ADB:Roth, Stephan (Schulmann)

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Roth, Stephan“ von Paul Mitzschke in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 53 (1907), S. 564–567, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Roth,_Stephan_(Schulmann)&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 10:48 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Roth, Rudolph von
Band 53 (1907), S. 564–567 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Stephan Roth (Stadtschreiber) in der Wikipedia
Stephan Roth in Wikidata
GND-Nummer 119167360
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|53|564|567|Roth, Stephan|Paul Mitzschke|ADB:Roth, Stephan (Schulmann)}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=119167360}}    

Roth: Stephan R., Schulmann, Theolog, Rathsherr und Geschwindschreiber, geboren 1492 in Zwickau, † daselbst am 8. Juli 1546. Der Knabe, der von seinem Vater, einem Handwerker, praktischen Sinn und helles Auge, von der Mutter Religiosität und idealen Sinn ererbt hatte, empfing die Jugendbildung auf der Zwickauer Rathsschule, die wegen ihrer besonderen [565] Tüchtigkeit unter dem Namen „Zwickauer Schleif- oder Polirmühle“ bekannt war. Im J. 1512 bezog er die Universität Leipzig und wurde dort gründlich in die Ideen des Humanismus eingeführt. Seinem Studienfreunde Kaspar Cruciger widmete R. 1516 seine Erstlingsschrift, eine lateinische Abhandlung über ein Gedicht des Pico von Mirandola. Nach Vollendung der Studien folgte er zu Ostern 1517 einem Rufe in seine Heimathstadt, deren Rath ihm für drei Jahre die Leitung der berühmten „Polirmühle“ übertragen hatte. Durch Berufung tüchtiger Lehrkräfte und Einführung des griechischen Unterrichts gelang es ihm, die Schule zu einer Pflanzstätte des Humanismus zu machen. Mit gleichem Geschick und ähnlichem Erfolg wirkte R. nach Ablauf seiner Zwickauer Rectoratszeit als Leiter der lateinischen Schule des böhmischen Städtchens Joachimsthal, eine Stellung, die er ebenfalls drei Jahre lang (1520–1523) bekleidete.

Mit steigender Theilnahme verfolgte er dort die von Wittenberg ausgehende Bewegung und entschloß sich, den Reformator Luther selbst zu hören. Im J. 1523 ließ er sich als Student der Theologie in Wittenberg aufs neue immatriculiren und wurde Schüler von Luther, Bugenhagen, Amsdorf und Anderen, deren Vorlesungen er fleißig und sorgfältig nachschrieb. So ward R. ein Anhänger der Reformation und fand schon 1524 in Wittenberg Beschäftigung als Hülfsprediger an der Stadtkirche. Am 11. Mai desselben Jahres verheirathete er sich mit Ursula Krüger, einer Schwägerin des bekannten Wittenberger Buchdruckers Georg Rhaw; doch gestaltete sich die Ehe, wenigstens in den ersten Jahren, nicht gerade glücklich.

In Zwickau, wo Luther’s Lehre auf sehr empfänglichen Boden gefallen war, hatte man den jungen Gelehrten R. inzwischen nicht vergessen. Seine Kenntnisse und Erfahrungen, seine Tüchtigkeit, seine besondere Freundschaft mit Luther und seine Anhänglichkeit an die Heimath hatten ihm die Wege dort geebnet. Ende 1527 kehrte R. nach Zwickau zurück und Anfang 1528 ward er dort als Stadtschreiber und Schulinspector angestellt. Dieser Posten war wohl der arbeits- und einflußreichste der ganzen Stadtverwaltung. Nicht nur die Geschäfte der inneren Stadtverwaltung hatte R. zu besorgen, sondern er mußte die Stadt auch auf verschiedenen sächsischen Landtagen und in allerlei Händeln nach Außen vertreten; kurz, er war eine Art Kanzler oder Syndikus von Zwickau. Wiederbolte Schwierigkeiten und Irrungen zwischen der Stadt einerseits und dem Oberpfarrer daselbst, sowie den Theologen in Wittenberg andrerseits wegen Besetzung der geistlichen Stellen verursachten unserem R. viele Mühe und führten sogar zu einem Bruch mit Luther, der über die Zwickauer höchst aufgebracht war. Eine Aussöhnung zwischen R. und Luther kam erst spät und nach langen Bemühungen zu Stande; doch konnte sie eine gewisse Spannung nicht wieder ganz beseitigen. Im J. 1543 erstieg R. die Stufe der Rathsherrenwürde, die aber materiell für ihn eher eine Verschlechterung bedeutete. Am 5. November 1544 verlor er seine Frau Ursula durch den Tod. Schon kränkelnd, verheirathete er sich aufs Neue am 17. Januar 1546 mit der Zwickauerin Barbara Pfützner. Dieser Ehestand sollte nicht lange währen. Bereits am 8. Juli 1546 starb Stephan R. in Zwickau, tief betrauert von seinen Angehörigen und der ganzen Stadt, die in ihm einen ihrer besten Bürger verlor, einen Mann von aristokratischer Natur, der seine Zeit recht erfaßt und mit praktischem Scharfblick überall fest und sicher einzugreifen verstanden hatte. Sein Oelporträt hängt in der Zwickauer Rathsschulbibliothek; eine lithographische Vervielfältigung davon ist dem zweiten Bande von Herzog’s Chronik von Zwickau (1845) beigegeben.

