rothen Schild“ vor: Mosche zum rothen Schild – Isaak Rothschild zum rothen Schwerdt –, dann 1715 Gumprecht Trier im rothen Schild. Es trug Nr. 69.

Die Rothschild’sche Familiengeschichte kann nicht über den Handelsmann Amschel Moses R. zurückgeführt werden. Ueber dessen Verhältnisse wissen wir nur, daß er der Vater von Maier Amschel R. war, welcher das nach ihm benannte weltberühmte Handelshaus begründet hat. Der hier wiederholt vorkommende Name Amschel ist bei späteren Familiengliedern fälschlich in Anselm verfeinert, er ist aber nur der Hausname zur Amsel.

M. A. R. war 1743 geboren und wurde von seinem Vater dazu verwendet, daß er mit einem Geldsäckchen bei den Bankiers herumgehen mußte, um Münzen gegen grobes Geld umzuwechseln. Diese Beschäftigung war für ihn aus dem Grunde wichtig, weil er dabei mitunter seltene Münzen eintauschte und infolge davon Interesse an der Münzkunde gewann. Als Jüngling brachte er, da er Rabbiner werden wollte, einige Zeit in Fürth zu und studirte dort jüdische Theologie, gab dies jedoch bald wieder auf, um sich dem Handel zu widmen. In seine Vaterstadt zurückgekehrt blieb er vorerst nicht in derselben, sondern nahm im Oppenheim’schen Bankhause zu Hannover eine Stelle an. Dort erwarb sich R. das volle Vertrauen seines Principals. In die Vaterstadt zurückgekehrt, gründete er ein eigenes Geschäft und verheirathete sich 1770 mit der Frankfurterin Gutta Schnapper, geboren am 23. August 1753, welche am 7. Mai 1849 im 96. Lebensjahre starb. Sie erlebte noch den höchsten Glanz ihrer Familie, verließ aber bis zu ihrem Tode nicht das 1780 erkaufte Stammhaus, welches ursprünglich den Namen „zum grünen Schild“ führte.

M. A. Rothschilds Erfolge waren so groß, daß er schon 1798 ein Handelshaus in London gründen konnte, aber einen noch höheren Aufschwung nahm sein Geschäft durch die Verbindung mit dem Landgrafen Wilhelm IX. von Hessen-Kassel (reg. seit 1785, als Wilhelm I. Kurfürst von 1803–1821), dessen Hofagent er seit 1801 war. Als der Kurfürst 1806 beim Ausbruch des Krieges sein Land verlassen mußte, vertraute er den größten Theil seines Vermögens seinem Frankfurter Hofagenten zur geheimen Aufbewahrung an. R. verbarg das Geld in Weinfässern und wußte nicht nur dasselbe vor den Nachforschungen der Franzosen zu sichern, sondern er vermochte es auch, dem Kurfürsten die Zinsen seiner in der englischen Bank hinterlegten Capitalien richtig zukommen zu lassen. Als R., welcher schon seit 1804 bedeutende Anleihen mit Dänemark abgeschlossen, im Jahre 1808 das colossale Geschäft einging, das in Spanien kämpfende englische Heer mit Geldmitteln zu versorgen, streckte ihm der Kurfürst die dafür erforderliche Caution vor. Der große Gewinn dieses Geschäftes war eigentlich die Grundlage seines Reichthums. M. A. R. starb am 19. September 1812 in seinem Stammhause mit Hinterlassung von fünf Söhnen und fünf Töchtern. Wie er im Leben sehr wohlthätig gewesen war, so legte er in seinem Testamente [374] seinen Söhnen die Verpflichtung auf, daß jeder bis an sein Lebensende fünftausend Gulden jährlich an das Frankfurter Haus zum besten der Armen zahlen solle.