Roth’s Bedeutung für Wissenschaft und Litteratur läßt sich aus seinen [566] Büchern und seinem Briefwechsel erkennen. Ungefähr 6000 Bücher, die er mit Geschick und Verständniß gesammelt hatte, konnte er der Stadt Zwickau für die Rathsschulbibliothek hinterlassen, und ungefähr 4000 Nummern zählt seine Correspondenz, die ebenda aufbewahrt wird. Wir bewundern in ihr die Vielseitigkeit, den Fleiß und die Gefälligkeit des Mannes, der mit aller Welt über die mannichfachsten Gegenstände Briefe wechselte. Theologen und Humanisten, Buchdrucker und Verleger, Schriftsteller und Dichter, adelige Grundbesitzer und Kanzleibeamte, alle sind in Roth’s Correspondenz mit Briefen vertreten. Man betrachtete den Zwickauer Gelehrten fast wie ein litterarisches Vermittlungsbureau. Manuscripte wurden ihm zur Beurtheilung und Verwerthung zugeschickt; er wirkte als Corrector für verschiedene Druckereien; man erbat seine orthographischen Grundsätze als Muster und nahm insbesondere gern seine Hülfe zur Besorgung von litterarischen Neuigkeiten in Anspruch. Da er überallhin Verbindungen unterhielt, kamen neu erschienene Schriften rasch in seine Hände, und er wurde vielfach wegen ihrer Beschaffung wie ein Commissionär angegangen. Selbst Schriften, die gar nicht für den Handel, sondern nur für die leitenden Kreise bestimmt waren, konnte R. verschaffen, seine directen Verbindungen mit den Kanzleien kamen ihm dabei sehr zu Statten.

Eine bemerkenswerthe Fertigkeit hatte sich R. auch im Nachschreiben von Vorträgen und Reden angeeignet. Seit seiner Wittenberger Zeit war er als Schnellschreiber bekannt. Man bewunderte seine Aufzeichnungen als wörtliche und rühmte besonders seine Nachschriften Luther’scher Predigten und die danach besorgte Ausgabe eines Theiles der Luther’schen Postille. Von Wörtlichkeit sind diese Nachschriften nun allerdings weit entfernt, denn R. hat nicht etwa ein System der Stenographie erfunden und angewandt, sondern verdankte die größere Ausführlichkeit seiner Nachschriften neben der eigenen Fingergewandtheit, nur einigen Weiterbildungen der mittelalterlichen Abkürzungen für das Lateinische, von denen er, was brauchbar war, auch auf die deutsche Schrift übertrug. Trotzdem blieben diese Hülfsmittel für das Nachschreiben deutscher Reden sehr unzulänglich, und R. half sich daher nach Möglichkeit durch sofortige Uebersetzung des Gehörten in die knappere lateinische Sprache, für die doch viel reichlichere Kürzungen zur Verfügung standen. Aus diesem Umstande erklärt sich das wunderliche Gemisch von Latein und Deutsch in Roth’s Nachschriften, die zum Theil noch in der Zwickauer Rathsschulbibliothek vorhanden sind. Ob R. der Erfinder dieses Verfahrens ist, muß dahingestellt bleiben; denn auch mehrere seiner Zeitgenossen wie Kaspar Cruciger, Georg Rörer, Veit Dietrich, Andreas Poach, die sich gleichfalls durch Schreibgewandtheit auszeichneten, bedienten sich ganz ähnlicher Hülfsmittel. Jedenfalls aber wurde R. auch um Mittheilung seiner Schreibkürzungsgeheimnisse angegangen.

Außer seiner erwähnten Erstlingsschrift hat R. kaum noch eigene schriftstellerische Hervorbringungen veröffentlicht, aber seine Uebersetzungen und Ausgaben fremder Werke verschafften ihm doch einen angesehenen litterarischen Namen. Besonders ist hier seine Betheiligung an der Herausgabe von Luther’s Kirchenpostille zu nennen. Das vollständigste Verzeichniß von Roth’s Veröffentlichungen hat Georg Buchwald im „Archiv für Geschichte des deutschen Buchhandels“, Bd. XVI, S. 9 ff., gegeben.

Vinhold, in der Zwickauer Gymnasialeinladungsschrift von 1705. – G. Müller, Magister Stephan Roth, in den Beiträgen zur sächsischen Kirchengeschichte I, 43 ff. – E. Fabian, Petrus Plateanus (Zwickauer Programm 1878). – Ders., Die Zwickauer Schulbrüderschaft, in den Mittheilungen des Alterthumsvereins für Zwickau III, 50 ff. – G. Buchwald, Die Lutherfunde der neueren Zeit (1886). – Ders., Stadtschreiber Stephan [567] Roth, im Archiv für Geschichte des deutschen Buchhandels XVI, 6 ff. (Leipzig 1893). – P. Mitzschke, Stephan Roth, ein Geschwindschreiber des Reformationszeitalters (Berlin 1895). – C. Dewischeit, Georg Rörer, ein Geschwindschreiber Luther’s (Berlin 1899). – Beiträge zur Reformationsgeschichte (von O. Clemen), Heft l (Berlin 1900).