Die fünf Söhne waren: Amschel Mayer, geb. am 12. Juni 1773, † zu Frankfurt am 6. December 1855, der Frankfurter R.; Salomon Mayer, geb. am 9. September 1774, † am 27. Juli 1855 zu Paris, der Wiener seit 1816; Nathan Mayer, geb. am 16. September 1777, † am 28. Juli 1836 in Frankfurt, der Londoner seit 1798; Karl Mayer, geb. am 24. April 1788, † am 10. März 1855 zu Neapel, der Neapolitaner seit 1821; Jacob Mayer (James), geb. am 15. Mai 1792, † am 15. November 1868 zu Paris, der Pariser seit 1812. Sie erhielten 1815 vom Kaiser von Oesterreich den erbländischen Adel, 1822 den Freiherrnstand. Dennoch dauerte es bis 1836, daß die drei in Frankfurt anwesenden Glieder der Familie Rothschild, Mayer Amschel, Karl und Anselm, in die erste geschlossene Gesellschaft der Stadt, in das Casino, Aufnahme fanden. Nach der Wiederherstellung des Weltfriedens nahmen die Geschäfte der immer zusammenwirkenden, an den Hauptpunkten des Geldverkehrs stationirten Brüder immer größere Dimensionen an; Gentz gibt an, daß in zwölf Jahren durch Vermittelung des Rothschild’schen Hauses für Rechnung der europäischen Fürsten zwischen 1100 und 1200 Millionen Gulden, theils als Anleihen, theils als Subsidienzahlungen übernommen wurden, wovon ungefähr 500 Millionen für England, 120 für Oesterreich, 100 für Preußen, 200 für Frankreich, 120 für Neapel, 60 für Rußland, 10 für einige deutsche Höfe und 30 für Brasilien; – ohne weder die an die verbündeten Höfe im Betrage von mehreren hundert Millionen ausgezahlten französischen Kriegsentschädigungsgelder, noch die mannigfaltigen vorübergehenden Geschäfte in Anschlag zu bringen, die sie in Aufträgen der verschiedenen Regierungen vollzogen, und deren Gesammtbetrag die vorstehenden Summen wohl noch weit überstieg.

Bekannt ist, daß die 20 Millionen Franken aus der französischen Kriegsentschädigung, welche zur Anlegung einer Bundesfestung am Oberrhein bestimmt waren, bis 1842 zu höchst niedrigem Zinsfuß bei dem Hause R. in Frankfurt hinterlegt waren. An 2 800 000 Pfund Sterl. (56 Mill. Mark) Consols, welche die Häuser R. 1827 zu 87½ % übernahmen, verdienten sie 14 % (Morning Chronicle bei Gentz).

Wir beschränken uns auf diese kurzen Andeutungen hinsichtlich der internationalen Geschäfte, welche den Grund zum Reichthum des Hauses legten und wenden uns zur Schilderung eines Deutschland angehörigen Gliedes der Familie, welcher als Politiker wie als Kunstsammler in die Oeffentlichkeit getreten ist. Freiherr Mayer Karl v. R. war in Frankfurt geboren als Sohn des neapolitanischen R., am 5. August 1820. Er bezog Herbst 1837 die Universität Göttingen, theils zu seiner allgemeinen Ausbildung, theils um Rechtswissenschaft zu studiren. In Göttingen lernte ich ihn kennen, er war sehr fleißig, und da er bei Dahlmann Collegien gehört, so schloß er sich nicht aus, als eine Schar seiner Landsleute nach der Austreibung der eidestreuen Professoren, da den Lohnkutschern in Göttingen bei schwerer Strafe verboten war, einen Wagen zu liefern, zu Fuß sich am 17. December 1837 auf den Weg machte, um nach Uebernachten in dem ersten hessischen Dorfe die verehrten Lehrer am 18. morgens in Witzenhausen zu begrüßen. Im nächsten Winter (1838/39) war ich mit R. in Berlin, im darauffolgenden (1839/40) in Neapel zusammen. Nachdem R. nach Frankfurt zurückgekehrt, in das Bankhaus eingetreten war und sich 1842 verheirathet hatte, begann er auf der 1855 von ihm erworbenen Günthersburg, deren Hauptgebäude er umbaute, seine kunstgewerbliche Sammlung anzulegen, von welcher später die Rede sein wird. Mit der Annexion von Frankfurt begann [375] seine politische Wirksamkeit. 1867 war er Abgeordneter von Frankfurt für den Reichstag des Norddeutschen Bundes, am 16. November wurde er Mitglied des Herrenhauses, 1870 war er Mitglied des Reichstags, von 1869–70 Stadtverordneter. Karl v. R. starb am 16. October 1886; in den letzten Jahren hatte er, außer seinem Geschäfte, wesentlich seiner Sammlung gelebt. Dieselbe war theils auf der Günthersburg, theils im Stadthause am Unter-Main-Thor aufgestellt, und zwar wurden auf dem Landhause, welches mit Pietra-dura–Möbeln und chinesischen Porcellanvasen ausgestattet war, die größeren Arbeiten in Silber und Limousiner Email aufbewahrt, in dem Stadthause die kleineren, im Ganzen wohl noch werthvolleren Arbeiten in Gold, Email, edlen Steinen, Bergkrystall, die Bijouterien, die Dosensammlung, die Schildkrot-, Elfenbein- und Holzarbeiten. Während seines Lebens waren die Sammlungen nicht allgemein zugänglich, wurden aber Fachleuten, Einzelnen und Vereinen, sowie gut empfohlenen Privatleuten geöffnet, auch gestattete der Besitzer, daß der Buchhändler H. Keller in Frankfurt unter dem Titel: „Der Schatz des Freiherrn Karl v. R.“ ein Werk von 100 Tafeln nach Photographien mit Text von Prof. Ferd. Luthmer, Director der Kunstgewerbeschule, herausgab.

Nach seinem Tode wurden die Sammlungen vertheilt. Die in London und Paris verheirathet oder verwitwet lebenden Töchter erhielten einzelne Stücke, das Frankfurter historische Museum drei silberne Becher, das Frankfurter Kunstgewerbemuseum leihweise die chinsischen Vasen, der Haupttheil jedoch, der Witwe und der in Frankfurt lebenden ledigen Tochter Luise gehörig, wurde im Stadthaus aufgestellt und gegen Karten dem Publicum zugänglich gemacht. Das Prachtstück des „Rothschild-Museums“ bildet der weltberühmte, aus der Nürnberger Familie Merkel stammende Tafelaufsatz von Wenzel Jamnitzer, welcher für 500 000 Mark angekauft wurde. Der Raum gestattet uns nicht, auf die Einzelheiten weiter einzugehen; nur das sei bemerkt, daß bei dem Geschmack des Sammlers und seinen unbegrenzten Mitteln nur Meisterleistungen hier vertreten sind. Aus den Sammlungen der Günthersburg schenkten die Hinterbliebenen dem Städel’schen Kunstinstitut das Gemälde von Tischbein: Goethe in Rom. Wir schließen mit einer Aufzählung der Stiftungen, welche die Familie R. in ihrer Vaterstadt gemacht hat. 1) Georgine Sara v. R.-Stiftung für erkrankte fremde Israeliten, wurde im Januar 1870 von Freifrau Hannah Mathilde v. R. zum Andenken an ihre Tochter Georgine Sara (geb. 1851, † 1869) gegründet, seit 1878 auf dem Roderberg. – 2) Clementine-Mädchenspital, gestiftet zum Andenken an ihre Tochter Clementine Henriette (geb. 1845, † 1865), eröffnet 1875. – 3) Freiherr Anselm Salomon Rothschild’sche Stiftung zur Förderung des Kunstgewerbes, gegründet 1877 mit einem Capital von 250 000 Mark von Freifrau Hannah Mathilde v. R. zum Andenken an ihren Vater Freiherr A. S. v. R. (geb. 1803, † 1874 in Paris.). 4) Freifrau Charlotte v. Rothschild’scher Fonds von 125 000 Mark zur Linderung der Noth in Frankfurt, gegründet 1878. – 5) Freiherrlich Karl v. Rothschild’sche öffentliche Freibibliothek, gegründet zu seinem Andenken von seiner Tochter Luise, eröffnet am 3. Januar 1888. Als Curiosum mag noch angeführt sein, daß die Frankfurter Thaler mit dem Bild der Francofurtia, bei welcher man eine Aehnlichkeit mit der Schauspielerin Janauscheck entdecken wollte, in Amerika als Janauscheck Dollars oder Rothschild Love Dollars als besondere Seltenheit zu hohen Preisen ausgeboten werden.

Mittheilungen des Frankfurter Vereins für Gesch. u. Alterthskde., V. 509. – L. Kriegk, Geschichte von Frankfurt, 1871, S. 468. – Schriften von F. Gentz, herausg. v. G. Schlesier, 1840, V, 113. – Gothaisches Taschenbuch der freiherrlichen Häuser.